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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Franziska von Hohenheim

und den Briefwechsel mit klugen und gelehrten Männern und war emsig bemüht,
sich geistig fortzubilden, teils aus natürlichem Bedürfnis, teils um dem Herzog
bei seinen neuen wissenschaftlichen und pädagogischen Bestrebungen besser folgen
zu können. Gerade hier bewährte sie sich als seine "Gehilfin"; der kZcvIe
des äemoiselleZ, der Schwesteranstalt der Karlsschule, war sie eine verständnis¬
volle Protektorin. Die kluge Frau erkannte wohl, daß diese neue Liebhaberei
den geliebten Mann von Schlimmerem ablenkte und dem Lande keinen unmittel¬
baren Schaden zufügte. Die Schwäche des ganzen Systems, das Kleinliche und
Äußerliche dieser "Seelenfabrik und Sklavenplantage", wie der Dichter Schubart
die Karlsschule nannte, ist ihr gewiß nicht zum Bewußtsein gekommen. Mit
welchen Empfindungen aber mag sie, die immer das Gefühl einer Gewissens¬
schuld mit sich herumtrug, den schwülstigen Huldigungen gelauscht haben, die
ein den Festtagen der Akademie ihrer Tugend dargebracht wurden? Der Herzog
pflegte mit besonderer Vorliebe derartige Themata zu stellen: "Gehört allzuviel
Güte, Leutseligkeit und große Freigebigkeit im engsten Verstand zur Tugend? --
Die Tugend in ihren Folgen betrachtet" -- es ist selbstverständlich und entspricht
dem offiziellen Zweck, daß beide Reden in einen feurigen Dithyrambus auf Karl
und Franziska ausklingen. Ganz unecht aber braucht nicht alles darin zu sein.
Die anmutige Erscheinung der jungen Frau, von der jedermann in Württem¬
berg wußte, einen wie guten Einfluß sie auf den gefürchteten Herzog ausübte,
ihr von einem gewissen romantischen Schimmer umflossener Lebenslauf waren
ganz dazu geschaffen, die Phantasie eines lebhaften Jünglings anzuregen. Wie
hübsch wäre es, wenn man nachweisen könnte, daß auch die gefeierte Franziska,
"die Freundin der Menschen", in der sich die Tugend als "das harmonische
Band von Liebe und Weisheit" so sichtbarlich verkörperte, ihrem jugendlichen
Lobredner eine freundliche Gönnerin gewesen ist, seinen dichterischen Genius
erkannt und gewürdigt hat. Aber alles darüber Gesagte gehört in das Reich
der Legende. Es ist leider wahr, daß sich in ihrem Nachlaß außer der Rede
Schillers auch die Reden ganz unbedeutender Akademiker gefunden haben.

Man hat im allgemeinen von der zweiten Hälfte der Negierung Karl
Eugens, in der Franziska seine "Gehilfin" war, eine viel zu gute Meinung.
Ein wirklich trefflicher Regent, ein Wohltäter seines Volkes im Sinne des auf¬
geklärten Despotismus ist er auch jetzt nicht geworden, trotz des merkwürdigen
Sündenbekenntnisses und Besserungsgelübdes, das er im Jahre 1778, an seinem
funfzigsten Geburtstage, von den Kanzeln verlesen ließ. Verfafsungsverletzungen,
Verstöße gegen den mit den Landständen abgeschlossenen Erbvergleich von 1770
kamen noch oft genug vor. Der ärgerliche Handel mit den Ämtern dauerte
fort, auch über schweren Wildschaden und ungesetzliche Fromm wurde geklagt,
und sieben Jahre vor seinem Tode verkaufte er sogar wieder ein Regiment ins
Kapland ni die holländisch-ostindische Kompagnie, wenn diesmal die Soldaten
auch nicht wie im siebenjährigen Kriege zwangsweise ausgehoben wurden. Im
einzelnen hat der begabte und tatkräftige Fürst viel Gutes für Württemberg


