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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Bildende Runst und innere Politik

Stück seiner individuellen Eigenart ist, sondern großenteils auch ein Ergebnis
des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und vor allem auch künstlerischen
Milieus, in dem er lebt". Dies "Milieu" sollte gehoben werden. Mit dem
Museum der bildenden Künste in Berlin eröffnete der Staat einem sehr großen,
bisher nicht berücksichtigten Bruchteil aller Gebildeten ein gain gewaltiges Feld
der Arbeit. Von Stund an konnte jedermann, der ein für cR bildenden Künste
offenes Auge besaß, über die Werke der Meister ans den verschiedensten Ländern
sich unmittelbar belehren, während sie bisher nur aus Nachbildungen bekannt
waren. Man erinnere sich der Erzählungen Goethes aus seiner Jugendzeit, als
der Herr Rat seine Stiche der Familie zeigte! Der unmittelbar an den Kunst¬
werken lernende Künstler, der mittelbar an ihnen und durch sie sich unterrichtende
Kunstforscher, der sich ohne bestimmtes Endziel bildende Kunstfreund, auch der
Forscher der politischen Geschichte, der Kulturhistoriker, der fremder Länder, des
eigenen Volkes Sitte und Art zu ergründen sich bemühte, sie sahen jetzt aus alter
wie neuer Zeit Gemälde und Statuen als Zeugnisse vom Leben des Alltages,
von Gottes weiter Welt, von den heiligen Legenden und großer Menschen
Taten, als farbenfrohe und körperhafte Urkunden vor Augen. Wir, die wir
durch viele derartige Institute verwöhnt sind, durch leicht zu unternehmende
Reisen über einen großen Besitz an Anschauungsmaterial dieser Art, selbst "unter
der Schwelle des Bewußtseins", verfügen, können uns nur schwer ein wirklich
zutreffendes Bild von der gewaltigen Einwirkung dieser ersten Sammlung machen.
Am ehesten wäre dies noch im Osten unseres Vaterlandes möglich, wenn dieser
Osten einmal ein angemessen wichtiges Museum erhalten sollte (?).

Die zustehenden Behörden müßten sich jedoch trotz allem, was bisher
geschehen ist, noch weit umfassender die Frage stellen: Wie bringen wir in alle
die Städte und Orte, die keine genügenden Mittel zu größeren Sammlungen
besitzen, die Segnungen der Museen? Der Farbendruck, der gerade in einem
deutschen Institut, in der Reichsdruckerei, vollendet gehandhabt wird, müßte
z. B. wesentlich ausgiebiger in den Dienst der allgemeinen Unterweisung gestellt
werden. Es war beispielsweise ein schwerer Fehler, daß der größte Lichtmaler
der sogenannten deutschen Renaissance, M. Grünewald, im Dunkeln schmachtete,
bis ihn die Firma Bruckmann in München befreite, weil keine Staatsbehörde,
selbst nicht die Regierung von Elsaß-Lothringen, daran dachte, diesen Gro߬
meister, einen der feinsten Dolmetscher deutschen Seelenlebens, dem deutschen
Volke zugänglich zu machen. Die vortrefflichen farbigen Reproduktionen nach
Gemälden der Berliner Galerie sind derartig teuer, daß selbst "Museen" in
kleinen Städten sich die Anschaffung nicht gestatten können. Es sollte ferner
sorgsamer der Gedanke erwogen werden, wie durch gute Kopien, durch Abgüsse
der wirklich erheblichen Masse von Landstädten und Marktflecken die veredelnde
Kraft der bildenden Kunst ohne zu große Kosten zugeführt werden kann. Ins¬
besondere müßten unbedingt überall kunstgewerbliche Borbilder herbeigeschafft
werden. Aber wie vielen von kleineren, durchaus lebenskräftigen Städten, ich


Bildende Runst und innere Politik

Stück seiner individuellen Eigenart ist, sondern großenteils auch ein Ergebnis
des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und vor allem auch künstlerischen
Milieus, in dem er lebt". Dies „Milieu" sollte gehoben werden. Mit dem
Museum der bildenden Künste in Berlin eröffnete der Staat einem sehr großen,
bisher nicht berücksichtigten Bruchteil aller Gebildeten ein gain gewaltiges Feld
der Arbeit. Von Stund an konnte jedermann, der ein für cR bildenden Künste
offenes Auge besaß, über die Werke der Meister ans den verschiedensten Ländern
sich unmittelbar belehren, während sie bisher nur aus Nachbildungen bekannt
waren. Man erinnere sich der Erzählungen Goethes aus seiner Jugendzeit, als
der Herr Rat seine Stiche der Familie zeigte! Der unmittelbar an den Kunst¬
werken lernende Künstler, der mittelbar an ihnen und durch sie sich unterrichtende
Kunstforscher, der sich ohne bestimmtes Endziel bildende Kunstfreund, auch der
Forscher der politischen Geschichte, der Kulturhistoriker, der fremder Länder, des
eigenen Volkes Sitte und Art zu ergründen sich bemühte, sie sahen jetzt aus alter
wie neuer Zeit Gemälde und Statuen als Zeugnisse vom Leben des Alltages,
von Gottes weiter Welt, von den heiligen Legenden und großer Menschen
Taten, als farbenfrohe und körperhafte Urkunden vor Augen. Wir, die wir
durch viele derartige Institute verwöhnt sind, durch leicht zu unternehmende
Reisen über einen großen Besitz an Anschauungsmaterial dieser Art, selbst „unter
der Schwelle des Bewußtseins", verfügen, können uns nur schwer ein wirklich
zutreffendes Bild von der gewaltigen Einwirkung dieser ersten Sammlung machen.
Am ehesten wäre dies noch im Osten unseres Vaterlandes möglich, wenn dieser
Osten einmal ein angemessen wichtiges Museum erhalten sollte (?).

