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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Adolf Fischhof

ich mit der ganzen Kraft meiner Stimme: Meine Herren! ,Ein Redner, ein
Redner!' ging nun der Ruf durch die Versammlung." Im Augenblick war
Fischhof von vier kräftigen jungen Leuten gefaßt und auf eine Erhöhung gestellt.
Die Stände, sprach er, sind versammelt, um die Wünsche des Volkes auszu¬
sprechen und den Ideen der Zeit an den Stufen des Thrones Ausdruck zu
geben. So laßt uns denn die Männer, die da oben tagen, durch unsern Zuruf
ermuntern und durch unser Zutun zum erwünschten Ziele führen. Und er
stellte ein Programm auf: Preßfreiheit, Freiheit der Wissenschaft, Geschworenen¬
gerichte, brüderliche Einigung der durch eine falsche Staatskunst auseinander-
gehaltenen Völker Österreichs. Er schloß: "Österreich und seine glorreiche Zukunft
hoch! Die verbündeten Völker Österreichs hoch! Die Freiheit hoch!" Das
durch die Rede begeisterte Volk drang in den Sitzungssaal ein, die Stände
marschierten in die Hofburg, dort die Wünsche und die Forderungen des Volkes
vorzutragen, die Bewegung, aus welcher der Verfassungsstaat hervorgehen
mußte, war eingeleitet. Fischhof blieb längere Zeit an der Spitze der Bewegung
und bemühte sich, sie in der Bahn der Ordnung und Gesetzlichkeit zu erhalten.
Er trat den Anmaßungen der Studenten entgegen und leitete umsichtig den
Sicherheitsausschuß, der auf verschiedenen Gebieten des^ Gemeinwesens
Ersprießliches leistete. Aber es ging, wie es eben in solchen Bewegungen zu
gehen pflegt. Die Radikalen verleumdeten, verdächtigten und beschimpften ihn,
die Leidenschaft siegte über die Vernunft und höchst überflüssige, ganz sinnlose
Barrikadenkämpfe störten die ruhige Entwickelung. Republik wurde das Losungs¬
wort und aus den Blätterspalten erschallte der Ruf: "Tyrannen, Pfaffen,
Sklavenbrut, hoch, hoch an die Laternen!" Entsetzt zogen sich die guten Bürger
zurück und überließen das Feld der wilden Demagogie.

Fischhof vertrat einen Wiener Wahlkreis im Reichstage, und seine ärmliche
Krankenhauswohnung ward das Hauptquartier der demokratischen Partei. Im
Reichstage drang er zunächst darauf, daß das Deutsche zur Verhandlungssprache
erklärt werde, suchte dann der Redewut zu steuern und die Abgeordneten zur
Arbeit zu erziehen. Doblhoff stellte ihn an: 2. August als Ministerialrat an
und ließ ihn u. a. die Sanitätsverhältnisse Galiziens erforschen, wo die Cholera
ausgebrochen war. Nachdem der Reichstag nach Cremster verlegt worden war
und das Ministerium Wessenberg-Doblhoff dem Kabinett Schwarzenberg-Stadion
Platz gemacht hatte, schied Fischhof aus dem Staatsdienst. Als Abgeordneter
arbeitete er fleißig am Verfassungsentwurf mit und setzte mit seiner feurigen
Beredsamkeit den Beschluß durch, daß die Todesstrafe nicht allein für politische
Verbrechen, sondern überhaupt abgeschafft werden solle. Alle Arbeiten und
Beschlüsse dieses konstituierenden Reichstags waren jedoch vergebens; am 4. März
wurde er vom neuen Kaiser aufgelöst, und eine Verfassung wurde oktroyiert.
Gleichzeitig mit der Sprengung des Reichstags erging der Befehl, sieben Ab¬
geordnete in Haft zu nehmen. Der Minister des Innern, Graf Stadion, ver¬
zögerte die Ausführung, um den Bedrohten Zeit zur Flucht zu lassen. Fünf


