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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Frim^ista von Hohenheim

geschaffen, ein Tyrann aber ist er immer geblieben. Das einzige, was sich
unter dem sanften und klugen Einfluß Fmnziskas wirklich geändert hat, war
sein Privatleben. Die Zügellosigkeit seiner Leidenschaften war früher dem Lande
so verderblich gewesen, daß seine moralische Besserung den Württembergern jetzt
wie ein Wunder erschien und die anmutige Frau, die dieses Wunder vollbrachte,
als sein guter Engel gefeiert wurde. Der Herzog mochte die Gesellschaft der
Geliebten keinen Augenblick entbehren, sie führte mit ihm in Hohenheim ein
ländliches Stilleben, besuchte mit ihm die Karlsschule und begleitete ihn auf
Reisen ins Ausland. Der Günstling Montnmrtin, der an dem früheren Sünden¬
regiment einen Teil der Schuld trug, wurde endgültig verabschiedet. Mit dem
verständigen und wohlmeinenden Geheimrat Bühler stand Franziska im besten
Einvernehmen; ohne daß der Herzog, der sich gern seiner Selbständigkeit rühmte,
diese Beeinflussung merkte, haben die beiden zusammen oft Gutes durchgesetzt
und Böses verhindert. Trotz ihrer literarischen Interessen kein Schöngeist, sondern
eine dem Gegenständlichen zugeneigte Natur, hatte Franziska Freude daran, im
Kleinen zu wirken. Wo Karl Eugen, immer geneigt, sich um die persönlichsten
Angelegenheiten selner Untertanen zu kümmern, derb zugriff. wußte sie mit
sanfter Hand zu glätten und zu mildern. Doch auch an Energie fehlte es ihr
nicht. Die Tübinger erzählten sich noch lange davon, wie sie bei dem großen
Brande von 1789, hochgeschürzt und bis an die Knöchel im Wasser stehend,
stundenlang die Reihen der Wasser schöpfenden Frauen kommandiert hatte.

Franziskas einzigartige Stellung wurde auch fast von der ganzen Verwandt¬
schaft des Herzogs stillschweigend anerkannt. In Mömpelgard, bei Karl Eugens
Schwägerin Sophie Dorothea, der alten Bekannten von Wildbad her, war sie
ein gern gesehener Gast. Wenn es galt, hohen Besuch in Stuttgart zu
empfangen, zeigte sie natürliche Zurückhaltung und ruhige Sicherheit; die ihr
erwiesenen Ehren nahm sie dankbar, aber ohne falsche Bescheidenheit hin. Und
endlich gab ihr das Schicksal die Genugtuung, nach der ihr Herz am meisten
verlangte. Ihr frommer Sinn hatte es immer bitter empfunden, daß die strenge
württembergische Geistlichkeit sie wegen ihres sündhaften Verhältnisses mit dem
Herzog vom Abendmahl ausschloß. Nun starb im Jahre 1780 die regierende
Herzogin Friderike, nachdem sie vierundzwanzig Jahre von ihrem Gemahl getrennt
gelebt hatte und dem Volke völlig fremd geworden war. Karl Eugen ehrte sie
im Tode durch eine Landestrauer von sechs Wochen, traf aber alsbald die
nötigen Vorkehrungen, um den innigsten Wunsch der Geliebten zu erfüllen.
Doch auch aus dieser zarten Angelegenheit verstand der berechnende, stets auf
die Erschließung neuer Geldquellen bedachte Mann ein Geschäft zu machen. Er
drohte dein engeren Ausschuß der Landstände mit einer neuen katholischen Heirat,
sprach vou Anträgen, die ihm in diesem Sinne von verschiedenen Höfen, auch
von dem österreichischen, gemacht worden seien, erklärte sich aber bereit, "seinen
eigenen Vorteil dem Wohle des Landes aufzuopfern", wenn man ihm eine
lebenslängliche Rente von 30000 Gulden und außerdem einen bedeutenden


