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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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llolonicilpolitik und liolonialwirtschaft

zugewandt. Die frühere Planlosigkeit ist einer gewissen Planmäßigkeit gewichen.
Und um dieser Planmäßigkeit Wege zu weisen, um von Zeit zu Zeit eine
Übersicht über unsre Leistungen und Pläne auf kolonialen Gebiet zu ermöglichen,
ist der Deutsche Kolonialkongreß ins Leben gerufen worden. Wenigstens
vom jüngsten dritten Kolonialkongreß kann man dies sagen. Die ersten beiden
Kongresse, die in die Zeit des tiefsten Tiefstands der Kolonialbewegnng fielen,
sind wohl nur aus dem dumpfen Gefühl heraus veranstaltet worden, "daß
etwas geschehen müsse". Zum Teil verdankten sie ihre Entstehung vielleicht auch
dem Nachahmungstrieb: die Engländer haben ihren Kolonialkongreß, also müssen
wir auch einen haben. Der britische Kolonialkongreß ist an loua etwas ganz
andres, etwas, was wir erst in einer Reihe von Jahren erreichen werden: ein
Kongreß der Kolonien, nicht lediglich der Kolonialfreunde und Kolonial¬
interessenten. Aber unbewußt haben sich diejenigen, die 1902 den ersten
Deutschen Kolonialkongreß ins Leben riefen, doch ein Verdienst erworben, indem
sie eine Grundlage schufen, aus der ein wichtiges Organ für die lebendige
koloniale Praxis herauswachsen wird. Schon der verflossene dritte Kongreß ließ
dieses Geistes einen Hauch verspüren. Die beiden ersten Kongresse freilich kamen,
was die Hauptsache anbelangt, über ein unfruchtbares Theoretisieren nicht
hinaus. Nichtsdestoweniger muß gerechterweise anerkannt werden, daß auch sie
manches Gute geschaffen haben auf dem Gebiete der kolonialen Landes- und
Volkskunde. Sie haben wertvolles Material zur Beurteilung von Natur und
Wirtschaft der Kolonien beigebracht und wenigstens der Arbeit und Forschung
in dieser politisch unverfänglichen Richtung einen gewissen Kredit verschafft. Aber
wie die Dinge damals lagen, war das schöne Material wohl sehr interessant
für den Gelehrten, praktisch nutzbar gemacht werden konnte es nicht. Auch
1902 und 1905 wurden treffliche Worte über Eingeborenenpolitik, Besiedlung
der Kolonien, Eisenbahnbau usw. gesprochen. Was jedoch fehlte, war der
organische Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis. Man ging mit dem
Gefühl nach Hause: das war ja alles ganz schön und interessant, aber im
Grunde genommen bleibt es ja doch nutz- und zusammenhanglose Rederei.
Dieser Eindruck wurde durch hochtönende Worte offizieller Festredner nur noch
verschürst. Denn natürlich waren die hohen Behörden gebührend vertreten. Um
die heutigen Fortschritte ins rechte Licht zu rücken, dürfen wir hier all diese
Dinge nicht unerwähnt lassen, auch wenn sie vielleicht da und dort unangenehm
berühren. Die Sucht unsrer Zeit, bei offiziellen Gelegenheiten alles rosig zu
malen, ja nicht die Dinge beim richtigen Namen zu nennen, hat 1905 dem
damaligen Kolonialdirektor Dr. Stubei, als er den zweiten Kolonialkongreß
begrüßte, Worte in den Mund gelegt, die einer starken Komik nicht entbehrten.
"Der Kongreß 1902" -- sagte Dr. Stubei -- "ist ein schöner Erfolg gewesen!
Er hat den Nachweis erbracht, welche Summe ideeller Volkskräfte hinter der
Kolonialbewegung steht und wie sie getragen ist von einer starken geistigen
Macht in unserm Volke, wie alle Berufe, wie Kirche, Schule und Mission, wie


llolonicilpolitik und liolonialwirtschaft

zugewandt. Die frühere Planlosigkeit ist einer gewissen Planmäßigkeit gewichen.
