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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Die Völker des Alten Testaments

Belagerungskriege ungeübten Truppen zum Opfer. Die Stadt wurde auf Josuas
Befehl vollständig zerstört, die Einwohner sämtlich erschlagen, alle bewegliche
Habe der Bewohner entweder verbrannt oder, soweit es sich um Metallgeräte usw.
handelte, als Beute fortgeführt.

Die soeben beendigten, im Auftrage der Deutschen Orientgesellschaft ver¬
anstalteten Ausgrabungen haben uns nun gezeigt, daß Jericho ganz außer¬
ordentlich stark befestigt war. Ein doppelter Mauerring umzog die ganze Stadt,
so hoch und fest, daß sie unter Voraussetzung der Kampfmittel jener Zeit
uneinnehmbar war. Die Art, wie die Mauern zerstört, wie namentlich die Tor¬
anlagen demoliert sind, vor allen Dingen aber die mächtige Brandschicht, die
alles bedeckt, zeigen, daß Jericho trotzdem einer Katastrophe zum Opfer gefallen
und tatsächlich von den Juden eingenommen worden ist. Wie dies möglich
war, entzieht sich natürlich unserer Kenntnis, wahrscheinlich wird die Stadt
durch Verrat gefallen sein, worauf die Episode mit der Rcchab hinzudeuten
scheint. Auch daß die Verwüstung und Zerstörung Jerichos in radikalster Weise
geschah, wie das Alte Testament berichtet, haben die Ausgrabungen gezeigt.
Im Vergleich zu anderen Ausgrabungsstätten sind Einzelfunde nämlich äußerst
spärlich zutage getreten. Selbst keramische Erzeugnisse wurden nicht viel gefunden,
Bronze und Metallgerät fehlen gänzlich.

Anders geartet waren die Ergebnisse der Forschungen in Gezer, entsprechend
dem verschiedenartigen Schicksal der beiden Städte. Der König Horam von
Gezer zieht nach der Überlieferung (Jos. 10, 33) mit dem Könige von Lachisch
gegen Josen zu Felde. Gezer fällt, wird aber nicht von Grund aus zerstör),
sondern erhält neben der eingesessener kananitischen Bevölkerung eine jüdische
Ansiedlung (Jos. 16, 10). Zu Davids Zeit gehört Gezer schon wieder den
Philistern (2. Sam. 5, 25; 1. Chron. 20, 4), und erst der ägyptische Oberherr
Scheschonk gab die Stadt als Morgengabe seiner Tochter an Salomo.

Die kananitische Kultur wurde an dieser Stätte durch die eindringenden
Jsraeliten also nicht zerstört, und zahlreiche Reste sind infolgedessen durch die
englischen Ausgrabungen ans Tageslicht gefördert worden. Das überraschendste
Ergebnis war ein altkananitisches Heiligtum, das im nordwestlichen Teile Gezers
in Gestalt einer Reihe ganz gewaltiger Steinpfeiler zutage kam. Auf einem
gemeinsamen, nur etwas über 2 in breiten und 30 in langen Trottoir stehen
heute noch acht an Form und Größe verschiedene Steinpfeiler, zwei iveitere
sind in ihren Resten noch zu erkennen, und ein anderer liegt gestürzt am Boden.
Die Höhe der Pfeiler schwankt zwischen 1,65 in und 3,28 in, und alle stehen
mit der geglätteten Vorderseite nach Westen. Die Spitze des kleinsten Pfeilers
hat eine eigentümlich dunkle glatte Oberfläche, wie sie durch vieles Salben und
Beziehen mit Blut, Öl usw. zu entstehen pflegt. Die Sitte, solche Steine
zu salben, ist uns ja mehrfach aus dem Alten Testament bezeugt, z. B.
Genesis 28,18 oder 35,14: "Jakob aber richtete ein steinernes Mal auf an dem Ort,
da er mit ihm geredet hatte, und goß Trankopfer darauf und begoß ihn mit Öl."


