Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.Juristen und Laien in der preußischen Verwaltung Ausbildung der wissenschaftlichen Denkfähigkeit habe, ohne die niemand ein Wie diese Wirkung der theoretischen und praktischen juristischen Tätigkeit Juristen und Laien in der preußischen Verwaltung Ausbildung der wissenschaftlichen Denkfähigkeit habe, ohne die niemand ein Wie diese Wirkung der theoretischen und praktischen juristischen Tätigkeit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0415" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317366"/> <fw type="header" place="top"> Juristen und Laien in der preußischen Verwaltung</fw><lb/> <p xml:id="ID_1895" prev="#ID_1894"> Ausbildung der wissenschaftlichen Denkfähigkeit habe, ohne die niemand ein<lb/> größeres Wissensgebiet beherrschen oder eine Frage folgerichtig durchdenken<lb/> könne. Sehr hübsch zeigte namentlich Professor Knapp diesen Nutzen der<lb/> Beschäftigung mit der Jurisprudenz. Er schilderte unter andern: den großen<lb/> Vorsprung, demnach seinen Erfahrungen ein so geschulter deutscherVertreterderVolks-<lb/> wirtschaftslehre vor einem englischen Fachgenossen voraus habe, und der sich<lb/> namentlich darin zeige, daß ein Engländer, wenn er frei und unvorbereitet<lb/> sprechen solle, vollkommen hilflos sei, weil ihm die formal-logische Bildung<lb/> des Deutschen fehle. Professor Knapp wies ausdrücklich die Behauptung Büchers<lb/> zurück, daß die Beschäftigung mit der Volkswirtschaftslehre das wissenschaftliche<lb/> Denkvermögen entsprechend ausbilden und Schulen könne. Er wollte vielmehr<lb/> neben der juristischen Schulung nur die rein logische oder die mathematische<lb/> gelten lassen. Mir ist jedoch zweifelhaft, ob die mathematische Schulung wirklich<lb/> in dieser Hinsicht mit der juristischen auf eine Stufe gestellt werden kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_1896" next="#ID_1897"> Wie diese Wirkung der theoretischen und praktischen juristischen Tätigkeit<lb/> zu erklären ist, zeigt gut ein andrer Nichtjurist, Professor Geyer in Brieg. Er<lb/> schildert in seineni Buch über den deutschen Aufsatz (München 1906) Seite 11 ff.<lb/> einleuchtend die Vorteile, die eine formal-logische Schulung des Geists grade<lb/> auch für das praktische Leben gewährt, und fährt dann fort: „Diese formal¬<lb/> logische Schulung ist es, die dem Juristen die herrschende Stellung verliehen hat, die<lb/> er unstreitig in unseren! öffentlichen Leben, in den Volksvertretungen und sonst, ein¬<lb/> nimmt. Er besitzt die Fähigkeit, sich in allen Fragen, gleichviel, welche Sachkenntnis<lb/> sie im einzelnen voraussetzen, vermöge dieser logischen Schulung zurechtzufinden und<lb/> die Gesichtspunkte festzustellen, nach denen sie zu beurteilen sind. Er erhebt sich<lb/> über das Vielerlei des Tatsächlichen des Stoffs, das den naiven Verstand so<lb/> leicht verwirrt. Was ist denn die Rechtswissenschaft, soweit sie nicht bloß Wissen,<lb/> nämlich der Rechtsvorschriften an und für sich, sondern daneben auch ein<lb/> Können: Rechtsanwendung, Einreihung der einzelnen Fälle unter die zutreffenden<lb/> Paragraphen des Gesetzes bedeutet, andres als praktische Logik? Das gilt ja<lb/> in: allgemeinen von jeder Wissenschaft, ja von jeder Denktätigkeit überhaupt,<lb/> aber doch nirgends in solchem Umfang wie bei der Rechtswissenschaft, die fort¬<lb/> während und zwar mit vollem Bewußtsein von ihren: Tun Definitionen,<lb/> Distinktionen, Determinationen, Subsumptionen usw. herstellt." Das ist alles<lb/> so klar und treffend, daß ich mir nicht versagen konnte, es wörtlich wiederzu¬<lb/> geben. Aber, wie ich glaube, ist darin etwas Wichtiges, vielleicht das Wichtigste,<lb/> nicht scharf genug hervorgehoben. Das ist, daß kein geistiger Arbeiter so wie<lb/> der praktische Jurist tagtäglich auf Schritt und Tritt Gelegenheit hat, sich darin<lb/> zu üben, das Wesentliche zu erkennen und praktisch damit zu arbeiten, was,<lb/> wie mir scheint, der Anfang jeder eindringenden Erkenntnis sein muß. Der<lb/> Richter, der den Vortrag einer Partei, die Verantwortung eines Angeklagten<lb/> entgegennimmt oder das Ergebnis einer Beweiserhebung geistig verarbeitet. —<lb/> der Staatsanwalt, der eine Untersuchung leitet oder den Inhalt eines dicken</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0415]
