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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Der neue deutsche Shakespeare

oder Kaufmann eignen sollen und zum Glück Tausenden eignen!) Obwohl,
wenn sie sachlich sähen, sie mit Unbehagen gewahr werden würden, wie unbedingt
und willkürlich er Konflikte Schürze und löst, wie er ihre Entwicklung ganz
mechanisch grob motiviert, wie lächerlich einfältig -- und gar nicht fein --
seine Psychologie ist, eine offensichtliche Preisgabe von Dingen, die ihm als
Dinge der Welt wie hundert andere ihrer Wissens- und Erfahrensschätze nichts
wert schienen gegenüber seinem gewaltig ausbrechenden Drang, den heroischen
Menschen zu machen, in glühender Sucht sich ihn: selbst einzuverleiben
und in verschönter, gereinigter Form aus ihm hervorzugehen. Sie sollen
doch den Othello ansehen mit der wunderbar in sich bedingten Schürzung
des Konflikts, die nichts ist als die vorausgesetzte Glut des Heros Othello: zu
haben und zu halten. Sie mögen die feine Motivierung der Handlung durch
die recht theatermäßigen Teufeleien des Jago beachten und die scharfe
Psychologie, die aus jedem der faustdick seine List ankündigenden Worte des
Jago und der ihre Einfalt ebenso dick unterstreichenden des Othello und Cassio
spricht. Und Romeo und Julia, den Kaufmann, Antonius und Kleopatra!
Dann werden sie uns den Hamlet entgegenhalten, kaum den Lear. Denn wir
haben ja nicht gesagt -- und nichts wäre so lächerlich wie das --, daß
Shakespeare nicht der Herr der köstlichen Gaben gewesen sei, die das heutige
Dichtvolk als die Kleinodien der Dichtung ausruft, als da sind: in sich bedingte
Konfliktsschürzung, sichere Motivation, scharfe Psychologie. -- Er war ja doch
wohl nicht weniger geistig als seine Zeitgenossen von bürgerlichen: Berufe und
als seine vermeintlichen Epigonen, die nun ihn selbst zum "Beruf" gemacht
haben, der sich von andern Berufen durch nichts mehr als durch die unordent¬
liche freibeuterische Art seiner Vorbildung und seine zunftzwangfreie Zulassung
zur Ausübung des Gewerbes unterscheidet. Er hat wohl so gut wie sie auch
den Menschen innerer Zwiespalts begriffen, so gut wie sie ohne Bemühung
äußerer Mechanismen das Triebrad der Aktion rein geistig in Bewegung zu
setzen und das Wachstum ungeheuerer Geschehnisse aus winzigsten und ver¬
borgensten Gedanken sichtbar zu machen vermocht. Nichts anderes beweist zu
ihren Gunsten der Hamlet. Aber er hat es nicht um deswillen getan, weil
dies zu tun ihm ein Werk seiner Mühe würdig erschien, oder weil er es über¬
haupt nur für irgendwie belangreich gehalten hätte, sondern weil dies die dem
besondern geistigen Stoffe (Hamlet) in seiner Konzeption zugeboreueu technischen
Mittel waren, die in jedem Dichtwerk bis in die gröbsten Arten hinein andere
sind. (Vgl. Othello, wo sie ganz primitiv theatermäßig sind, den Effekt ver¬
deutlichen und hervorheben.) Sachlich gesehen ist auch hier nur wesentlich und
dichterisch: die Empfängnis und Aussetzung des heldischen Gesichtes aus dem Blute
des Dichters durch das Wunder -- das unaufhörbar Eine von Schau, Andacht,
Mache, welches jeden Begreifens, um so mehr jeden Anwenders, Tradierens und
Ausbilden?' spottet. ° Man verwechsle hiermit nicht die echte Tradition, welche
das Dichterische des Dichters begreifend, seine Folge darin sieht, daß sie rein


