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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Uolonialpolitik und Uolonialwirtschaft

ernähren. Für jede Nation, der eine ausreichende Bodenfläche zu ihrer Aus¬
dehnung zur Verfügung steht, wäre unsre gewaltige Bevölkerungszunahme ein
Reichtum, uns kann sie zur Gefahr werden. Natürlich ist die hier angedeutete
Entwickelungsmöglichkeit der Weltwirtschaft nicht buchstäblich, sondern nur als
schematische Darstellung zu betrachten. Selbstverständlich wird immer ein Aus¬
tausch vou Jndustrieerzeugnissen stattfinden, denn schließlich sind die Völker in
dieser Hinsicht verschieden veranlagt, aber immerhin wird dasjenige Volk im
Vorteil sein, das alle für eine moderne Volkswirtschaft notwendigen Rohstoffe
selbst erzeugen kann. Die Intelligenz zu ihrer Verwertung kaun man schließlich
kaufen, die Rohstoffe selbst unter Umständen nicht oder nur unter Schwierig¬
keiten und Opfern. Jedem gesunden und tatkräftigen Volk gebietet also der
Selbsterhaltungstrieb, sich beizeiten die notwendigen Ausdehnungsmöglichkeiten
zu schaffen.

Dies ist der Sinn der Kolonialpolitik. Instinktiv hat noch jedes große
Volk, das nicht schließlich ein unselbständiges Anhängsel andrer Nationen werden
will, sich beizeiten Raum zur Ausdehnung geschaffen. Das deutsche Volk ist
spät eine geschlossene Nation geworden und konnte sich erst ausdehnen, als
andre Völker in dieser Richtung schon versorgt oder im Begriff waren, sich zu
versorgen. Es ist dadurch zu kurz gekommen.

Unser Kolonialbesitz umfaßt 2600000 Geviertkilometer,- einschließlich des
Mutterlandes steht uns also eine Bodenfläche von rund 3100000 Geviert¬
kilometern zur Verfügung. Im Vergleich zu dem Besitz andrer Großmächte ist
dies herzlich wenig. England hat fast 33 Millionen Gevicrtkilometer, Rußland 20,
Frankreich 11, die Vereinigten Staaten von Nordamerika haben 9^ Millionen.
Dieses Mißverhältnis tritt noch stärker hervor, wenn man in Betracht zieht,
daß z. B. Frankreich nur 36 Millionen Menschen im Mutterlande beherbergt,
Deutschland dagegen 60, und daß die Bevölkerung Frankreichs zurückgeht oder
bestenfalls stabil ist, während die unsrige stetig wächst. Vorläufig müssen wir
uns mit diesen Tatsachen abfinden. Wir brauchen aber nicht die Hoffnung
aufzugeben, daß über kurz oder lang, vielleicht auch erst in ferner Zeit die eine
oder andre Macht sich gezwungen sieht, Teile ihres Kolonialbesitzes fahren zu
lassen, weil sie numerisch zu schwach ist, so gewaltige Bodenflächeu zu halten
und zu bewirtschaften. So wird es vielleicht bald Portugal ergehen und später
möglicherweise Frankreich. Bis auf Weiteres genügt uns wohl auf lange Zeit
hinaus unser jetziger Kolonialbesitz, alles andre können wir getrost der natürlichen
Entwickelung überlassen.

Die wichtigste Aufgabe, die sich aus dieser Betrachtung ergibt, ist für uns
zunächst die Ausgestaltung und planmäßige Nutzbarmachung unsres Kolonial¬
besitzes, dann wird sich im Verlauf von einigen Jahrzehnten schon herausstellen,
ob dieser für alle Eventualitäten bei der Entwickelung der Nation genügt.

Der Erschließung unsrer Kolonien hat sich in der richtigen Erkenntnis von
deren Wichtigkeit in neuerer Zeit eine Summe vou Volkskraft und Intelligenz


Uolonialpolitik und Uolonialwirtschaft

ernähren. Für jede Nation, der eine ausreichende Bodenfläche zu ihrer Aus¬
dehnung zur Verfügung steht, wäre unsre gewaltige Bevölkerungszunahme ein
Reichtum, uns kann sie zur Gefahr werden. Natürlich ist die hier angedeutete
Entwickelungsmöglichkeit der Weltwirtschaft nicht buchstäblich, sondern nur als
schematische Darstellung zu betrachten. Selbstverständlich wird immer ein Aus¬
tausch vou Jndustrieerzeugnissen stattfinden, denn schließlich sind die Völker in
dieser Hinsicht verschieden veranlagt, aber immerhin wird dasjenige Volk im
Vorteil sein, das alle für eine moderne Volkswirtschaft notwendigen Rohstoffe
selbst erzeugen kann. Die Intelligenz zu ihrer Verwertung kaun man schließlich
kaufen, die Rohstoffe selbst unter Umständen nicht oder nur unter Schwierig¬
keiten und Opfern. Jedem gesunden und tatkräftigen Volk gebietet also der
Selbsterhaltungstrieb, sich beizeiten die notwendigen Ausdehnungsmöglichkeiten
zu schaffen.

Dies ist der Sinn der Kolonialpolitik. Instinktiv hat noch jedes große
Volk, das nicht schließlich ein unselbständiges Anhängsel andrer Nationen werden
will, sich beizeiten Raum zur Ausdehnung geschaffen. Das deutsche Volk ist
spät eine geschlossene Nation geworden und konnte sich erst ausdehnen, als
andre Völker in dieser Richtung schon versorgt oder im Begriff waren, sich zu
versorgen. Es ist dadurch zu kurz gekommen.

