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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Der neue deutsche Shakespeare

Geburt, dem Hingezogen-Hingestoßensein zur Ausformung weltlich-heldischen
Lebens aus einem weltlich-heldischen den Dichter beherrschenden Lebensgefühl.

In den "Zwiegesprächen" von Friedrich Gundolf (Berlin 1906. Verlag
der Blätter für die Kunst) ist dieses Ethos schon ganz durchgedrungen
und fast auf seine letzte Spitze gebracht (worin die Jugend des wahren Dichters
sich verkündigt). Noch freilich quillt dies Ethos, die erregende, begeisternde
Heidenschaft als solche über die engen Bildformen heraus. Das Wunder
heldischer Menschheit, ihr Grund und Umfang, quält und reizt den Dichter noch
so, daß er zu dem Helden selbst, der ruhigen Erscheinung und Erfüllung des
Wunders, feinem unbekümmerten Sein ohne Frage und Sorge um Ursprung,
Recht und Ziel noch nicht vorzudringen vermag. Aber um so mächtiger redet
die Stimme sein erfüllendes Wunder, sein dunkles An-die-Welt-Gebundensein
und Helles Über-sie-fortschreiten, das mythische Geheimnis des Halbgöttlichen aus
(Jskenders Letzte Fahrt, das dritte der Zwiegespräche). Und wie sehr die innere
Weisung des Dichters auf das Körperlichmachen, das unbedingte Vergegenwärtigen
heroisch-mythischer Gesichte weist, verrät die unmittelbar wirkende Form dieser
Zwiegespräche, die, obwohl noch das Ethos selbst zusammenhaltend, nicht die
von ihm lebende Gestalt errichtend, sich schon in Gestalten ordnet, das Ethos
verleitend in sie verleiht und so mit dem äußeren Gefüge dahin vordrängt,
wohin die innere Bildung des Dichters verlangt.

Parallel zum Jskender läuft der spätere Alexander. Hier drängt bereits
der mit dichterischem Auge in seinem Tiefsten gesehene Held aus dem unbegrenzten
Meer von Heidenschaft (das den jungen Dichter umfing und festhielt,) in die
sichere Räumlichkeit weltlich-zeitlichen Geschehens. Ihm ist jetzt mit sehenden:
Auge und formender Hand Bahn geschaffen. Die Sphäre der Umwölkung, des
Sich-gefangen-fühlens in einem diffusen, vielgestaltigen Weltlichen und des Dagegen-
cmringens und Losbrechens verlassen Held und Dichter gemeinsam. Die Ver¬
fassung unseres Dichters, sein heroisch - enthusiastischer Wille, eine höhere
Menschenform körperhaft zu bilden, bedeutet das Drängen zu einem Kultischen,
das in dem Vorhandenen der Welt sein Gleiches nicht in Sophokles oder
Dante, kultischen Erscheinungen mit außerweltlichen Polen, sondern nur in dem
Einen findet, der der sinnlichen Welt ihren Kult gegeben hat: Shakespeare.
Ihm mußte der Dichter gerade in dem gegenwärtigen Stande seiner Ent¬
wicklung wie unter einem Zwange nahekommen. Der Augenblick, in dem eine
künstlerische Kraft ihr eigentliches Maß, ihre eingeborene Bildung aus assoziativem
Umhüllungen herauszustellen am Werke ist, überwirft die Welt für ihr erkennendes
Auge mit einen: Lichtkreis, der alle die nur assoziativ für sie bestimmten, ihr
innerlich fremden Teile in Schatten läßt und nur das bescheint und leuchtend
heraushebt, was in der Kraft wiederkehrt. Für Friedrich Gundolf, den Dichter,
wurde jetzt das Hineinströmen aller eigenen Kraft in das väterlich nehmende,
sammelnde und tausendfache Kraft zurückströmende Gefäß Shakespeare eine
Notwendigkeit.


Der neue deutsche Shakespeare

Geburt, dem Hingezogen-Hingestoßensein zur Ausformung weltlich-heldischen
Lebens aus einem weltlich-heldischen den Dichter beherrschenden Lebensgefühl.

In den „Zwiegesprächen" von Friedrich Gundolf (Berlin 1906. Verlag
der Blätter für die Kunst) ist dieses Ethos schon ganz durchgedrungen
und fast auf seine letzte Spitze gebracht (worin die Jugend des wahren Dichters
sich verkündigt). Noch freilich quillt dies Ethos, die erregende, begeisternde
Heidenschaft als solche über die engen Bildformen heraus. Das Wunder
heldischer Menschheit, ihr Grund und Umfang, quält und reizt den Dichter noch
so, daß er zu dem Helden selbst, der ruhigen Erscheinung und Erfüllung des
Wunders, feinem unbekümmerten Sein ohne Frage und Sorge um Ursprung,
Recht und Ziel noch nicht vorzudringen vermag. Aber um so mächtiger redet
die Stimme sein erfüllendes Wunder, sein dunkles An-die-Welt-Gebundensein
und Helles Über-sie-fortschreiten, das mythische Geheimnis des Halbgöttlichen aus
(Jskenders Letzte Fahrt, das dritte der Zwiegespräche). Und wie sehr die innere
Weisung des Dichters auf das Körperlichmachen, das unbedingte Vergegenwärtigen
heroisch-mythischer Gesichte weist, verrät die unmittelbar wirkende Form dieser
Zwiegespräche, die, obwohl noch das Ethos selbst zusammenhaltend, nicht die
von ihm lebende Gestalt errichtend, sich schon in Gestalten ordnet, das Ethos
verleitend in sie verleiht und so mit dem äußeren Gefüge dahin vordrängt,
wohin die innere Bildung des Dichters verlangt.