Der neue deutsche Shakespeare

oder Kaufmann eignen sollen und zum Glück Tausenden eignen!) Obwohl,
wenn sie sachlich sähen, sie mit Unbehagen gewahr werden würden, wie unbedingt
und willkürlich er Konflikte Schürze und löst, wie er ihre Entwicklung ganz
mechanisch grob motiviert, wie lächerlich einfältig — und gar nicht fein —
seine Psychologie ist, eine offensichtliche Preisgabe von Dingen, die ihm als
Dinge der Welt wie hundert andere ihrer Wissens- und Erfahrensschätze nichts
wert schienen gegenüber seinem gewaltig ausbrechenden Drang, den heroischen
Menschen zu machen, in glühender Sucht sich ihn: selbst einzuverleiben
und in verschönter, gereinigter Form aus ihm hervorzugehen. Sie sollen
doch den Othello ansehen mit der wunderbar in sich bedingten Schürzung
des Konflikts, die nichts ist als die vorausgesetzte Glut des Heros Othello: zu
haben und zu halten. Sie mögen die feine Motivierung der Handlung durch
die recht theatermäßigen Teufeleien des Jago beachten und die scharfe
Psychologie, die aus jedem der faustdick seine List ankündigenden Worte des
Jago und der ihre Einfalt ebenso dick unterstreichenden des Othello und Cassio
spricht. Und Romeo und Julia, den Kaufmann, Antonius und Kleopatra!
Dann werden sie uns den Hamlet entgegenhalten, kaum den Lear. Denn wir
haben ja nicht gesagt — und nichts wäre so lächerlich wie das —, daß
Shakespeare nicht der Herr der köstlichen Gaben gewesen sei, die das heutige
Dichtvolk als die Kleinodien der Dichtung ausruft, als da sind: in sich bedingte
Konfliktsschürzung, sichere Motivation, scharfe Psychologie. — Er war ja doch
wohl nicht weniger geistig als seine Zeitgenossen von bürgerlichen: Berufe und
als seine vermeintlichen Epigonen, die nun ihn selbst zum „Beruf" gemacht
haben, der sich von andern Berufen durch nichts mehr als durch die unordent¬
liche freibeuterische Art seiner Vorbildung und seine zunftzwangfreie Zulassung
zur Ausübung des Gewerbes unterscheidet. Er hat wohl so gut wie sie auch
den Menschen innerer Zwiespalts begriffen, so gut wie sie ohne Bemühung
äußerer Mechanismen das Triebrad der Aktion rein geistig in Bewegung zu
setzen und das Wachstum ungeheuerer Geschehnisse aus winzigsten und ver¬
borgensten Gedanken sichtbar zu machen vermocht. Nichts anderes beweist zu
ihren Gunsten der Hamlet. Aber er hat es nicht um deswillen getan, weil
dies zu tun ihm ein Werk seiner Mühe würdig erschien, oder weil er es über¬
haupt nur für irgendwie belangreich gehalten hätte, sondern weil dies die dem
besondern geistigen Stoffe (Hamlet) in seiner Konzeption zugeboreueu technischen
Mittel waren, die in jedem Dichtwerk bis in die gröbsten Arten hinein andere
sind. (Vgl. Othello, wo sie ganz primitiv theatermäßig sind, den Effekt ver¬
deutlichen und hervorheben.) Sachlich gesehen ist auch hier nur wesentlich und
dichterisch: die Empfängnis und Aussetzung des heldischen Gesichtes aus dem Blute
des Dichters durch das Wunder — das unaufhörbar Eine von Schau, Andacht,
Mache, welches jeden Begreifens, um so mehr jeden Anwenders, Tradierens und
Ausbilden?' spottet. ° Man verwechsle hiermit nicht die echte Tradition, welche
das Dichterische des Dichters begreifend, seine Folge darin sieht, daß sie rein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/360>, abgerufen am 23.07.2024.