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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Geselligkeit, Geselligkeitsformen und Gcselligkcitssurrogatc

geschmückt hätte. Paris wimmelte damals von Salons, in denen nicht immer
eine junge oder hübsche, aber stets eine geistreiche oder wenigstens geistig elegante
Frau das Zepter führte. Und um diese Frau, gleichviel ob sie eine vornehme
Dame war, wie die Marquise de Boufflers, oder die Tochter eines Kammer¬
dieners, wie die Geoffrin, oder eine entlaufene Nonne, wie die Ternin, sammeln
sich die ersten Geister Frankreichs, die Voltaire, d'Alembert, Grimm, die
Akademiker, die Enzyklopädisten, Senatspräsidenten und Marschälle, kurz alles,
was die Intelligenz des Landes darstellt. All diese Männer versammeln sich
bei einer Frau, beugen sich willig nicht nur dem Zepter, sondern auch den
Mannen dieser Frau, und diese freiwillige, bedingungslose Unterwerfung des
Mannes unter die Frau ist ein weiterer mächtiger Faktor für den Glanz und
den Reichtum des französischen Salons. Denn niemals kann ein Mann einen
Salon haben oder beherrschen; immer muß Geselligkeit, ihre Pflanzung wie ihre
Entfaltung den Händen und der Grazie der Frau überlassen bleiben.

So gewandt nun aber auch die Frauen, so bedeutend die Männer dieser
Salons waren, so tun wir doch gut, sie nicht mit deutschem Gründlichkeits¬
maßstab zu messen, dürfen nicht etwa glauben, daß man da beständig auf dem
Kothurn herumspazierte, unablässig eigenen Geist von sich gab und Geist der
andern dafür einschluckte. In sehr vielen dieser Salons, wo eine noch junge
Hausfrau nicht nur gelehrte und berühmte, sondern auch junge Leute um sich
versammelte, wurde getanzt, Maskerade und Pfänderspiel arrangiert, nach allen
Regeln der Rokokokunst geliebelt und geliebt. . . . Der Reiz dieser Salons war
eben ihre Buntfarbigkeit, lag eben darin, daß die eine ihn zum ausschließlichen
"bureau ä'e8put", die andere ihn nebenbei noch zum Naschmarkt kleiner Schwächen
und Eitelkeiten gestalten konnte. Erlaubt war, was gefiel -- und alles gefiel,
was menschlichen Inhalt in eine anmutige Form goß. Gewiß, die Menschen
dieser Geselligkeit waren im Innern nicht anders wie die Menschen heutzutage,
aber die gute Form, die ihnen festsaß wie die Haut, ließ keine üble Eigenschaft
in verletzender Härte durchdringen, gestaltete ihre Zusammenkünfte immer aufs neue
zu einem Fest. Gemütseigenschaften verlangte keiner von: andern, denn diese
klaren Köpfe wußten ganz genau, daß Gemüt mit der Geselligkeit gar nichts
zu schaffen hat. Als Fontenelle erfuhr, daß die Ternin, bei der er dreißig
Jahre lang jeden Mittwoch gespeist hatte, gestorben sei, sagte er gelassen: "El, el,
da werde ich in Zukunft am Mittwoch bei der l'Espinasse dinieren". Wohl
lasen in diesen Salons die Enzyklopädisten ihre Werke im Manuskript vor, aber
man verschmähte auch nicht, sich mit Sensationen und Klatschgeschichten höherer
Ordnung abzugeben. So z. B. rissen sich alle diese Salons um ein Manuskript,
das Rulhiöre, der französische Botschaftsattache in Petersburg, über den Tod
oder richtiger über die Ermordung des Zaren Peter des Dritten, verfaßt
hatte; man darf ohne weiteres annehmen, daß es nicht historischer oder
politischer Forschungstrieb war, der die Pariser Salonwelt so gierig
machte nach Rulhiöres Tagebuch, sondern einfach die Sensationslust, die


