Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Übergang der Niederlande zur Schutzzollpolitik

belegt werden und die Ganzfabrikate mit 5 bis 6 Prozent. Von den Ausfuhr¬
zöllen blieb der auf Lumpen jedoch noch bis 1862 im Interesse der einheimischen
Papierfabrikation bestehen. Als jedoch die meisten europäischen Staaten in den
siebziger Jahren eine neue handelspolitische Richtung einschlugen, machten die
Niederlande nicht mit, sondern bekannten sich vielmehr 1877 durch einen noch
liberaleren Tarif zu den alten Anschauungen, indem von 131 Positionen
31 gestrichen wurden. Ja, 1892 konnten zwei der Regierung nahestehende
Schriftsteller noch behaupten, es sei nicht wahrscheinlich, daß die Niederlande
ihre freihändlerische Gesetzgebung in protektionistischem Sinne abändern würden,
da die Freihändler in der Zweiten Kammer wie in Handelskreisen allzu stark
vertreten seien*). Aber die Verhältnisse haben sich auch in den Niederlanden
geändert. Schon in den ersten Monaten seines Bestehens verkündigte das kon¬
servative Ministerium Kuijper durch die Thronrede vom 17. September 1901
vor den Staren-Generaal, daß die sozialen Reformen nur durch höhere Staats¬
einkünfte möglich seien und in erster Linie eine Revision des Zolltarifs angestrebt
werden müsse, bei welcher zugleich der Schutz der nationalen Arbeit zu erhöhen
wäre**). Allein der den Kammern in diesen: Sinne am 1. März 1904 vor¬
gelegte Entwurf eines neuen Zollgesetzes wurde, da das Ministerium 1905
gestürzt wurde, nicht Gesetz, und erst die neuen Wahlen von 1909 brachten der
Rechten wieder eine solche Mehrheit, daß die Liberalen auf Jahre hinaus von
der Regierungsfähigkeit abgedrängt zu fein scheinen. Die neue Regierungs¬
partei nahm unverzüglich ihr früheres schutzzöllnerisches Programm wieder auf,
und ihr nahestehende Blätter wußten zu melden, daß ein Zolltarif geschaffen
werden solle, der einen radikalen Bruch mit dem bisherigen Freihandelssystem
bedeute. Die Ankündigung des Entwurfs eines neuen Zollgesetzes durch die
Thronrede vom 20. September d. Is, kommt demnach nicht überraschend.

Da der deutsch-niederländische Warenaustausch einen ziemlichen Umfang
hat und die Holländer mit keinem anderen Staate einen solch lebhaften Handels¬
verkehr unterhalten wie mit uns, haben beide Länder schon frühzeitig ein
entsprechendes Abkommen geschlossen. Der jetzt bestehende deutsch-niederländische
Handels- und Schiffahrtsvertrag stammt bereits aus dein Jahre 1851
(31. Dezember) und ist in vieler Hinsicht veraltet, da es Preußen in diesem
wie in so manchen anderen Verträgen der damaligen Zeit nicht gelang, auch
nur seine berechtigtsten Wünsche durchzusetzen. Aber man muß aus den Ver¬
hältnissen heraus diese Tatsachen erklären. Die Bemühungen Schwarzenbergs,
Österreich in den Zollverein aufzunehmen und ihm die Führung zu übertragen,
die scharfe Frontstellung der schutzzöllnerischen Südstaaten gegen das freihänd¬
lerische Preußen, dazu die mangelnde Macht und Einheit des Zollvereins
überhaupt: das alles sind erklärende Ursachen dafür, daß bei Handelsvertrags-




*) Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 49, S, 2S3 (de RSus und Ende).
Volkswirtschaftliche Chronik der "Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik",
1901, S, 377 und 1904, S, 167.