Parallel zum Jskender läuft der spätere Alexander. Hier drängt bereits
der mit dichterischem Auge in seinem Tiefsten gesehene Held aus dem unbegrenzten
Meer von Heidenschaft (das den jungen Dichter umfing und festhielt,) in die
sichere Räumlichkeit weltlich-zeitlichen Geschehens. Ihm ist jetzt mit sehenden:
Auge und formender Hand Bahn geschaffen. Die Sphäre der Umwölkung, des
Sich-gefangen-fühlens in einem diffusen, vielgestaltigen Weltlichen und des Dagegen-
cmringens und Losbrechens verlassen Held und Dichter gemeinsam. Die Ver¬
fassung unseres Dichters, sein heroisch - enthusiastischer Wille, eine höhere
Menschenform körperhaft zu bilden, bedeutet das Drängen zu einem Kultischen,
das in dem Vorhandenen der Welt sein Gleiches nicht in Sophokles oder
Dante, kultischen Erscheinungen mit außerweltlichen Polen, sondern nur in dem
Einen findet, der der sinnlichen Welt ihren Kult gegeben hat: Shakespeare.
Ihm mußte der Dichter gerade in dem gegenwärtigen Stande seiner Ent¬
wicklung wie unter einem Zwange nahekommen. Der Augenblick, in dem eine
künstlerische Kraft ihr eigentliches Maß, ihre eingeborene Bildung aus assoziativem
Umhüllungen herauszustellen am Werke ist, überwirft die Welt für ihr erkennendes
Auge mit einen: Lichtkreis, der alle die nur assoziativ für sie bestimmten, ihr
innerlich fremden Teile in Schatten läßt und nur das bescheint und leuchtend
heraushebt, was in der Kraft wiederkehrt. Für Friedrich Gundolf, den Dichter,
wurde jetzt das Hineinströmen aller eigenen Kraft in das väterlich nehmende,
sammelnde und tausendfache Kraft zurückströmende Gefäß Shakespeare eine
Notwendigkeit.


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[0362] Der neue deutsche Shakespeare Geburt, dem Hingezogen-Hingestoßensein zur Ausformung weltlich-heldischen Lebens aus einem weltlich-heldischen den Dichter beherrschenden Lebensgefühl. In den „Zwiegesprächen" von Friedrich Gundolf (Berlin 1906. Verlag der Blätter für die Kunst) ist dieses Ethos schon ganz durchgedrungen und fast auf seine letzte Spitze gebracht (worin die Jugend des wahren Dichters sich verkündigt). Noch freilich quillt dies Ethos, die erregende, begeisternde Heidenschaft als solche über die engen Bildformen heraus. Das Wunder heldischer Menschheit, ihr Grund und Umfang, quält und reizt den Dichter noch so, daß er zu dem Helden selbst, der ruhigen Erscheinung und Erfüllung des Wunders, feinem unbekümmerten Sein ohne Frage und Sorge um Ursprung, Recht und Ziel noch nicht vorzudringen vermag. Aber um so mächtiger redet die Stimme sein erfüllendes Wunder, sein dunkles An-die-Welt-Gebundensein und Helles Über-sie-fortschreiten, das mythische Geheimnis des Halbgöttlichen aus (Jskenders Letzte Fahrt, das dritte der Zwiegespräche). Und wie sehr die innere Weisung des Dichters auf das Körperlichmachen, das unbedingte Vergegenwärtigen heroisch-mythischer Gesichte weist, verrät die unmittelbar wirkende Form dieser Zwiegespräche, die, obwohl noch das Ethos selbst zusammenhaltend, nicht die von ihm lebende Gestalt errichtend, sich schon in Gestalten ordnet, das Ethos verleitend in sie verleiht und so mit dem äußeren Gefüge dahin vordrängt, wohin die innere Bildung des Dichters verlangt. Parallel zum Jskender läuft der spätere Alexander. Hier drängt bereits der mit dichterischem Auge in seinem Tiefsten gesehene Held aus dem unbegrenzten Meer von Heidenschaft (das den jungen Dichter umfing und festhielt,) in die sichere Räumlichkeit weltlich-zeitlichen Geschehens. Ihm ist jetzt mit sehenden: Auge und formender Hand Bahn geschaffen. Die Sphäre der Umwölkung, des Sich-gefangen-fühlens in einem diffusen, vielgestaltigen Weltlichen und des Dagegen- cmringens und Losbrechens verlassen Held und Dichter gemeinsam. Die Ver¬ fassung unseres Dichters, sein heroisch - enthusiastischer Wille, eine höhere Menschenform körperhaft zu bilden, bedeutet das Drängen zu einem Kultischen, das in dem Vorhandenen der Welt sein Gleiches nicht in Sophokles oder Dante, kultischen Erscheinungen mit außerweltlichen Polen, sondern nur in dem Einen findet, der der sinnlichen Welt ihren Kult gegeben hat: Shakespeare. Ihm mußte der Dichter gerade in dem gegenwärtigen Stande seiner Ent¬ wicklung wie unter einem Zwange nahekommen. Der Augenblick, in dem eine künstlerische Kraft ihr eigentliches Maß, ihre eingeborene Bildung aus assoziativem Umhüllungen herauszustellen am Werke ist, überwirft die Welt für ihr erkennendes Auge mit einen: Lichtkreis, der alle die nur assoziativ für sie bestimmten, ihr innerlich fremden Teile in Schatten läßt und nur das bescheint und leuchtend heraushebt, was in der Kraft wiederkehrt. Für Friedrich Gundolf, den Dichter, wurde jetzt das Hineinströmen aller eigenen Kraft in das väterlich nehmende, sammelnde und tausendfache Kraft zurückströmende Gefäß Shakespeare eine Notwendigkeit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/362>, abgerufen am 23.07.2024.