Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.Gosclligkeit, GeMigkintsformen und Geselligkcitssnrrogatt! Heiterkeit, an die Form gebunden -- aus den zwei Worten geht schon Keine andere Nation bringt so viel Vorbedingungen, so viel Talente für die Man darf nun freilich nicht etwa glauben, daß Frankreich gleich in lauten Die Blütezeit der französischen Geselligkeit fällt aber doch erst in das GrenzboK'n I 1911 21
Gosclligkeit, GeMigkintsformen und Geselligkcitssnrrogatt! Heiterkeit, an die Form gebunden — aus den zwei Worten geht schon Keine andere Nation bringt so viel Vorbedingungen, so viel Talente für die Man darf nun freilich nicht etwa glauben, daß Frankreich gleich in lauten Die Blütezeit der französischen Geselligkeit fällt aber doch erst in das GrenzboK'n I 1911 21
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0175" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317788"/> <fw type="header" place="top"> Gosclligkeit, GeMigkintsformen und Geselligkcitssnrrogatt!</fw><lb/> <p xml:id="ID_825"> Heiterkeit, an die Form gebunden — aus den zwei Worten geht schon<lb/> hervor, daß diese erlesenste Art der Geselligkeit vor allem in einem Land Europas<lb/> geboren werden und heimisch werden konnte. Sie hat wohl einmal Abstecher<lb/> ins Ausland gemacht, weilte vielleicht da und dort für ein Menschenalter, für<lb/> das Menschenalter eines bestimmten Kreises. Heimatrecht hat sie aber fast nur<lb/> in dem Land gehabt, in dem sie zur Welt kam, in Frankreich.</p><lb/> <p xml:id="ID_826"> Keine andere Nation bringt so viel Vorbedingungen, so viel Talente für die<lb/> Geselligkeit mit oder brachte sie wenigstens mit wie der Franzose, vor allem<lb/> der Pariser. Lebhaft von Temperament, geistreich nicht nur im oberflächlichen<lb/> Sinn, sondern mit einem Hirn begabt, das neue Ideen rasch und leicht ausstößt<lb/> wie ein Funkenspiel, ist ihm die Form nicht ein Zwang, sondern ein Lebens¬<lb/> bedürfnis. Dazu fehlt ihm der Sinn für jene Gemütszustande, die wir „gemütlich"<lb/> oder „verhornen" nennen- allein, auf sich selbst beschränkt zu sein, ist ihm ein<lb/> Greuel. Inbrünstig hat er sich von jeher zu dem Wort bekannt: „Die<lb/> schlechteste Gesellschaft läßt dich fühlen, daß du ein Mensch mit Menschen bist".<lb/> Und weil er eben im stärksten Sinn ein „animal sociable" ist, hat ihm die<lb/> schlechte Gesellschaft der Kneiptische nie genügt, hat er, kaum daß ein richtiges<lb/> Frankreich zurecht gezimmert war, sich gleich nach einer guten Gesellschaft und<lb/> einem passenden Versammlungslokal für sie umgetan. So entstand, was heut¬<lb/> zutage die einen mit Entzücken und Ehrfurcht, die meisten aber mit Gering¬<lb/> schätzung und Hohnlächeln betrachten, so entstand — der Salon.</p><lb/> <p xml:id="ID_827"> Man darf nun freilich nicht etwa glauben, daß Frankreich gleich in lauten<lb/> Jubel ausgebrochen wäre, als zum Beginn des siebzehnten Jahrhunderts die<lb/> ersten Salons nach moderner Art, die Salons der Preciensen erstanden, allen<lb/> voran der berühmte Salon der Herzogin von Rambouillet. Die vornehmen<lb/> Damen, die da ihre literarischen Zirkel abhielten und Schokolade dazu tranken (was<lb/> damals als äußerst distinguiert galt), wurden weidlich ausgelacht und verhöhnt;<lb/> unvergängliche Dokumente solchen Spottes hat ja Moliere in seinen „I^emmes<lb/> SAVcUites" und „pi'6eieuses nciiculö8" hinterlassen. Die Precieusen waren<lb/> zunächst dasselbe, was bei uns vor etwa zwanzig Jahren die Frauenrechtlerinnen<lb/> waren, und man kann die gelehrten Damen noch heute glücklich preisen, daß<lb/> es in Paris zur Zeit Heinrichs des Vierten und Ludwigs des Dreizehnter noch<lb/> keine Presse gab. Das Hotel Rambouillet und seine Salonprovinzen wären<lb/> sonst nie aus den Spalten der Witzblätter geschwunden. . .</p><lb/> <p xml:id="ID_828" next="#ID_829"> Die Blütezeit der französischen Geselligkeit fällt aber doch erst in das<lb/> achtzehnte Jahrhundert, und zwar, wenn man so sagen kann, in den französischen<lb/> Vormärz, in die Zeit, da die großen Menschheits- und Umsturzgedanken der<lb/> Revolution noch nicht wie Sturmläuten die Welt durchbrausten, sondern da sie<lb/> sich erst leise in den Köpfen zu regen begannen, von den Enzyklopädisten aus¬<lb/> gedacht und niedergeschrieben wurden. Es war gerade, als ob die alte Form,<lb/> die alte Zeit schon das Wehen der neuen gespürt und sich in Trotz und Schmerz<lb/> mir ihrem Scheiden mit den köstlichsten Kleinodien ihrer geistigen Traditionen</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> GrenzboK'n I 1911 21</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0175]
Gosclligkeit, GeMigkintsformen und Geselligkcitssnrrogatt!