Der Übergang der Niederlande zur Schutzzollpolitik

belegt werden und die Ganzfabrikate mit 5 bis 6 Prozent. Von den Ausfuhr¬
zöllen blieb der auf Lumpen jedoch noch bis 1862 im Interesse der einheimischen
Papierfabrikation bestehen. Als jedoch die meisten europäischen Staaten in den
siebziger Jahren eine neue handelspolitische Richtung einschlugen, machten die
Niederlande nicht mit, sondern bekannten sich vielmehr 1877 durch einen noch
liberaleren Tarif zu den alten Anschauungen, indem von 131 Positionen
31 gestrichen wurden. Ja, 1892 konnten zwei der Regierung nahestehende
Schriftsteller noch behaupten, es sei nicht wahrscheinlich, daß die Niederlande
ihre freihändlerische Gesetzgebung in protektionistischem Sinne abändern würden,
da die Freihändler in der Zweiten Kammer wie in Handelskreisen allzu stark
vertreten seien*). Aber die Verhältnisse haben sich auch in den Niederlanden
geändert. Schon in den ersten Monaten seines Bestehens verkündigte das kon¬
servative Ministerium Kuijper durch die Thronrede vom 17. September 1901
vor den Staren-Generaal, daß die sozialen Reformen nur durch höhere Staats¬
einkünfte möglich seien und in erster Linie eine Revision des Zolltarifs angestrebt
werden müsse, bei welcher zugleich der Schutz der nationalen Arbeit zu erhöhen
wäre**). Allein der den Kammern in diesen: Sinne am 1. März 1904 vor¬
gelegte Entwurf eines neuen Zollgesetzes wurde, da das Ministerium 1905
gestürzt wurde, nicht Gesetz, und erst die neuen Wahlen von 1909 brachten der
Rechten wieder eine solche Mehrheit, daß die Liberalen auf Jahre hinaus von
der Regierungsfähigkeit abgedrängt zu fein scheinen. Die neue Regierungs¬
partei nahm unverzüglich ihr früheres schutzzöllnerisches Programm wieder auf,
und ihr nahestehende Blätter wußten zu melden, daß ein Zolltarif geschaffen
werden solle, der einen radikalen Bruch mit dem bisherigen Freihandelssystem
bedeute. Die Ankündigung des Entwurfs eines neuen Zollgesetzes durch die
Thronrede vom 20. September d. Is, kommt demnach nicht überraschend.

Da der deutsch-niederländische Warenaustausch einen ziemlichen Umfang
hat und die Holländer mit keinem anderen Staate einen solch lebhaften Handels¬
verkehr unterhalten wie mit uns, haben beide Länder schon frühzeitig ein
entsprechendes Abkommen geschlossen. Der jetzt bestehende deutsch-niederländische
Handels- und Schiffahrtsvertrag stammt bereits aus dein Jahre 1851
(31. Dezember) und ist in vieler Hinsicht veraltet, da es Preußen in diesem
wie in so manchen anderen Verträgen der damaligen Zeit nicht gelang, auch
nur seine berechtigtsten Wünsche durchzusetzen. Aber man muß aus den Ver¬
hältnissen heraus diese Tatsachen erklären. Die Bemühungen Schwarzenbergs,
Österreich in den Zollverein aufzunehmen und ihm die Führung zu übertragen,
die scharfe Frontstellung der schutzzöllnerischen Südstaaten gegen das freihänd¬
lerische Preußen, dazu die mangelnde Macht und Einheit des Zollvereins
überhaupt: das alles sind erklärende Ursachen dafür, daß bei Handelsvertrags-




*) Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 49, S, 2S3 (de RSus und Ende).