Franziska von Hohenheim

und den Briefwechsel mit klugen und gelehrten Männern und war emsig bemüht,
sich geistig fortzubilden, teils aus natürlichem Bedürfnis, teils um dem Herzog
bei seinen neuen wissenschaftlichen und pädagogischen Bestrebungen besser folgen
zu können. Gerade hier bewährte sie sich als seine „Gehilfin"; der kZcvIe
des äemoiselleZ, der Schwesteranstalt der Karlsschule, war sie eine verständnis¬
volle Protektorin. Die kluge Frau erkannte wohl, daß diese neue Liebhaberei
den geliebten Mann von Schlimmerem ablenkte und dem Lande keinen unmittel¬
baren Schaden zufügte. Die Schwäche des ganzen Systems, das Kleinliche und
Äußerliche dieser „Seelenfabrik und Sklavenplantage", wie der Dichter Schubart
die Karlsschule nannte, ist ihr gewiß nicht zum Bewußtsein gekommen. Mit
welchen Empfindungen aber mag sie, die immer das Gefühl einer Gewissens¬
schuld mit sich herumtrug, den schwülstigen Huldigungen gelauscht haben, die
ein den Festtagen der Akademie ihrer Tugend dargebracht wurden? Der Herzog
pflegte mit besonderer Vorliebe derartige Themata zu stellen: „Gehört allzuviel
Güte, Leutseligkeit und große Freigebigkeit im engsten Verstand zur Tugend? —
Die Tugend in ihren Folgen betrachtet" — es ist selbstverständlich und entspricht
dem offiziellen Zweck, daß beide Reden in einen feurigen Dithyrambus auf Karl
und Franziska ausklingen. Ganz unecht aber braucht nicht alles darin zu sein.
Die anmutige Erscheinung der jungen Frau, von der jedermann in Württem¬
berg wußte, einen wie guten Einfluß sie auf den gefürchteten Herzog ausübte,
ihr von einem gewissen romantischen Schimmer umflossener Lebenslauf waren
ganz dazu geschaffen, die Phantasie eines lebhaften Jünglings anzuregen. Wie
hübsch wäre es, wenn man nachweisen könnte, daß auch die gefeierte Franziska,
„die Freundin der Menschen", in der sich die Tugend als „das harmonische
Band von Liebe und Weisheit" so sichtbarlich verkörperte, ihrem jugendlichen
Lobredner eine freundliche Gönnerin gewesen ist, seinen dichterischen Genius
erkannt und gewürdigt hat. Aber alles darüber Gesagte gehört in das Reich
der Legende. Es ist leider wahr, daß sich in ihrem Nachlaß außer der Rede
Schillers auch die Reden ganz unbedeutender Akademiker gefunden haben.

Man hat im allgemeinen von der zweiten Hälfte der Negierung Karl
Eugens, in der Franziska seine „Gehilfin" war, eine viel zu gute Meinung.
Ein wirklich trefflicher Regent, ein Wohltäter seines Volkes im Sinne des auf¬
geklärten Despotismus ist er auch jetzt nicht geworden, trotz des merkwürdigen
Sündenbekenntnisses und Besserungsgelübdes, das er im Jahre 1778, an seinem
funfzigsten Geburtstage, von den Kanzeln verlesen ließ. Verfafsungsverletzungen,
Verstöße gegen den mit den Landständen abgeschlossenen Erbvergleich von 1770
kamen noch oft genug vor. Der ärgerliche Handel mit den Ämtern dauerte
fort, auch über schweren Wildschaden und ungesetzliche Fromm wurde geklagt,
und sieben Jahre vor seinem Tode verkaufte er sogar wieder ein Regiment ins
Kapland ni die holländisch-ostindische Kompagnie, wenn diesmal die Soldaten
auch nicht wie im siebenjährigen Kriege zwangsweise ausgehoben wurden. Im
einzelnen hat der begabte und tatkräftige Fürst viel Gutes für Württemberg


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/28>, abgerufen am 24.07.2024.