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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Kolonialpolitik und Rolomalwirtschaft

Wissenschaft, Handel und Industrie gleichmäßig warm dafür eintreten," Im
Jahre 1905, der Zeit des tiefsten Tiefstands der Kolonialbewegung, in der die
stumpfe Hoffnungslosigkeit nur noch durch das Bewußtsein ertragen wurde, daß
der Aufstand in Südwest den Beweis von der Kriegstüchtigkeit der jungen
Generation erbracht hatte! Wenn jene optimistischen Worte von der Summe
ideeller Volkskräfte, die hinter der Kolonialbewegung stehen sollten, wahr gewesen
wären, so hätten wir nicht kurz nachher das beschämende Schauspiel erlebt, daß
wichtige Kolonialvorlagen im Reichstag unter den Tisch fielen. Zur Zeit des
zweiten Kolonialkongresses war noch kein Gedanke an eine nationale Bewegung,
wie sie ein Jahr später die öde Kolonialopposition im Reichstag hinwegfegte,
im Gegenteil, zunächst sind ihr der optimistische Dr. Stubei und sein Nachfolger
zum Opfer gefallen. Der Reichstag hat sich nicht im geringsten an die An¬
regungen des Kongresses gekehrt, und die Kolonialverwaltung wußte erst recht
nichts damit anzufangen. Hätte man ihr zugemutet, sich mit ihrer praktischen
Politik auf die Verhandlungen des Kongresses zu stützen, so wäre man aus¬
gelacht worden. Opportuuitätspolitik mit einem ängstlichen Blick nach dem
gestrengen Reichstag war damals die ganze Kunst der noch unselbständigen
Kolonialverwaltung. Das soll kein Vorwurf sein, es hat sich eben in jener Zeit
kein starker Mann gefunden, der seine Haut für die Kolonien zu Markte
getragen hätte.

Um so mehr ist es zu verwundern -- das muß bei dieser Gelegenheit
gesagt werden --, daß auf dem dritten Kolonialkongreß der Name Dernburg
kaum genannt worden ist. Ich bin wohl wie wenige gegen den Verdacht geschützt,
ein einseitiger Dernburg-Verehrer zu sein. Aber ich konnte mich doch -- bei
aller Genugtuung darüber, daß es mit einer gewissen kolonialen Richtung zu
Ende ist -- eines fatalen Gefühls nicht erwehren ob der Art und Weise, wie
der Mann totgeschwiegen wurde, der den kolonialen Karren aus den: Sumpf
gezogen und ihn in ein modernes Verkehrsmittel mit Dampfbetrieb umgewandelt
hat. Gewiß, Dernburg hatte eine günstige Konjunktur erwischt, aber er hat sie
meisterhaft zu nutzen verstanden, und das ist auch eine Kunst. Es mag auch
zugegeben werden, daß er als gutsituierter Außenseiter leichter eine Kraftprobe
riskieren konnte, als ein aus der Bureaukratie hervorgegangener Minister,
obwohl der Männerstolz, der Dernburg populär gemacht hat, auch bei reichen
Leuten, die ihn sich leisten können, nicht immer zu finden ist. Auch Dernburg
hat nur zeitweise von ihm Gebrauch gemacht, wie denn die Psychologie Dern-
burgs, wenn man ihr tiefer auf den Grund geht, dem deutschen Ideal vom
starken Mann nur teilweise entsprechen dürfte. Aber was recht ist, muß recht
bleiben: Dernburg war der starke Mann, auf den die Kolonien solange hatten
warten müssen. Das hätte, unbeschadet energischer Kritik im einzelnen, beim
dritten Kolonialkongreß vor aller Welt ausgesprochen werden müssen. Wenn
man den Mann nun einmal politisch begraben will, so hätte man ihm wenigstens
eine ehrenvolle Leichenrede gönnen müssen.


Kolonialpolitik und Rolomalwirtschaft

Wissenschaft, Handel und Industrie gleichmäßig warm dafür eintreten," Im
Jahre 1905, der Zeit des tiefsten Tiefstands der Kolonialbewegung, in der die
stumpfe Hoffnungslosigkeit nur noch durch das Bewußtsein ertragen wurde, daß
der Aufstand in Südwest den Beweis von der Kriegstüchtigkeit der jungen
Generation erbracht hatte! Wenn jene optimistischen Worte von der Summe
ideeller Volkskräfte, die hinter der Kolonialbewegung stehen sollten, wahr gewesen
wären, so hätten wir nicht kurz nachher das beschämende Schauspiel erlebt, daß
wichtige Kolonialvorlagen im Reichstag unter den Tisch fielen. Zur Zeit des
zweiten Kolonialkongresses war noch kein Gedanke an eine nationale Bewegung,
wie sie ein Jahr später die öde Kolonialopposition im Reichstag hinwegfegte,
im Gegenteil, zunächst sind ihr der optimistische Dr. Stubei und sein Nachfolger
zum Opfer gefallen. Der Reichstag hat sich nicht im geringsten an die An¬
regungen des Kongresses gekehrt, und die Kolonialverwaltung wußte erst recht
nichts damit anzufangen. Hätte man ihr zugemutet, sich mit ihrer praktischen
Politik auf die Verhandlungen des Kongresses zu stützen, so wäre man aus¬
gelacht worden. Opportuuitätspolitik mit einem ängstlichen Blick nach dem
gestrengen Reichstag war damals die ganze Kunst der noch unselbständigen
Kolonialverwaltung. Das soll kein Vorwurf sein, es hat sich eben in jener Zeit
kein starker Mann gefunden, der seine Haut für die Kolonien zu Markte
getragen hätte.