Geselligkeit, Geselligkeitsformen und Gcselligkcitssurrogatc

geschmückt hätte. Paris wimmelte damals von Salons, in denen nicht immer
eine junge oder hübsche, aber stets eine geistreiche oder wenigstens geistig elegante
Frau das Zepter führte. Und um diese Frau, gleichviel ob sie eine vornehme
Dame war, wie die Marquise de Boufflers, oder die Tochter eines Kammer¬
dieners, wie die Geoffrin, oder eine entlaufene Nonne, wie die Ternin, sammeln
sich die ersten Geister Frankreichs, die Voltaire, d'Alembert, Grimm, die
Akademiker, die Enzyklopädisten, Senatspräsidenten und Marschälle, kurz alles,
was die Intelligenz des Landes darstellt. All diese Männer versammeln sich
bei einer Frau, beugen sich willig nicht nur dem Zepter, sondern auch den
Mannen dieser Frau, und diese freiwillige, bedingungslose Unterwerfung des
Mannes unter die Frau ist ein weiterer mächtiger Faktor für den Glanz und
den Reichtum des französischen Salons. Denn niemals kann ein Mann einen
Salon haben oder beherrschen; immer muß Geselligkeit, ihre Pflanzung wie ihre
Entfaltung den Händen und der Grazie der Frau überlassen bleiben.

So gewandt nun aber auch die Frauen, so bedeutend die Männer dieser
Salons waren, so tun wir doch gut, sie nicht mit deutschem Gründlichkeits¬
maßstab zu messen, dürfen nicht etwa glauben, daß man da beständig auf dem
Kothurn herumspazierte, unablässig eigenen Geist von sich gab und Geist der
andern dafür einschluckte. In sehr vielen dieser Salons, wo eine noch junge
Hausfrau nicht nur gelehrte und berühmte, sondern auch junge Leute um sich
versammelte, wurde getanzt, Maskerade und Pfänderspiel arrangiert, nach allen
Regeln der Rokokokunst geliebelt und geliebt. . . . Der Reiz dieser Salons war
eben ihre Buntfarbigkeit, lag eben darin, daß die eine ihn zum ausschließlichen
„bureau ä'e8put", die andere ihn nebenbei noch zum Naschmarkt kleiner Schwächen
und Eitelkeiten gestalten konnte. Erlaubt war, was gefiel — und alles gefiel,
was menschlichen Inhalt in eine anmutige Form goß. Gewiß, die Menschen
dieser Geselligkeit waren im Innern nicht anders wie die Menschen heutzutage,
aber die gute Form, die ihnen festsaß wie die Haut, ließ keine üble Eigenschaft
in verletzender Härte durchdringen, gestaltete ihre Zusammenkünfte immer aufs neue
zu einem Fest. Gemütseigenschaften verlangte keiner von: andern, denn diese
klaren Köpfe wußten ganz genau, daß Gemüt mit der Geselligkeit gar nichts
zu schaffen hat. Als Fontenelle erfuhr, daß die Ternin, bei der er dreißig
Jahre lang jeden Mittwoch gespeist hatte, gestorben sei, sagte er gelassen: „El, el,
da werde ich in Zukunft am Mittwoch bei der l'Espinasse dinieren". Wohl
lasen in diesen Salons die Enzyklopädisten ihre Werke im Manuskript vor, aber
man verschmähte auch nicht, sich mit Sensationen und Klatschgeschichten höherer
Ordnung abzugeben. So z. B. rissen sich alle diese Salons um ein Manuskript,
das Rulhiöre, der französische Botschaftsattache in Petersburg, über den Tod
oder richtiger über die Ermordung des Zaren Peter des Dritten, verfaßt
hatte; man darf ohne weiteres annehmen, daß es nicht historischer oder
politischer Forschungstrieb war, der die Pariser Salonwelt so gierig
machte nach Rulhiöres Tagebuch, sondern einfach die Sensationslust, die


