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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Bildende Kunst und innere Politik

erinnere nur an das kaufmännisch sehr lebhafte Tilsit, fehlt in Deutschland
jedwede Sammlung, die dazu anregen kann, auch einmal über den von alters her
gezogenen Zaun zu blicken. Alles wird hier der Privatinitiative überlassen,
während die großen Städte fast.im Überfluß leben! Man muß sich hin und
wieder fragen, ob die Generaldirektionen der staatlichen Museen sich die Wichtigkeit
der Museen für die innere Politik wirklich klar gemacht haben, wenn man die
einseitige Anhäufung von Kunstwerken jeder Art in den Hauptstädten beobachtet
und die nachlässig-gleichgültige Behandlung selbst großer Provinzstädte dagegen-
hält. Sammeleifer scheint hier oft mehr als Einsicht in die kulturellen und
sozialpolitischen Aufgaben der Museen maßgebend zu sein. Solange aber unser Volk
nicht national-ästhetisch empfinden wird, bleibt es ein Volk "gelehrter Barbaren"! --

Die Museen jeder Art sind aber auch ein sehr wichtiger Faktor im Wirt¬
schaftsleben des Volkes geworden. Etwas älteren Beobachtern wird noch die
Zeit der Umwandlung der Privatsammlung des Kunstgewerbevereins in Berlin
in ein Königliches Museum in Erinnerung sein und die Tatsache, daß der
bedeutsame Aufschwung des Kunstgewerbes in Berlin mit diesem Museum ganz
unverkennbar zusammenhing einesteils durch Anregung der Kunftgewerbe-
treibenden "zu neuen Taten", andernteils durch Steigerung der Ansprüche der
klug gewordenen Käufer. Unsere Behörden haben wenigstens zum Teil erkannt,
daß derartige Vorbildersammlungen in Angebot und Nachfrage eine sehr
wesentliche Rolle spielen. Gar alt ist aber die Erkenntnis noch nicht, daß es
sich hier um ein Problem der "Volkswohlfährtspflcge" handelt. Seltsam mutet
es uns an, schreibt Waentig, wenn wir lesen, daß man zunächst Kunstwerke wie
andere Güter sür den Markt liefern zu können glaubte, daß man meinte, man
brauche nur die Industrie mit Musterzeichnern zu versorgen, um eine neue Blüte
der dekorativen Kunst heraufzuführen. Heute weiß man, daß es sich kultur¬
politisch um ein weit komplizierteres Problem handelt, daß man Kunst nicht ohne
weiteres lehren kann, daß es vielmehr gilt, latent vorhandene künstlerische
Schöpferkraft zur Betätigung, künstlerische Genußfähigkeit zur Entwickelung zu
bringen, um allmählich für das ganze Volk annähernd jenen Zustand wieder¬
herzustellen, wie er für den primitiven Menschen charakteristisch ist, jene Einheit
zwischen Schaffen und Genießen. Keiner der modernen Staaten hat sich dieser
Aufgabe zu entziehen vermocht. Reichere und immer reichere Mittel sind zu
diesem Zwecke bereit gestellt worden. Es ist dies allerdings nicht nur aus
idealen Motiven geschehen, sondern zugleich in der Erwägung, daß diese wirt¬
schaftlich sich bezahlt machen würden. Hier dürfen wir auch noch eine streng
wirtschaftliche Frage ganz leicht streifen, den Geldumsatz, der durch die Werke der
bildenden Kunst bewirkt wird. Die Künstler, der neuzeitliche Sammler, der
Bilderspekulant und der Kunsthändler setzen alljährlich im inländischen wie im
Exporthandel viele Millionen um.

Den Ausstellungsgebäuden, wie wir die Museen bei etwas weiterer Aus¬
dehnung dieses Wortes nennen wollen, gliedere ich die Sammlung von Bildern


Bildende Kunst und innere Politik

erinnere nur an das kaufmännisch sehr lebhafte Tilsit, fehlt in Deutschland
jedwede Sammlung, die dazu anregen kann, auch einmal über den von alters her
gezogenen Zaun zu blicken. Alles wird hier der Privatinitiative überlassen,
während die großen Städte fast.im Überfluß leben! Man muß sich hin und
wieder fragen, ob die Generaldirektionen der staatlichen Museen sich die Wichtigkeit
der Museen für die innere Politik wirklich klar gemacht haben, wenn man die
einseitige Anhäufung von Kunstwerken jeder Art in den Hauptstädten beobachtet
und die nachlässig-gleichgültige Behandlung selbst großer Provinzstädte dagegen-
hält. Sammeleifer scheint hier oft mehr als Einsicht in die kulturellen und
sozialpolitischen Aufgaben der Museen maßgebend zu sein. Solange aber unser Volk
nicht national-ästhetisch empfinden wird, bleibt es ein Volk „gelehrter Barbaren"! —

