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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Der Übergang der Niederlande zur Schutzzollpolitik

Auch Großbritannien machte Belgien und Preußen 1865 dasselbe Zugeständnis,
da die Verträge mit beiden Staaten die auf ausdrückliches Verlangen Englands
hin aufgenommene Klausel enthielten, daß die Waren der Vertragsstaaten in
den britischen Besitzungen in Übersee nicht schlechter behandelt werden sollten
als die gleichartigen des Mutterlandes. Allein die Verhältnisse haben sich ver¬
ändert, und 1897 erfolgte die Kündigung des englisch-belgischen und englisch¬
deutschen Handelsvertrages lediglich jener Klauseln wegen. Ob wir deshalb
beim Abschluß eines neuen Vertrages ein derartiges Zugeständnis von den
Niederlanden wiedererlangen, ist doch sehr zweifelhaft, besonders da das Deutsche
Reich seitdem ebenfalls in die Reihe der Kolonialstaaten getreten ist und Holland
das gleiche Recht für seine Waren und Schiffe im Verkehr mit unseren Kolonien
fordern dürfte. Wenn das Deutsche Reich den Handelsvertrag mit den Nieder¬
landen, der nur in Form eines Tarifvertrages zustande kommen kann, auch auf
seine Schutzgebiete ausdehnte, wird es nicht umhin können, bei dem Abschluß
späterer Verträge die Kolonien ein für allemal an den Rechten der Handels¬
verträge teilnehmen zu lassen. Jedenfalls werden unsere Unterhändler alles
vermeiden müssen, was die jetzige zollpolitische Gleichstellung deutscher Waren
und Schiffe in den niederländischen Kolonien mit den Waren und Schiffen des
Mutterlandes irgendwie gefährden könnte.

Der SpezialHandel Deutschlands mit Holland und den holländischen Kolonien
gestaltete sich in den letzten Jahren (in Millionen Mark) wie folgt: Es betrug die

Einfuhr aus1893190419071909
den Niederlanden.....137212228263
den niederländischen Kolonien .63100188136
Zusammen:260312416433
Ausfuhr nach1839190419071909
den Niederlanden ....321410452454
den niederländischen Kolonien .21284441
Zusammen:342438496435

Hiernach ist unsere Einfuhr aus den Niederlanden und den niederländischen
Kolonien in den letzten zehn Jahren um 179 Millionen Mark oder 69 Prozent
gestiegen, unsere Ausfuhr nach dort um 153 Millionen Mark oder 45 Prozent.
Bezeichnend an der Einfuhr ist, daß sie überwiegend aus Erzeugnissen der
Landwirtschaft und Fischerei besteht, während sich die Ausfuhr außer Kohlen
vornehmlich aus Fertigfabrikaten der Eisen- und Textilindustrie zusammensetzt.
Wenn demnach jetzt die Niederlande Zölle zum Schutze der nationalen Arbeit
einführen wollen, werden sie die Hoffnung haben, sich von: Bezüge ausländischer
Halb- und Fertigfabrikate möglichst unabhängig zu machen. Allein Holland
wolle nicht vergessen, daß es für seine Fabrikate nur einen verhältnismäßig
kleinen Jnlandsmarkt hat und deshalb auf die Ausfuhr angewiesen ist, wenn
es durch den Übergang zum industriellen Großbetrieb sich wettbewerbsfähig
erhalten will. Eine Ausfuhr nach Deutschland und Belgien wird durch hohe
Zollmauern sehr erschwert, der englische Markt dürfte die längste Zeit ohne


Der Übergang der Niederlande zur Schutzzollpolitik

Auch Großbritannien machte Belgien und Preußen 1865 dasselbe Zugeständnis,
da die Verträge mit beiden Staaten die auf ausdrückliches Verlangen Englands
hin aufgenommene Klausel enthielten, daß die Waren der Vertragsstaaten in
den britischen Besitzungen in Übersee nicht schlechter behandelt werden sollten
als die gleichartigen des Mutterlandes. Allein die Verhältnisse haben sich ver¬
ändert, und 1897 erfolgte die Kündigung des englisch-belgischen und englisch¬
deutschen Handelsvertrages lediglich jener Klauseln wegen. Ob wir deshalb
beim Abschluß eines neuen Vertrages ein derartiges Zugeständnis von den
Niederlanden wiedererlangen, ist doch sehr zweifelhaft, besonders da das Deutsche
Reich seitdem ebenfalls in die Reihe der Kolonialstaaten getreten ist und Holland
das gleiche Recht für seine Waren und Schiffe im Verkehr mit unseren Kolonien
fordern dürfte. Wenn das Deutsche Reich den Handelsvertrag mit den Nieder¬
landen, der nur in Form eines Tarifvertrages zustande kommen kann, auch auf
seine Schutzgebiete ausdehnte, wird es nicht umhin können, bei dem Abschluß
späterer Verträge die Kolonien ein für allemal an den Rechten der Handels¬
verträge teilnehmen zu lassen. Jedenfalls werden unsere Unterhändler alles
vermeiden müssen, was die jetzige zollpolitische Gleichstellung deutscher Waren
und Schiffe in den niederländischen Kolonien mit den Waren und Schiffen des
Mutterlandes irgendwie gefährden könnte.