Heiterkeit, an die Form gebunden — aus den zwei Worten geht schon
hervor, daß diese erlesenste Art der Geselligkeit vor allem in einem Land Europas
geboren werden und heimisch werden konnte. Sie hat wohl einmal Abstecher
ins Ausland gemacht, weilte vielleicht da und dort für ein Menschenalter, für
das Menschenalter eines bestimmten Kreises. Heimatrecht hat sie aber fast nur
in dem Land gehabt, in dem sie zur Welt kam, in Frankreich.
Keine andere Nation bringt so viel Vorbedingungen, so viel Talente für die
Geselligkeit mit oder brachte sie wenigstens mit wie der Franzose, vor allem
der Pariser. Lebhaft von Temperament, geistreich nicht nur im oberflächlichen
Sinn, sondern mit einem Hirn begabt, das neue Ideen rasch und leicht ausstößt
wie ein Funkenspiel, ist ihm die Form nicht ein Zwang, sondern ein Lebens¬
bedürfnis. Dazu fehlt ihm der Sinn für jene Gemütszustande, die wir „gemütlich"
oder „verhornen" nennen- allein, auf sich selbst beschränkt zu sein, ist ihm ein
Greuel. Inbrünstig hat er sich von jeher zu dem Wort bekannt: „Die
schlechteste Gesellschaft läßt dich fühlen, daß du ein Mensch mit Menschen bist".
Und weil er eben im stärksten Sinn ein „animal sociable" ist, hat ihm die
schlechte Gesellschaft der Kneiptische nie genügt, hat er, kaum daß ein richtiges
Frankreich zurecht gezimmert war, sich gleich nach einer guten Gesellschaft und
einem passenden Versammlungslokal für sie umgetan. So entstand, was heut¬
zutage die einen mit Entzücken und Ehrfurcht, die meisten aber mit Gering¬
schätzung und Hohnlächeln betrachten, so entstand — der Salon.
Man darf nun freilich nicht etwa glauben, daß Frankreich gleich in lauten
Jubel ausgebrochen wäre, als zum Beginn des siebzehnten Jahrhunderts die
ersten Salons nach moderner Art, die Salons der Preciensen erstanden, allen
voran der berühmte Salon der Herzogin von Rambouillet. Die vornehmen
Damen, die da ihre literarischen Zirkel abhielten und Schokolade dazu tranken (was
damals als äußerst distinguiert galt), wurden weidlich ausgelacht und verhöhnt;
unvergängliche Dokumente solchen Spottes hat ja Moliere in seinen „I^emmes
SAVcUites" und „pi'6eieuses nciiculö8" hinterlassen. Die Precieusen waren
zunächst dasselbe, was bei uns vor etwa zwanzig Jahren die Frauenrechtlerinnen
waren, und man kann die gelehrten Damen noch heute glücklich preisen, daß
es in Paris zur Zeit Heinrichs des Vierten und Ludwigs des Dreizehnter noch
keine Presse gab. Das Hotel Rambouillet und seine Salonprovinzen wären
sonst nie aus den Spalten der Witzblätter geschwunden. . .
Die Blütezeit der französischen Geselligkeit fällt aber doch erst in das
achtzehnte Jahrhundert, und zwar, wenn man so sagen kann, in den französischen
Vormärz, in die Zeit, da die großen Menschheits- und Umsturzgedanken der
Revolution noch nicht wie Sturmläuten die Welt durchbrausten, sondern da sie
sich erst leise in den Köpfen zu regen begannen, von den Enzyklopädisten aus¬
gedacht und niedergeschrieben wurden. Es war gerade, als ob die alte Form,
die alte Zeit schon das Wehen der neuen gespürt und sich in Trotz und Schmerz
mir ihrem Scheiden mit den köstlichsten Kleinodien ihrer geistigen Traditionen
GrenzboK'n I 1911 21
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