Frim^ista von Hohenheim

geschaffen, ein Tyrann aber ist er immer geblieben. Das einzige, was sich
unter dem sanften und klugen Einfluß Fmnziskas wirklich geändert hat, war
sein Privatleben. Die Zügellosigkeit seiner Leidenschaften war früher dem Lande
so verderblich gewesen, daß seine moralische Besserung den Württembergern jetzt
wie ein Wunder erschien und die anmutige Frau, die dieses Wunder vollbrachte,
als sein guter Engel gefeiert wurde. Der Herzog mochte die Gesellschaft der
Geliebten keinen Augenblick entbehren, sie führte mit ihm in Hohenheim ein
ländliches Stilleben, besuchte mit ihm die Karlsschule und begleitete ihn auf
Reisen ins Ausland. Der Günstling Montnmrtin, der an dem früheren Sünden¬
regiment einen Teil der Schuld trug, wurde endgültig verabschiedet. Mit dem
verständigen und wohlmeinenden Geheimrat Bühler stand Franziska im besten
Einvernehmen; ohne daß der Herzog, der sich gern seiner Selbständigkeit rühmte,
diese Beeinflussung merkte, haben die beiden zusammen oft Gutes durchgesetzt
und Böses verhindert. Trotz ihrer literarischen Interessen kein Schöngeist, sondern
eine dem Gegenständlichen zugeneigte Natur, hatte Franziska Freude daran, im
Kleinen zu wirken. Wo Karl Eugen, immer geneigt, sich um die persönlichsten
Angelegenheiten selner Untertanen zu kümmern, derb zugriff. wußte sie mit
sanfter Hand zu glätten und zu mildern. Doch auch an Energie fehlte es ihr
nicht. Die Tübinger erzählten sich noch lange davon, wie sie bei dem großen
Brande von 1789, hochgeschürzt und bis an die Knöchel im Wasser stehend,
stundenlang die Reihen der Wasser schöpfenden Frauen kommandiert hatte.

Franziskas einzigartige Stellung wurde auch fast von der ganzen Verwandt¬
schaft des Herzogs stillschweigend anerkannt. In Mömpelgard, bei Karl Eugens
Schwägerin Sophie Dorothea, der alten Bekannten von Wildbad her, war sie
ein gern gesehener Gast. Wenn es galt, hohen Besuch in Stuttgart zu
empfangen, zeigte sie natürliche Zurückhaltung und ruhige Sicherheit; die ihr
erwiesenen Ehren nahm sie dankbar, aber ohne falsche Bescheidenheit hin. Und
endlich gab ihr das Schicksal die Genugtuung, nach der ihr Herz am meisten
verlangte. Ihr frommer Sinn hatte es immer bitter empfunden, daß die strenge
württembergische Geistlichkeit sie wegen ihres sündhaften Verhältnisses mit dem
Herzog vom Abendmahl ausschloß. Nun starb im Jahre 1780 die regierende
Herzogin Friderike, nachdem sie vierundzwanzig Jahre von ihrem Gemahl getrennt
gelebt hatte und dem Volke völlig fremd geworden war. Karl Eugen ehrte sie
im Tode durch eine Landestrauer von sechs Wochen, traf aber alsbald die
nötigen Vorkehrungen, um den innigsten Wunsch der Geliebten zu erfüllen.
Doch auch aus dieser zarten Angelegenheit verstand der berechnende, stets auf
die Erschließung neuer Geldquellen bedachte Mann ein Geschäft zu machen. Er
drohte dein engeren Ausschuß der Landstände mit einer neuen katholischen Heirat,
sprach vou Anträgen, die ihm in diesem Sinne von verschiedenen Höfen, auch
von dem österreichischen, gemacht worden seien, erklärte sich aber bereit, „seinen
eigenen Vorteil dem Wohle des Landes aufzuopfern", wenn man ihm eine
lebenslängliche Rente von 30000 Gulden und außerdem einen bedeutenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/29>, abgerufen am 28.12.2024.