Um so mehr ist es zu verwundern — das muß bei dieser Gelegenheit
gesagt werden —, daß auf dem dritten Kolonialkongreß der Name Dernburg
kaum genannt worden ist. Ich bin wohl wie wenige gegen den Verdacht geschützt,
ein einseitiger Dernburg-Verehrer zu sein. Aber ich konnte mich doch — bei
aller Genugtuung darüber, daß es mit einer gewissen kolonialen Richtung zu
Ende ist — eines fatalen Gefühls nicht erwehren ob der Art und Weise, wie
der Mann totgeschwiegen wurde, der den kolonialen Karren aus den: Sumpf
gezogen und ihn in ein modernes Verkehrsmittel mit Dampfbetrieb umgewandelt
hat. Gewiß, Dernburg hatte eine günstige Konjunktur erwischt, aber er hat sie
meisterhaft zu nutzen verstanden, und das ist auch eine Kunst. Es mag auch
zugegeben werden, daß er als gutsituierter Außenseiter leichter eine Kraftprobe
riskieren konnte, als ein aus der Bureaukratie hervorgegangener Minister,
obwohl der Männerstolz, der Dernburg populär gemacht hat, auch bei reichen
Leuten, die ihn sich leisten können, nicht immer zu finden ist. Auch Dernburg
hat nur zeitweise von ihm Gebrauch gemacht, wie denn die Psychologie Dern-
burgs, wenn man ihr tiefer auf den Grund geht, dem deutschen Ideal vom
starken Mann nur teilweise entsprechen dürfte. Aber was recht ist, muß recht
bleiben: Dernburg war der starke Mann, auf den die Kolonien solange hatten
warten müssen. Das hätte, unbeschadet energischer Kritik im einzelnen, beim
dritten Kolonialkongreß vor aller Welt ausgesprochen werden müssen. Wenn
man den Mann nun einmal politisch begraben will, so hätte man ihm wenigstens
eine ehrenvolle Leichenrede gönnen müssen.


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[0464] Kolonialpolitik und Rolomalwirtschaft Wissenschaft, Handel und Industrie gleichmäßig warm dafür eintreten," Im Jahre 1905, der Zeit des tiefsten Tiefstands der Kolonialbewegung, in der die stumpfe Hoffnungslosigkeit nur noch durch das Bewußtsein ertragen wurde, daß der Aufstand in Südwest den Beweis von der Kriegstüchtigkeit der jungen Generation erbracht hatte! Wenn jene optimistischen Worte von der Summe ideeller Volkskräfte, die hinter der Kolonialbewegung stehen sollten, wahr gewesen wären, so hätten wir nicht kurz nachher das beschämende Schauspiel erlebt, daß wichtige Kolonialvorlagen im Reichstag unter den Tisch fielen. Zur Zeit des zweiten Kolonialkongresses war noch kein Gedanke an eine nationale Bewegung, wie sie ein Jahr später die öde Kolonialopposition im Reichstag hinwegfegte, im Gegenteil, zunächst sind ihr der optimistische Dr. Stubei und sein Nachfolger zum Opfer gefallen. Der Reichstag hat sich nicht im geringsten an die An¬ regungen des Kongresses gekehrt, und die Kolonialverwaltung wußte erst recht nichts damit anzufangen. Hätte man ihr zugemutet, sich mit ihrer praktischen Politik auf die Verhandlungen des Kongresses zu stützen, so wäre man aus¬ gelacht worden. Opportuuitätspolitik mit einem ängstlichen Blick nach dem gestrengen Reichstag war damals die ganze Kunst der noch unselbständigen Kolonialverwaltung. Das soll kein Vorwurf sein, es hat sich eben in jener Zeit kein starker Mann gefunden, der seine Haut für die Kolonien zu Markte getragen hätte. Um so mehr ist es zu verwundern — das muß bei dieser Gelegenheit gesagt werden —, daß auf dem dritten Kolonialkongreß der Name Dernburg kaum genannt worden ist. Ich bin wohl wie wenige gegen den Verdacht geschützt, ein einseitiger Dernburg-Verehrer zu sein. Aber ich konnte mich doch — bei aller Genugtuung darüber, daß es mit einer gewissen kolonialen Richtung zu Ende ist — eines fatalen Gefühls nicht erwehren ob der Art und Weise, wie der Mann totgeschwiegen wurde, der den kolonialen Karren aus den: Sumpf gezogen und ihn in ein modernes Verkehrsmittel mit Dampfbetrieb umgewandelt hat. Gewiß, Dernburg hatte eine günstige Konjunktur erwischt, aber er hat sie meisterhaft zu nutzen verstanden, und das ist auch eine Kunst. Es mag auch zugegeben werden, daß er als gutsituierter Außenseiter leichter eine Kraftprobe riskieren konnte, als ein aus der Bureaukratie hervorgegangener Minister, obwohl der Männerstolz, der Dernburg populär gemacht hat, auch bei reichen Leuten, die ihn sich leisten können, nicht immer zu finden ist. Auch Dernburg hat nur zeitweise von ihm Gebrauch gemacht, wie denn die Psychologie Dern- burgs, wenn man ihr tiefer auf den Grund geht, dem deutschen Ideal vom starken Mann nur teilweise entsprechen dürfte. Aber was recht ist, muß recht bleiben: Dernburg war der starke Mann, auf den die Kolonien solange hatten warten müssen. Das hätte, unbeschadet energischer Kritik im einzelnen, beim dritten Kolonialkongreß vor aller Welt ausgesprochen werden müssen. Wenn man den Mann nun einmal politisch begraben will, so hätte man ihm wenigstens eine ehrenvolle Leichenrede gönnen müssen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/464>, abgerufen am 22.07.2024.