Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Lomenius-Gesellschaft

des von der Menschheit erarbeiteten Erkenntnisstoffes auf das heranwachsende
Geschlecht erblickt. Formalistisch gerichtet, wie die Schulorganismen der Gegen¬
wart sind, sehen ihre Methoden von einer planmäßigen Einwirkung auf die
Willensbildung meistens ab.

Es war mithin klar, daß der heutige Schulbetrieb für unser Unternehmen
schon deshalb eher ein Hindernis als eine Förderung darstellte, weil die üblichen
Methoden eher geneigt sind, die keimende Eigenart der Charaktere zu brechen,
als sie zu fördern, und damit die Ausbildung der Willensseite der menschlichen
Natur, wie sie uns vorschwebte, zu beeinträchtigen.

Trotz solcher Hemmnisse glaubten die vereinigten Freunde, daß wenigstens
der Versuch gewagt werden müsse. Sollte, so sagten wir uns, die Sache beim
ersten Versuch nicht gelingen, so konnte ein zweiter, der vielleicht unter günstigeren
Voraussetzungen unternommen wurde, sich auf die Erfahrungen des ersten stützen
und die Entwicklung der Dinge vielleicht erfolgreicher vorwärts führen.

Abgesehen von den sittlichen Werten, die hier auf dem Spiele standen,
waren es vor allein die Zustände und Bedürfnisse des öffentlichen, ins¬
besondere des staatlichen Lebens, die uns auf die Gefahr des Mißlingens hin zur
Aktion gleichsam zu drängen schien. Das allgemeine und gleiche Wahlrecht
beruft die breiten Massen zur Mitregierung des Staats und gibt ihnen ein
Mitbestimmungsrecht über das Wohl und Wehe der gesamten Nation. Dieses
Wahlrecht kann dazu beitragen, neue gewaltige nationale Kräfte auszulösen; es
muß aber in dem Augenblick zu einer höchst gefährlichen Waffe werden, wo
die Massen, die es auszuüben haben, des Gefühls der Selbstachtung und der
Verantwortung bar sind und von rohen Instinkten geleitet werden. Nicht also
nur das geistige Wohl und Wehe des einzelnen, sondern auch die Zukunft der
Nation schien die Lösung der Aufgabe oder doch den Versuch einer Lösung
dringend zu fordern, einen Versuch, der andersartige Wege zu gleichem Ziele
ja keineswegs beeinträchtigte.

Die Aufgabe ging, das lag offen am Tage, über die Kräfte einzelner
weit hinaus; es bedürfte dazu, wenn auch nur einiges erreicht werden sollte,
des Zusammenwirkens vieler und einer fortgesetzten, sozusagen täglichen Arbeit
einer in sich geschlossenen, zielbewußter Organisation geistig verwandter und
befreundeter Männer, und diese Arbeit durfte nicht bei den Alten, sondern sie
mußte bei den Jungen einsetzen, und auch den letzteren war nicht durch weise
Lehren, sondern nur durch große Vorbilder und durch gemeinsame Arbeit für
praktische Aufgaben und ideale Ziele wirksam beizukommen.

Indem wir den großen Gedanken des deutschen Idealismus des achtzehnten
Jahrhunderts, nämlich die Erziehung des Menschengeschlechts, zum Zielpunkt
wählten und die großen Vorbilder, die wir brauchten, unter den Vertretern
jenes Idealismus fanden, waren die Grundlagen für unser Unternehmen
gegeben, und am 28. März 1692 trat die Comenius-Gesellschaft ins Leben.
Gleich bei den ersten Schritten, die die neue Gesellschaft tat, wurde uns klar,


Die Lomenius-Gesellschaft

des von der Menschheit erarbeiteten Erkenntnisstoffes auf das heranwachsende
Geschlecht erblickt. Formalistisch gerichtet, wie die Schulorganismen der Gegen¬
wart sind, sehen ihre Methoden von einer planmäßigen Einwirkung auf die
Willensbildung meistens ab.

Es war mithin klar, daß der heutige Schulbetrieb für unser Unternehmen
schon deshalb eher ein Hindernis als eine Förderung darstellte, weil die üblichen
Methoden eher geneigt sind, die keimende Eigenart der Charaktere zu brechen,
als sie zu fördern, und damit die Ausbildung der Willensseite der menschlichen
Natur, wie sie uns vorschwebte, zu beeinträchtigen.

Trotz solcher Hemmnisse glaubten die vereinigten Freunde, daß wenigstens
der Versuch gewagt werden müsse. Sollte, so sagten wir uns, die Sache beim
ersten Versuch nicht gelingen, so konnte ein zweiter, der vielleicht unter günstigeren
Voraussetzungen unternommen wurde, sich auf die Erfahrungen des ersten stützen
und die Entwicklung der Dinge vielleicht erfolgreicher vorwärts führen.