Juristen und Laien in der preußischen Verwaltung
Ausbildung der wissenschaftlichen Denkfähigkeit habe, ohne die niemand ein
größeres Wissensgebiet beherrschen oder eine Frage folgerichtig durchdenken
könne. Sehr hübsch zeigte namentlich Professor Knapp diesen Nutzen der
Beschäftigung mit der Jurisprudenz. Er schilderte unter andern: den großen
Vorsprung, demnach seinen Erfahrungen ein so geschulter deutscherVertreterderVolks-
wirtschaftslehre vor einem englischen Fachgenossen voraus habe, und der sich
namentlich darin zeige, daß ein Engländer, wenn er frei und unvorbereitet
sprechen solle, vollkommen hilflos sei, weil ihm die formal-logische Bildung
des Deutschen fehle. Professor Knapp wies ausdrücklich die Behauptung Büchers
zurück, daß die Beschäftigung mit der Volkswirtschaftslehre das wissenschaftliche
Denkvermögen entsprechend ausbilden und Schulen könne. Er wollte vielmehr
neben der juristischen Schulung nur die rein logische oder die mathematische
gelten lassen. Mir ist jedoch zweifelhaft, ob die mathematische Schulung wirklich
in dieser Hinsicht mit der juristischen auf eine Stufe gestellt werden kann.
Wie diese Wirkung der theoretischen und praktischen juristischen Tätigkeit
zu erklären ist, zeigt gut ein andrer Nichtjurist, Professor Geyer in Brieg. Er
schildert in seineni Buch über den deutschen Aufsatz (München 1906) Seite 11 ff.
einleuchtend die Vorteile, die eine formal-logische Schulung des Geists grade
auch für das praktische Leben gewährt, und fährt dann fort: „Diese formal¬
logische Schulung ist es, die dem Juristen die herrschende Stellung verliehen hat, die
er unstreitig in unseren! öffentlichen Leben, in den Volksvertretungen und sonst, ein¬
nimmt. Er besitzt die Fähigkeit, sich in allen Fragen, gleichviel, welche Sachkenntnis
sie im einzelnen voraussetzen, vermöge dieser logischen Schulung zurechtzufinden und
die Gesichtspunkte festzustellen, nach denen sie zu beurteilen sind. Er erhebt sich
über das Vielerlei des Tatsächlichen des Stoffs, das den naiven Verstand so
leicht verwirrt. Was ist denn die Rechtswissenschaft, soweit sie nicht bloß Wissen,
nämlich der Rechtsvorschriften an und für sich, sondern daneben auch ein
Können: Rechtsanwendung, Einreihung der einzelnen Fälle unter die zutreffenden
Paragraphen des Gesetzes bedeutet, andres als praktische Logik? Das gilt ja
in: allgemeinen von jeder Wissenschaft, ja von jeder Denktätigkeit überhaupt,
aber doch nirgends in solchem Umfang wie bei der Rechtswissenschaft, die fort¬
während und zwar mit vollem Bewußtsein von ihren: Tun Definitionen,
Distinktionen, Determinationen, Subsumptionen usw. herstellt." Das ist alles
so klar und treffend, daß ich mir nicht versagen konnte, es wörtlich wiederzu¬
geben. Aber, wie ich glaube, ist darin etwas Wichtiges, vielleicht das Wichtigste,
nicht scharf genug hervorgehoben. Das ist, daß kein geistiger Arbeiter so wie
der praktische Jurist tagtäglich auf Schritt und Tritt Gelegenheit hat, sich darin
zu üben, das Wesentliche zu erkennen und praktisch damit zu arbeiten, was,
wie mir scheint, der Anfang jeder eindringenden Erkenntnis sein muß. Der
Richter, der den Vortrag einer Partei, die Verantwortung eines Angeklagten
entgegennimmt oder das Ergebnis einer Beweiserhebung geistig verarbeitet. —
der Staatsanwalt, der eine Untersuchung leitet oder den Inhalt eines dicken
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