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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Franziska von Hohenheim

dem an weit leichtere Siege gewöhnten Karl Eugen ergeben hat. Die Ein¬
undzwanzigjährige hatte das Glück der Liebe noch nicht kennen gelernt. Der
zwanzig Jahre ältere Herzog -- "Papale" nennt sie ihn öfters mit scherzhafter
Ergebenheit -- war eine stattliche, kraftvolle Erscheinung, dazu umflossen von
dem Nimbus des Herrschers; sie gibt selbst, ehrlich genug, zu, daß bei ihr auch
Eitelkeit mit im Spiele war. -- Eine sehr eigentümliche Rolle spielte eine Zeit¬
lang der betrogene Gatte, dessen Habsucht wohl über das Ehrgefühl siegte. Erst
ein strenger Befehl seines feiner empfindenden Vaters bewog ihn, auf die ihm
übertragenen hochbesoldeten Ämter und andere persönliche Vorteile zu verzichten
und den Württemberger Hof für immer zu verlassen. Franziska aber folgte
im Januar 1772 dem Geliebten auf die solitude, und noch in demselben
Monat wurde ihre Ehe durch einen Spruch des Konsistoriums geschieden. So
war diese verhaßte Fessel gelöst; trotzdem litt Franziskas Gewissensruhe noch
immer schwer darunter, daß sie der Welt durch ihr freies Zusammenleben mit
dem Herzog ein Ärgernis gab. Dessen Gemahlin, die Banreuther Prinzessin
Friderike, die sich schon vor sechzehn Jahren von ihm getrennt hatte, lebte noch,
und da er katholisch war, konnte nur der Tod diese Ehe lösen. -- Ob Karl
Eugen der Geliebten wirklich ein förmliches Eheversprechen gegeben hat, steht
dahin; aber seine Gedanken waren, wie er später schreibt, immer dahingegangen,
ihr, wenn er die Herzogin überleben sollte, "Teil an seinem Herzen und an seiner
Hand zu geben". -- Fürs erste war er bemüht, ihre Stellung nach außen zu
sichern; es war doch peinlich, daß sie noch immer den Namen des geschiedenen
Gatten trug. Auf seine Bitten erhob sie Kaiser Joseph der Zweite im Jahre
1774 zur Reichsgräfin von Hohenheim. Das zwei Stunden von Stuttgart
entfernt gelegene Gut Hohenheim hatte der Herzog nicht lange vorher seiner
letzten Mätresse, der Sängerin Bonafini, "auf beliebige Kündigung" überlassen.
Nun mußte die Italienerin ihre Wohnung räumen, und während Ludwigs¬
burg und die solitude, die Stätten früherer Sünden, verödeten, wurde
Hohenheim Karl Eugens Lieblingsaufenthalt. Hier fand er das häusliche
Glück, das ihm seine stolze und leidenschaftliche Gemahlin einst nicht hatte
bereiten können.

Der vierundvierzigjährige Mann, früher der Schrecken aller anständigen
Frauen und Mädchen in Württemberg, der noch zwei Jahre vor seiner Bekannt¬
schaft mit Franziska eine blutjunge Geheimratstochter, "trotz Lamentierens der
Mutter", unmittelbar vom Hofball weg in sein Kabinett entführt hatte, liebte
fein "Engelsfranzele" mit der leidenschaftlichen Glut und der hingebenden
Schwärmerei eines zum ersten Male verliebten Jünglings. Wie schülerhaft
mutet es uns an, wenn er ihr ein Papierherz widmet mit der Inschrift: "Ganz
Dir geweiht." Daß er ihre Tugend in den überschwenglichsten Ausdrücken preist,
entspricht dem zeitgenössischen Geschmack. Was bedeuten diese langen und
salbungsvollen Ergüsse neben den schlichten und innigen Worten, die sich auf
einen: flüchtig mit Bleistift geschriebenen Zettel finden: "Liebstes Franzele, ich


