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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Die Völker des Alten Testaments

Schon Thutmosis der Dritte hatte die Söhne der kleinen Könige in
Palästina vielfach mit sich nach Theben genommen. Dort wurden sie erzogen
und mit der ägyptischen Kultur vertraut, und wenn dann ein König starb, so
"ließ Seine Majestät seinen Sohn an seine Stelle treten". Dazu kamen noch
die regen Handelsverbindungen, die seit alters zwischen Ägypten und Syrien
bestanden, und die jetzt nur noch an Bedeutung gewannen. Angesichts dieser
Tatsachen ist es durchaus nicht zu verwundern, daß unter den gefundenen
Gegenständen aus der zweiten Hälfte des zweiten Jahrtausends so manche
ägyptisch sind oder ägyptisierend, d. h. sich als lokale Nachbildungen importierter
Stücke ausweisen. In Megiddo fand sich z. B. in der Brandschicht sogar ein
aus solchen Gegenständen bestehender vergrabener Schatz. Ein vierhenkeliger
Krug war rings von Steinen sorgfältig umstellt und angefüllt mit lauter
Schmuck aus den Frauengemüchern: Perlen aus Ton und rotem Karneol,
Muscheln von einem Halsband, Besfigürchen aus Fayence, Skarabäen aus
Steatit, zierliche Parfümgefäße in Form liegender Löwen, schwimmender Enten
und bockender Paviane, alles aus grüner Fayence. In der Nähe lagen die
Reste einer mit Goldblech beschlagenen Truhe.

Anders geartete Funde, wie cyprische Keramik und von Kreta importierte
Vasen, weisen dagegen darauf hin, daß der Handelsverkehr sich nicht auf das
Untat beschränkte, sondern daß die Verbindungen nach allen Kulturstaaten
der damaligen Welt reichten.

In das letzte Viertel des zweiten Jahrtausends fällt das Eindringen der
Jsraeliten in Palästina, und damit macht sich zugleich ein Kulturrückschritt
bemerkbar. Die vorgefundene kananitische Kultur wird zum Teil zerstört, ohne
daß die Eroberer etwas Gleichwertiges an deren Stelle hätten setzen können.
Die aus der Wüste kommenden, nomadisierenden Jsraeliten waren damals noch
in wilden: Ringen begriffene, wenig organisierte, unzivilisierte Stämme, bei
denen sich erst die allereinfachsten Ansätze einer höheren Kultur fanden, von einer
Kunstfertigkeit nicht einmal die Spur. Mit Gewalt bemächtigten sie sich ihrer
neuen Heimat und zerstörten die eroberten Städte von Grund aus, wo sie uur
konnten. "Und schlugen alle Seelen, die darinnen waren, mit der Schärfe des
Schwertes und verbannten sie und ließen nichts überbleiben, das den Odem
hatte, und verbrannten die Stadt mit Feuer" (Jos. II, 11), das war der
Grundsatz ihrer Kriegführung (vgl. Jos. 6, 24; 8. 8; 8, 28 usw.). Interessant
ist es nun, daß die archäologischen Ausgrabungen in sehr vielen Fällen die
Angaben des Alten Testaments bestätigt haben, und zwar nicht allein insofern,
als wir sehen, daß zahlreiche kananitische Festungen tatsächlich durch Feuer und
Schwert zerstört sind, wir finden vielmehr auch Einzelheiten und individuelle
Züge, die uns überliefert sind, in den Erdschichten ausgeprägt.

Vou Jericho erzählt uns z. B. die Bibel, daß es sehr stark befestigt war
und als Hauptstützpunkt der Kananiter angesehen wurde. Trotz seiner starken
Mauern fiel Jericho aber doch dem Kriegshelden Josua und seinen im


Die Völker des Alten Testaments

Schon Thutmosis der Dritte hatte die Söhne der kleinen Könige in
Palästina vielfach mit sich nach Theben genommen. Dort wurden sie erzogen
und mit der ägyptischen Kultur vertraut, und wenn dann ein König starb, so
„ließ Seine Majestät seinen Sohn an seine Stelle treten". Dazu kamen noch
die regen Handelsverbindungen, die seit alters zwischen Ägypten und Syrien
bestanden, und die jetzt nur noch an Bedeutung gewannen. Angesichts dieser
Tatsachen ist es durchaus nicht zu verwundern, daß unter den gefundenen
Gegenständen aus der zweiten Hälfte des zweiten Jahrtausends so manche
ägyptisch sind oder ägyptisierend, d. h. sich als lokale Nachbildungen importierter
Stücke ausweisen. In Megiddo fand sich z. B. in der Brandschicht sogar ein
aus solchen Gegenständen bestehender vergrabener Schatz. Ein vierhenkeliger
Krug war rings von Steinen sorgfältig umstellt und angefüllt mit lauter
Schmuck aus den Frauengemüchern: Perlen aus Ton und rotem Karneol,
Muscheln von einem Halsband, Besfigürchen aus Fayence, Skarabäen aus
Steatit, zierliche Parfümgefäße in Form liegender Löwen, schwimmender Enten
und bockender Paviane, alles aus grüner Fayence. In der Nähe lagen die
Reste einer mit Goldblech beschlagenen Truhe.

Anders geartete Funde, wie cyprische Keramik und von Kreta importierte
Vasen, weisen dagegen darauf hin, daß der Handelsverkehr sich nicht auf das
Untat beschränkte, sondern daß die Verbindungen nach allen Kulturstaaten
der damaligen Welt reichten.

