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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Im Flecken

Bol hatte sich die ganze Zeit über schweigend verhalten- aber allmählich
schien es in ihn? zu dämmern. Er sprang mit einem leisen Winseln auf, stellte
sich auf die Hinterbeine und legte beide Pfoten auf Olenkas Schultern. Mit einem
fröhlichen Lachen befreite sie sich aus Boris' Armen, um den Kopf des treuen
Tieres an den ihren zu pressen.

"Bol, mein lieber, alter Kerl, nun gehörst auch du mir; dein Herr und du,
alle beide seid ihr nun mein."

Sie rief es einmal über das andere, um dann wieder in Boris' Arme zu eilen.

Boris verstand es nicht, viel zu reden. Seine verschlossene Natur fand
nicht immer gleich die Wege, sich verständlich zu machen. Aber in seinen Augen,
in dem Druck seiner Hände und in seinem ganzen Wesen lag eine so tiefe
unbegrenzte Liebe, mehr, als eine Welt von Worten sie hätte zeigen können.

Der Abend war bereits ganz eingekehrt, und die beiden Glücklichen erinnerten
sich nun allmählich, wie lange sie eigentlich schon auf Vater Schejin gewartet hatten.

Gleich darauf traten Olga und Boris ins Zimmer. Der Alte wollte ihnen
entgegeneilen, doch schon ging Boris mit raschen Schritten auf ihn zu und ergriff
seine Hand.

"Andrej Fomitsch --"

Der Alte jedoch unterbrach ihn schnell:

"Ist es denn wahr, wirklich wahr, Boris Stepanowitsch? Sie sind meiner
Tochter gut? Und du, Olenka, du hast ihn lieb? Sagt mir nichts, ich weiß alles,
ich lese es aus vier glücklichen Auyen, daß ich nun noch reicher geworden bin,
daß ich zwei liebe Kinder besitze. Gottes Segen über euch, liebe, liebe Kinder!"

Er wollte weitcrsprechen, aber die Stimme versagte ihm, und Tränen rannen
dem alten Mann über das Gesicht.

Olga hatte beide Arme um seinen Hals gelegt und küßte den Vater lauge
und innig.

"Papinka," kam es dann jauchzend von ihren Lippen, "sag, willst du Boris
als Sohn haben? Ach, ich bin ja so glücklich, so überglücklich, mein alter lieber
Papascha."

Der Hauptmann legte segnend seine zitternde Hand auf ihren Kopf und zog
mit der anderen Boris sanft zu sich heran.

"Mein lieber Sohn," sagte er warm, "ich weiß, bei dir ist mein Kind, mein
Kleinod, gut aufgehoben. Dir gebe ich es gern, du bist meinem Herzen will¬
kommen. Gott sei gedankt für diese Freude an meinem Lebensabend. Ruft mich
der Herr nun, so gehe ich gern. Gelobt sei Gottl"

Er bekreuzigte sich dreimal und küßte Boris ebensooft auf Mund und
Wangen. Ergriffen führte Boris die Hand des Hauptmanns an die Lippen,
und auch Olenka drückte kindlich-dankbar einen Kuß auf sie. Helle Tränen standen
allen dreien in den Augen, und es war ein heiliger Augenblick, den sie in aller,
Stille verlebten.

Dann aber löste sich jubelnd die Freude. Bol bekam ein großes Stuck
Zucker, die alte Magd wurde gerufen, und auch sie war erfreut und gerührt, wie
Schejin selbst. Seit Boris sich damals beim Überfall so hilfreich ihrer angenommen
hatte, war sie ihm ganz besonders zugetan. Abwechselnd küßte sie allen wieder
und immer wieder die Hand und rief alle Heiligen an, daß sie ihr Fräulein und


Grenzboten I 1911
Im Flecken

Bol hatte sich die ganze Zeit über schweigend verhalten- aber allmählich
schien es in ihn? zu dämmern. Er sprang mit einem leisen Winseln auf, stellte
sich auf die Hinterbeine und legte beide Pfoten auf Olenkas Schultern. Mit einem
fröhlichen Lachen befreite sie sich aus Boris' Armen, um den Kopf des treuen
Tieres an den ihren zu pressen.

„Bol, mein lieber, alter Kerl, nun gehörst auch du mir; dein Herr und du,
alle beide seid ihr nun mein."

Sie rief es einmal über das andere, um dann wieder in Boris' Arme zu eilen.

Boris verstand es nicht, viel zu reden. Seine verschlossene Natur fand
nicht immer gleich die Wege, sich verständlich zu machen. Aber in seinen Augen,
in dem Druck seiner Hände und in seinem ganzen Wesen lag eine so tiefe
unbegrenzte Liebe, mehr, als eine Welt von Worten sie hätte zeigen können.

Der Abend war bereits ganz eingekehrt, und die beiden Glücklichen erinnerten
sich nun allmählich, wie lange sie eigentlich schon auf Vater Schejin gewartet hatten.

Gleich darauf traten Olga und Boris ins Zimmer. Der Alte wollte ihnen
entgegeneilen, doch schon ging Boris mit raschen Schritten auf ihn zu und ergriff
seine Hand.

„Andrej Fomitsch —"

Der Alte jedoch unterbrach ihn schnell:

„Ist es denn wahr, wirklich wahr, Boris Stepanowitsch? Sie sind meiner
Tochter gut? Und du, Olenka, du hast ihn lieb? Sagt mir nichts, ich weiß alles,
ich lese es aus vier glücklichen Auyen, daß ich nun noch reicher geworden bin,
daß ich zwei liebe Kinder besitze. Gottes Segen über euch, liebe, liebe Kinder!"