Und um dieser Planmäßigkeit Wege zu weisen, um von Zeit zu Zeit eine
Übersicht über unsre Leistungen und Pläne auf kolonialen Gebiet zu ermöglichen,
ist der Deutsche Kolonialkongreß ins Leben gerufen worden. Wenigstens
vom jüngsten dritten Kolonialkongreß kann man dies sagen. Die ersten beiden
Kongresse, die in die Zeit des tiefsten Tiefstands der Kolonialbewegnng fielen,
sind wohl nur aus dem dumpfen Gefühl heraus veranstaltet worden, „daß
etwas geschehen müsse". Zum Teil verdankten sie ihre Entstehung vielleicht auch
dem Nachahmungstrieb: die Engländer haben ihren Kolonialkongreß, also müssen
wir auch einen haben. Der britische Kolonialkongreß ist an loua etwas ganz
andres, etwas, was wir erst in einer Reihe von Jahren erreichen werden: ein
Kongreß der Kolonien, nicht lediglich der Kolonialfreunde und Kolonial¬
interessenten. Aber unbewußt haben sich diejenigen, die 1902 den ersten
Deutschen Kolonialkongreß ins Leben riefen, doch ein Verdienst erworben, indem
sie eine Grundlage schufen, aus der ein wichtiges Organ für die lebendige
koloniale Praxis herauswachsen wird. Schon der verflossene dritte Kongreß ließ
dieses Geistes einen Hauch verspüren. Die beiden ersten Kongresse freilich kamen,
was die Hauptsache anbelangt, über ein unfruchtbares Theoretisieren nicht
hinaus. Nichtsdestoweniger muß gerechterweise anerkannt werden, daß auch sie
manches Gute geschaffen haben auf dem Gebiete der kolonialen Landes- und
Volkskunde. Sie haben wertvolles Material zur Beurteilung von Natur und
Wirtschaft der Kolonien beigebracht und wenigstens der Arbeit und Forschung
in dieser politisch unverfänglichen Richtung einen gewissen Kredit verschafft. Aber
wie die Dinge damals lagen, war das schöne Material wohl sehr interessant
für den Gelehrten, praktisch nutzbar gemacht werden konnte es nicht. Auch
1902 und 1905 wurden treffliche Worte über Eingeborenenpolitik, Besiedlung
der Kolonien, Eisenbahnbau usw. gesprochen. Was jedoch fehlte, war der
organische Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis. Man ging mit dem
Gefühl nach Hause: das war ja alles ganz schön und interessant, aber im
Grunde genommen bleibt es ja doch nutz- und zusammenhanglose Rederei.
Dieser Eindruck wurde durch hochtönende Worte offizieller Festredner nur noch
verschürst. Denn natürlich waren die hohen Behörden gebührend vertreten. Um
die heutigen Fortschritte ins rechte Licht zu rücken, dürfen wir hier all diese
Dinge nicht unerwähnt lassen, auch wenn sie vielleicht da und dort unangenehm
berühren. Die Sucht unsrer Zeit, bei offiziellen Gelegenheiten alles rosig zu
malen, ja nicht die Dinge beim richtigen Namen zu nennen, hat 1905 dem
damaligen Kolonialdirektor Dr. Stubei, als er den zweiten Kolonialkongreß
begrüßte, Worte in den Mund gelegt, die einer starken Komik nicht entbehrten.
„Der Kongreß 1902" — sagte Dr. Stubei — „ist ein schöner Erfolg gewesen!