In das letzte Viertel des zweiten Jahrtausends fällt das Eindringen der
Jsraeliten in Palästina, und damit macht sich zugleich ein Kulturrückschritt
bemerkbar. Die vorgefundene kananitische Kultur wird zum Teil zerstört, ohne
daß die Eroberer etwas Gleichwertiges an deren Stelle hätten setzen können.
Die aus der Wüste kommenden, nomadisierenden Jsraeliten waren damals noch
in wilden: Ringen begriffene, wenig organisierte, unzivilisierte Stämme, bei
denen sich erst die allereinfachsten Ansätze einer höheren Kultur fanden, von einer
Kunstfertigkeit nicht einmal die Spur. Mit Gewalt bemächtigten sie sich ihrer
neuen Heimat und zerstörten die eroberten Städte von Grund aus, wo sie uur
konnten. „Und schlugen alle Seelen, die darinnen waren, mit der Schärfe des
Schwertes und verbannten sie und ließen nichts überbleiben, das den Odem
hatte, und verbrannten die Stadt mit Feuer" (Jos. II, 11), das war der
Grundsatz ihrer Kriegführung (vgl. Jos. 6, 24; 8. 8; 8, 28 usw.). Interessant
ist es nun, daß die archäologischen Ausgrabungen in sehr vielen Fällen die
Angaben des Alten Testaments bestätigt haben, und zwar nicht allein insofern,
als wir sehen, daß zahlreiche kananitische Festungen tatsächlich durch Feuer und
Schwert zerstört sind, wir finden vielmehr auch Einzelheiten und individuelle
Züge, die uns überliefert sind, in den Erdschichten ausgeprägt.

Vou Jericho erzählt uns z. B. die Bibel, daß es sehr stark befestigt war
und als Hauptstützpunkt der Kananiter angesehen wurde. Trotz seiner starken
Mauern fiel Jericho aber doch dem Kriegshelden Josua und seinen im


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[0568] Die Völker des Alten Testaments Schon Thutmosis der Dritte hatte die Söhne der kleinen Könige in Palästina vielfach mit sich nach Theben genommen. Dort wurden sie erzogen und mit der ägyptischen Kultur vertraut, und wenn dann ein König starb, so „ließ Seine Majestät seinen Sohn an seine Stelle treten". Dazu kamen noch die regen Handelsverbindungen, die seit alters zwischen Ägypten und Syrien bestanden, und die jetzt nur noch an Bedeutung gewannen. Angesichts dieser Tatsachen ist es durchaus nicht zu verwundern, daß unter den gefundenen Gegenständen aus der zweiten Hälfte des zweiten Jahrtausends so manche ägyptisch sind oder ägyptisierend, d. h. sich als lokale Nachbildungen importierter Stücke ausweisen. In Megiddo fand sich z. B. in der Brandschicht sogar ein aus solchen Gegenständen bestehender vergrabener Schatz. Ein vierhenkeliger Krug war rings von Steinen sorgfältig umstellt und angefüllt mit lauter Schmuck aus den Frauengemüchern: Perlen aus Ton und rotem Karneol, Muscheln von einem Halsband, Besfigürchen aus Fayence, Skarabäen aus Steatit, zierliche Parfümgefäße in Form liegender Löwen, schwimmender Enten und bockender Paviane, alles aus grüner Fayence. In der Nähe lagen die Reste einer mit Goldblech beschlagenen Truhe. Anders geartete Funde, wie cyprische Keramik und von Kreta importierte Vasen, weisen dagegen darauf hin, daß der Handelsverkehr sich nicht auf das Untat beschränkte, sondern daß die Verbindungen nach allen Kulturstaaten der damaligen Welt reichten. In das letzte Viertel des zweiten Jahrtausends fällt das Eindringen der Jsraeliten in Palästina, und damit macht sich zugleich ein Kulturrückschritt bemerkbar. Die vorgefundene kananitische Kultur wird zum Teil zerstört, ohne daß die Eroberer etwas Gleichwertiges an deren Stelle hätten setzen können. Die aus der Wüste kommenden, nomadisierenden Jsraeliten waren damals noch in wilden: Ringen begriffene, wenig organisierte, unzivilisierte Stämme, bei denen sich erst die allereinfachsten Ansätze einer höheren Kultur fanden, von einer Kunstfertigkeit nicht einmal die Spur. Mit Gewalt bemächtigten sie sich ihrer neuen Heimat und zerstörten die eroberten Städte von Grund aus, wo sie uur konnten. „Und schlugen alle Seelen, die darinnen waren, mit der Schärfe des Schwertes und verbannten sie und ließen nichts überbleiben, das den Odem hatte, und verbrannten die Stadt mit Feuer" (Jos. II, 11), das war der Grundsatz ihrer Kriegführung (vgl. Jos. 6, 24; 8. 8; 8, 28 usw.). Interessant ist es nun, daß die archäologischen Ausgrabungen in sehr vielen Fällen die Angaben des Alten Testaments bestätigt haben, und zwar nicht allein insofern, als wir sehen, daß zahlreiche kananitische Festungen tatsächlich durch Feuer und Schwert zerstört sind, wir finden vielmehr auch Einzelheiten und individuelle Züge, die uns überliefert sind, in den Erdschichten ausgeprägt. Vou Jericho erzählt uns z. B. die Bibel, daß es sehr stark befestigt war und als Hauptstützpunkt der Kananiter angesehen wurde. Trotz seiner starken Mauern fiel Jericho aber doch dem Kriegshelden Josua und seinen im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/568>, abgerufen am 29.06.2024.