Er wollte weitcrsprechen, aber die Stimme versagte ihm, und Tränen rannen
dem alten Mann über das Gesicht.

Olga hatte beide Arme um seinen Hals gelegt und küßte den Vater lauge
und innig.

„Papinka," kam es dann jauchzend von ihren Lippen, „sag, willst du Boris
als Sohn haben? Ach, ich bin ja so glücklich, so überglücklich, mein alter lieber
Papascha."

Der Hauptmann legte segnend seine zitternde Hand auf ihren Kopf und zog
mit der anderen Boris sanft zu sich heran.

„Mein lieber Sohn," sagte er warm, „ich weiß, bei dir ist mein Kind, mein
Kleinod, gut aufgehoben. Dir gebe ich es gern, du bist meinem Herzen will¬
kommen. Gott sei gedankt für diese Freude an meinem Lebensabend. Ruft mich
der Herr nun, so gehe ich gern. Gelobt sei Gottl"

Er bekreuzigte sich dreimal und küßte Boris ebensooft auf Mund und
Wangen. Ergriffen führte Boris die Hand des Hauptmanns an die Lippen,
und auch Olenka drückte kindlich-dankbar einen Kuß auf sie. Helle Tränen standen
allen dreien in den Augen, und es war ein heiliger Augenblick, den sie in aller,
Stille verlebten.

Dann aber löste sich jubelnd die Freude. Bol bekam ein großes Stuck
Zucker, die alte Magd wurde gerufen, und auch sie war erfreut und gerührt, wie
Schejin selbst. Seit Boris sich damals beim Überfall so hilfreich ihrer angenommen
hatte, war sie ihm ganz besonders zugetan. Abwechselnd küßte sie allen wieder
und immer wieder die Hand und rief alle Heiligen an, daß sie ihr Fräulein und


Grenzboten I 1911
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[0303] Im Flecken Bol hatte sich die ganze Zeit über schweigend verhalten- aber allmählich schien es in ihn? zu dämmern. Er sprang mit einem leisen Winseln auf, stellte sich auf die Hinterbeine und legte beide Pfoten auf Olenkas Schultern. Mit einem fröhlichen Lachen befreite sie sich aus Boris' Armen, um den Kopf des treuen Tieres an den ihren zu pressen. „Bol, mein lieber, alter Kerl, nun gehörst auch du mir; dein Herr und du, alle beide seid ihr nun mein." Sie rief es einmal über das andere, um dann wieder in Boris' Arme zu eilen. Boris verstand es nicht, viel zu reden. Seine verschlossene Natur fand nicht immer gleich die Wege, sich verständlich zu machen. Aber in seinen Augen, in dem Druck seiner Hände und in seinem ganzen Wesen lag eine so tiefe unbegrenzte Liebe, mehr, als eine Welt von Worten sie hätte zeigen können. Der Abend war bereits ganz eingekehrt, und die beiden Glücklichen erinnerten sich nun allmählich, wie lange sie eigentlich schon auf Vater Schejin gewartet hatten. Gleich darauf traten Olga und Boris ins Zimmer. Der Alte wollte ihnen entgegeneilen, doch schon ging Boris mit raschen Schritten auf ihn zu und ergriff seine Hand. „Andrej Fomitsch —" Der Alte jedoch unterbrach ihn schnell: „Ist es denn wahr, wirklich wahr, Boris Stepanowitsch? Sie sind meiner Tochter gut? Und du, Olenka, du hast ihn lieb? Sagt mir nichts, ich weiß alles, ich lese es aus vier glücklichen Auyen, daß ich nun noch reicher geworden bin, daß ich zwei liebe Kinder besitze. Gottes Segen über euch, liebe, liebe Kinder!" Er wollte weitcrsprechen, aber die Stimme versagte ihm, und Tränen rannen dem alten Mann über das Gesicht. Olga hatte beide Arme um seinen Hals gelegt und küßte den Vater lauge und innig. „Papinka," kam es dann jauchzend von ihren Lippen, „sag, willst du Boris als Sohn haben? Ach, ich bin ja so glücklich, so überglücklich, mein alter lieber Papascha." Der Hauptmann legte segnend seine zitternde Hand auf ihren Kopf und zog mit der anderen Boris sanft zu sich heran. „Mein lieber Sohn," sagte er warm, „ich weiß, bei dir ist mein Kind, mein Kleinod, gut aufgehoben. Dir gebe ich es gern, du bist meinem Herzen will¬ kommen. Gott sei gedankt für diese Freude an meinem Lebensabend. Ruft mich der Herr nun, so gehe ich gern. Gelobt sei Gottl" Er bekreuzigte sich dreimal und küßte Boris ebensooft auf Mund und Wangen. Ergriffen führte Boris die Hand des Hauptmanns an die Lippen, und auch Olenka drückte kindlich-dankbar einen Kuß auf sie. Helle Tränen standen allen dreien in den Augen, und es war ein heiliger Augenblick, den sie in aller, Stille verlebten. Dann aber löste sich jubelnd die Freude. Bol bekam ein großes Stuck Zucker, die alte Magd wurde gerufen, und auch sie war erfreut und gerührt, wie Schejin selbst. Seit Boris sich damals beim Überfall so hilfreich ihrer angenommen hatte, war sie ihm ganz besonders zugetan. Abwechselnd küßte sie allen wieder und immer wieder die Hand und rief alle Heiligen an, daß sie ihr Fräulein und Grenzboten I 1911

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/303>, abgerufen am 29.12.2024.