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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Im Flecken

"Wenn der Schuft doch für immer verschickt würde!" sagte der Mann zu
Okolitsch und schaute finster auf den Gefesselten. "Keine Bruthenne, kein Hasen-
wnrf ist vor ihm sicher. Und man muß sogar stets auf der Hut sein, daß er
einem nicht hinterrücks eine Ladung Schrot in den Leib schieße."

"Es ist leider nichts Verdächtiges gefunden," sprach bedauernd Okolitsch.
"Das Gericht wird ihm schwerlich etwas tun dürfen."

"Suchen Sie doch bei seinem Schwager."

"Es ist bei beiden Schwägern Haussuchung gehalten. Da ist auch nichts
vorhanden."

"Bei beiden Schwägern! Ja so, in dem großen Dorfe. Nein, hier hat
dieser wieder einen Schwager, dort, schräg gegenüber. Das ist ein beschränkter
Mensch, welchen dieser Räuber ganz in den Händen hält. Gibt es etwas, was
ihn verraten könnte, so hat er es gewiß dem Einfältigen zum Verwahren gegeben."

Hastig machte Okolitsch dem Staatsanwalt die Mitteilung. Schnell begab
sich die Gesellschaft über die Gasse. Wie sie dort den Hof betraten, kam der Wirt
eben aus der Scheune, deren Tür er zudrückte. Er zog die Mütze beim Anblick
der Herren, sah verwirrt und verlegen aus.

"Du bist der Wirt?"

Er neigte sich tief und flehte demütig:

"Vergeben Sie großmütig, Eure Gnaden, Eure Wohlgeboren. Ich habe
nichts Schlechtes getan. Ich lebe arm. Ich habe kaum das Brot für die kleinen
Kinder. Seien Sie barmherzig, gnädige Herren."

"Gib das gestohlene Geld heraus, welches du aufbewahrst."

"Eure Wohlgeboren, machen Sie mich nicht unglücklich. Meine kleinen
Kinder! Ich habe kein Geld. Ich habe nie gestohlen. Ich arbeite, ich bete, aber
das Brot fehlt, Eure hohen Gnaden."

Er küßte den Zunächststehenden die Schöße der Kleidung.

"Untersucht das Haus," befahl der Staatsanwalt.

Okolitsch trat zu ihm.

"Herr Staatsanwalt," sagte er leise, "der Mann kam so unsicher aus der
Scheune. Während seiner Jeremiaden schielte er mehrmals dahin. Wollten Sie
die Untersuchung nicht zuerst in der Scheune vornehmen lassen?"

Verständnisvoll nickte der Beamte. Die Tür wurde geöffnet. Es fand sich
da altes Gerät und an einer Seite Stroh.

"Werft das Stroh auseinander."

Kaum waren einige Bündel beseitigt, so hob ein Wachtmeister mit einem
lauten Rufe Schejins polierte Schatulle empor.

Der Staatsanwalt war über den Fund so erfreut, daß er alle Würde vergaß"
selbst das Kästchen ergriff und zu dem umgestülpten Troge trug, welcher sich in
der Nähe der Haustür befand. Starr blickten die Umstehenden auf seine Hände,
während diese den Deckel öffneten. Da lagen Schejins tausendrublige Obligationen
heil und unversehrt, hübsch ordentlich übereinander geschichtet.

"Ich gratuliere. Hauptmann," rief der Staatsanwalt aufblickend. "Drei-
undvierzigtausend?"

"Dreiundvierzigtausend," antwortete Schejin gepreßt.

Der Beamte zählte. Es waren zweiundvierzig Bogen.


Im Flecken

„Wenn der Schuft doch für immer verschickt würde!" sagte der Mann zu
Okolitsch und schaute finster auf den Gefesselten. „Keine Bruthenne, kein Hasen-
wnrf ist vor ihm sicher. Und man muß sogar stets auf der Hut sein, daß er
einem nicht hinterrücks eine Ladung Schrot in den Leib schieße."

„Es ist leider nichts Verdächtiges gefunden," sprach bedauernd Okolitsch.
„Das Gericht wird ihm schwerlich etwas tun dürfen."

„Suchen Sie doch bei seinem Schwager."

„Es ist bei beiden Schwägern Haussuchung gehalten. Da ist auch nichts
vorhanden."

„Bei beiden Schwägern! Ja so, in dem großen Dorfe. Nein, hier hat
dieser wieder einen Schwager, dort, schräg gegenüber. Das ist ein beschränkter
Mensch, welchen dieser Räuber ganz in den Händen hält. Gibt es etwas, was
ihn verraten könnte, so hat er es gewiß dem Einfältigen zum Verwahren gegeben."

Hastig machte Okolitsch dem Staatsanwalt die Mitteilung. Schnell begab
sich die Gesellschaft über die Gasse. Wie sie dort den Hof betraten, kam der Wirt
eben aus der Scheune, deren Tür er zudrückte. Er zog die Mütze beim Anblick
der Herren, sah verwirrt und verlegen aus.

„Du bist der Wirt?"

Er neigte sich tief und flehte demütig:

„Vergeben Sie großmütig, Eure Gnaden, Eure Wohlgeboren. Ich habe
nichts Schlechtes getan. Ich lebe arm. Ich habe kaum das Brot für die kleinen
Kinder. Seien Sie barmherzig, gnädige Herren."