Die zustehenden Behörden müßten sich jedoch trotz allem, was bisher
geschehen ist, noch weit umfassender die Frage stellen: Wie bringen wir in alle
die Städte und Orte, die keine genügenden Mittel zu größeren Sammlungen
besitzen, die Segnungen der Museen? Der Farbendruck, der gerade in einem
deutschen Institut, in der Reichsdruckerei, vollendet gehandhabt wird, müßte
z. B. wesentlich ausgiebiger in den Dienst der allgemeinen Unterweisung gestellt
werden. Es war beispielsweise ein schwerer Fehler, daß der größte Lichtmaler
der sogenannten deutschen Renaissance, M. Grünewald, im Dunkeln schmachtete,
bis ihn die Firma Bruckmann in München befreite, weil keine Staatsbehörde,
selbst nicht die Regierung von Elsaß-Lothringen, daran dachte, diesen Gro߬
meister, einen der feinsten Dolmetscher deutschen Seelenlebens, dem deutschen
Volke zugänglich zu machen. Die vortrefflichen farbigen Reproduktionen nach
Gemälden der Berliner Galerie sind derartig teuer, daß selbst „Museen" in
kleinen Städten sich die Anschaffung nicht gestatten können. Es sollte ferner
sorgsamer der Gedanke erwogen werden, wie durch gute Kopien, durch Abgüsse
der wirklich erheblichen Masse von Landstädten und Marktflecken die veredelnde
Kraft der bildenden Kunst ohne zu große Kosten zugeführt werden kann. Ins¬
besondere müßten unbedingt überall kunstgewerbliche Borbilder herbeigeschafft
werden. Aber wie vielen von kleineren, durchaus lebenskräftigen Städten, ich


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[0417] Bildende Runst und innere Politik Stück seiner individuellen Eigenart ist, sondern großenteils auch ein Ergebnis des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und vor allem auch künstlerischen Milieus, in dem er lebt". Dies „Milieu" sollte gehoben werden. Mit dem Museum der bildenden Künste in Berlin eröffnete der Staat einem sehr großen, bisher nicht berücksichtigten Bruchteil aller Gebildeten ein gain gewaltiges Feld der Arbeit. Von Stund an konnte jedermann, der ein für cR bildenden Künste offenes Auge besaß, über die Werke der Meister ans den verschiedensten Ländern sich unmittelbar belehren, während sie bisher nur aus Nachbildungen bekannt waren. Man erinnere sich der Erzählungen Goethes aus seiner Jugendzeit, als der Herr Rat seine Stiche der Familie zeigte! Der unmittelbar an den Kunst¬ werken lernende Künstler, der mittelbar an ihnen und durch sie sich unterrichtende Kunstforscher, der sich ohne bestimmtes Endziel bildende Kunstfreund, auch der Forscher der politischen Geschichte, der Kulturhistoriker, der fremder Länder, des eigenen Volkes Sitte und Art zu ergründen sich bemühte, sie sahen jetzt aus alter wie neuer Zeit Gemälde und Statuen als Zeugnisse vom Leben des Alltages, von Gottes weiter Welt, von den heiligen Legenden und großer Menschen Taten, als farbenfrohe und körperhafte Urkunden vor Augen. Wir, die wir durch viele derartige Institute verwöhnt sind, durch leicht zu unternehmende Reisen über einen großen Besitz an Anschauungsmaterial dieser Art, selbst „unter der Schwelle des Bewußtseins", verfügen, können uns nur schwer ein wirklich zutreffendes Bild von der gewaltigen Einwirkung dieser ersten Sammlung machen. Am ehesten wäre dies noch im Osten unseres Vaterlandes möglich, wenn dieser Osten einmal ein angemessen wichtiges Museum erhalten sollte (?). Die zustehenden Behörden müßten sich jedoch trotz allem, was bisher geschehen ist, noch weit umfassender die Frage stellen: Wie bringen wir in alle die Städte und Orte, die keine genügenden Mittel zu größeren Sammlungen besitzen, die Segnungen der Museen? Der Farbendruck, der gerade in einem deutschen Institut, in der Reichsdruckerei, vollendet gehandhabt wird, müßte z. B. wesentlich ausgiebiger in den Dienst der allgemeinen Unterweisung gestellt werden. Es war beispielsweise ein schwerer Fehler, daß der größte Lichtmaler der sogenannten deutschen Renaissance, M. Grünewald, im Dunkeln schmachtete, bis ihn die Firma Bruckmann in München befreite, weil keine Staatsbehörde, selbst nicht die Regierung von Elsaß-Lothringen, daran dachte, diesen Gro߬ meister, einen der feinsten Dolmetscher deutschen Seelenlebens, dem deutschen Volke zugänglich zu machen. Die vortrefflichen farbigen Reproduktionen nach Gemälden der Berliner Galerie sind derartig teuer, daß selbst „Museen" in kleinen Städten sich die Anschaffung nicht gestatten können. Es sollte ferner sorgsamer der Gedanke erwogen werden, wie durch gute Kopien, durch Abgüsse der wirklich erheblichen Masse von Landstädten und Marktflecken die veredelnde Kraft der bildenden Kunst ohne zu große Kosten zugeführt werden kann. Ins¬ besondere müßten unbedingt überall kunstgewerbliche Borbilder herbeigeschafft werden. Aber wie vielen von kleineren, durchaus lebenskräftigen Städten, ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/417>, abgerufen am 24.07.2024.