Volkswirtschaftliche Chronik der „Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik",
1901, S, 377 und 1904, S, 167.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0606" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317557"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Übergang der Niederlande zur Schutzzollpolitik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2931" prev="#ID_2930"> belegt werden und die Ganzfabrikate mit 5 bis 6 Prozent. Von den Ausfuhr¬<lb/>
zöllen blieb der auf Lumpen jedoch noch bis 1862 im Interesse der einheimischen<lb/>
Papierfabrikation bestehen. Als jedoch die meisten europäischen Staaten in den<lb/>
siebziger Jahren eine neue handelspolitische Richtung einschlugen, machten die<lb/>
Niederlande nicht mit, sondern bekannten sich vielmehr 1877 durch einen noch<lb/>
liberaleren Tarif zu den alten Anschauungen, indem von 131 Positionen<lb/>
31 gestrichen wurden. Ja, 1892 konnten zwei der Regierung nahestehende<lb/>
Schriftsteller noch behaupten, es sei nicht wahrscheinlich, daß die Niederlande<lb/>
ihre freihändlerische Gesetzgebung in protektionistischem Sinne abändern würden,<lb/>
da die Freihändler in der Zweiten Kammer wie in Handelskreisen allzu stark<lb/>
vertreten seien*). Aber die Verhältnisse haben sich auch in den Niederlanden<lb/>
geändert. Schon in den ersten Monaten seines Bestehens verkündigte das kon¬<lb/>
servative Ministerium Kuijper durch die Thronrede vom 17. September 1901<lb/>
vor den Staren-Generaal, daß die sozialen Reformen nur durch höhere Staats¬<lb/>
einkünfte möglich seien und in erster Linie eine Revision des Zolltarifs angestrebt<lb/>
werden müsse, bei welcher zugleich der Schutz der nationalen Arbeit zu erhöhen<lb/>
wäre**). Allein der den Kammern in diesen: Sinne am 1. März 1904 vor¬<lb/>
gelegte Entwurf eines neuen Zollgesetzes wurde, da das Ministerium 1905<lb/>
gestürzt wurde, nicht Gesetz, und erst die neuen Wahlen von 1909 brachten der<lb/>
Rechten wieder eine solche Mehrheit, daß die Liberalen auf Jahre hinaus von<lb/>
der Regierungsfähigkeit abgedrängt zu fein scheinen. Die neue Regierungs¬<lb/>
partei nahm unverzüglich ihr früheres schutzzöllnerisches Programm wieder auf,<lb/>
und ihr nahestehende Blätter wußten zu melden, daß ein Zolltarif geschaffen<lb/>
werden solle, der einen radikalen Bruch mit dem bisherigen Freihandelssystem<lb/>
bedeute. Die Ankündigung des Entwurfs eines neuen Zollgesetzes durch die<lb/>
Thronrede vom 20. September d. Is, kommt demnach nicht überraschend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2932" next="#ID_2933"> Da der deutsch-niederländische Warenaustausch einen ziemlichen Umfang<lb/>
hat und die Holländer mit keinem anderen Staate einen solch lebhaften Handels¬<lb/>
verkehr unterhalten wie mit uns, haben beide Länder schon frühzeitig ein<lb/>
entsprechendes Abkommen geschlossen. Der jetzt bestehende deutsch-niederländische<lb/>
Handels- und Schiffahrtsvertrag stammt bereits aus dein Jahre 1851<lb/>
(31. Dezember) und ist in vieler Hinsicht veraltet, da es Preußen in diesem<lb/>
wie in so manchen anderen Verträgen der damaligen Zeit nicht gelang, auch<lb/>
nur seine berechtigtsten Wünsche durchzusetzen. Aber man muß aus den Ver¬<lb/>
hältnissen heraus diese Tatsachen erklären. Die Bemühungen Schwarzenbergs,<lb/>
Österreich in den Zollverein aufzunehmen und ihm die Führung zu übertragen,<lb/>
die scharfe Frontstellung der schutzzöllnerischen Südstaaten gegen das freihänd¬<lb/>
lerische Preußen, dazu die mangelnde Macht und Einheit des Zollvereins<lb/>
überhaupt: das alles sind erklärende Ursachen dafür, daß bei Handelsvertrags-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_42" place="foot"> *) Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 49, S, 2S3 (de RSus und Ende).</note><lb/>
