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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Die neuen Forschungsinstitute

arbeitet mit an der internationalen Erdmessung, das ebenda befindliche Astro-
phrMalische Institut macht spektralanalytische Untersuchungen der Sonne und
der Gestirne, die aus dem Nahmen des Universitätsunterrichts herausfallen.
Ferner gibt es eine ganze Reihe von Forschungsinstituten, die vornehmlich den
praktischen Bedürfnissen der Verwaltung zu genügen haben; es sei hier nur an
das Gesundheitsamt und an die Biologische Anstalt sür Land- und Forst¬
wirtschaft in Dahlem bei Berlin erinnert. Nur teilweise hierher gehören mehrere
Berliner Anstalten, die zwar hauptsächlich der Forschung dienen, daneben aber
auch für den Universitätsuntcrricht nutzbar gemacht werden: die Sternwarte,
der Botanische Garten und das Meteorologische Institut. Alle diese Anstalten
können mit den geplanten selbständigen Forschungsinstituten nicht gut in Vergleich
gestellt werden. Bei den neuen Anstalten handelt es sich um etwas wesentlich
andres: ein Universitätsprofessor wird, damit er sich ungestört der Forschung
widmen kann, von der akademischen Lehrtätigkeit abgelöst und in ein Institut
verpflanzt, das mit dem Unterricht überhaupt nichts zu schaffen hat. Doch
fehlt es auch für die jetzt geplanten Neugründungen nicht ganz an Vorbildern.
Da ist die Physikalisch-technische Reichsanstalt in Charlottenburg. Ihre wissenschaft¬
liche Abteilung hat die Aufgabe, die physikalische Wissenschaft durch Versuche
zu bereichern. Sie wurde, als Helmholtz sich von der akademischen Lehrtätigkeit
zurückzog, seinen Wünschen und Bedürfnissen entsprechend eingerichtet. Auch
das Institut für Infektionskrankheiten, das für Robert Koch gebaut wurde,
verdankt in der Hauptsache rein persönlichen Gründen seine Entstehung. Es
wurde errichtet, als Koch seine ordentliche Professur an der Berliner Universität
niederlegte. An und für sich ist nicht recht einzusehen, weshalb die in dem
erwähnten Institut betriebenen Forschungen nicht in einem hygienischen Universitäts¬
institut oder in einer Universitätsklinik angestellt werden können. Dasselbe gilt im
wesentlichen von dem Institut für experimentelle Therapie in Frankfurt am Main,
das jetzt durch seinen vortrefflichen Leiter Ehrlich und dessen Mittel gegen die
Syphilis in weiten Kreisen bekannt geworden ist. Vielleicht wäre das Institut
nicht gegründet worden, wenn Ehrlich von einer medizinischen Fakultät zu einer
ordentlichen Professur in Vorschlag gebracht worden wäre.

Was jetzt mit Hilfe der Kaiserlichen Gesellschaft zur Förderung der Wissen¬
schaften ins Werk gesetzt werden soll, geht somit über das Bestehende weit
hinaus. Es scheint, als solle der Grundsatz verkündet werden: Die Forschung
kann, wenn sie gedeihen soll, mit der Lehre nicht mehr wie bisher vereinigt bleiben.
Damit würde die altüberlieferte Verbindung von Forschung und Lehre in Frage
gestellt; damit würde aber zugleich die Axt an die Wurzeln der deutschen Universitäten
gelegt. "Wir bedürfen Anstalten," so heißt es in der Rede des Kaisers, "die über
den Rahmen der Hochschule hinausgehen und unbeeinträchtigt durch Unterrichts¬
zwecke, aber in enger Verbindung mit Akademie und Universität lediglich der
Forschung dienen." Bisher war man im allgemeinen der Meinung nicht, daß
die Forschung durch den Unterricht beeinträchtigt werde. Freilich ist nicht zu


Die neuen Forschungsinstitute

arbeitet mit an der internationalen Erdmessung, das ebenda befindliche Astro-
phrMalische Institut macht spektralanalytische Untersuchungen der Sonne und
der Gestirne, die aus dem Nahmen des Universitätsunterrichts herausfallen.
Ferner gibt es eine ganze Reihe von Forschungsinstituten, die vornehmlich den
praktischen Bedürfnissen der Verwaltung zu genügen haben; es sei hier nur an
das Gesundheitsamt und an die Biologische Anstalt sür Land- und Forst¬
wirtschaft in Dahlem bei Berlin erinnert. Nur teilweise hierher gehören mehrere
Berliner Anstalten, die zwar hauptsächlich der Forschung dienen, daneben aber
auch für den Universitätsuntcrricht nutzbar gemacht werden: die Sternwarte,
der Botanische Garten und das Meteorologische Institut. Alle diese Anstalten
können mit den geplanten selbständigen Forschungsinstituten nicht gut in Vergleich
gestellt werden. Bei den neuen Anstalten handelt es sich um etwas wesentlich
andres: ein Universitätsprofessor wird, damit er sich ungestört der Forschung
widmen kann, von der akademischen Lehrtätigkeit abgelöst und in ein Institut
verpflanzt, das mit dem Unterricht überhaupt nichts zu schaffen hat. Doch
fehlt es auch für die jetzt geplanten Neugründungen nicht ganz an Vorbildern.
Da ist die Physikalisch-technische Reichsanstalt in Charlottenburg. Ihre wissenschaft¬
liche Abteilung hat die Aufgabe, die physikalische Wissenschaft durch Versuche
zu bereichern. Sie wurde, als Helmholtz sich von der akademischen Lehrtätigkeit
zurückzog, seinen Wünschen und Bedürfnissen entsprechend eingerichtet. Auch
das Institut für Infektionskrankheiten, das für Robert Koch gebaut wurde,
verdankt in der Hauptsache rein persönlichen Gründen seine Entstehung. Es
wurde errichtet, als Koch seine ordentliche Professur an der Berliner Universität
niederlegte. An und für sich ist nicht recht einzusehen, weshalb die in dem
erwähnten Institut betriebenen Forschungen nicht in einem hygienischen Universitäts¬
institut oder in einer Universitätsklinik angestellt werden können. Dasselbe gilt im
wesentlichen von dem Institut für experimentelle Therapie in Frankfurt am Main,
das jetzt durch seinen vortrefflichen Leiter Ehrlich und dessen Mittel gegen die
Syphilis in weiten Kreisen bekannt geworden ist. Vielleicht wäre das Institut
nicht gegründet worden, wenn Ehrlich von einer medizinischen Fakultät zu einer
ordentlichen Professur in Vorschlag gebracht worden wäre.

