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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Begegnung mit Schwester Luscinia

Spaziergang anzutreffen. In gewissem Sinne dürfen Sie mich als ?ostillon
ä'smour betrachten."

"Also doch . . .?"

"O nein, nicht so vulgär, so weltlich, wie Sie meinen! Eine sehr seltene,
fast möchte ich mich ausdrücken heilige Beute fiel Ihnen zu: Schwester Eufemia! --
In der Tat, nach keinem andern verlangt Eufemia als nach Ihnen, beschwört
die frommen Väter, Sie zu suchen, windet sich in heiligen Liebeskrämpfen, schreit
nach Ihnen Tag und Nacht!"

"Wer ist das, Schwester Eufemia? Ich habe nie von ihr gehört. Wo hat
sie mich gesehen?"

"Leibhaftig gesehen nie und nirgends. Wozu auch? Eufemia bedarf nicht
der unzulänglichen Sinne. Genug, sie weiß von Ihrer Gegenwart in Rom, von
Ihrer Identität mit dem Idol, um dessentwillen sie leidet."

"Eine Hysterische?"

"Mehr als das! Eine Stigmatisierte!"

"Wo kann man sie sehen?"

"An Ort und Stelle. Sogleich, Signore Krohn, führ' ich Sie hin."

Stumm gingen wir nebeneinander her, stumm überschritten wir die Engels¬
brücke; das Mißtrauen gegen meinen Begleiter schwand, der Widerwille ließ nach,
je mehr ich mich allein mit ihm wußte in dieser verlassenen vatikanischen Gegend.
Ein päpstlicher Sbirre trat aus dem Schatten der Engelsburg hervor, folgte uns
eine Weile in gemessener Entfernung, schien sich zu überzeugen, daß wir keine
Verschwörer waren, und tauchte ins Dunkel zurück. Fast vertraut war mir dieser
Sor Domenico: als hätte er mich zeitlebens schon so umschlichen, immer einen
halben Schritt taktmäßig vor mir herschlürfend, mit seinen lakonischer Führergeberden
und dem schwachen Modergeruch, den der dicke Mantel ausströmte, wenn er sich
in der Nachtluft blähte.

Wir gelangten auf die Piazza ti San Pietro, die ich nie überschreiten konnte,
ohne wie auf einen inneren Ruf Halt zu machen, mit den Augen die Ellipse ihrer
Säulen nachzuzeichnen und mich vor der anbetungswürdigen Kuppel im Geiste
niederzuwerfen. Die Springbrunnen zu beiden Seiten des Obelisken rauschten
ihren ruhevollen Zwiegescmg und verbreiteten einen Hauch von kühler Reinheit
hinaus in die Fledermänse.

Nachdem wir uns durch mehrere enge Borghi zu Füßen des Vatikans hindurch
gewunden, gelangten wir über Treppen und Galerien in einen Klosterhof, wo
uns ein Laienbruder der Kapuziner ehrfurchtsvoll empfing.

"Ist dies ein Kloster eures Ordens?" fragte ich ihn.

"Nein, Eccellenza, sondern freies Stift. Hier die Kapelle der Cavalieri vom
Herzen Jesu!"

Das Tor dieser Kapelle öffnete sich bei unsrem Nahen. Ein Weltpriester
zelebrierte die Messe, und von Knabenstimmen erklang ein Hymnus der christlichen
Passion:


"Vsxillg, regis procteunt.
l^ulAet c-ruLis in^Sternen,
(Zuse vita mortem pertulit
Le morte vitam protulitl"

Begegnung mit Schwester Luscinia

Spaziergang anzutreffen. In gewissem Sinne dürfen Sie mich als ?ostillon
ä'smour betrachten."

„Also doch . . .?"

„O nein, nicht so vulgär, so weltlich, wie Sie meinen! Eine sehr seltene,
fast möchte ich mich ausdrücken heilige Beute fiel Ihnen zu: Schwester Eufemia! —
In der Tat, nach keinem andern verlangt Eufemia als nach Ihnen, beschwört
die frommen Väter, Sie zu suchen, windet sich in heiligen Liebeskrämpfen, schreit
nach Ihnen Tag und Nacht!"

„Wer ist das, Schwester Eufemia? Ich habe nie von ihr gehört. Wo hat
sie mich gesehen?"

„Leibhaftig gesehen nie und nirgends. Wozu auch? Eufemia bedarf nicht
der unzulänglichen Sinne. Genug, sie weiß von Ihrer Gegenwart in Rom, von
Ihrer Identität mit dem Idol, um dessentwillen sie leidet."

„Eine Hysterische?"

„Mehr als das! Eine Stigmatisierte!"

„Wo kann man sie sehen?"

„An Ort und Stelle. Sogleich, Signore Krohn, führ' ich Sie hin."

Stumm gingen wir nebeneinander her, stumm überschritten wir die Engels¬
brücke; das Mißtrauen gegen meinen Begleiter schwand, der Widerwille ließ nach,
je mehr ich mich allein mit ihm wußte in dieser verlassenen vatikanischen Gegend.
Ein päpstlicher Sbirre trat aus dem Schatten der Engelsburg hervor, folgte uns
eine Weile in gemessener Entfernung, schien sich zu überzeugen, daß wir keine
Verschwörer waren, und tauchte ins Dunkel zurück. Fast vertraut war mir dieser
Sor Domenico: als hätte er mich zeitlebens schon so umschlichen, immer einen
halben Schritt taktmäßig vor mir herschlürfend, mit seinen lakonischer Führergeberden
und dem schwachen Modergeruch, den der dicke Mantel ausströmte, wenn er sich
in der Nachtluft blähte.