Abgesehen von den sittlichen Werten, die hier auf dem Spiele standen,
waren es vor allein die Zustände und Bedürfnisse des öffentlichen, ins¬
besondere des staatlichen Lebens, die uns auf die Gefahr des Mißlingens hin zur
Aktion gleichsam zu drängen schien. Das allgemeine und gleiche Wahlrecht
beruft die breiten Massen zur Mitregierung des Staats und gibt ihnen ein
Mitbestimmungsrecht über das Wohl und Wehe der gesamten Nation. Dieses
Wahlrecht kann dazu beitragen, neue gewaltige nationale Kräfte auszulösen; es
muß aber in dem Augenblick zu einer höchst gefährlichen Waffe werden, wo
die Massen, die es auszuüben haben, des Gefühls der Selbstachtung und der
Verantwortung bar sind und von rohen Instinkten geleitet werden. Nicht also
nur das geistige Wohl und Wehe des einzelnen, sondern auch die Zukunft der
Nation schien die Lösung der Aufgabe oder doch den Versuch einer Lösung
dringend zu fordern, einen Versuch, der andersartige Wege zu gleichem Ziele
ja keineswegs beeinträchtigte.

Die Aufgabe ging, das lag offen am Tage, über die Kräfte einzelner
weit hinaus; es bedürfte dazu, wenn auch nur einiges erreicht werden sollte,
des Zusammenwirkens vieler und einer fortgesetzten, sozusagen täglichen Arbeit
einer in sich geschlossenen, zielbewußter Organisation geistig verwandter und
befreundeter Männer, und diese Arbeit durfte nicht bei den Alten, sondern sie
mußte bei den Jungen einsetzen, und auch den letzteren war nicht durch weise
Lehren, sondern nur durch große Vorbilder und durch gemeinsame Arbeit für
praktische Aufgaben und ideale Ziele wirksam beizukommen.