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[0176] Geselligkeit, Geselligkeitsformen und Gcselligkcitssurrogatc geschmückt hätte. Paris wimmelte damals von Salons, in denen nicht immer eine junge oder hübsche, aber stets eine geistreiche oder wenigstens geistig elegante Frau das Zepter führte. Und um diese Frau, gleichviel ob sie eine vornehme Dame war, wie die Marquise de Boufflers, oder die Tochter eines Kammer¬ dieners, wie die Geoffrin, oder eine entlaufene Nonne, wie die Ternin, sammeln sich die ersten Geister Frankreichs, die Voltaire, d'Alembert, Grimm, die Akademiker, die Enzyklopädisten, Senatspräsidenten und Marschälle, kurz alles, was die Intelligenz des Landes darstellt. All diese Männer versammeln sich bei einer Frau, beugen sich willig nicht nur dem Zepter, sondern auch den Mannen dieser Frau, und diese freiwillige, bedingungslose Unterwerfung des Mannes unter die Frau ist ein weiterer mächtiger Faktor für den Glanz und den Reichtum des französischen Salons. Denn niemals kann ein Mann einen Salon haben oder beherrschen; immer muß Geselligkeit, ihre Pflanzung wie ihre Entfaltung den Händen und der Grazie der Frau überlassen bleiben. So gewandt nun aber auch die Frauen, so bedeutend die Männer dieser Salons waren, so tun wir doch gut, sie nicht mit deutschem Gründlichkeits¬ maßstab zu messen, dürfen nicht etwa glauben, daß man da beständig auf dem Kothurn herumspazierte, unablässig eigenen Geist von sich gab und Geist der andern dafür einschluckte. In sehr vielen dieser Salons, wo eine noch junge Hausfrau nicht nur gelehrte und berühmte, sondern auch junge Leute um sich versammelte, wurde getanzt, Maskerade und Pfänderspiel arrangiert, nach allen Regeln der Rokokokunst geliebelt und geliebt. . . . Der Reiz dieser Salons war eben ihre Buntfarbigkeit, lag eben darin, daß die eine ihn zum ausschließlichen „bureau ä'e8put", die andere ihn nebenbei noch zum Naschmarkt kleiner Schwächen und Eitelkeiten gestalten konnte. Erlaubt war, was gefiel — und alles gefiel, was menschlichen Inhalt in eine anmutige Form goß. Gewiß, die Menschen dieser Geselligkeit waren im Innern nicht anders wie die Menschen heutzutage, aber die gute Form, die ihnen festsaß wie die Haut, ließ keine üble Eigenschaft in verletzender Härte durchdringen, gestaltete ihre Zusammenkünfte immer aufs neue zu einem Fest. Gemütseigenschaften verlangte keiner von: andern, denn diese klaren Köpfe wußten ganz genau, daß Gemüt mit der Geselligkeit gar nichts zu schaffen hat. Als Fontenelle erfuhr, daß die Ternin, bei der er dreißig Jahre lang jeden Mittwoch gespeist hatte, gestorben sei, sagte er gelassen: „El, el, da werde ich in Zukunft am Mittwoch bei der l'Espinasse dinieren". Wohl lasen in diesen Salons die Enzyklopädisten ihre Werke im Manuskript vor, aber man verschmähte auch nicht, sich mit Sensationen und Klatschgeschichten höherer Ordnung abzugeben. So z. B. rissen sich alle diese Salons um ein Manuskript, das Rulhiöre, der französische Botschaftsattache in Petersburg, über den Tod oder richtiger über die Ermordung des Zaren Peter des Dritten, verfaßt hatte; man darf ohne weiteres annehmen, daß es nicht historischer oder politischer Forschungstrieb war, der die Pariser Salonwelt so gierig machte nach Rulhiöres Tagebuch, sondern einfach die Sensationslust, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/176>, abgerufen am 04.07.2024.