Unser Kolonialbesitz umfaßt 2600000 Geviertkilometer,- einschließlich des
Mutterlandes steht uns also eine Bodenfläche von rund 3100000 Geviert¬
kilometern zur Verfügung. Im Vergleich zu dem Besitz andrer Großmächte ist
dies herzlich wenig. England hat fast 33 Millionen Gevicrtkilometer, Rußland 20,
Frankreich 11, die Vereinigten Staaten von Nordamerika haben 9^ Millionen.
Dieses Mißverhältnis tritt noch stärker hervor, wenn man in Betracht zieht,
daß z. B. Frankreich nur 36 Millionen Menschen im Mutterlande beherbergt,
Deutschland dagegen 60, und daß die Bevölkerung Frankreichs zurückgeht oder
bestenfalls stabil ist, während die unsrige stetig wächst. Vorläufig müssen wir
uns mit diesen Tatsachen abfinden. Wir brauchen aber nicht die Hoffnung
aufzugeben, daß über kurz oder lang, vielleicht auch erst in ferner Zeit die eine
oder andre Macht sich gezwungen sieht, Teile ihres Kolonialbesitzes fahren zu
lassen, weil sie numerisch zu schwach ist, so gewaltige Bodenflächeu zu halten
und zu bewirtschaften. So wird es vielleicht bald Portugal ergehen und später
möglicherweise Frankreich. Bis auf Weiteres genügt uns wohl auf lange Zeit
hinaus unser jetziger Kolonialbesitz, alles andre können wir getrost der natürlichen
Entwickelung überlassen.

Die wichtigste Aufgabe, die sich aus dieser Betrachtung ergibt, ist für uns
zunächst die Ausgestaltung und planmäßige Nutzbarmachung unsres Kolonial¬
besitzes, dann wird sich im Verlauf von einigen Jahrzehnten schon herausstellen,
ob dieser für alle Eventualitäten bei der Entwickelung der Nation genügt.

Der Erschließung unsrer Kolonien hat sich in der richtigen Erkenntnis von
deren Wichtigkeit in neuerer Zeit eine Summe vou Volkskraft und Intelligenz


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[0462] Uolonialpolitik und Uolonialwirtschaft ernähren. Für jede Nation, der eine ausreichende Bodenfläche zu ihrer Aus¬ dehnung zur Verfügung steht, wäre unsre gewaltige Bevölkerungszunahme ein Reichtum, uns kann sie zur Gefahr werden. Natürlich ist die hier angedeutete Entwickelungsmöglichkeit der Weltwirtschaft nicht buchstäblich, sondern nur als schematische Darstellung zu betrachten. Selbstverständlich wird immer ein Aus¬ tausch vou Jndustrieerzeugnissen stattfinden, denn schließlich sind die Völker in dieser Hinsicht verschieden veranlagt, aber immerhin wird dasjenige Volk im Vorteil sein, das alle für eine moderne Volkswirtschaft notwendigen Rohstoffe selbst erzeugen kann. Die Intelligenz zu ihrer Verwertung kaun man schließlich kaufen, die Rohstoffe selbst unter Umständen nicht oder nur unter Schwierig¬ keiten und Opfern. Jedem gesunden und tatkräftigen Volk gebietet also der Selbsterhaltungstrieb, sich beizeiten die notwendigen Ausdehnungsmöglichkeiten zu schaffen. Dies ist der Sinn der Kolonialpolitik. Instinktiv hat noch jedes große Volk, das nicht schließlich ein unselbständiges Anhängsel andrer Nationen werden will, sich beizeiten Raum zur Ausdehnung geschaffen. Das deutsche Volk ist spät eine geschlossene Nation geworden und konnte sich erst ausdehnen, als andre Völker in dieser Richtung schon versorgt oder im Begriff waren, sich zu versorgen. Es ist dadurch zu kurz gekommen. Unser Kolonialbesitz umfaßt 2600000 Geviertkilometer,- einschließlich des Mutterlandes steht uns also eine Bodenfläche von rund 3100000 Geviert¬ kilometern zur Verfügung. Im Vergleich zu dem Besitz andrer Großmächte ist dies herzlich wenig. England hat fast 33 Millionen Gevicrtkilometer, Rußland 20, Frankreich 11, die Vereinigten Staaten von Nordamerika haben 9^ Millionen. Dieses Mißverhältnis tritt noch stärker hervor, wenn man in Betracht zieht, daß z. B. Frankreich nur 36 Millionen Menschen im Mutterlande beherbergt, Deutschland dagegen 60, und daß die Bevölkerung Frankreichs zurückgeht oder bestenfalls stabil ist, während die unsrige stetig wächst. Vorläufig müssen wir uns mit diesen Tatsachen abfinden. Wir brauchen aber nicht die Hoffnung aufzugeben, daß über kurz oder lang, vielleicht auch erst in ferner Zeit die eine oder andre Macht sich gezwungen sieht, Teile ihres Kolonialbesitzes fahren zu lassen, weil sie numerisch zu schwach ist, so gewaltige Bodenflächeu zu halten und zu bewirtschaften. So wird es vielleicht bald Portugal ergehen und später möglicherweise Frankreich. Bis auf Weiteres genügt uns wohl auf lange Zeit hinaus unser jetziger Kolonialbesitz, alles andre können wir getrost der natürlichen Entwickelung überlassen. Die wichtigste Aufgabe, die sich aus dieser Betrachtung ergibt, ist für uns zunächst die Ausgestaltung und planmäßige Nutzbarmachung unsres Kolonial¬ besitzes, dann wird sich im Verlauf von einigen Jahrzehnten schon herausstellen, ob dieser für alle Eventualitäten bei der Entwickelung der Nation genügt. Der Erschließung unsrer Kolonien hat sich in der richtigen Erkenntnis von deren Wichtigkeit in neuerer Zeit eine Summe vou Volkskraft und Intelligenz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/462>, abgerufen am 22.07.2024.