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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Bildende Kunst und innere Politik

an, mit denen der Staat die Gebäude selbst, d. h. deren Mauern, schmückt. Ich
denke hier vor allem an den Bilderschmuck in den Universitäten und in Schulen
jeder Art. Diese Bilder haben in den Anstalten, die der öffentlichen Unter¬
weisung dienen, eine ganz besonders wichtige erzieherische Aufgabe. Ein Wort
des alten berühmten Pädagogen Comenius sagt bereits: "Die Schule soll eine
liebliche Stätte sein, von innen und außen den Angen einen angenehmen Anblick
bieten. Drinnen sei ein Helles, reinliches, überall mit Gemälden geziertes
Zimmer. ..." Unsere moderne Pädagogik hat sehr ernstlich diesen Faktor
herangezogen. Die großen Versammlungsräume (Anker), wie Klassenzimmer,
Korridore schmücken Originalgemälde oder Nachbildungen geeigneter Malereien,
wie plastischer und architektonischer Werke.

Infolge dieser Forderung der Pädagogik hat sich, da der Staat diese
Bestrebungen nachdrücklich bis in die Dorfschulen hinab unterstützt, bereits eine
Neproduktionsindustrie entwickelt, die ganz ausschließlich ihr Augenmerk auf einen
Wandschmuck dieser Art richtet. Es wird auch niemand in Abrede stellen wollen,
daß die Methode durch unbeabsichtigtes Sehen wie durch aufmerksames Betrachten
von Kunstwerken der Sinn der Kinder gerichtet, angeregt und entwickelt wird.
Der Knabe ist aber der Vater des Mannes I Ganz besonders wertvoll wird
dieser kunsterzieherische Unterricht, wenn der Lehrer bei passender Gelegenheit
den Kindern die in der Klasse usw. vorhandenen Kunstwerke erklärt, neue
hinzufügt, d. h. das einzelne Werk der Kunst in den Rahmen der allgemeinen
Entwickelung der Menschheit, soweit davon unter den gebotenen Umstünden die
Rede sein kann, einspannt.

Einer besonderen Art von Schulen läßt die Staatsregierung seit langem
eine sehr sorgsame Fürsorge angedeihen, den Zeichen- und Malschulen (den
Akademien). Bereits im achtzehnten Jahrhundert gehörte es zu den Requisiten
einer hochfürstlichen oder hochgräflichen Residenzstadt, daß sich in Serenissimi "
Nähe eine möglichst berühmte Akademie der schönen Künste befinde. Der Nutzen
dieser Malerschulen ist oft sehr behendem worden. Es ist auch allseitig bekannt,
daß zu Beginn des soeben abgelaufenen Jahrhunderts gerade die bedeutendsten
Künstler sehr energisch gegen die Akademien Front machten- auch heutigen Tages
überschütten viele "Eigenbrötler" die Malerakademien mit herbem Spott. Es
ist ohne Zweifel berechtigt, zu sagen, wer ein Künstler werden kann, der muß
dazu geboren sein, und die besten Akademieprofessoren werden aus einem un¬
begabten "Akademiker" keinen Künstler machen; es ist ferner sicher richtig, daß
an der großen Masse von mittelmäßigen Talenten, die auf der Akademie vielleicht
technisch etwas zu leisten vermögen, niemand etwas gelegen sein kann. Darüber
will ich hier mit niemandem rechten, aber ich will nur auch nicht die Über¬
zeugung nehmen lassen, daß die Kunstakademien für ganze Provinzen eine Licht-
und Pflegestätte der bildenden Künste sind. Sie müssen so reich als möglich
ausgestattet werden; deshalb war es z. B. ein durchaus richtiger Gedanke, der
Königsberger Akademie auch einen Architekten als Lehrer beizugeben, weil Ost-


Bildende Kunst und innere Politik

an, mit denen der Staat die Gebäude selbst, d. h. deren Mauern, schmückt. Ich
denke hier vor allem an den Bilderschmuck in den Universitäten und in Schulen
jeder Art. Diese Bilder haben in den Anstalten, die der öffentlichen Unter¬
weisung dienen, eine ganz besonders wichtige erzieherische Aufgabe. Ein Wort
des alten berühmten Pädagogen Comenius sagt bereits: „Die Schule soll eine
liebliche Stätte sein, von innen und außen den Angen einen angenehmen Anblick
bieten. Drinnen sei ein Helles, reinliches, überall mit Gemälden geziertes
Zimmer. ..." Unsere moderne Pädagogik hat sehr ernstlich diesen Faktor
herangezogen. Die großen Versammlungsräume (Anker), wie Klassenzimmer,
Korridore schmücken Originalgemälde oder Nachbildungen geeigneter Malereien,
wie plastischer und architektonischer Werke.

Infolge dieser Forderung der Pädagogik hat sich, da der Staat diese
Bestrebungen nachdrücklich bis in die Dorfschulen hinab unterstützt, bereits eine
Neproduktionsindustrie entwickelt, die ganz ausschließlich ihr Augenmerk auf einen
Wandschmuck dieser Art richtet. Es wird auch niemand in Abrede stellen wollen,
daß die Methode durch unbeabsichtigtes Sehen wie durch aufmerksames Betrachten
von Kunstwerken der Sinn der Kinder gerichtet, angeregt und entwickelt wird.
Der Knabe ist aber der Vater des Mannes I Ganz besonders wertvoll wird
dieser kunsterzieherische Unterricht, wenn der Lehrer bei passender Gelegenheit
den Kindern die in der Klasse usw. vorhandenen Kunstwerke erklärt, neue
hinzufügt, d. h. das einzelne Werk der Kunst in den Rahmen der allgemeinen
Entwickelung der Menschheit, soweit davon unter den gebotenen Umstünden die
Rede sein kann, einspannt.

