Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.Nachteile der sozialen Gesetze Sache den Arbeitern damit mundgerecht zu machen versucht, daß er die Mehr¬ Das sind keine Phantasien, vielmehr ist dieser Weg schon jetzt von Nachteile der sozialen Gesetze Sache den Arbeitern damit mundgerecht zu machen versucht, daß er die Mehr¬ Das sind keine Phantasien, vielmehr ist dieser Weg schon jetzt von <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0624" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317575"/> <fw type="header" place="top"> Nachteile der sozialen Gesetze</fw><lb/> <p xml:id="ID_2989" prev="#ID_2988"> Sache den Arbeitern damit mundgerecht zu machen versucht, daß er die Mehr¬<lb/> kosten der Arbeitgeber allein auf 46 Millionen Mark angab. Aber es würde<lb/> ein Irrtum sein, zu glauben, daß es bei diesen Berechnungen der Mehrkosten<lb/> bleiben würde. Schon das eben angeführte Beispiel aus Baden gibt einen<lb/> Vorgeschmack davon, auf welchem Wege die Ansprüche ausgebaut werden würden.<lb/> Sowohl die Beschränkung der jetzigen Selbstverwaltung durch den neuen Beamten¬<lb/> apparat wie die Überschreitung der 2000 Mark-Grenze und die unberechenbare<lb/> Vermehrung der freiwilligen Mitglieder werden in derselben Richtung einer<lb/> starken Steigerung der Ausgaben über den bisherigen Durchschnitt wirken.<lb/> Denn die Kontrolle wird dadurch noch mehr als schon jetzt erschwert. Beamte<lb/> sind wohl imstande, eine formale Kontrolle durchzuführen, hier handelt es sich<lb/> aber um mehr, es ist eine sachliche Kontrolle der außerordentlich komplizierten<lb/> Verhältnisse von Kranken, Verletzten, Invaliden erforderlich, welche nur von<lb/> Sachverständigen geleitet werden kann, und vielleicht auch nur in beschränktem<lb/> Umfange. sachverständig sind hier auch nicht Ärzte allein, weil es sich auch<lb/> um die Beurteilung von bestimmten Berufsverhältnissen handelt, sondern Ärzte<lb/> und technisch Gebildete zusammen; diese gemeinschaftlich können allein ein alles<lb/> berücksichtigendes Gutachten abgeben. Daher sind von Kennern schon vielfach<lb/> derartige Kontrollkommissionen verlangt und hier und da eingeführt. Natürlich<lb/> wird dadurch die große Maschinerie erheblich erschwert und für Beamte<lb/> ungeeignet. Aber auch schon das Bewußtsein, einer von Staatsbeamten<lb/> geleiteten Anstalt gegenüber zu stehen, wird viele Ansprüche erheblich steigen<lb/> lassen; denn dem Staat gegenüber, diesem unpersönlichen, allmächtigen Wesen,<lb/> hört jede Rücksichtnahme auf. Dabei wird gerade die Überschreitung der<lb/> 2000 Mark-Grenze und die Vermehrung der freiwilligen Versicherungen sich<lb/> als besonders gefährlich herausstellen. Denn mit dem gesellschaftlichen Niveau<lb/> der Versicherten steigen auch ihre Ansprüche. Diese freiwillig fortgesetzten Ver¬<lb/> sicherungen werden vermutlich rasch an Zahl wachsen. Man erinnere sich nur,<lb/> daß in der eigentlichen Geschäftswelt fast jedermann in seiner Jugend ver-<lb/> sicherungspflichtig wird und dann für die ganze Lebensdauer dabei bleiben<lb/> kann; mit wachsendem Alter sind das die wohlhabendsten Kreise. Diese werden<lb/> ihre Ansprüche nach ihren Gewohnheiten einrichten. Da werden kostspielige<lb/> Kuren in Sanatorien, ausgedehnte Rekonvaleszenzen, Zuschußernährungen, Bade¬<lb/> reisen, spezialistische Sachen aller Art und andere Seltsamkeiten mehr an der<lb/> Tagesordnung sein und den an sich gesunden und menschenfreundlichen Ge¬<lb/> danken einer Versicherung Bedürftiger gegen Not in sein Gegenteil verkehren.</p><lb/> <p xml:id="ID_2990" next="#ID_2991"> Das sind keine Phantasien, vielmehr ist dieser Weg schon jetzt von<lb/> vielen Jnvalidenanstalten, Berufsgenossenschaften und großen Krankenkassen<lb/> tatsächlich betreten, und die privaten Versicherungen sowie auch Eisenbahn¬<lb/> behörden wissen davon ein lautes Lied zu singen. Für die Bahnen mit<lb/> ihren großen Ansätzen machen diese Posten wenig aus; wenn aber Arbeiter¬<lb/> zwangsversicherungen sie decken sollen, wird man da nicht bald vor der Un-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0624]
Nachteile der sozialen Gesetze
Sache den Arbeitern damit mundgerecht zu machen versucht, daß er die Mehr¬
kosten der Arbeitgeber allein auf 46 Millionen Mark angab. Aber es würde
ein Irrtum sein, zu glauben, daß es bei diesen Berechnungen der Mehrkosten
bleiben würde. Schon das eben angeführte Beispiel aus Baden gibt einen
Vorgeschmack davon, auf welchem Wege die Ansprüche ausgebaut werden würden.