Er hat den Nachweis erbracht, welche Summe ideeller Volkskräfte hinter der
Kolonialbewegung steht und wie sie getragen ist von einer starken geistigen
Macht in unserm Volke, wie alle Berufe, wie Kirche, Schule und Mission, wie


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[0463] llolonicilpolitik und liolonialwirtschaft zugewandt. Die frühere Planlosigkeit ist einer gewissen Planmäßigkeit gewichen. Und um dieser Planmäßigkeit Wege zu weisen, um von Zeit zu Zeit eine Übersicht über unsre Leistungen und Pläne auf kolonialen Gebiet zu ermöglichen, ist der Deutsche Kolonialkongreß ins Leben gerufen worden. Wenigstens vom jüngsten dritten Kolonialkongreß kann man dies sagen. Die ersten beiden Kongresse, die in die Zeit des tiefsten Tiefstands der Kolonialbewegnng fielen, sind wohl nur aus dem dumpfen Gefühl heraus veranstaltet worden, „daß etwas geschehen müsse". Zum Teil verdankten sie ihre Entstehung vielleicht auch dem Nachahmungstrieb: die Engländer haben ihren Kolonialkongreß, also müssen wir auch einen haben. Der britische Kolonialkongreß ist an loua etwas ganz andres, etwas, was wir erst in einer Reihe von Jahren erreichen werden: ein Kongreß der Kolonien, nicht lediglich der Kolonialfreunde und Kolonial¬ interessenten. Aber unbewußt haben sich diejenigen, die 1902 den ersten Deutschen Kolonialkongreß ins Leben riefen, doch ein Verdienst erworben, indem sie eine Grundlage schufen, aus der ein wichtiges Organ für die lebendige koloniale Praxis herauswachsen wird. Schon der verflossene dritte Kongreß ließ dieses Geistes einen Hauch verspüren. Die beiden ersten Kongresse freilich kamen, was die Hauptsache anbelangt, über ein unfruchtbares Theoretisieren nicht hinaus. Nichtsdestoweniger muß gerechterweise anerkannt werden, daß auch sie manches Gute geschaffen haben auf dem Gebiete der kolonialen Landes- und Volkskunde. Sie haben wertvolles Material zur Beurteilung von Natur und Wirtschaft der Kolonien beigebracht und wenigstens der Arbeit und Forschung in dieser politisch unverfänglichen Richtung einen gewissen Kredit verschafft. Aber wie die Dinge damals lagen, war das schöne Material wohl sehr interessant für den Gelehrten, praktisch nutzbar gemacht werden konnte es nicht. Auch 1902 und 1905 wurden treffliche Worte über Eingeborenenpolitik, Besiedlung der Kolonien, Eisenbahnbau usw. gesprochen. Was jedoch fehlte, war der organische Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis. Man ging mit dem Gefühl nach Hause: das war ja alles ganz schön und interessant, aber im Grunde genommen bleibt es ja doch nutz- und zusammenhanglose Rederei. Dieser Eindruck wurde durch hochtönende Worte offizieller Festredner nur noch verschürst. Denn natürlich waren die hohen Behörden gebührend vertreten. Um die heutigen Fortschritte ins rechte Licht zu rücken, dürfen wir hier all diese Dinge nicht unerwähnt lassen, auch wenn sie vielleicht da und dort unangenehm berühren. Die Sucht unsrer Zeit, bei offiziellen Gelegenheiten alles rosig zu malen, ja nicht die Dinge beim richtigen Namen zu nennen, hat 1905 dem damaligen Kolonialdirektor Dr. Stubei, als er den zweiten Kolonialkongreß begrüßte, Worte in den Mund gelegt, die einer starken Komik nicht entbehrten. „Der Kongreß 1902" — sagte Dr. Stubei — „ist ein schöner Erfolg gewesen! Er hat den Nachweis erbracht, welche Summe ideeller Volkskräfte hinter der Kolonialbewegung steht und wie sie getragen ist von einer starken geistigen Macht in unserm Volke, wie alle Berufe, wie Kirche, Schule und Mission, wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/463>, abgerufen am 22.07.2024.