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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Bildende Kunst und innere Politik

Bauten sind in einem solchen Maße aus der Politik heraus befohlen, daß man
nahezu das Gebiet des Ministers des Äußern berührt. Allerdings könnte einer
irgendwie weiteren Pflege der alten Burgen und Pfalzen von feiten des Staates,
die über das Maß einer Konservierung Hinausgehen, nur von Fall zu Fall
zugestimmt werden. Wir haben kein Recht, Mittel und Kraft der schaffenden,
lebenden Gegenwart zu entziehen, und es dürfen nie und nimmer irgendwelche
Velleitäten und romantische Gesichtspunkte eine maßgebende Rolle spielen. Eben
diese Erwägungen müssen aber auch bei der einfachen Frage nach der Erhaltung
der alten Kunstdenkmäler meiner Ansicht nach weit schärfer umrissen werden, als
es geschieht. Die Lebenden haben recht. Es muß z. B. jedes alte Bauwerk,
das den modernen Verkehr in einer Stadt tatsächlich hindert, beiseite gebracht
werden. Es sollen auch nicht alte Kunstwerke, wie etwa das Heidelberger Schloß
oder das Forum in Rom, einen: modernen Reinlichkeitssinn zum Opfer fallen.
Das ethische Moment (Pietät) an und in derartigen Monumenten wird oft
durch "Renovation", Ordnungsliebe und Altertümelei geradezu vernichtet.

Eine sehr wichtige Frage der inneren Politik in Hinblick auf die bildenden
Künste taucht vor uns auf, wenn wir der Beihilfen gedenken, die der Staat
zu wissenschaftlichen Exkursionen, Ausgrabungen, Editionen usw. gewährt. Es
ist in hohem Maße anzuerkennen, daß besonders die deutsche und französische
Regierung so große Gelder zur Verfügung gestellt haben, um dem europäischen
und orientalischen Altertum seine kulturell so wichtigen Geheimnisse zu entreißen.
Ob hier nicht hin und wieder anderen das Leben zu leicht gemacht wird und
andere Regierungen Kulturaufgaben überhoben werden, die sie billigerweise selbst
übernehmen sollten, wie etwa die päpstliche "Regierung", wenn das Deutsche
Reich ein Musterwerk über die Capella Sixtina mit einem Aufwand von rund
50000 Mark herausgibt?

Ein sehr vortreffliches Unternehmen der verschiedenen deutschen Regierungen
im Interesse der Erkenntnis der Werke der bildenden Kunst aus alten Zeiten
stellen die umfangreichen Jnventarisationen dar, an deren systematische Durch¬
arbeitung der neu gegründete Verein für deutsche Kunstwissenschaft gehen wird
-- allzulange war in Deutschland italienische Kunst Trumpf. Soweit ich unter¬
richtet bin, können andere Staaten, wie etwa der französische, in dieser Hinsicht
von uns lernen.

Überlegen wir nun von dem Standpunkt mittelbarer Anteilnahme aus,
wie geartet die Beziehungen der inneren Politik des Staates zur Kunst sein
können, so dürfen wir kurz sagen: die indirekte Unterstützung und Verwendung
der bildenden Kunst erfolgt überall da, wo der Staat die Kunst als seine eigene
Stütze zweckmäßig verwendet, sie der Öffentlichkeit gegenüber als bestimmenden
Faktor ausspielt. Am deutlichsten erkennbar geschieht dies durch jedes öffent¬
liche Gebäude, das zweckdienlich errichtet, monumental gestaltet und künstlerisch
ausgeschmückt ist. Es ist dabei gleichgültig, ob es sich um ein Gerichtsgebüude,
ein Parlamentshaus oder ein fürstliches Schloß handelt. Die Absicht kann


Grenzvoten I 1911 62
Bildende Kunst und innere Politik

Bauten sind in einem solchen Maße aus der Politik heraus befohlen, daß man
nahezu das Gebiet des Ministers des Äußern berührt. Allerdings könnte einer
irgendwie weiteren Pflege der alten Burgen und Pfalzen von feiten des Staates,
die über das Maß einer Konservierung Hinausgehen, nur von Fall zu Fall
zugestimmt werden. Wir haben kein Recht, Mittel und Kraft der schaffenden,
lebenden Gegenwart zu entziehen, und es dürfen nie und nimmer irgendwelche
Velleitäten und romantische Gesichtspunkte eine maßgebende Rolle spielen. Eben
diese Erwägungen müssen aber auch bei der einfachen Frage nach der Erhaltung
der alten Kunstdenkmäler meiner Ansicht nach weit schärfer umrissen werden, als
es geschieht. Die Lebenden haben recht. Es muß z. B. jedes alte Bauwerk,
das den modernen Verkehr in einer Stadt tatsächlich hindert, beiseite gebracht
werden. Es sollen auch nicht alte Kunstwerke, wie etwa das Heidelberger Schloß
oder das Forum in Rom, einen: modernen Reinlichkeitssinn zum Opfer fallen.
Das ethische Moment (Pietät) an und in derartigen Monumenten wird oft
durch „Renovation", Ordnungsliebe und Altertümelei geradezu vernichtet.