Sowohl die Beschränkung der jetzigen Selbstverwaltung durch den neuen Beamten¬
apparat wie die Überschreitung der 2000 Mark-Grenze und die unberechenbare
Vermehrung der freiwilligen Mitglieder werden in derselben Richtung einer
starken Steigerung der Ausgaben über den bisherigen Durchschnitt wirken.
Denn die Kontrolle wird dadurch noch mehr als schon jetzt erschwert. Beamte
sind wohl imstande, eine formale Kontrolle durchzuführen, hier handelt es sich
aber um mehr, es ist eine sachliche Kontrolle der außerordentlich komplizierten
Verhältnisse von Kranken, Verletzten, Invaliden erforderlich, welche nur von
Sachverständigen geleitet werden kann, und vielleicht auch nur in beschränktem
Umfange. sachverständig sind hier auch nicht Ärzte allein, weil es sich auch
um die Beurteilung von bestimmten Berufsverhältnissen handelt, sondern Ärzte
und technisch Gebildete zusammen; diese gemeinschaftlich können allein ein alles
berücksichtigendes Gutachten abgeben. Daher sind von Kennern schon vielfach
derartige Kontrollkommissionen verlangt und hier und da eingeführt. Natürlich
wird dadurch die große Maschinerie erheblich erschwert und für Beamte
ungeeignet. Aber auch schon das Bewußtsein, einer von Staatsbeamten
geleiteten Anstalt gegenüber zu stehen, wird viele Ansprüche erheblich steigen
lassen; denn dem Staat gegenüber, diesem unpersönlichen, allmächtigen Wesen,
hört jede Rücksichtnahme auf. Dabei wird gerade die Überschreitung der
2000 Mark-Grenze und die Vermehrung der freiwilligen Versicherungen sich
als besonders gefährlich herausstellen. Denn mit dem gesellschaftlichen Niveau
der Versicherten steigen auch ihre Ansprüche. Diese freiwillig fortgesetzten Ver¬
sicherungen werden vermutlich rasch an Zahl wachsen. Man erinnere sich nur,
daß in der eigentlichen Geschäftswelt fast jedermann in seiner Jugend ver-
sicherungspflichtig wird und dann für die ganze Lebensdauer dabei bleiben
kann; mit wachsendem Alter sind das die wohlhabendsten Kreise. Diese werden
ihre Ansprüche nach ihren Gewohnheiten einrichten. Da werden kostspielige
Kuren in Sanatorien, ausgedehnte Rekonvaleszenzen, Zuschußernährungen, Bade¬
reisen, spezialistische Sachen aller Art und andere Seltsamkeiten mehr an der
Tagesordnung sein und den an sich gesunden und menschenfreundlichen Ge¬
danken einer Versicherung Bedürftiger gegen Not in sein Gegenteil verkehren.
Das sind keine Phantasien, vielmehr ist dieser Weg schon jetzt von
vielen Jnvalidenanstalten, Berufsgenossenschaften und großen Krankenkassen
tatsächlich betreten, und die privaten Versicherungen sowie auch Eisenbahn¬
behörden wissen davon ein lautes Lied zu singen. Für die Bahnen mit
ihren großen Ansätzen machen diese Posten wenig aus; wenn aber Arbeiter¬
zwangsversicherungen sie decken sollen, wird man da nicht bald vor der Un-
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