Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches fassung heraus die Stimmung der Nation mißachtet. Es liegt uns wirklich ferne, Die Worte des Kaisers haben nicht dazu beigetragen, die Beruhigungs¬ Am 13. d. Mes. hat der Vorstand des Ostmarkenvereins seine Jahres¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches fassung heraus die Stimmung der Nation mißachtet. Es liegt uns wirklich ferne, Die Worte des Kaisers haben nicht dazu beigetragen, die Beruhigungs¬ Am 13. d. Mes. hat der Vorstand des Ostmarkenvereins seine Jahres¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0396" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317347"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1836" prev="#ID_1835"> fassung heraus die Stimmung der Nation mißachtet. Es liegt uns wirklich ferne,<lb/> dem Monarchen verwehren zu wollen, seinen Eingebungen Ausdruck zu verleihen,<lb/> seine Empfindungen an historischer und weihevoller Stätte gegen seine Umgebung<lb/> zu offenbaren. Aber diese Umgebung muß auch die Gewähr dafür bieten, daß<lb/> privat gemeinte Äußerungen des Kaisers nicht als Parole für eine Parteiagitation<lb/> in die Lande getragen werden. Diese Rücksicht hat der Monarch zu üben, — in<lb/> erster Linie gegen sich selbst, aber auch gegen seine verantwortlichen Minister und<lb/> letzten Endes gegen die nationalen Volkskreise im Lande draußen, die jederzeit<lb/> bereit sind, mit Gut und Blut für die Monarchie einzutreten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1837"> Die Worte des Kaisers haben nicht dazu beigetragen, die Beruhigungs¬<lb/> politik des Reichskanzlers zu fördern. Sie werden auf der einen Seite die<lb/> Nervösen und Ungeduldigen noch weiter zum Radikalismus treiben und auf<lb/> der anderen die beginnende Spaltung im Zentrum aufhalten. Und der Herr<lb/> Reichskanzler?--</p><lb/> <p xml:id="ID_1838" next="#ID_1839"> Am 13. d. Mes. hat der Vorstand des Ostmarkenvereins seine Jahres¬<lb/> versammlung abgehalten, — wie immer so auch diesmal eine Zusammenkunft<lb/> bester deutscher Männer, die unter schweren Sorgen das Heil des Vaterlandes<lb/> erstreben. Die Beratungen drehten sich um alle die Fragen, die Wilhelm von Massow<lb/> seinerzeit so treffend in dem Worte „die Polennot" zusammenfaßte. Daß eine<lb/> Polennot besteht, d. h., daß die Gefahr vorhanden ist, weite Strecken deutschen<lb/> Bodens an die aufstrebenden Polen zu verlieren, darüber besteht wohl nirgends<lb/> im Lande Uneinigkeit. Anders liegt es mit den Mitteln zur Beseitigung der Not.<lb/> Die entsprechenden Vorschläge gehen je nach der Auffassung auseinander, welche<lb/> Verhältnisse in erster Linie für das Erstarken des Polentums maßgebend sind.<lb/> Die einen wollen in der ganzen Frage lediglich eine nationale Angelegenheit<lb/> erkennen, andere eine rein wirtschaftliche und wieder andere beides. In diesen<lb/> drei Gruppen gibt es wiederum solche, die glauben, die Polen hätten bereits<lb/> frühzeitig angefangen, nationalpolnische Bodenpolitik bewußt zu treiben, und<lb/> dadurch staatliche Maßregeln provoziert, während die anderen die Ansicht ver¬<lb/> treten, die Polen hätten lediglich gedankenlos eine wirtschaftliche Konjunktur aus¬<lb/> genutzt und seien erst durch das Ansiedlungsgesetz von 1886 zur Feindschaft gegen<lb/> das Deutschtum gereizt worden. Diesen zuletzt genannten Standpunkt vertritt<lb/> z. B. Professor Hans Delbrück, während der erste durch den Ostmarkenverein<lb/> hochgehalten wird. Tatsächlich liegt in beiden Auffassungen etwas Richtiges, je<lb/> nachdem, welchen Zeitpunkt man als Ausgangspunkt für die Frage nimmt. Schon<lb/> seit der ersten Teilung Polens wird von polnischen Patrioten die Notwendigkeit<lb/> gepredigt, die Großgrundbesitze zugunsten der Bauernbesitze zu verkleinern, wenn<lb/> der Polenstaat am Leben bleiben sollte. Nach der Agrarreform im Jahre 1864<lb/> durch Alexander den Zweiten wurde diese Forderung Gemeingut aller Gebildeten,<lb/> und die Schlachta folgte ihr in Russisch-Polen um so schneller, als sie sich außer¬<lb/> stande erwies, ihre großen Güter zu bewirtschaften. Daß in den 1870er Jahren<lb/> die preußischen Polen bewußt bei Deutschen Land gekauft hätten, um nach national¬<lb/> polnischen Gesichtspunkten zu kolonisieren, läßt sich nirgends nachweisen. Wenn<lb/> wir die damals bei den Theoretikern matzgebenden wirtschaftlichen Anschauungen<lb/> des polnischen Philosophen Libell in Betracht ziehen und uns erinnern, datz bis<lb/> 1882 der klerikal-konservative Adel, das „Stanczykentum", in allen Teilen des<lb/> früheren Polenreiches herrschte, dann hat auch die Auffassung Delbrücks<lb/> gewisse Berechtigung. Wir glauben aber, daß es für die Tatsache der Ver¬<lb/> mehrung von Landbesitz in polnischen Händen selbst gleichgültig ist, wer<lb/> angefangen hat, den andern politisch zu reizen. Wichtiger scheint es uns, die Wirt-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0396]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
fassung heraus die Stimmung der Nation mißachtet. Es liegt uns wirklich ferne,
dem Monarchen verwehren zu wollen, seinen Eingebungen Ausdruck zu verleihen,
seine Empfindungen an historischer und weihevoller Stätte gegen seine Umgebung
zu offenbaren. Aber diese Umgebung muß auch die Gewähr dafür bieten, daß
privat gemeinte Äußerungen des Kaisers nicht als Parole für eine Parteiagitation
in die Lande getragen werden. Diese Rücksicht hat der Monarch zu üben, — in
erster Linie gegen sich selbst, aber auch gegen seine verantwortlichen Minister und
letzten Endes gegen die nationalen Volkskreise im Lande draußen, die jederzeit
bereit sind, mit Gut und Blut für die Monarchie einzutreten.