Was jetzt mit Hilfe der Kaiserlichen Gesellschaft zur Förderung der Wissen¬
schaften ins Werk gesetzt werden soll, geht somit über das Bestehende weit
hinaus. Es scheint, als solle der Grundsatz verkündet werden: Die Forschung
kann, wenn sie gedeihen soll, mit der Lehre nicht mehr wie bisher vereinigt bleiben.
Damit würde die altüberlieferte Verbindung von Forschung und Lehre in Frage
gestellt; damit würde aber zugleich die Axt an die Wurzeln der deutschen Universitäten
gelegt. „Wir bedürfen Anstalten," so heißt es in der Rede des Kaisers, „die über
den Rahmen der Hochschule hinausgehen und unbeeinträchtigt durch Unterrichts¬
zwecke, aber in enger Verbindung mit Akademie und Universität lediglich der
Forschung dienen." Bisher war man im allgemeinen der Meinung nicht, daß
die Forschung durch den Unterricht beeinträchtigt werde. Freilich ist nicht zu


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[0351] Die neuen Forschungsinstitute arbeitet mit an der internationalen Erdmessung, das ebenda befindliche Astro- phrMalische Institut macht spektralanalytische Untersuchungen der Sonne und der Gestirne, die aus dem Nahmen des Universitätsunterrichts herausfallen. Ferner gibt es eine ganze Reihe von Forschungsinstituten, die vornehmlich den praktischen Bedürfnissen der Verwaltung zu genügen haben; es sei hier nur an das Gesundheitsamt und an die Biologische Anstalt sür Land- und Forst¬ wirtschaft in Dahlem bei Berlin erinnert. Nur teilweise hierher gehören mehrere Berliner Anstalten, die zwar hauptsächlich der Forschung dienen, daneben aber auch für den Universitätsuntcrricht nutzbar gemacht werden: die Sternwarte, der Botanische Garten und das Meteorologische Institut. Alle diese Anstalten können mit den geplanten selbständigen Forschungsinstituten nicht gut in Vergleich gestellt werden. Bei den neuen Anstalten handelt es sich um etwas wesentlich andres: ein Universitätsprofessor wird, damit er sich ungestört der Forschung widmen kann, von der akademischen Lehrtätigkeit abgelöst und in ein Institut verpflanzt, das mit dem Unterricht überhaupt nichts zu schaffen hat. Doch fehlt es auch für die jetzt geplanten Neugründungen nicht ganz an Vorbildern. Da ist die Physikalisch-technische Reichsanstalt in Charlottenburg. Ihre wissenschaft¬ liche Abteilung hat die Aufgabe, die physikalische Wissenschaft durch Versuche zu bereichern. Sie wurde, als Helmholtz sich von der akademischen Lehrtätigkeit zurückzog, seinen Wünschen und Bedürfnissen entsprechend eingerichtet. Auch das Institut für Infektionskrankheiten, das für Robert Koch gebaut wurde, verdankt in der Hauptsache rein persönlichen Gründen seine Entstehung. Es wurde errichtet, als Koch seine ordentliche Professur an der Berliner Universität niederlegte. An und für sich ist nicht recht einzusehen, weshalb die in dem erwähnten Institut betriebenen Forschungen nicht in einem hygienischen Universitäts¬ institut oder in einer Universitätsklinik angestellt werden können. Dasselbe gilt im wesentlichen von dem Institut für experimentelle Therapie in Frankfurt am Main, das jetzt durch seinen vortrefflichen Leiter Ehrlich und dessen Mittel gegen die Syphilis in weiten Kreisen bekannt geworden ist. Vielleicht wäre das Institut nicht gegründet worden, wenn Ehrlich von einer medizinischen Fakultät zu einer ordentlichen Professur in Vorschlag gebracht worden wäre. Was jetzt mit Hilfe der Kaiserlichen Gesellschaft zur Förderung der Wissen¬ schaften ins Werk gesetzt werden soll, geht somit über das Bestehende weit hinaus. Es scheint, als solle der Grundsatz verkündet werden: Die Forschung kann, wenn sie gedeihen soll, mit der Lehre nicht mehr wie bisher vereinigt bleiben. Damit würde die altüberlieferte Verbindung von Forschung und Lehre in Frage gestellt; damit würde aber zugleich die Axt an die Wurzeln der deutschen Universitäten gelegt. „Wir bedürfen Anstalten," so heißt es in der Rede des Kaisers, „die über den Rahmen der Hochschule hinausgehen und unbeeinträchtigt durch Unterrichts¬ zwecke, aber in enger Verbindung mit Akademie und Universität lediglich der Forschung dienen." Bisher war man im allgemeinen der Meinung nicht, daß die Forschung durch den Unterricht beeinträchtigt werde. Freilich ist nicht zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/351>, abgerufen am 01.10.2024.