Die Museen jeder Art sind aber auch ein sehr wichtiger Faktor im Wirt¬
schaftsleben des Volkes geworden. Etwas älteren Beobachtern wird noch die
Zeit der Umwandlung der Privatsammlung des Kunstgewerbevereins in Berlin
in ein Königliches Museum in Erinnerung sein und die Tatsache, daß der
bedeutsame Aufschwung des Kunstgewerbes in Berlin mit diesem Museum ganz
unverkennbar zusammenhing einesteils durch Anregung der Kunftgewerbe-
treibenden „zu neuen Taten", andernteils durch Steigerung der Ansprüche der
klug gewordenen Käufer. Unsere Behörden haben wenigstens zum Teil erkannt,
daß derartige Vorbildersammlungen in Angebot und Nachfrage eine sehr
wesentliche Rolle spielen. Gar alt ist aber die Erkenntnis noch nicht, daß es
sich hier um ein Problem der „Volkswohlfährtspflcge" handelt. Seltsam mutet
es uns an, schreibt Waentig, wenn wir lesen, daß man zunächst Kunstwerke wie
andere Güter sür den Markt liefern zu können glaubte, daß man meinte, man
brauche nur die Industrie mit Musterzeichnern zu versorgen, um eine neue Blüte
der dekorativen Kunst heraufzuführen. Heute weiß man, daß es sich kultur¬
politisch um ein weit komplizierteres Problem handelt, daß man Kunst nicht ohne
weiteres lehren kann, daß es vielmehr gilt, latent vorhandene künstlerische
Schöpferkraft zur Betätigung, künstlerische Genußfähigkeit zur Entwickelung zu
bringen, um allmählich für das ganze Volk annähernd jenen Zustand wieder¬
herzustellen, wie er für den primitiven Menschen charakteristisch ist, jene Einheit
zwischen Schaffen und Genießen. Keiner der modernen Staaten hat sich dieser
Aufgabe zu entziehen vermocht. Reichere und immer reichere Mittel sind zu
diesem Zwecke bereit gestellt worden. Es ist dies allerdings nicht nur aus
idealen Motiven geschehen, sondern zugleich in der Erwägung, daß diese wirt¬
schaftlich sich bezahlt machen würden. Hier dürfen wir auch noch eine streng
wirtschaftliche Frage ganz leicht streifen, den Geldumsatz, der durch die Werke der
bildenden Kunst bewirkt wird. Die Künstler, der neuzeitliche Sammler, der
Bilderspekulant und der Kunsthändler setzen alljährlich im inländischen wie im
Exporthandel viele Millionen um.

Den Ausstellungsgebäuden, wie wir die Museen bei etwas weiterer Aus¬
dehnung dieses Wortes nennen wollen, gliedere ich die Sammlung von Bildern


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[0418] Bildende Kunst und innere Politik erinnere nur an das kaufmännisch sehr lebhafte Tilsit, fehlt in Deutschland jedwede Sammlung, die dazu anregen kann, auch einmal über den von alters her gezogenen Zaun zu blicken. Alles wird hier der Privatinitiative überlassen, während die großen Städte fast.im Überfluß leben! Man muß sich hin und wieder fragen, ob die Generaldirektionen der staatlichen Museen sich die Wichtigkeit der Museen für die innere Politik wirklich klar gemacht haben, wenn man die einseitige Anhäufung von Kunstwerken jeder Art in den Hauptstädten beobachtet und die nachlässig-gleichgültige Behandlung selbst großer Provinzstädte dagegen- hält. Sammeleifer scheint hier oft mehr als Einsicht in die kulturellen und sozialpolitischen Aufgaben der Museen maßgebend zu sein. Solange aber unser Volk nicht national-ästhetisch empfinden wird, bleibt es ein Volk „gelehrter Barbaren"! — Die Museen jeder Art sind aber auch ein sehr wichtiger Faktor im Wirt¬ schaftsleben des Volkes geworden. Etwas älteren Beobachtern wird noch die Zeit der Umwandlung der Privatsammlung des Kunstgewerbevereins in Berlin in ein Königliches Museum in Erinnerung sein und die Tatsache, daß der bedeutsame Aufschwung des Kunstgewerbes in Berlin mit diesem Museum ganz unverkennbar zusammenhing einesteils durch Anregung der Kunftgewerbe- treibenden „zu neuen Taten", andernteils durch Steigerung der Ansprüche der klug gewordenen Käufer. Unsere Behörden haben wenigstens zum Teil erkannt, daß derartige Vorbildersammlungen in Angebot und Nachfrage eine sehr wesentliche Rolle spielen. Gar alt ist aber die Erkenntnis noch nicht, daß es sich hier um ein Problem der „Volkswohlfährtspflcge" handelt. Seltsam mutet es uns an, schreibt Waentig, wenn wir lesen, daß man zunächst Kunstwerke wie andere Güter sür den Markt liefern zu können glaubte, daß man meinte, man brauche nur die Industrie mit Musterzeichnern zu versorgen, um eine neue Blüte der dekorativen Kunst heraufzuführen. Heute weiß man, daß es sich kultur¬ politisch um ein weit komplizierteres Problem handelt, daß man Kunst nicht ohne weiteres lehren kann, daß es vielmehr gilt, latent vorhandene künstlerische Schöpferkraft zur Betätigung, künstlerische Genußfähigkeit zur Entwickelung zu bringen, um allmählich für das ganze Volk annähernd jenen Zustand wieder¬ herzustellen, wie er für den primitiven Menschen charakteristisch ist, jene Einheit zwischen Schaffen und Genießen. Keiner der modernen Staaten hat sich dieser Aufgabe zu entziehen vermocht. Reichere und immer reichere Mittel sind zu diesem Zwecke bereit gestellt worden. Es ist dies allerdings nicht nur aus idealen Motiven geschehen, sondern zugleich in der Erwägung, daß diese wirt¬ schaftlich sich bezahlt machen würden. Hier dürfen wir auch noch eine streng wirtschaftliche Frage ganz leicht streifen, den Geldumsatz, der durch die Werke der bildenden Kunst bewirkt wird. Die Künstler, der neuzeitliche Sammler, der Bilderspekulant und der Kunsthändler setzen alljährlich im inländischen wie im Exporthandel viele Millionen um. Den Ausstellungsgebäuden, wie wir die Museen bei etwas weiterer Aus¬ dehnung dieses Wortes nennen wollen, gliedere ich die Sammlung von Bildern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/418>, abgerufen am 24.07.2024.