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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Im Flecken

gesehene Polizei anzustaunen und sich in Bemerkungen über den Vorfall zu
ergehen.

"Onkel Artem, je, Onkel Artem!" rief mit erschrockenem Gesicht ein junges
Bürschchen, "was wollen die Wachtmeister mit dem Aufseher? Sollten sie uns
alle ins Gefängnis zu führen denken?"

"Alle! Dummkopf!" lautete die Antwort. "Du siehst, sie sind bei Nikifor.
Nu, da werden sie auch den Nikifor ins Gefängnis führen."

"Eh, Bruder, lache nicht," sagte dazu ein Nachbar. "Jetzt sind sie bei
Nikifor, und dann kommen sie zu Jegor, und dann zu dir, und dann zu mir,
bis sie bei allen gewesen sind. Das heißt Untersuchung der Reihe nach."

"Unsinn!" stritt Artem. "Was sollen sie zu mir kommen! Ich habe nichts
gestohlen, und grob gegen die Obrigkeit bin ich auch nicht gewesen."

"Es ist auch nicht des Stehlens oder der Grobheit wegen," beharrte jener,
"sondern der Gesundheit wegen. Sie werden alle Leute besichtigen, und wer krank
ist -- fort, ins Krankenhaus!"

"O, Himmel!" rief ein Weib ängstlich. "Werden sie denn die Frauen und
Mädchen auch besichtigen?"

"Die natürlich zuerst. Das versteht sich doch."

"Wirt, Wirt!" schrie sie laut nach ihrem Manne. "Hörst du, Wirt! Sie
wollen uns besichtigen. Aber ich sage dir, mögen sie mich besichtigen, wie viel
sie wollen, die Lise lasse ich nicht besichtigen. Der Ssidor nimmt das Mädchen
dann vielleicht nicht mehr. Die Schande, die Schande!"

"Was brüllst du, alte Kuh!" schalt der Mann. "Was sprichst du für Unsinn!
Das sind ja keine Doktoren oder Feldscherer. Das ist Obrigkeit aus dem
Gouvernement."

"Jawohl, aus dem Gouvernement," stimmte ein anderer bei.

"Man sieht das gleich. Das heißt, sie werden in allen Höfen aufschreiben,
wieviel Vieh und Korn jeder überwintert hat, und zu Georgi werden wir eine
besondere Abgabe dafür zahlen müssen."

"Nu, der Abgabe wegen werden die Herren nicht fahren," nahm jemand
das Wort. "Die Abgaben können sie auch schriftlich einfordern. Aber ich weiß,
was sie wollen. Es gibt Krieg, und da schreiben sie alle Leute auf, die das
Gewehr tragen können."

"Dummes Zeug, dummes Zeug!" sprach ein alter Mann geheimnisvoll.
"Der Antichrist geht herum. Die hohen Herren suchen in allen Dörfern, ob sie
seine Spur nicht finden können."

Unterdessen kehrte der Staatsanwalt mit Schejin, Okolitsch und dem Unter¬
suchungsrichter zum Hofe Nikifors zurück und ließ sämtliche Bewohner des Hauses
zusammentreten. Nikifor selbst war oder stellte sich so betrunken, daß er keine
Frage begriff, unter beständigem Augenzwinkern Unsinn schwatzte, taumelte und
sich vor allen tief neigte. Die Übrigen wollten von einem polierten Kästchen mit
Papieren nichts gesehen und gehört haben. Die peinlichste Haussuchung wurde
nun vorgenommen. Kein Gerät, kein Winkel blieb unbesichtigt. An jeder ver¬
dächtigen Stelle wurde gebrochen und gewühlt. Alles wurde von Anderst zu oberst
gekehrt. Vergeblich. Nichts kam zum Vorschein, was an die Schatulle oder die
Papiere erinnert hätte.


Im Flecken

gesehene Polizei anzustaunen und sich in Bemerkungen über den Vorfall zu
ergehen.

„Onkel Artem, je, Onkel Artem!" rief mit erschrockenem Gesicht ein junges
Bürschchen, „was wollen die Wachtmeister mit dem Aufseher? Sollten sie uns
alle ins Gefängnis zu führen denken?"

„Alle! Dummkopf!" lautete die Antwort. „Du siehst, sie sind bei Nikifor.
Nu, da werden sie auch den Nikifor ins Gefängnis führen."

„Eh, Bruder, lache nicht," sagte dazu ein Nachbar. „Jetzt sind sie bei
Nikifor, und dann kommen sie zu Jegor, und dann zu dir, und dann zu mir,
bis sie bei allen gewesen sind. Das heißt Untersuchung der Reihe nach."

„Unsinn!" stritt Artem. „Was sollen sie zu mir kommen! Ich habe nichts
gestohlen, und grob gegen die Obrigkeit bin ich auch nicht gewesen."

„Es ist auch nicht des Stehlens oder der Grobheit wegen," beharrte jener,
„sondern der Gesundheit wegen. Sie werden alle Leute besichtigen, und wer krank
ist — fort, ins Krankenhaus!"

„O, Himmel!" rief ein Weib ängstlich. „Werden sie denn die Frauen und
Mädchen auch besichtigen?"

„Die natürlich zuerst. Das versteht sich doch."

„Wirt, Wirt!" schrie sie laut nach ihrem Manne. „Hörst du, Wirt! Sie
wollen uns besichtigen. Aber ich sage dir, mögen sie mich besichtigen, wie viel
sie wollen, die Lise lasse ich nicht besichtigen. Der Ssidor nimmt das Mädchen
dann vielleicht nicht mehr. Die Schande, die Schande!"

„Was brüllst du, alte Kuh!" schalt der Mann. „Was sprichst du für Unsinn!
Das sind ja keine Doktoren oder Feldscherer. Das ist Obrigkeit aus dem
Gouvernement."

„Jawohl, aus dem Gouvernement," stimmte ein anderer bei.

„Man sieht das gleich. Das heißt, sie werden in allen Höfen aufschreiben,
wieviel Vieh und Korn jeder überwintert hat, und zu Georgi werden wir eine
besondere Abgabe dafür zahlen müssen."

„Nu, der Abgabe wegen werden die Herren nicht fahren," nahm jemand
das Wort. „Die Abgaben können sie auch schriftlich einfordern. Aber ich weiß,
was sie wollen. Es gibt Krieg, und da schreiben sie alle Leute auf, die das
Gewehr tragen können."

„Dummes Zeug, dummes Zeug!" sprach ein alter Mann geheimnisvoll.
„Der Antichrist geht herum. Die hohen Herren suchen in allen Dörfern, ob sie
seine Spur nicht finden können."

Unterdessen kehrte der Staatsanwalt mit Schejin, Okolitsch und dem Unter¬
suchungsrichter zum Hofe Nikifors zurück und ließ sämtliche Bewohner des Hauses
zusammentreten. Nikifor selbst war oder stellte sich so betrunken, daß er keine
Frage begriff, unter beständigem Augenzwinkern Unsinn schwatzte, taumelte und
sich vor allen tief neigte. Die Übrigen wollten von einem polierten Kästchen mit
Papieren nichts gesehen und gehört haben. Die peinlichste Haussuchung wurde
nun vorgenommen. Kein Gerät, kein Winkel blieb unbesichtigt. An jeder ver¬
dächtigen Stelle wurde gebrochen und gewühlt. Alles wurde von Anderst zu oberst
gekehrt. Vergeblich. Nichts kam zum Vorschein, was an die Schatulle oder die
Papiere erinnert hätte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/194>, abgerufen am 29.12.2024.