Die Worte des Kaisers haben nicht dazu beigetragen, die Beruhigungs¬
politik des Reichskanzlers zu fördern. Sie werden auf der einen Seite die
Nervösen und Ungeduldigen noch weiter zum Radikalismus treiben und auf
der anderen die beginnende Spaltung im Zentrum aufhalten. Und der Herr
Reichskanzler?--
Am 13. d. Mes. hat der Vorstand des Ostmarkenvereins seine Jahres¬
versammlung abgehalten, — wie immer so auch diesmal eine Zusammenkunft
bester deutscher Männer, die unter schweren Sorgen das Heil des Vaterlandes
erstreben. Die Beratungen drehten sich um alle die Fragen, die Wilhelm von Massow
seinerzeit so treffend in dem Worte „die Polennot" zusammenfaßte. Daß eine
Polennot besteht, d. h., daß die Gefahr vorhanden ist, weite Strecken deutschen
Bodens an die aufstrebenden Polen zu verlieren, darüber besteht wohl nirgends
im Lande Uneinigkeit. Anders liegt es mit den Mitteln zur Beseitigung der Not.
Die entsprechenden Vorschläge gehen je nach der Auffassung auseinander, welche
Verhältnisse in erster Linie für das Erstarken des Polentums maßgebend sind.
Die einen wollen in der ganzen Frage lediglich eine nationale Angelegenheit
erkennen, andere eine rein wirtschaftliche und wieder andere beides. In diesen
drei Gruppen gibt es wiederum solche, die glauben, die Polen hätten bereits
frühzeitig angefangen, nationalpolnische Bodenpolitik bewußt zu treiben, und
dadurch staatliche Maßregeln provoziert, während die anderen die Ansicht ver¬
treten, die Polen hätten lediglich gedankenlos eine wirtschaftliche Konjunktur aus¬
genutzt und seien erst durch das Ansiedlungsgesetz von 1886 zur Feindschaft gegen
das Deutschtum gereizt worden. Diesen zuletzt genannten Standpunkt vertritt
z. B. Professor Hans Delbrück, während der erste durch den Ostmarkenverein
hochgehalten wird. Tatsächlich liegt in beiden Auffassungen etwas Richtiges, je
nachdem, welchen Zeitpunkt man als Ausgangspunkt für die Frage nimmt. Schon
seit der ersten Teilung Polens wird von polnischen Patrioten die Notwendigkeit
gepredigt, die Großgrundbesitze zugunsten der Bauernbesitze zu verkleinern, wenn
der Polenstaat am Leben bleiben sollte. Nach der Agrarreform im Jahre 1864
durch Alexander den Zweiten wurde diese Forderung Gemeingut aller Gebildeten,
und die Schlachta folgte ihr in Russisch-Polen um so schneller, als sie sich außer¬
stande erwies, ihre großen Güter zu bewirtschaften. Daß in den 1870er Jahren
die preußischen Polen bewußt bei Deutschen Land gekauft hätten, um nach national¬
polnischen Gesichtspunkten zu kolonisieren, läßt sich nirgends nachweisen. Wenn
wir die damals bei den Theoretikern matzgebenden wirtschaftlichen Anschauungen
des polnischen Philosophen Libell in Betracht ziehen und uns erinnern, datz bis
1882 der klerikal-konservative Adel, das „Stanczykentum", in allen Teilen des
früheren Polenreiches herrschte, dann hat auch die Auffassung Delbrücks
gewisse Berechtigung. Wir glauben aber, daß es für die Tatsache der Ver¬
mehrung von Landbesitz in polnischen Händen selbst gleichgültig ist, wer
angefangen hat, den andern politisch zu reizen. Wichtiger scheint es uns, die Wirt-
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