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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Im Flecke"

"Ich antwortete auch", sprach der Sohn dazwischen,

"Schweigen!" gebot der Vater und stampfte mit dem Fuße.

"Und dann," setzte er seine Aussage fort, "schrie der junge Herr Okolitsch:
Haltet den Wagen auf! Wir schrien auch! Haltet den Wagen auf! Sehen Sie,
Ihre Wohlgeboren, der Wagen rollte eben fort, und die Räuber mit der Schatulle
Seiner Wohlgeboren saßen in dem Wagen,"

"Weißt du bestimmt, daß sie in dem Wagen sahen?"

"Ja, das weiß ich bestimmt."

"Woher weißt du das?"

Der Soldat breitete die Arme aus und sah mit der größten Verwunderung
alle der Reihe nach an.

"Ja, wo sollten sie sonst geblieben sein?" fragte er kleinlaut.

Der Sohn wußte natürlich auch nicht mehr als der Vater, und der Bezirks¬
aufseher schritt zur Besichtigung.

Zuerst wurde die Kommode in Augenschein genommen und der Platz auf
ihr, wo die Schatulle gestanden hatte.

"Ich bitte Sie nachzudenken," sprach der Bezirksaussehcr zu Schejin, "ob
jemand, der nicht zum Hause gehört, davon wußte, daß Sie Ihr Geld in der
Schatulle hielten."

Noch ehe der Hauptmann antwortete, räusperte sich WoMi und wandte sich
in inquisitorischem Ton an Okolitsch.

"Zum Beispiel Sie. War Ihnen bekannt, daß Andres Fomitsch sein Ver¬
mögen in der Schatulle aufbewahrte?"

"Daß sein ganzes Vermögen in der Schatulle hatte, war mir unbekannt,"
erwiderte Okolitsch, "aber daß Andrej Fomitsch dort Geld hielt, wußte ich.

"Woher hatten Sie die Kenntnis? Hatte Andrej Fomitsch es Ihnen erzählt,
anvertraut?"

"Jeden Monat, wenn ich die Miete brachte, tat Andrew Fomitsch in meiner
Gegenwart das Geld in die Schatulle, und aus ihr nahm er, wenn es nötig war,
auch die Ausgabe."

"Sagen Sie doch, setzten Sie voraus, daß Andrej Fomitsch viel Geld in der
Schatulle aufbewahre?"

Okolitsch öffnete die Augen weiter und blickte den Aufseher scharf an.

"Ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht", sagte er dann. "Ich habe
nicht die Gewohnheit, über Sachen nachzudenken oder gar nach Sachen zu
forschen, die mich nicht angehen," setzte er ungeduldig hinzu. "Ich habe
Beschäftigung, und unnütze Neugier legen nur die an den Tag, die nichts Nützliches
zu tun haben."

"Daß ich Geld in der Schatulle hielt," beantwortete Schejin jetzt die Frage
des Bezirksaufsehers, "war vielen bekannt, allen, denen ich Geld zahlte, denn ich
tat das immer im Kabinett. Du, Kamerad," wandte er sich an den Soldaten,
"mußt es auch gewußt haben."

"Jawohl, jawohl, Ihre Wohlgeboren," bestätigte der Alte. "Wenn wir
mit Ihnen aus dem Gouvernement kamen, beliebten Sie mich immer herein¬
zurufen. Sie zählten das Geld für mich auf der Kommode aus, und den Rest
legten Sie zurück in die Schatulle."


Im Flecke»

„Ich antwortete auch", sprach der Sohn dazwischen,

„Schweigen!" gebot der Vater und stampfte mit dem Fuße.

„Und dann," setzte er seine Aussage fort, „schrie der junge Herr Okolitsch:
Haltet den Wagen auf! Wir schrien auch! Haltet den Wagen auf! Sehen Sie,
Ihre Wohlgeboren, der Wagen rollte eben fort, und die Räuber mit der Schatulle
Seiner Wohlgeboren saßen in dem Wagen,"

„Weißt du bestimmt, daß sie in dem Wagen sahen?"

„Ja, das weiß ich bestimmt."

„Woher weißt du das?"

Der Soldat breitete die Arme aus und sah mit der größten Verwunderung
alle der Reihe nach an.

„Ja, wo sollten sie sonst geblieben sein?" fragte er kleinlaut.

Der Sohn wußte natürlich auch nicht mehr als der Vater, und der Bezirks¬
aufseher schritt zur Besichtigung.

Zuerst wurde die Kommode in Augenschein genommen und der Platz auf
ihr, wo die Schatulle gestanden hatte.

„Ich bitte Sie nachzudenken," sprach der Bezirksaussehcr zu Schejin, „ob
jemand, der nicht zum Hause gehört, davon wußte, daß Sie Ihr Geld in der
Schatulle hielten."

Noch ehe der Hauptmann antwortete, räusperte sich WoMi und wandte sich
in inquisitorischem Ton an Okolitsch.

„Zum Beispiel Sie. War Ihnen bekannt, daß Andres Fomitsch sein Ver¬
mögen in der Schatulle aufbewahrte?"