Adolf Fischhof

ich mit der ganzen Kraft meiner Stimme: Meine Herren! ,Ein Redner, ein
Redner!' ging nun der Ruf durch die Versammlung." Im Augenblick war
Fischhof von vier kräftigen jungen Leuten gefaßt und auf eine Erhöhung gestellt.
Die Stände, sprach er, sind versammelt, um die Wünsche des Volkes auszu¬
sprechen und den Ideen der Zeit an den Stufen des Thrones Ausdruck zu
geben. So laßt uns denn die Männer, die da oben tagen, durch unsern Zuruf
ermuntern und durch unser Zutun zum erwünschten Ziele führen. Und er
stellte ein Programm auf: Preßfreiheit, Freiheit der Wissenschaft, Geschworenen¬
gerichte, brüderliche Einigung der durch eine falsche Staatskunst auseinander-
gehaltenen Völker Österreichs. Er schloß: „Österreich und seine glorreiche Zukunft
hoch! Die verbündeten Völker Österreichs hoch! Die Freiheit hoch!" Das
durch die Rede begeisterte Volk drang in den Sitzungssaal ein, die Stände
marschierten in die Hofburg, dort die Wünsche und die Forderungen des Volkes
vorzutragen, die Bewegung, aus welcher der Verfassungsstaat hervorgehen
mußte, war eingeleitet. Fischhof blieb längere Zeit an der Spitze der Bewegung
und bemühte sich, sie in der Bahn der Ordnung und Gesetzlichkeit zu erhalten.
Er trat den Anmaßungen der Studenten entgegen und leitete umsichtig den
Sicherheitsausschuß, der auf verschiedenen Gebieten des^ Gemeinwesens
Ersprießliches leistete. Aber es ging, wie es eben in solchen Bewegungen zu
gehen pflegt. Die Radikalen verleumdeten, verdächtigten und beschimpften ihn,
die Leidenschaft siegte über die Vernunft und höchst überflüssige, ganz sinnlose
Barrikadenkämpfe störten die ruhige Entwickelung. Republik wurde das Losungs¬
wort und aus den Blätterspalten erschallte der Ruf: „Tyrannen, Pfaffen,
Sklavenbrut, hoch, hoch an die Laternen!" Entsetzt zogen sich die guten Bürger
zurück und überließen das Feld der wilden Demagogie.

Fischhof vertrat einen Wiener Wahlkreis im Reichstage, und seine ärmliche
Krankenhauswohnung ward das Hauptquartier der demokratischen Partei. Im
Reichstage drang er zunächst darauf, daß das Deutsche zur Verhandlungssprache
erklärt werde, suchte dann der Redewut zu steuern und die Abgeordneten zur
Arbeit zu erziehen. Doblhoff stellte ihn an: 2. August als Ministerialrat an
und ließ ihn u. a. die Sanitätsverhältnisse Galiziens erforschen, wo die Cholera
ausgebrochen war. Nachdem der Reichstag nach Cremster verlegt worden war
und das Ministerium Wessenberg-Doblhoff dem Kabinett Schwarzenberg-Stadion
Platz gemacht hatte, schied Fischhof aus dem Staatsdienst. Als Abgeordneter
arbeitete er fleißig am Verfassungsentwurf mit und setzte mit seiner feurigen
Beredsamkeit den Beschluß durch, daß die Todesstrafe nicht allein für politische
Verbrechen, sondern überhaupt abgeschafft werden solle. Alle Arbeiten und
Beschlüsse dieses konstituierenden Reichstags waren jedoch vergebens; am 4. März
wurde er vom neuen Kaiser aufgelöst, und eine Verfassung wurde oktroyiert.
Gleichzeitig mit der Sprengung des Reichstags erging der Befehl, sieben Ab¬
geordnete in Haft zu nehmen. Der Minister des Innern, Graf Stadion, ver¬
zögerte die Ausführung, um den Bedrohten Zeit zur Flucht zu lassen. Fünf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/450>, abgerufen am 24.07.2024.