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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Bildende Kunst und innere Politik

erzieherische Aufgaben, anderseits sucht er durch die bildende Kunst Stärkung
und Ausdehnung seiner politischen Absichten in: weiteren Wortsinne zu erreichen.

Das neunzehnte Jahrhundert nimmt auf dem Gebiete der Unterstützung
der Kunst eine ganz andere Stellung als alle nach Christi Geburt verflossenen
Zeiten ein; bis auf die Griechen und Römer zurückzugreifen, erübrigt sich hier
für uns. Keine Regierung hatte bis dahin daran gedacht, das Volk in seiner
breiten Masse durch die bildende Kunst zu erziehen. Alles, was bisher von
irgendeinem Staat, einer fürstlichen oder städtischen Regierung für die bildende
Kunst getan war, erfolgte aus Rücksichten auf sich selbst, im besten Falle zur
Verschönerung, zur Verherrlichung des eigenen Ich, des fürstlichen Geschlechts,
des städtischen Ansehens. Die französische Revolution schuf Wandel. Sie zerbrach
mit einem kurzen, festen Schlage die ganze bestehende Gesellschaftsform und
ließ das Leben in die breiten Volksschichten finden. Man lernte mehr als je
die allgemeine Bildung schätzen und erschloß sich dadurch die Kräfte und Besitz¬
tümer der Erde. Zum ersten Male trat durch die Ausgrabungen in Herkulaneum,
bald in Pompeji, dann in Griechenland und Kleinasien die Geschichte den
Menschen als wahre Wirklichkeit gegenüber. Zwar hatte die italienische
Renaissance schon das Wehen des Geistes der Vergangenheit unmittelbar gespürt,
aber so stark, so konkret war Wesen und Sein vergangener Tage noch niemals
in neuerer Zeit den Menschen vor den Augen, vor der Seele wirklich geworden.
Man erkannte bald die großen Vorteile, die darin liegen mußten, der breiten
Masse die Kunstwerke zur Belehrung zu überlassen. Überall gab es allerdings
längst "Sammlungen". Das Mittelalter hatte sie bereits als "Kuriositäten¬
kammern" gekannt; die folgenden Jahrhunderte wandten sich der Ansammlung
von Kunstwerken ständig mehr zu, aber sie blieb stets eine rein private Sache,
an der sich nur die Besitzer oder ein paar besonders bevorzugte Sterbliche
erfreuen durften, der mi8era p!eb8 Lontnbusn8 blieben alle diese Raritäten¬
kammern eine völlig fremde Welt. In Preußen wurde im neunzehnten Jahr¬
hundert der erste epochemachende Museumsbau errichtet. Seit dem Anfange des
Jahrhunderts ging man mit dem Plane um, ein großes Museum für die ver¬
schiedenen im Staats- und Hofbesitz befindlichen Kunstsammlungen zu erbauen.
Im Jahre 1823 trat Schinkel mit seinen Plänen für einen Neubau (ursprünglich
hatte man die Kunstakademie dafür Herrichten wollen) hervor, und im Juni 1825
wurde der Grundstein zu dem Gebäude am Lustgarten in Berlin gelegt. Am
3. August 1830 fand die feierliche Eröffnung des vollendeten Werkes statt, das
meines Erachtens an innerpolitischer Wichtigkeit der Gründung der Berliner
Universität gewachsen istl Die maßgebenden Persönlichkeiten hatten die ungeheure
Wucht und den unschätzbare,! Wert der uicht meß- und nicht wägbaren, aber
auf den Schlachtfeldern so real wie möglich zutage getretenen Besitztümer der
Volksseele erkennen gelernt. Ein Museum von Kunstwerken der Allgemeinheit
bieten, hieß nichts anderes, als die sichere Erkenntnis gewonnen zu haben"
daß, wie Drey sagt, "die künstlerische Kultur des Individuums nicht nur ein


Bildende Kunst und innere Politik

erzieherische Aufgaben, anderseits sucht er durch die bildende Kunst Stärkung
und Ausdehnung seiner politischen Absichten in: weiteren Wortsinne zu erreichen.