Einer besonderen Art von Schulen läßt die Staatsregierung seit langem
eine sehr sorgsame Fürsorge angedeihen, den Zeichen- und Malschulen (den
Akademien). Bereits im achtzehnten Jahrhundert gehörte es zu den Requisiten
einer hochfürstlichen oder hochgräflichen Residenzstadt, daß sich in Serenissimi „
Nähe eine möglichst berühmte Akademie der schönen Künste befinde. Der Nutzen
dieser Malerschulen ist oft sehr behendem worden. Es ist auch allseitig bekannt,
daß zu Beginn des soeben abgelaufenen Jahrhunderts gerade die bedeutendsten
Künstler sehr energisch gegen die Akademien Front machten- auch heutigen Tages
überschütten viele „Eigenbrötler" die Malerakademien mit herbem Spott. Es
ist ohne Zweifel berechtigt, zu sagen, wer ein Künstler werden kann, der muß
dazu geboren sein, und die besten Akademieprofessoren werden aus einem un¬
begabten „Akademiker" keinen Künstler machen; es ist ferner sicher richtig, daß
an der großen Masse von mittelmäßigen Talenten, die auf der Akademie vielleicht
technisch etwas zu leisten vermögen, niemand etwas gelegen sein kann. Darüber
will ich hier mit niemandem rechten, aber ich will nur auch nicht die Über¬
zeugung nehmen lassen, daß die Kunstakademien für ganze Provinzen eine Licht-
und Pflegestätte der bildenden Künste sind. Sie müssen so reich als möglich
ausgestattet werden; deshalb war es z. B. ein durchaus richtiger Gedanke, der
Königsberger Akademie auch einen Architekten als Lehrer beizugeben, weil Ost-


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[0419] Bildende Kunst und innere Politik an, mit denen der Staat die Gebäude selbst, d. h. deren Mauern, schmückt. Ich denke hier vor allem an den Bilderschmuck in den Universitäten und in Schulen jeder Art. Diese Bilder haben in den Anstalten, die der öffentlichen Unter¬ weisung dienen, eine ganz besonders wichtige erzieherische Aufgabe. Ein Wort des alten berühmten Pädagogen Comenius sagt bereits: „Die Schule soll eine liebliche Stätte sein, von innen und außen den Angen einen angenehmen Anblick bieten. Drinnen sei ein Helles, reinliches, überall mit Gemälden geziertes Zimmer. ..." Unsere moderne Pädagogik hat sehr ernstlich diesen Faktor herangezogen. Die großen Versammlungsräume (Anker), wie Klassenzimmer, Korridore schmücken Originalgemälde oder Nachbildungen geeigneter Malereien, wie plastischer und architektonischer Werke. Infolge dieser Forderung der Pädagogik hat sich, da der Staat diese Bestrebungen nachdrücklich bis in die Dorfschulen hinab unterstützt, bereits eine Neproduktionsindustrie entwickelt, die ganz ausschließlich ihr Augenmerk auf einen Wandschmuck dieser Art richtet. Es wird auch niemand in Abrede stellen wollen, daß die Methode durch unbeabsichtigtes Sehen wie durch aufmerksames Betrachten von Kunstwerken der Sinn der Kinder gerichtet, angeregt und entwickelt wird. Der Knabe ist aber der Vater des Mannes I Ganz besonders wertvoll wird dieser kunsterzieherische Unterricht, wenn der Lehrer bei passender Gelegenheit den Kindern die in der Klasse usw. vorhandenen Kunstwerke erklärt, neue hinzufügt, d. h. das einzelne Werk der Kunst in den Rahmen der allgemeinen Entwickelung der Menschheit, soweit davon unter den gebotenen Umstünden die Rede sein kann, einspannt. Einer besonderen Art von Schulen läßt die Staatsregierung seit langem eine sehr sorgsame Fürsorge angedeihen, den Zeichen- und Malschulen (den Akademien). Bereits im achtzehnten Jahrhundert gehörte es zu den Requisiten einer hochfürstlichen oder hochgräflichen Residenzstadt, daß sich in Serenissimi „ Nähe eine möglichst berühmte Akademie der schönen Künste befinde. Der Nutzen dieser Malerschulen ist oft sehr behendem worden. Es ist auch allseitig bekannt, daß zu Beginn des soeben abgelaufenen Jahrhunderts gerade die bedeutendsten Künstler sehr energisch gegen die Akademien Front machten- auch heutigen Tages überschütten viele „Eigenbrötler" die Malerakademien mit herbem Spott. Es ist ohne Zweifel berechtigt, zu sagen, wer ein Künstler werden kann, der muß dazu geboren sein, und die besten Akademieprofessoren werden aus einem un¬ begabten „Akademiker" keinen Künstler machen; es ist ferner sicher richtig, daß an der großen Masse von mittelmäßigen Talenten, die auf der Akademie vielleicht technisch etwas zu leisten vermögen, niemand etwas gelegen sein kann. Darüber will ich hier mit niemandem rechten, aber ich will nur auch nicht die Über¬ zeugung nehmen lassen, daß die Kunstakademien für ganze Provinzen eine Licht- und Pflegestätte der bildenden Künste sind. Sie müssen so reich als möglich ausgestattet werden; deshalb war es z. B. ein durchaus richtiger Gedanke, der Königsberger Akademie auch einen Architekten als Lehrer beizugeben, weil Ost-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/419>, abgerufen am 29.12.2024.