          <note xml:id="FID_43" place="foot"> Volkswirtschaftliche Chronik der &#x201E;Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik",<lb/>
1901, S, 377 und 1904, S, 167.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0606] Der Übergang der Niederlande zur Schutzzollpolitik belegt werden und die Ganzfabrikate mit 5 bis 6 Prozent. Von den Ausfuhr¬ zöllen blieb der auf Lumpen jedoch noch bis 1862 im Interesse der einheimischen Papierfabrikation bestehen. Als jedoch die meisten europäischen Staaten in den siebziger Jahren eine neue handelspolitische Richtung einschlugen, machten die Niederlande nicht mit, sondern bekannten sich vielmehr 1877 durch einen noch liberaleren Tarif zu den alten Anschauungen, indem von 131 Positionen 31 gestrichen wurden. Ja, 1892 konnten zwei der Regierung nahestehende Schriftsteller noch behaupten, es sei nicht wahrscheinlich, daß die Niederlande ihre freihändlerische Gesetzgebung in protektionistischem Sinne abändern würden, da die Freihändler in der Zweiten Kammer wie in Handelskreisen allzu stark vertreten seien*). Aber die Verhältnisse haben sich auch in den Niederlanden geändert. Schon in den ersten Monaten seines Bestehens verkündigte das kon¬ servative Ministerium Kuijper durch die Thronrede vom 17. September 1901 vor den Staren-Generaal, daß die sozialen Reformen nur durch höhere Staats¬ einkünfte möglich seien und in erster Linie eine Revision des Zolltarifs angestrebt werden müsse, bei welcher zugleich der Schutz der nationalen Arbeit zu erhöhen wäre**). Allein der den Kammern in diesen: Sinne am 1. März 1904 vor¬ gelegte Entwurf eines neuen Zollgesetzes wurde, da das Ministerium 1905 gestürzt wurde, nicht Gesetz, und erst die neuen Wahlen von 1909 brachten der Rechten wieder eine solche Mehrheit, daß die Liberalen auf Jahre hinaus von der Regierungsfähigkeit abgedrängt zu fein scheinen. Die neue Regierungs¬ partei nahm unverzüglich ihr früheres schutzzöllnerisches Programm wieder auf, und ihr nahestehende Blätter wußten zu melden, daß ein Zolltarif geschaffen werden solle, der einen radikalen Bruch mit dem bisherigen Freihandelssystem bedeute. Die Ankündigung des Entwurfs eines neuen Zollgesetzes durch die Thronrede vom 20. September d. Is, kommt demnach nicht überraschend. Da der deutsch-niederländische Warenaustausch einen ziemlichen Umfang hat und die Holländer mit keinem anderen Staate einen solch lebhaften Handels¬ verkehr unterhalten wie mit uns, haben beide Länder schon frühzeitig ein entsprechendes Abkommen geschlossen. Der jetzt bestehende deutsch-niederländische Handels- und Schiffahrtsvertrag stammt bereits aus dein Jahre 1851 (31. Dezember) und ist in vieler Hinsicht veraltet, da es Preußen in diesem wie in so manchen anderen Verträgen der damaligen Zeit nicht gelang, auch nur seine berechtigtsten Wünsche durchzusetzen. Aber man muß aus den Ver¬ hältnissen heraus diese Tatsachen erklären. Die Bemühungen Schwarzenbergs, Österreich in den Zollverein aufzunehmen und ihm die Führung zu übertragen, die scharfe Frontstellung der schutzzöllnerischen Südstaaten gegen das freihänd¬ lerische Preußen, dazu die mangelnde Macht und Einheit des Zollvereins überhaupt: das alles sind erklärende Ursachen dafür, daß bei Handelsvertrags- *) Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 49, S, 2S3 (de RSus und Ende). Volkswirtschaftliche Chronik der „Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik", 1901, S, 377 und 1904, S, 167.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/606
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/606>, abgerufen am 22.07.2024.