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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Begegnung mit Schwester Lufemici

Außer den Altarkerzen und der ewigen Lampe gab es kein Licht in diesem
Raum. Doch sah ich, daß Gruppen von Menschen an der Tür sich drängten und
ihre Schatten über die Wände warfen.

Sor Domenico beugte beim Eintritt das Knie, nahm Weihwasser und reichte
auch mir davon. Viel spionierende Augen zogen einen Kreis um uns, und so
erfüllte ich alle Formen, die der Ort gebot.

Am Altare ging soeben die Konsekration vor sich. Das Gemurmel, durch
unsern Eintritt flüchtig erweckt, verstummte. Wir warfen uns nieder mit den
andern, und die Knabenstimmen über uns priesen des Erlösers heilige Wunden:


,,()uÄö vulnerata wneeas
^iucrons äiro, criminum
Ut ne>s wvsret sorciibus,
^Visnavit uncia et s-mZuine,"

Selten habe ich die ausgleichende Kraft der Form mit größerer Genugtuung
begrüßt als in jener Stunde. Die Form allein ermöglichte mir den Aufenthalt
unter den Menschen, zumal im Kreise der Kleriker, der klügsten und dressiertesten
des hündischen Geschlechtes. Die Form meines Verhaltens warf ich als Köder
hin. Wenn er nach ihrem Sinne war, so verschlangen sie ihn befriedigt, wenn
sie aber bissig nach meinem Wesen schnappten, so zerbarsten an der Form ihre
Zähne wie auf Sand. Die Form allein war es, die mir das Menschengeschlecht
vom Leibe hielt, die Maske meiner Worte, Geberden und Handlungen. Niemals
gelangte irgendeiner auch nur zur Witterung meiner nackten Natur. Hier nun tat
ich nichts als ihre Messe hören, nichts weiter! Beruhigte dadurch ihren Argwohn
und gewann Macht über sie.

Gleich nach dem veo gratias führte mich der Kapuziner durch die Sakristei
in eine Art von Amts- und Aktenstube. Domenico sah ich nicht mehr. Er schien,
mit der Schar der Andächtigen vermischt, die Kapelle durch die Eingangspforte
verlassen zu haben.

Hinter Regalen, vollgepfropft mit Dokumenten und Folianten, erhob sich ein
Prälat höheren Ranges, kam mir entgegen, verneigte sich. Ich fühlte mich gewappnet
gegen seine verbindliche Forschermiene wie gegen die schmeichelhafte Befangenheit,
mit der er berufsmäßige Nberhebung würzte. So sehr er sich den Anschein gab,
mit meinen Lebensumständen vertraut zu sein, zu offenbar tappte er fruchtlos
daran herum.

"Wir haben uns erlaubt, Sie hierher zu bitten, an diesen Ort, der samt all
seinen Vorgängen der Öffentlichkeit entzogen ist. Darf ich annehmen, daß Sie
unserm Ruf nicht ungern folgten?"

"Ich bin Ihnen dankbar, Monsignor! Es lag mir daran, die Stigmatisierte
zu sehen und zu sprechen."

"Dieser Zusammenkunft beizuwohnen verlangt uns alle."

"Aber wird es sich lohnen? Steht außer Zweifel, daß ihr keinerlei Kenntnisse
über meine Existenz zukommen konnten?"

"Es steht außer Zweifel. Schwester Eufemia ist als verwaistes Kind in dem
römischen Kloster der Clarissen untergebracht, dort erzogen und unter gewissen-
Haftester Aufsicht gehalten worden. Alle Fäden zwischen der Welt und ihr waren


Begegnung mit Schwester Lufemici

Außer den Altarkerzen und der ewigen Lampe gab es kein Licht in diesem
Raum. Doch sah ich, daß Gruppen von Menschen an der Tür sich drängten und
ihre Schatten über die Wände warfen.

Sor Domenico beugte beim Eintritt das Knie, nahm Weihwasser und reichte
auch mir davon. Viel spionierende Augen zogen einen Kreis um uns, und so
erfüllte ich alle Formen, die der Ort gebot.

Am Altare ging soeben die Konsekration vor sich. Das Gemurmel, durch
unsern Eintritt flüchtig erweckt, verstummte. Wir warfen uns nieder mit den
andern, und die Knabenstimmen über uns priesen des Erlösers heilige Wunden:


,,()uÄö vulnerata wneeas
^iucrons äiro, criminum
Ut ne>s wvsret sorciibus,
^Visnavit uncia et s-mZuine,"

Selten habe ich die ausgleichende Kraft der Form mit größerer Genugtuung
begrüßt als in jener Stunde. Die Form allein ermöglichte mir den Aufenthalt
unter den Menschen, zumal im Kreise der Kleriker, der klügsten und dressiertesten
des hündischen Geschlechtes. Die Form meines Verhaltens warf ich als Köder
hin. Wenn er nach ihrem Sinne war, so verschlangen sie ihn befriedigt, wenn
sie aber bissig nach meinem Wesen schnappten, so zerbarsten an der Form ihre
Zähne wie auf Sand. Die Form allein war es, die mir das Menschengeschlecht
vom Leibe hielt, die Maske meiner Worte, Geberden und Handlungen. Niemals
gelangte irgendeiner auch nur zur Witterung meiner nackten Natur. Hier nun tat
ich nichts als ihre Messe hören, nichts weiter! Beruhigte dadurch ihren Argwohn
und gewann Macht über sie.