Die Völker des Alten Testaments

Belagerungskriege ungeübten Truppen zum Opfer. Die Stadt wurde auf Josuas
Befehl vollständig zerstört, die Einwohner sämtlich erschlagen, alle bewegliche
Habe der Bewohner entweder verbrannt oder, soweit es sich um Metallgeräte usw.
handelte, als Beute fortgeführt.

Die soeben beendigten, im Auftrage der Deutschen Orientgesellschaft ver¬
anstalteten Ausgrabungen haben uns nun gezeigt, daß Jericho ganz außer¬
ordentlich stark befestigt war. Ein doppelter Mauerring umzog die ganze Stadt,
so hoch und fest, daß sie unter Voraussetzung der Kampfmittel jener Zeit
uneinnehmbar war. Die Art, wie die Mauern zerstört, wie namentlich die Tor¬
anlagen demoliert sind, vor allen Dingen aber die mächtige Brandschicht, die
alles bedeckt, zeigen, daß Jericho trotzdem einer Katastrophe zum Opfer gefallen
und tatsächlich von den Juden eingenommen worden ist. Wie dies möglich
war, entzieht sich natürlich unserer Kenntnis, wahrscheinlich wird die Stadt
durch Verrat gefallen sein, worauf die Episode mit der Rcchab hinzudeuten
scheint. Auch daß die Verwüstung und Zerstörung Jerichos in radikalster Weise
geschah, wie das Alte Testament berichtet, haben die Ausgrabungen gezeigt.
Im Vergleich zu anderen Ausgrabungsstätten sind Einzelfunde nämlich äußerst
spärlich zutage getreten. Selbst keramische Erzeugnisse wurden nicht viel gefunden,
Bronze und Metallgerät fehlen gänzlich.

Anders geartet waren die Ergebnisse der Forschungen in Gezer, entsprechend
dem verschiedenartigen Schicksal der beiden Städte. Der König Horam von
Gezer zieht nach der Überlieferung (Jos. 10, 33) mit dem Könige von Lachisch
gegen Josen zu Felde. Gezer fällt, wird aber nicht von Grund aus zerstör),
sondern erhält neben der eingesessener kananitischen Bevölkerung eine jüdische
Ansiedlung (Jos. 16, 10). Zu Davids Zeit gehört Gezer schon wieder den
Philistern (2. Sam. 5, 25; 1. Chron. 20, 4), und erst der ägyptische Oberherr
Scheschonk gab die Stadt als Morgengabe seiner Tochter an Salomo.

Die kananitische Kultur wurde an dieser Stätte durch die eindringenden
Jsraeliten also nicht zerstört, und zahlreiche Reste sind infolgedessen durch die
englischen Ausgrabungen ans Tageslicht gefördert worden. Das überraschendste
Ergebnis war ein altkananitisches Heiligtum, das im nordwestlichen Teile Gezers
in Gestalt einer Reihe ganz gewaltiger Steinpfeiler zutage kam. Auf einem
gemeinsamen, nur etwas über 2 in breiten und 30 in langen Trottoir stehen
heute noch acht an Form und Größe verschiedene Steinpfeiler, zwei iveitere
sind in ihren Resten noch zu erkennen, und ein anderer liegt gestürzt am Boden.
Die Höhe der Pfeiler schwankt zwischen 1,65 in und 3,28 in, und alle stehen
mit der geglätteten Vorderseite nach Westen. Die Spitze des kleinsten Pfeilers
hat eine eigentümlich dunkle glatte Oberfläche, wie sie durch vieles Salben und
Beziehen mit Blut, Öl usw. zu entstehen pflegt. Die Sitte, solche Steine
zu salben, ist uns ja mehrfach aus dem Alten Testament bezeugt, z. B.
Genesis 28,18 oder 35,14: „Jakob aber richtete ein steinernes Mal auf an dem Ort,
da er mit ihm geredet hatte, und goß Trankopfer darauf und begoß ihn mit Öl."