Das neunzehnte Jahrhundert nimmt auf dem Gebiete der Unterstützung
der Kunst eine ganz andere Stellung als alle nach Christi Geburt verflossenen
Zeiten ein; bis auf die Griechen und Römer zurückzugreifen, erübrigt sich hier
für uns. Keine Regierung hatte bis dahin daran gedacht, das Volk in seiner
breiten Masse durch die bildende Kunst zu erziehen. Alles, was bisher von
irgendeinem Staat, einer fürstlichen oder städtischen Regierung für die bildende
Kunst getan war, erfolgte aus Rücksichten auf sich selbst, im besten Falle zur
Verschönerung, zur Verherrlichung des eigenen Ich, des fürstlichen Geschlechts,
des städtischen Ansehens. Die französische Revolution schuf Wandel. Sie zerbrach
mit einem kurzen, festen Schlage die ganze bestehende Gesellschaftsform und
ließ das Leben in die breiten Volksschichten finden. Man lernte mehr als je
die allgemeine Bildung schätzen und erschloß sich dadurch die Kräfte und Besitz¬
tümer der Erde. Zum ersten Male trat durch die Ausgrabungen in Herkulaneum,
bald in Pompeji, dann in Griechenland und Kleinasien die Geschichte den
Menschen als wahre Wirklichkeit gegenüber. Zwar hatte die italienische
Renaissance schon das Wehen des Geistes der Vergangenheit unmittelbar gespürt,
aber so stark, so konkret war Wesen und Sein vergangener Tage noch niemals
in neuerer Zeit den Menschen vor den Augen, vor der Seele wirklich geworden.
Man erkannte bald die großen Vorteile, die darin liegen mußten, der breiten
Masse die Kunstwerke zur Belehrung zu überlassen. Überall gab es allerdings
längst „Sammlungen". Das Mittelalter hatte sie bereits als „Kuriositäten¬
kammern" gekannt; die folgenden Jahrhunderte wandten sich der Ansammlung
von Kunstwerken ständig mehr zu, aber sie blieb stets eine rein private Sache,
an der sich nur die Besitzer oder ein paar besonders bevorzugte Sterbliche
erfreuen durften, der mi8era p!eb8 Lontnbusn8 blieben alle diese Raritäten¬
kammern eine völlig fremde Welt. In Preußen wurde im neunzehnten Jahr¬
hundert der erste epochemachende Museumsbau errichtet. Seit dem Anfange des
Jahrhunderts ging man mit dem Plane um, ein großes Museum für die ver¬
schiedenen im Staats- und Hofbesitz befindlichen Kunstsammlungen zu erbauen.
Im Jahre 1823 trat Schinkel mit seinen Plänen für einen Neubau (ursprünglich
hatte man die Kunstakademie dafür Herrichten wollen) hervor, und im Juni 1825
wurde der Grundstein zu dem Gebäude am Lustgarten in Berlin gelegt. Am
3. August 1830 fand die feierliche Eröffnung des vollendeten Werkes statt, das
meines Erachtens an innerpolitischer Wichtigkeit der Gründung der Berliner
Universität gewachsen istl Die maßgebenden Persönlichkeiten hatten die ungeheure
Wucht und den unschätzbare,! Wert der uicht meß- und nicht wägbaren, aber
auf den Schlachtfeldern so real wie möglich zutage getretenen Besitztümer der
Volksseele erkennen gelernt. Ein Museum von Kunstwerken der Allgemeinheit
bieten, hieß nichts anderes, als die sichere Erkenntnis gewonnen zu haben»
daß, wie Drey sagt, „die künstlerische Kultur des Individuums nicht nur ein


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[0416] Bildende Kunst und innere Politik erzieherische Aufgaben, anderseits sucht er durch die bildende Kunst Stärkung und Ausdehnung seiner politischen Absichten in: weiteren Wortsinne zu erreichen. Das neunzehnte Jahrhundert nimmt auf dem Gebiete der Unterstützung der Kunst eine ganz andere Stellung als alle nach Christi Geburt verflossenen Zeiten ein; bis auf die Griechen und Römer zurückzugreifen, erübrigt sich hier für uns. Keine Regierung hatte bis dahin daran gedacht, das Volk in seiner breiten Masse durch die bildende Kunst zu erziehen. Alles, was bisher von irgendeinem Staat, einer fürstlichen oder städtischen Regierung für die bildende Kunst getan war, erfolgte aus Rücksichten auf sich selbst, im besten Falle zur Verschönerung, zur Verherrlichung des eigenen Ich, des fürstlichen Geschlechts, des städtischen Ansehens. Die französische Revolution schuf Wandel. Sie zerbrach mit einem kurzen, festen Schlage die ganze bestehende Gesellschaftsform und ließ das Leben in die breiten Volksschichten finden. Man lernte mehr als je die allgemeine Bildung schätzen und erschloß sich dadurch die Kräfte und Besitz¬ tümer der Erde. Zum ersten Male trat durch die Ausgrabungen in Herkulaneum, bald in Pompeji, dann in Griechenland und Kleinasien die Geschichte den Menschen als wahre Wirklichkeit gegenüber. Zwar hatte die italienische Renaissance schon das Wehen des Geistes der Vergangenheit unmittelbar gespürt, aber so stark, so konkret war Wesen und Sein vergangener Tage noch niemals in neuerer Zeit den Menschen vor den Augen, vor der Seele wirklich geworden. Man erkannte bald die großen Vorteile, die darin liegen mußten, der breiten Masse die Kunstwerke zur Belehrung zu überlassen. Überall gab es allerdings längst „Sammlungen". Das Mittelalter hatte sie bereits als „Kuriositäten¬ kammern" gekannt; die folgenden Jahrhunderte wandten sich der Ansammlung von Kunstwerken ständig mehr zu, aber sie blieb stets eine rein private Sache, an der sich nur die Besitzer oder ein paar besonders bevorzugte Sterbliche erfreuen durften, der mi8era p!eb8 Lontnbusn8 blieben alle diese Raritäten¬ kammern eine völlig fremde Welt. In Preußen wurde im neunzehnten Jahr¬ hundert der erste epochemachende Museumsbau errichtet. Seit dem Anfange des Jahrhunderts ging man mit dem Plane um, ein großes Museum für die ver¬ schiedenen im Staats- und Hofbesitz befindlichen Kunstsammlungen zu erbauen. Im Jahre 1823 trat Schinkel mit seinen Plänen für einen Neubau (ursprünglich hatte man die Kunstakademie dafür Herrichten wollen) hervor, und im Juni 1825 wurde der Grundstein zu dem Gebäude am Lustgarten in Berlin gelegt. Am 3. August 1830 fand die feierliche Eröffnung des vollendeten Werkes statt, das meines Erachtens an innerpolitischer Wichtigkeit der Gründung der Berliner Universität gewachsen istl Die maßgebenden Persönlichkeiten hatten die ungeheure Wucht und den unschätzbare,! Wert der uicht meß- und nicht wägbaren, aber auf den Schlachtfeldern so real wie möglich zutage getretenen Besitztümer der Volksseele erkennen gelernt. Ein Museum von Kunstwerken der Allgemeinheit bieten, hieß nichts anderes, als die sichere Erkenntnis gewonnen zu haben» daß, wie Drey sagt, „die künstlerische Kultur des Individuums nicht nur ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/416>, abgerufen am 24.07.2024.