Franziska von Hohenheim

dem an weit leichtere Siege gewöhnten Karl Eugen ergeben hat. Die Ein¬
undzwanzigjährige hatte das Glück der Liebe noch nicht kennen gelernt. Der
zwanzig Jahre ältere Herzog — „Papale" nennt sie ihn öfters mit scherzhafter
Ergebenheit — war eine stattliche, kraftvolle Erscheinung, dazu umflossen von
dem Nimbus des Herrschers; sie gibt selbst, ehrlich genug, zu, daß bei ihr auch
Eitelkeit mit im Spiele war. — Eine sehr eigentümliche Rolle spielte eine Zeit¬
lang der betrogene Gatte, dessen Habsucht wohl über das Ehrgefühl siegte. Erst
ein strenger Befehl seines feiner empfindenden Vaters bewog ihn, auf die ihm
übertragenen hochbesoldeten Ämter und andere persönliche Vorteile zu verzichten
und den Württemberger Hof für immer zu verlassen. Franziska aber folgte
im Januar 1772 dem Geliebten auf die solitude, und noch in demselben
Monat wurde ihre Ehe durch einen Spruch des Konsistoriums geschieden. So
war diese verhaßte Fessel gelöst; trotzdem litt Franziskas Gewissensruhe noch
immer schwer darunter, daß sie der Welt durch ihr freies Zusammenleben mit
dem Herzog ein Ärgernis gab. Dessen Gemahlin, die Banreuther Prinzessin
Friderike, die sich schon vor sechzehn Jahren von ihm getrennt hatte, lebte noch,
und da er katholisch war, konnte nur der Tod diese Ehe lösen. — Ob Karl
Eugen der Geliebten wirklich ein förmliches Eheversprechen gegeben hat, steht
dahin; aber seine Gedanken waren, wie er später schreibt, immer dahingegangen,
ihr, wenn er die Herzogin überleben sollte, „Teil an seinem Herzen und an seiner
Hand zu geben". — Fürs erste war er bemüht, ihre Stellung nach außen zu
sichern; es war doch peinlich, daß sie noch immer den Namen des geschiedenen
Gatten trug. Auf seine Bitten erhob sie Kaiser Joseph der Zweite im Jahre
1774 zur Reichsgräfin von Hohenheim. Das zwei Stunden von Stuttgart
entfernt gelegene Gut Hohenheim hatte der Herzog nicht lange vorher seiner
letzten Mätresse, der Sängerin Bonafini, „auf beliebige Kündigung" überlassen.
Nun mußte die Italienerin ihre Wohnung räumen, und während Ludwigs¬
burg und die solitude, die Stätten früherer Sünden, verödeten, wurde
Hohenheim Karl Eugens Lieblingsaufenthalt. Hier fand er das häusliche
Glück, das ihm seine stolze und leidenschaftliche Gemahlin einst nicht hatte
bereiten können.

Der vierundvierzigjährige Mann, früher der Schrecken aller anständigen
Frauen und Mädchen in Württemberg, der noch zwei Jahre vor seiner Bekannt¬
schaft mit Franziska eine blutjunge Geheimratstochter, „trotz Lamentierens der
Mutter", unmittelbar vom Hofball weg in sein Kabinett entführt hatte, liebte
fein „Engelsfranzele" mit der leidenschaftlichen Glut und der hingebenden
Schwärmerei eines zum ersten Male verliebten Jünglings. Wie schülerhaft
mutet es uns an, wenn er ihr ein Papierherz widmet mit der Inschrift: „Ganz
Dir geweiht." Daß er ihre Tugend in den überschwenglichsten Ausdrücken preist,
entspricht dem zeitgenössischen Geschmack. Was bedeuten diese langen und
salbungsvollen Ergüsse neben den schlichten und innigen Worten, die sich auf
einen: flüchtig mit Bleistift geschriebenen Zettel finden: „Liebstes Franzele, ich