Gleich nach dem veo gratias führte mich der Kapuziner durch die Sakristei
in eine Art von Amts- und Aktenstube. Domenico sah ich nicht mehr. Er schien,
mit der Schar der Andächtigen vermischt, die Kapelle durch die Eingangspforte
verlassen zu haben.

Hinter Regalen, vollgepfropft mit Dokumenten und Folianten, erhob sich ein
Prälat höheren Ranges, kam mir entgegen, verneigte sich. Ich fühlte mich gewappnet
gegen seine verbindliche Forschermiene wie gegen die schmeichelhafte Befangenheit,
mit der er berufsmäßige Nberhebung würzte. So sehr er sich den Anschein gab,
mit meinen Lebensumständen vertraut zu sein, zu offenbar tappte er fruchtlos
daran herum.

„Wir haben uns erlaubt, Sie hierher zu bitten, an diesen Ort, der samt all
seinen Vorgängen der Öffentlichkeit entzogen ist. Darf ich annehmen, daß Sie
unserm Ruf nicht ungern folgten?"

„Ich bin Ihnen dankbar, Monsignor! Es lag mir daran, die Stigmatisierte
zu sehen und zu sprechen."

„Dieser Zusammenkunft beizuwohnen verlangt uns alle."

„Aber wird es sich lohnen? Steht außer Zweifel, daß ihr keinerlei Kenntnisse
über meine Existenz zukommen konnten?"

„Es steht außer Zweifel. Schwester Eufemia ist als verwaistes Kind in dem
römischen Kloster der Clarissen untergebracht, dort erzogen und unter gewissen-
Haftester Aufsicht gehalten worden. Alle Fäden zwischen der Welt und ihr waren


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[0444] Begegnung mit Schwester Lufemici Außer den Altarkerzen und der ewigen Lampe gab es kein Licht in diesem Raum. Doch sah ich, daß Gruppen von Menschen an der Tür sich drängten und ihre Schatten über die Wände warfen. Sor Domenico beugte beim Eintritt das Knie, nahm Weihwasser und reichte auch mir davon. Viel spionierende Augen zogen einen Kreis um uns, und so erfüllte ich alle Formen, die der Ort gebot. Am Altare ging soeben die Konsekration vor sich. Das Gemurmel, durch unsern Eintritt flüchtig erweckt, verstummte. Wir warfen uns nieder mit den andern, und die Knabenstimmen über uns priesen des Erlösers heilige Wunden: ,,()uÄö vulnerata wneeas ^iucrons äiro, criminum Ut ne>s wvsret sorciibus, ^Visnavit uncia et s-mZuine," Selten habe ich die ausgleichende Kraft der Form mit größerer Genugtuung begrüßt als in jener Stunde. Die Form allein ermöglichte mir den Aufenthalt unter den Menschen, zumal im Kreise der Kleriker, der klügsten und dressiertesten des hündischen Geschlechtes. Die Form meines Verhaltens warf ich als Köder hin. Wenn er nach ihrem Sinne war, so verschlangen sie ihn befriedigt, wenn sie aber bissig nach meinem Wesen schnappten, so zerbarsten an der Form ihre Zähne wie auf Sand. Die Form allein war es, die mir das Menschengeschlecht vom Leibe hielt, die Maske meiner Worte, Geberden und Handlungen. Niemals gelangte irgendeiner auch nur zur Witterung meiner nackten Natur. Hier nun tat ich nichts als ihre Messe hören, nichts weiter! Beruhigte dadurch ihren Argwohn und gewann Macht über sie. Gleich nach dem veo gratias führte mich der Kapuziner durch die Sakristei in eine Art von Amts- und Aktenstube. Domenico sah ich nicht mehr. Er schien, mit der Schar der Andächtigen vermischt, die Kapelle durch die Eingangspforte verlassen zu haben. Hinter Regalen, vollgepfropft mit Dokumenten und Folianten, erhob sich ein Prälat höheren Ranges, kam mir entgegen, verneigte sich. Ich fühlte mich gewappnet gegen seine verbindliche Forschermiene wie gegen die schmeichelhafte Befangenheit, mit der er berufsmäßige Nberhebung würzte. So sehr er sich den Anschein gab, mit meinen Lebensumständen vertraut zu sein, zu offenbar tappte er fruchtlos daran herum. „Wir haben uns erlaubt, Sie hierher zu bitten, an diesen Ort, der samt all seinen Vorgängen der Öffentlichkeit entzogen ist. Darf ich annehmen, daß Sie unserm Ruf nicht ungern folgten?" „Ich bin Ihnen dankbar, Monsignor! Es lag mir daran, die Stigmatisierte zu sehen und zu sprechen." „Dieser Zusammenkunft beizuwohnen verlangt uns alle." „Aber wird es sich lohnen? Steht außer Zweifel, daß ihr keinerlei Kenntnisse über meine Existenz zukommen konnten?" „Es steht außer Zweifel. Schwester Eufemia ist als verwaistes Kind in dem römischen Kloster der Clarissen untergebracht, dort erzogen und unter gewissen- Haftester Aufsicht gehalten worden. Alle Fäden zwischen der Welt und ihr waren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/444>, abgerufen am 29.12.2024.