Wir gelangten auf die Piazza ti San Pietro, die ich nie überschreiten konnte,
ohne wie auf einen inneren Ruf Halt zu machen, mit den Augen die Ellipse ihrer
Säulen nachzuzeichnen und mich vor der anbetungswürdigen Kuppel im Geiste
niederzuwerfen. Die Springbrunnen zu beiden Seiten des Obelisken rauschten
ihren ruhevollen Zwiegescmg und verbreiteten einen Hauch von kühler Reinheit
hinaus in die Fledermänse.

Nachdem wir uns durch mehrere enge Borghi zu Füßen des Vatikans hindurch
gewunden, gelangten wir über Treppen und Galerien in einen Klosterhof, wo
uns ein Laienbruder der Kapuziner ehrfurchtsvoll empfing.

„Ist dies ein Kloster eures Ordens?" fragte ich ihn.

„Nein, Eccellenza, sondern freies Stift. Hier die Kapelle der Cavalieri vom
Herzen Jesu!"

Das Tor dieser Kapelle öffnete sich bei unsrem Nahen. Ein Weltpriester
zelebrierte die Messe, und von Knabenstimmen erklang ein Hymnus der christlichen
Passion:


„Vsxillg, regis procteunt.
l^ulAet c-ruLis in^Sternen,
(Zuse vita mortem pertulit
Le morte vitam protulitl"

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[0443] Begegnung mit Schwester Luscinia Spaziergang anzutreffen. In gewissem Sinne dürfen Sie mich als ?ostillon ä'smour betrachten." „Also doch . . .?" „O nein, nicht so vulgär, so weltlich, wie Sie meinen! Eine sehr seltene, fast möchte ich mich ausdrücken heilige Beute fiel Ihnen zu: Schwester Eufemia! — In der Tat, nach keinem andern verlangt Eufemia als nach Ihnen, beschwört die frommen Väter, Sie zu suchen, windet sich in heiligen Liebeskrämpfen, schreit nach Ihnen Tag und Nacht!" „Wer ist das, Schwester Eufemia? Ich habe nie von ihr gehört. Wo hat sie mich gesehen?" „Leibhaftig gesehen nie und nirgends. Wozu auch? Eufemia bedarf nicht der unzulänglichen Sinne. Genug, sie weiß von Ihrer Gegenwart in Rom, von Ihrer Identität mit dem Idol, um dessentwillen sie leidet." „Eine Hysterische?" „Mehr als das! Eine Stigmatisierte!" „Wo kann man sie sehen?" „An Ort und Stelle. Sogleich, Signore Krohn, führ' ich Sie hin." Stumm gingen wir nebeneinander her, stumm überschritten wir die Engels¬ brücke; das Mißtrauen gegen meinen Begleiter schwand, der Widerwille ließ nach, je mehr ich mich allein mit ihm wußte in dieser verlassenen vatikanischen Gegend. Ein päpstlicher Sbirre trat aus dem Schatten der Engelsburg hervor, folgte uns eine Weile in gemessener Entfernung, schien sich zu überzeugen, daß wir keine Verschwörer waren, und tauchte ins Dunkel zurück. Fast vertraut war mir dieser Sor Domenico: als hätte er mich zeitlebens schon so umschlichen, immer einen halben Schritt taktmäßig vor mir herschlürfend, mit seinen lakonischer Führergeberden und dem schwachen Modergeruch, den der dicke Mantel ausströmte, wenn er sich in der Nachtluft blähte. Wir gelangten auf die Piazza ti San Pietro, die ich nie überschreiten konnte, ohne wie auf einen inneren Ruf Halt zu machen, mit den Augen die Ellipse ihrer Säulen nachzuzeichnen und mich vor der anbetungswürdigen Kuppel im Geiste niederzuwerfen. Die Springbrunnen zu beiden Seiten des Obelisken rauschten ihren ruhevollen Zwiegescmg und verbreiteten einen Hauch von kühler Reinheit hinaus in die Fledermänse. Nachdem wir uns durch mehrere enge Borghi zu Füßen des Vatikans hindurch gewunden, gelangten wir über Treppen und Galerien in einen Klosterhof, wo uns ein Laienbruder der Kapuziner ehrfurchtsvoll empfing. „Ist dies ein Kloster eures Ordens?" fragte ich ihn. „Nein, Eccellenza, sondern freies Stift. Hier die Kapelle der Cavalieri vom Herzen Jesu!" Das Tor dieser Kapelle öffnete sich bei unsrem Nahen. Ein Weltpriester zelebrierte die Messe, und von Knabenstimmen erklang ein Hymnus der christlichen Passion: „Vsxillg, regis procteunt. l^ulAet c-ruLis in^Sternen, (Zuse vita mortem pertulit Le morte vitam protulitl"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/443>, abgerufen am 24.07.2024.