Indem wir den großen Gedanken des deutschen Idealismus des achtzehnten
Jahrhunderts, nämlich die Erziehung des Menschengeschlechts, zum Zielpunkt
wählten und die großen Vorbilder, die wir brauchten, unter den Vertretern
jenes Idealismus fanden, waren die Grundlagen für unser Unternehmen
gegeben, und am 28. März 1692 trat die Comenius-Gesellschaft ins Leben.
Gleich bei den ersten Schritten, die die neue Gesellschaft tat, wurde uns klar,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0574" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317525"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Lomenius-Gesellschaft</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2750" prev="#ID_2749"> des von der Menschheit erarbeiteten Erkenntnisstoffes auf das heranwachsende<lb/>
Geschlecht erblickt. Formalistisch gerichtet, wie die Schulorganismen der Gegen¬<lb/>
wart sind, sehen ihre Methoden von einer planmäßigen Einwirkung auf die<lb/>
Willensbildung meistens ab.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2751"> Es war mithin klar, daß der heutige Schulbetrieb für unser Unternehmen<lb/>
schon deshalb eher ein Hindernis als eine Förderung darstellte, weil die üblichen<lb/>
Methoden eher geneigt sind, die keimende Eigenart der Charaktere zu brechen,<lb/>
als sie zu fördern, und damit die Ausbildung der Willensseite der menschlichen<lb/>
Natur, wie sie uns vorschwebte, zu beeinträchtigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2752"> Trotz solcher Hemmnisse glaubten die vereinigten Freunde, daß wenigstens<lb/>
der Versuch gewagt werden müsse. Sollte, so sagten wir uns, die Sache beim<lb/>
ersten Versuch nicht gelingen, so konnte ein zweiter, der vielleicht unter günstigeren<lb/>
Voraussetzungen unternommen wurde, sich auf die Erfahrungen des ersten stützen<lb/>
und die Entwicklung der Dinge vielleicht erfolgreicher vorwärts führen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2753"> Abgesehen von den sittlichen Werten, die hier auf dem Spiele standen,<lb/>
waren es vor allein die Zustände und Bedürfnisse des öffentlichen, ins¬<lb/>
besondere des staatlichen Lebens, die uns auf die Gefahr des Mißlingens hin zur<lb/>
Aktion gleichsam zu drängen schien. Das allgemeine und gleiche Wahlrecht<lb/>
beruft die breiten Massen zur Mitregierung des Staats und gibt ihnen ein<lb/>
Mitbestimmungsrecht über das Wohl und Wehe der gesamten Nation. Dieses<lb/>
Wahlrecht kann dazu beitragen, neue gewaltige nationale Kräfte auszulösen; es<lb/>
muß aber in dem Augenblick zu einer höchst gefährlichen Waffe werden, wo<lb/>
die Massen, die es auszuüben haben, des Gefühls der Selbstachtung und der<lb/>
Verantwortung bar sind und von rohen Instinkten geleitet werden. Nicht also<lb/>
nur das geistige Wohl und Wehe des einzelnen, sondern auch die Zukunft der<lb/>
Nation schien die Lösung der Aufgabe oder doch den Versuch einer Lösung<lb/>
dringend zu fordern, einen Versuch, der andersartige Wege zu gleichem Ziele<lb/>
ja keineswegs beeinträchtigte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2754"> Die Aufgabe ging, das lag offen am Tage, über die Kräfte einzelner<lb/>
weit hinaus; es bedürfte dazu, wenn auch nur einiges erreicht werden sollte,<lb/>
des Zusammenwirkens vieler und einer fortgesetzten, sozusagen täglichen Arbeit<lb/>
einer in sich geschlossenen, zielbewußter Organisation geistig verwandter und<lb/>
befreundeter Männer, und diese Arbeit durfte nicht bei den Alten, sondern sie<lb/>
mußte bei den Jungen einsetzen, und auch den letzteren war nicht durch weise<lb/>
Lehren, sondern nur durch große Vorbilder und durch gemeinsame Arbeit für<lb/>
praktische Aufgaben und ideale Ziele wirksam beizukommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2755" next="#ID_2756"> Indem wir den großen Gedanken des deutschen Idealismus des achtzehnten<lb/>
Jahrhunderts, nämlich die Erziehung des Menschengeschlechts, zum Zielpunkt<lb/>
wählten und die großen Vorbilder, die wir brauchten, unter den Vertretern<lb/>
jenes Idealismus fanden, waren die Grundlagen für unser Unternehmen<lb/>
gegeben, und am 28. März 1692 trat die Comenius-Gesellschaft ins Leben.<lb/>
Gleich bei den ersten Schritten, die die neue Gesellschaft tat, wurde uns klar,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0574] Die Lomenius-Gesellschaft des von der Menschheit erarbeiteten Erkenntnisstoffes auf das heranwachsende Geschlecht erblickt. Formalistisch gerichtet, wie die Schulorganismen der Gegen¬ wart sind, sehen ihre Methoden von einer planmäßigen Einwirkung auf die Willensbildung meistens ab. Es war mithin klar, daß der heutige Schulbetrieb für unser Unternehmen schon deshalb eher ein Hindernis als eine Förderung darstellte, weil die üblichen Methoden eher geneigt sind, die keimende Eigenart der Charaktere zu brechen, als sie zu fördern, und damit die Ausbildung der Willensseite der menschlichen Natur, wie sie uns vorschwebte, zu beeinträchtigen. Trotz solcher Hemmnisse glaubten die vereinigten Freunde, daß wenigstens der Versuch gewagt werden müsse. Sollte, so sagten wir uns, die Sache beim ersten Versuch nicht gelingen, so konnte ein zweiter, der vielleicht unter günstigeren Voraussetzungen unternommen wurde, sich auf die Erfahrungen des ersten stützen und die Entwicklung der Dinge vielleicht erfolgreicher vorwärts führen. Abgesehen von den sittlichen Werten, die hier auf dem Spiele standen, waren es vor allein die Zustände und Bedürfnisse des öffentlichen, ins¬ besondere des staatlichen Lebens, die uns auf die Gefahr des Mißlingens hin zur Aktion gleichsam zu drängen schien. Das allgemeine und gleiche Wahlrecht beruft die breiten Massen zur Mitregierung des Staats und gibt ihnen ein Mitbestimmungsrecht über das Wohl und Wehe der gesamten Nation. Dieses Wahlrecht kann dazu beitragen, neue gewaltige nationale Kräfte auszulösen; es muß aber in dem Augenblick zu einer höchst gefährlichen Waffe werden, wo die Massen, die es auszuüben haben, des Gefühls der Selbstachtung und der Verantwortung bar sind und von rohen Instinkten geleitet werden. Nicht also nur das geistige Wohl und Wehe des einzelnen, sondern auch die Zukunft der Nation schien die Lösung der Aufgabe oder doch den Versuch einer Lösung dringend zu fordern, einen Versuch, der andersartige Wege zu gleichem Ziele ja keineswegs beeinträchtigte. Die Aufgabe ging, das lag offen am Tage, über die Kräfte einzelner weit hinaus; es bedürfte dazu, wenn auch nur einiges erreicht werden sollte, des Zusammenwirkens vieler und einer fortgesetzten, sozusagen täglichen Arbeit einer in sich geschlossenen, zielbewußter Organisation geistig verwandter und befreundeter Männer, und diese Arbeit durfte nicht bei den Alten, sondern sie mußte bei den Jungen einsetzen, und auch den letzteren war nicht durch weise Lehren, sondern nur durch große Vorbilder und durch gemeinsame Arbeit für praktische Aufgaben und ideale Ziele wirksam beizukommen. Indem wir den großen Gedanken des deutschen Idealismus des achtzehnten Jahrhunderts, nämlich die Erziehung des Menschengeschlechts, zum Zielpunkt wählten und die großen Vorbilder, die wir brauchten, unter den Vertretern jenes Idealismus fanden, waren die Grundlagen für unser Unternehmen gegeben, und am 28. März 1692 trat die Comenius-Gesellschaft ins Leben. Gleich bei den ersten Schritten, die die neue Gesellschaft tat, wurde uns klar,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/574
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/574>, abgerufen am 25.08.2024.