„Gib das gestohlene Geld heraus, welches du aufbewahrst."

„Eure Wohlgeboren, machen Sie mich nicht unglücklich. Meine kleinen
Kinder! Ich habe kein Geld. Ich habe nie gestohlen. Ich arbeite, ich bete, aber
das Brot fehlt, Eure hohen Gnaden."

Er küßte den Zunächststehenden die Schöße der Kleidung.

„Untersucht das Haus," befahl der Staatsanwalt.

Okolitsch trat zu ihm.

„Herr Staatsanwalt," sagte er leise, „der Mann kam so unsicher aus der
Scheune. Während seiner Jeremiaden schielte er mehrmals dahin. Wollten Sie
die Untersuchung nicht zuerst in der Scheune vornehmen lassen?"

Verständnisvoll nickte der Beamte. Die Tür wurde geöffnet. Es fand sich
da altes Gerät und an einer Seite Stroh.

„Werft das Stroh auseinander."

Kaum waren einige Bündel beseitigt, so hob ein Wachtmeister mit einem
lauten Rufe Schejins polierte Schatulle empor.

Der Staatsanwalt war über den Fund so erfreut, daß er alle Würde vergaß»
selbst das Kästchen ergriff und zu dem umgestülpten Troge trug, welcher sich in
der Nähe der Haustür befand. Starr blickten die Umstehenden auf seine Hände,
während diese den Deckel öffneten. Da lagen Schejins tausendrublige Obligationen
heil und unversehrt, hübsch ordentlich übereinander geschichtet.

„Ich gratuliere. Hauptmann," rief der Staatsanwalt aufblickend. „Drei-
undvierzigtausend?"

„Dreiundvierzigtausend," antwortete Schejin gepreßt.

Der Beamte zählte. Es waren zweiundvierzig Bogen.


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[0197] Im Flecken „Wenn der Schuft doch für immer verschickt würde!" sagte der Mann zu Okolitsch und schaute finster auf den Gefesselten. „Keine Bruthenne, kein Hasen- wnrf ist vor ihm sicher. Und man muß sogar stets auf der Hut sein, daß er einem nicht hinterrücks eine Ladung Schrot in den Leib schieße." „Es ist leider nichts Verdächtiges gefunden," sprach bedauernd Okolitsch. „Das Gericht wird ihm schwerlich etwas tun dürfen." „Suchen Sie doch bei seinem Schwager." „Es ist bei beiden Schwägern Haussuchung gehalten. Da ist auch nichts vorhanden." „Bei beiden Schwägern! Ja so, in dem großen Dorfe. Nein, hier hat dieser wieder einen Schwager, dort, schräg gegenüber. Das ist ein beschränkter Mensch, welchen dieser Räuber ganz in den Händen hält. Gibt es etwas, was ihn verraten könnte, so hat er es gewiß dem Einfältigen zum Verwahren gegeben." Hastig machte Okolitsch dem Staatsanwalt die Mitteilung. Schnell begab sich die Gesellschaft über die Gasse. Wie sie dort den Hof betraten, kam der Wirt eben aus der Scheune, deren Tür er zudrückte. Er zog die Mütze beim Anblick der Herren, sah verwirrt und verlegen aus. „Du bist der Wirt?" Er neigte sich tief und flehte demütig: „Vergeben Sie großmütig, Eure Gnaden, Eure Wohlgeboren. Ich habe nichts Schlechtes getan. Ich lebe arm. Ich habe kaum das Brot für die kleinen Kinder. Seien Sie barmherzig, gnädige Herren." „Gib das gestohlene Geld heraus, welches du aufbewahrst." „Eure Wohlgeboren, machen Sie mich nicht unglücklich. Meine kleinen Kinder! Ich habe kein Geld. Ich habe nie gestohlen. Ich arbeite, ich bete, aber das Brot fehlt, Eure hohen Gnaden." Er küßte den Zunächststehenden die Schöße der Kleidung. „Untersucht das Haus," befahl der Staatsanwalt. Okolitsch trat zu ihm. „Herr Staatsanwalt," sagte er leise, „der Mann kam so unsicher aus der Scheune. Während seiner Jeremiaden schielte er mehrmals dahin. Wollten Sie die Untersuchung nicht zuerst in der Scheune vornehmen lassen?" Verständnisvoll nickte der Beamte. Die Tür wurde geöffnet. Es fand sich da altes Gerät und an einer Seite Stroh. „Werft das Stroh auseinander." Kaum waren einige Bündel beseitigt, so hob ein Wachtmeister mit einem lauten Rufe Schejins polierte Schatulle empor. Der Staatsanwalt war über den Fund so erfreut, daß er alle Würde vergaß» selbst das Kästchen ergriff und zu dem umgestülpten Troge trug, welcher sich in der Nähe der Haustür befand. Starr blickten die Umstehenden auf seine Hände, während diese den Deckel öffneten. Da lagen Schejins tausendrublige Obligationen heil und unversehrt, hübsch ordentlich übereinander geschichtet. „Ich gratuliere. Hauptmann," rief der Staatsanwalt aufblickend. „Drei- undvierzigtausend?" „Dreiundvierzigtausend," antwortete Schejin gepreßt. Der Beamte zählte. Es waren zweiundvierzig Bogen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/197>, abgerufen am 29.12.2024.