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[0569] Die Völker des Alten Testaments Belagerungskriege ungeübten Truppen zum Opfer. Die Stadt wurde auf Josuas Befehl vollständig zerstört, die Einwohner sämtlich erschlagen, alle bewegliche Habe der Bewohner entweder verbrannt oder, soweit es sich um Metallgeräte usw. handelte, als Beute fortgeführt. Die soeben beendigten, im Auftrage der Deutschen Orientgesellschaft ver¬ anstalteten Ausgrabungen haben uns nun gezeigt, daß Jericho ganz außer¬ ordentlich stark befestigt war. Ein doppelter Mauerring umzog die ganze Stadt, so hoch und fest, daß sie unter Voraussetzung der Kampfmittel jener Zeit uneinnehmbar war. Die Art, wie die Mauern zerstört, wie namentlich die Tor¬ anlagen demoliert sind, vor allen Dingen aber die mächtige Brandschicht, die alles bedeckt, zeigen, daß Jericho trotzdem einer Katastrophe zum Opfer gefallen und tatsächlich von den Juden eingenommen worden ist. Wie dies möglich war, entzieht sich natürlich unserer Kenntnis, wahrscheinlich wird die Stadt durch Verrat gefallen sein, worauf die Episode mit der Rcchab hinzudeuten scheint. Auch daß die Verwüstung und Zerstörung Jerichos in radikalster Weise geschah, wie das Alte Testament berichtet, haben die Ausgrabungen gezeigt. Im Vergleich zu anderen Ausgrabungsstätten sind Einzelfunde nämlich äußerst spärlich zutage getreten. Selbst keramische Erzeugnisse wurden nicht viel gefunden, Bronze und Metallgerät fehlen gänzlich. Anders geartet waren die Ergebnisse der Forschungen in Gezer, entsprechend dem verschiedenartigen Schicksal der beiden Städte. Der König Horam von Gezer zieht nach der Überlieferung (Jos. 10, 33) mit dem Könige von Lachisch gegen Josen zu Felde. Gezer fällt, wird aber nicht von Grund aus zerstör), sondern erhält neben der eingesessener kananitischen Bevölkerung eine jüdische Ansiedlung (Jos. 16, 10). Zu Davids Zeit gehört Gezer schon wieder den Philistern (2. Sam. 5, 25; 1. Chron. 20, 4), und erst der ägyptische Oberherr Scheschonk gab die Stadt als Morgengabe seiner Tochter an Salomo. Die kananitische Kultur wurde an dieser Stätte durch die eindringenden Jsraeliten also nicht zerstört, und zahlreiche Reste sind infolgedessen durch die englischen Ausgrabungen ans Tageslicht gefördert worden. Das überraschendste Ergebnis war ein altkananitisches Heiligtum, das im nordwestlichen Teile Gezers in Gestalt einer Reihe ganz gewaltiger Steinpfeiler zutage kam. Auf einem gemeinsamen, nur etwas über 2 in breiten und 30 in langen Trottoir stehen heute noch acht an Form und Größe verschiedene Steinpfeiler, zwei iveitere sind in ihren Resten noch zu erkennen, und ein anderer liegt gestürzt am Boden. Die Höhe der Pfeiler schwankt zwischen 1,65 in und 3,28 in, und alle stehen mit der geglätteten Vorderseite nach Westen. Die Spitze des kleinsten Pfeilers hat eine eigentümlich dunkle glatte Oberfläche, wie sie durch vieles Salben und Beziehen mit Blut, Öl usw. zu entstehen pflegt. Die Sitte, solche Steine zu salben, ist uns ja mehrfach aus dem Alten Testament bezeugt, z. B. Genesis 28,18 oder 35,14: „Jakob aber richtete ein steinernes Mal auf an dem Ort, da er mit ihm geredet hatte, und goß Trankopfer darauf und begoß ihn mit Öl."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/569>, abgerufen am 01.07.2024.