Eine sehr wichtige Frage der inneren Politik in Hinblick auf die bildenden
Künste taucht vor uns auf, wenn wir der Beihilfen gedenken, die der Staat
zu wissenschaftlichen Exkursionen, Ausgrabungen, Editionen usw. gewährt. Es
ist in hohem Maße anzuerkennen, daß besonders die deutsche und französische
Regierung so große Gelder zur Verfügung gestellt haben, um dem europäischen
und orientalischen Altertum seine kulturell so wichtigen Geheimnisse zu entreißen.
Ob hier nicht hin und wieder anderen das Leben zu leicht gemacht wird und
andere Regierungen Kulturaufgaben überhoben werden, die sie billigerweise selbst
übernehmen sollten, wie etwa die päpstliche „Regierung", wenn das Deutsche
Reich ein Musterwerk über die Capella Sixtina mit einem Aufwand von rund
50000 Mark herausgibt?

Ein sehr vortreffliches Unternehmen der verschiedenen deutschen Regierungen
im Interesse der Erkenntnis der Werke der bildenden Kunst aus alten Zeiten
stellen die umfangreichen Jnventarisationen dar, an deren systematische Durch¬
arbeitung der neu gegründete Verein für deutsche Kunstwissenschaft gehen wird
— allzulange war in Deutschland italienische Kunst Trumpf. Soweit ich unter¬
richtet bin, können andere Staaten, wie etwa der französische, in dieser Hinsicht
von uns lernen.

Überlegen wir nun von dem Standpunkt mittelbarer Anteilnahme aus,
wie geartet die Beziehungen der inneren Politik des Staates zur Kunst sein
können, so dürfen wir kurz sagen: die indirekte Unterstützung und Verwendung
der bildenden Kunst erfolgt überall da, wo der Staat die Kunst als seine eigene
Stütze zweckmäßig verwendet, sie der Öffentlichkeit gegenüber als bestimmenden
Faktor ausspielt. Am deutlichsten erkennbar geschieht dies durch jedes öffent¬
liche Gebäude, das zweckdienlich errichtet, monumental gestaltet und künstlerisch
ausgeschmückt ist. Es ist dabei gleichgültig, ob es sich um ein Gerichtsgebüude,
ein Parlamentshaus oder ein fürstliches Schloß handelt. Die Absicht kann


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[0423] Bildende Kunst und innere Politik Bauten sind in einem solchen Maße aus der Politik heraus befohlen, daß man nahezu das Gebiet des Ministers des Äußern berührt. Allerdings könnte einer irgendwie weiteren Pflege der alten Burgen und Pfalzen von feiten des Staates, die über das Maß einer Konservierung Hinausgehen, nur von Fall zu Fall zugestimmt werden. Wir haben kein Recht, Mittel und Kraft der schaffenden, lebenden Gegenwart zu entziehen, und es dürfen nie und nimmer irgendwelche Velleitäten und romantische Gesichtspunkte eine maßgebende Rolle spielen. Eben diese Erwägungen müssen aber auch bei der einfachen Frage nach der Erhaltung der alten Kunstdenkmäler meiner Ansicht nach weit schärfer umrissen werden, als es geschieht. Die Lebenden haben recht. Es muß z. B. jedes alte Bauwerk, das den modernen Verkehr in einer Stadt tatsächlich hindert, beiseite gebracht werden. Es sollen auch nicht alte Kunstwerke, wie etwa das Heidelberger Schloß oder das Forum in Rom, einen: modernen Reinlichkeitssinn zum Opfer fallen. Das ethische Moment (Pietät) an und in derartigen Monumenten wird oft durch „Renovation", Ordnungsliebe und Altertümelei geradezu vernichtet. Eine sehr wichtige Frage der inneren Politik in Hinblick auf die bildenden Künste taucht vor uns auf, wenn wir der Beihilfen gedenken, die der Staat zu wissenschaftlichen Exkursionen, Ausgrabungen, Editionen usw. gewährt. Es ist in hohem Maße anzuerkennen, daß besonders die deutsche und französische Regierung so große Gelder zur Verfügung gestellt haben, um dem europäischen und orientalischen Altertum seine kulturell so wichtigen Geheimnisse zu entreißen. Ob hier nicht hin und wieder anderen das Leben zu leicht gemacht wird und andere Regierungen Kulturaufgaben überhoben werden, die sie billigerweise selbst übernehmen sollten, wie etwa die päpstliche „Regierung", wenn das Deutsche Reich ein Musterwerk über die Capella Sixtina mit einem Aufwand von rund 50000 Mark herausgibt? Ein sehr vortreffliches Unternehmen der verschiedenen deutschen Regierungen im Interesse der Erkenntnis der Werke der bildenden Kunst aus alten Zeiten stellen die umfangreichen Jnventarisationen dar, an deren systematische Durch¬ arbeitung der neu gegründete Verein für deutsche Kunstwissenschaft gehen wird — allzulange war in Deutschland italienische Kunst Trumpf. Soweit ich unter¬ richtet bin, können andere Staaten, wie etwa der französische, in dieser Hinsicht von uns lernen. Überlegen wir nun von dem Standpunkt mittelbarer Anteilnahme aus, wie geartet die Beziehungen der inneren Politik des Staates zur Kunst sein können, so dürfen wir kurz sagen: die indirekte Unterstützung und Verwendung der bildenden Kunst erfolgt überall da, wo der Staat die Kunst als seine eigene Stütze zweckmäßig verwendet, sie der Öffentlichkeit gegenüber als bestimmenden Faktor ausspielt. Am deutlichsten erkennbar geschieht dies durch jedes öffent¬ liche Gebäude, das zweckdienlich errichtet, monumental gestaltet und künstlerisch ausgeschmückt ist. Es ist dabei gleichgültig, ob es sich um ein Gerichtsgebüude, ein Parlamentshaus oder ein fürstliches Schloß handelt. Die Absicht kann Grenzvoten I 1911 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/423>, abgerufen am 29.12.2024.