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[0026] Franziska von Hohenheim dem an weit leichtere Siege gewöhnten Karl Eugen ergeben hat. Die Ein¬ undzwanzigjährige hatte das Glück der Liebe noch nicht kennen gelernt. Der zwanzig Jahre ältere Herzog — „Papale" nennt sie ihn öfters mit scherzhafter Ergebenheit — war eine stattliche, kraftvolle Erscheinung, dazu umflossen von dem Nimbus des Herrschers; sie gibt selbst, ehrlich genug, zu, daß bei ihr auch Eitelkeit mit im Spiele war. — Eine sehr eigentümliche Rolle spielte eine Zeit¬ lang der betrogene Gatte, dessen Habsucht wohl über das Ehrgefühl siegte. Erst ein strenger Befehl seines feiner empfindenden Vaters bewog ihn, auf die ihm übertragenen hochbesoldeten Ämter und andere persönliche Vorteile zu verzichten und den Württemberger Hof für immer zu verlassen. Franziska aber folgte im Januar 1772 dem Geliebten auf die solitude, und noch in demselben Monat wurde ihre Ehe durch einen Spruch des Konsistoriums geschieden. So war diese verhaßte Fessel gelöst; trotzdem litt Franziskas Gewissensruhe noch immer schwer darunter, daß sie der Welt durch ihr freies Zusammenleben mit dem Herzog ein Ärgernis gab. Dessen Gemahlin, die Banreuther Prinzessin Friderike, die sich schon vor sechzehn Jahren von ihm getrennt hatte, lebte noch, und da er katholisch war, konnte nur der Tod diese Ehe lösen. — Ob Karl Eugen der Geliebten wirklich ein förmliches Eheversprechen gegeben hat, steht dahin; aber seine Gedanken waren, wie er später schreibt, immer dahingegangen, ihr, wenn er die Herzogin überleben sollte, „Teil an seinem Herzen und an seiner Hand zu geben". — Fürs erste war er bemüht, ihre Stellung nach außen zu sichern; es war doch peinlich, daß sie noch immer den Namen des geschiedenen Gatten trug. Auf seine Bitten erhob sie Kaiser Joseph der Zweite im Jahre 1774 zur Reichsgräfin von Hohenheim. Das zwei Stunden von Stuttgart entfernt gelegene Gut Hohenheim hatte der Herzog nicht lange vorher seiner letzten Mätresse, der Sängerin Bonafini, „auf beliebige Kündigung" überlassen. Nun mußte die Italienerin ihre Wohnung räumen, und während Ludwigs¬ burg und die solitude, die Stätten früherer Sünden, verödeten, wurde Hohenheim Karl Eugens Lieblingsaufenthalt. Hier fand er das häusliche Glück, das ihm seine stolze und leidenschaftliche Gemahlin einst nicht hatte bereiten können. Der vierundvierzigjährige Mann, früher der Schrecken aller anständigen Frauen und Mädchen in Württemberg, der noch zwei Jahre vor seiner Bekannt¬ schaft mit Franziska eine blutjunge Geheimratstochter, „trotz Lamentierens der Mutter", unmittelbar vom Hofball weg in sein Kabinett entführt hatte, liebte fein „Engelsfranzele" mit der leidenschaftlichen Glut und der hingebenden Schwärmerei eines zum ersten Male verliebten Jünglings. Wie schülerhaft mutet es uns an, wenn er ihr ein Papierherz widmet mit der Inschrift: „Ganz Dir geweiht." Daß er ihre Tugend in den überschwenglichsten Ausdrücken preist, entspricht dem zeitgenössischen Geschmack. Was bedeuten diese langen und salbungsvollen Ergüsse neben den schlichten und innigen Worten, die sich auf einen: flüchtig mit Bleistift geschriebenen Zettel finden: „Liebstes Franzele, ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/26>, abgerufen am 24.07.2024.