Der SpezialHandel Deutschlands mit Holland und den holländischen Kolonien
gestaltete sich in den letzten Jahren (in Millionen Mark) wie folgt: Es betrug die

Einfuhr aus1893190419071909
den Niederlanden.....137212228263
den niederländischen Kolonien .63100188136
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Ausfuhr nach1839190419071909
den Niederlanden ....321410452454
den niederländischen Kolonien .21284441
Zusammen:342438496435

Hiernach ist unsere Einfuhr aus den Niederlanden und den niederländischen
Kolonien in den letzten zehn Jahren um 179 Millionen Mark oder 69 Prozent
gestiegen, unsere Ausfuhr nach dort um 153 Millionen Mark oder 45 Prozent.
Bezeichnend an der Einfuhr ist, daß sie überwiegend aus Erzeugnissen der
Landwirtschaft und Fischerei besteht, während sich die Ausfuhr außer Kohlen
vornehmlich aus Fertigfabrikaten der Eisen- und Textilindustrie zusammensetzt.
Wenn demnach jetzt die Niederlande Zölle zum Schutze der nationalen Arbeit
einführen wollen, werden sie die Hoffnung haben, sich von: Bezüge ausländischer
Halb- und Fertigfabrikate möglichst unabhängig zu machen. Allein Holland
wolle nicht vergessen, daß es für seine Fabrikate nur einen verhältnismäßig
kleinen Jnlandsmarkt hat und deshalb auf die Ausfuhr angewiesen ist, wenn
es durch den Übergang zum industriellen Großbetrieb sich wettbewerbsfähig
erhalten will. Eine Ausfuhr nach Deutschland und Belgien wird durch hohe
Zollmauern sehr erschwert, der englische Markt dürfte die längste Zeit ohne


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[0608] Der Übergang der Niederlande zur Schutzzollpolitik Auch Großbritannien machte Belgien und Preußen 1865 dasselbe Zugeständnis, da die Verträge mit beiden Staaten die auf ausdrückliches Verlangen Englands hin aufgenommene Klausel enthielten, daß die Waren der Vertragsstaaten in den britischen Besitzungen in Übersee nicht schlechter behandelt werden sollten als die gleichartigen des Mutterlandes. Allein die Verhältnisse haben sich ver¬ ändert, und 1897 erfolgte die Kündigung des englisch-belgischen und englisch¬ deutschen Handelsvertrages lediglich jener Klauseln wegen. Ob wir deshalb beim Abschluß eines neuen Vertrages ein derartiges Zugeständnis von den Niederlanden wiedererlangen, ist doch sehr zweifelhaft, besonders da das Deutsche Reich seitdem ebenfalls in die Reihe der Kolonialstaaten getreten ist und Holland das gleiche Recht für seine Waren und Schiffe im Verkehr mit unseren Kolonien fordern dürfte. Wenn das Deutsche Reich den Handelsvertrag mit den Nieder¬ landen, der nur in Form eines Tarifvertrages zustande kommen kann, auch auf seine Schutzgebiete ausdehnte, wird es nicht umhin können, bei dem Abschluß späterer Verträge die Kolonien ein für allemal an den Rechten der Handels¬ verträge teilnehmen zu lassen. Jedenfalls werden unsere Unterhändler alles vermeiden müssen, was die jetzige zollpolitische Gleichstellung deutscher Waren und Schiffe in den niederländischen Kolonien mit den Waren und Schiffen des Mutterlandes irgendwie gefährden könnte. Der SpezialHandel Deutschlands mit Holland und den holländischen Kolonien gestaltete sich in den letzten Jahren (in Millionen Mark) wie folgt: Es betrug die Einfuhr aus1893190419071909 den Niederlanden.....137212228263 den niederländischen Kolonien .63100188136 Zusammen:260312416433 Ausfuhr nach1839190419071909 den Niederlanden ....321410452454 den niederländischen Kolonien .21284441 Zusammen:342438496435 Hiernach ist unsere Einfuhr aus den Niederlanden und den niederländischen Kolonien in den letzten zehn Jahren um 179 Millionen Mark oder 69 Prozent gestiegen, unsere Ausfuhr nach dort um 153 Millionen Mark oder 45 Prozent. Bezeichnend an der Einfuhr ist, daß sie überwiegend aus Erzeugnissen der Landwirtschaft und Fischerei besteht, während sich die Ausfuhr außer Kohlen vornehmlich aus Fertigfabrikaten der Eisen- und Textilindustrie zusammensetzt. Wenn demnach jetzt die Niederlande Zölle zum Schutze der nationalen Arbeit einführen wollen, werden sie die Hoffnung haben, sich von: Bezüge ausländischer Halb- und Fertigfabrikate möglichst unabhängig zu machen. Allein Holland wolle nicht vergessen, daß es für seine Fabrikate nur einen verhältnismäßig kleinen Jnlandsmarkt hat und deshalb auf die Ausfuhr angewiesen ist, wenn es durch den Übergang zum industriellen Großbetrieb sich wettbewerbsfähig erhalten will. Eine Ausfuhr nach Deutschland und Belgien wird durch hohe Zollmauern sehr erschwert, der englische Markt dürfte die längste Zeit ohne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/608>, abgerufen am 23.07.2024.