„Daß sein ganzes Vermögen in der Schatulle hatte, war mir unbekannt,"
erwiderte Okolitsch, „aber daß Andrej Fomitsch dort Geld hielt, wußte ich.

„Woher hatten Sie die Kenntnis? Hatte Andrej Fomitsch es Ihnen erzählt,
anvertraut?"

„Jeden Monat, wenn ich die Miete brachte, tat Andrew Fomitsch in meiner
Gegenwart das Geld in die Schatulle, und aus ihr nahm er, wenn es nötig war,
auch die Ausgabe."

„Sagen Sie doch, setzten Sie voraus, daß Andrej Fomitsch viel Geld in der
Schatulle aufbewahre?"

Okolitsch öffnete die Augen weiter und blickte den Aufseher scharf an.

„Ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht", sagte er dann. „Ich habe
nicht die Gewohnheit, über Sachen nachzudenken oder gar nach Sachen zu
forschen, die mich nicht angehen," setzte er ungeduldig hinzu. „Ich habe
Beschäftigung, und unnütze Neugier legen nur die an den Tag, die nichts Nützliches
zu tun haben."

„Daß ich Geld in der Schatulle hielt," beantwortete Schejin jetzt die Frage
des Bezirksaufsehers, „war vielen bekannt, allen, denen ich Geld zahlte, denn ich
tat das immer im Kabinett. Du, Kamerad," wandte er sich an den Soldaten,
„mußt es auch gewußt haben."

„Jawohl, jawohl, Ihre Wohlgeboren," bestätigte der Alte. „Wenn wir
mit Ihnen aus dem Gouvernement kamen, beliebten Sie mich immer herein¬
zurufen. Sie zählten das Geld für mich auf der Kommode aus, und den Rest
legten Sie zurück in die Schatulle."


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[0444] Im Flecke» „Ich antwortete auch", sprach der Sohn dazwischen, „Schweigen!" gebot der Vater und stampfte mit dem Fuße. „Und dann," setzte er seine Aussage fort, „schrie der junge Herr Okolitsch: Haltet den Wagen auf! Wir schrien auch! Haltet den Wagen auf! Sehen Sie, Ihre Wohlgeboren, der Wagen rollte eben fort, und die Räuber mit der Schatulle Seiner Wohlgeboren saßen in dem Wagen," „Weißt du bestimmt, daß sie in dem Wagen sahen?" „Ja, das weiß ich bestimmt." „Woher weißt du das?" Der Soldat breitete die Arme aus und sah mit der größten Verwunderung alle der Reihe nach an. „Ja, wo sollten sie sonst geblieben sein?" fragte er kleinlaut. Der Sohn wußte natürlich auch nicht mehr als der Vater, und der Bezirks¬ aufseher schritt zur Besichtigung. Zuerst wurde die Kommode in Augenschein genommen und der Platz auf ihr, wo die Schatulle gestanden hatte. „Ich bitte Sie nachzudenken," sprach der Bezirksaussehcr zu Schejin, „ob jemand, der nicht zum Hause gehört, davon wußte, daß Sie Ihr Geld in der Schatulle hielten." Noch ehe der Hauptmann antwortete, räusperte sich WoMi und wandte sich in inquisitorischem Ton an Okolitsch. „Zum Beispiel Sie. War Ihnen bekannt, daß Andres Fomitsch sein Ver¬ mögen in der Schatulle aufbewahrte?" „Daß sein ganzes Vermögen in der Schatulle hatte, war mir unbekannt," erwiderte Okolitsch, „aber daß Andrej Fomitsch dort Geld hielt, wußte ich. „Woher hatten Sie die Kenntnis? Hatte Andrej Fomitsch es Ihnen erzählt, anvertraut?" „Jeden Monat, wenn ich die Miete brachte, tat Andrew Fomitsch in meiner Gegenwart das Geld in die Schatulle, und aus ihr nahm er, wenn es nötig war, auch die Ausgabe." „Sagen Sie doch, setzten Sie voraus, daß Andrej Fomitsch viel Geld in der Schatulle aufbewahre?" Okolitsch öffnete die Augen weiter und blickte den Aufseher scharf an. „Ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht", sagte er dann. „Ich habe nicht die Gewohnheit, über Sachen nachzudenken oder gar nach Sachen zu forschen, die mich nicht angehen," setzte er ungeduldig hinzu. „Ich habe Beschäftigung, und unnütze Neugier legen nur die an den Tag, die nichts Nützliches zu tun haben." „Daß ich Geld in der Schatulle hielt," beantwortete Schejin jetzt die Frage des Bezirksaufsehers, „war vielen bekannt, allen, denen ich Geld zahlte, denn ich tat das immer im Kabinett. Du, Kamerad," wandte er sich an den Soldaten, „mußt es auch gewußt haben." „Jawohl, jawohl, Ihre Wohlgeboren," bestätigte der Alte. „Wenn wir mit Ihnen aus dem Gouvernement kamen, beliebten Sie mich immer herein¬ zurufen. Sie zählten das Geld für mich auf der Kommode aus, und den Rest legten Sie zurück in die Schatulle."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/444>, abgerufen am 23.07.2024.