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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Ivirkliche Schäden in der preußischen Verwaltung

Gesetze von 1879 und 1906 leiden gleichmäßig an dem Mangel, daß sie
den zukünftigen Verwaltungsbeamten keinen ausreichenden Einblick in das
praktische Leben sichern. Das jüngere Gesetz hat zwar die Beschäftigung der
Referendare beim Landrat von sechs Monaten auf ein Jahr verlängert, um
ihnen Gelegenheit zu geben, sich im praktischen Leben umzutun. Ich habe
schon in meinen frühren Artikeln die Vermutung ausgesprochen, daß diese
Maßnahme keinen rechten Erfolg haben werde, wobei ich mich in guter Gesell¬
schaft befand. Meine bisherigen Beobachtungen haben mich in diesem Zweifel
nur bestärkt. Ein zweiter Mangel jener Gesetze ist, daß sie die Vor- und
Ausbildung der Verwaltungsbeamten zu sehr mit der juristischen verquicken,
indem sie auch von jenen die erste Staatsprüfung der Juristen verlangen, die
selbstverständlich auf das Bedürfnis der Justizverwaltung zugeschnitten ist und
für die Verwaltung unentbehrliche Gebiete nicht berücksichtigt. Infolgedessen
ist die wissenschaftliche Vorbildung der Verwaltungsbeamten ungenügend. Als
Ersatz hat man jetzt an den Regierungen wissenschaftliche Kurse für die
Refereudare eingerichtet. Ich halte dies auch jetzt noch für einen Versuch mit
untauglichen Mitteln. Wissenschaftliche Kenntnisse, die für einen Verwaltungs¬
beamten allerdings bitter nötig sind, können nur auf der Universität erworben
werden und nicht in der Zeit der praktischen Ausbildung, für die sie die unent¬
behrliche Grundlage bilden. Ein dritter, nach meiner Auffassung recht bedauerlicher
Mangel der jetzigen Verwaltungsansbildung ist, daß der Verwaltungsnachwuchs
aus seiner praktischen Tätigkeit bei der Justiz keinen rechten Nutzen ziehen
kann -- jetzt vor allem, weil sie zu kurz ist.

Bezeichnend für die gegenwärtige Lage scheint mir zu sein, daß mau sich
der Mängel der jetzt geltenden Bestimmungen über den Höhren Verwaltungs¬
dienst überall wohlbewußt war. Bei den parlamentarischen Verhandlungen
über die Vorlagen, die schließlich zu den: Gesetz von 1906 geführt haben,
waren nicht nur die Redner aller Fraktionen des Wgeordnetenhauses und
manche Redner des Herrenhauses übereinstimmend der Ansicht, daß die Vorlage
"Stückwerk", höchst dürftigen "Notbehelf", "Viertelarbeit" darstelle, auch Vertreter
der Staatsregierung mußten anerkennen, daß die Regierungsvorschläge unzu¬
reichend seien. Man tröstete sich damit, daß man später ganze Arbeit machen
könne. Es ist dringend zu wünschen, daß diese Absicht bald erfüllt wird,
damit die Verwaltung bald Beamte bekommt, die wirklich allseitig gebildete
und geschulte Fachleute find.

Endlich bedeutet es Stümpertum, daß man oft bei der Besetzung höherer
Behörden oder Stellen auf die aus persönlicher Anschauung gewonnenen
praktischen Erfahrungen verzichtet, ohne die grade dort eine ersprießliche
Tätigkeit undenkbar ist. Ich erinnere nur an die zahllosen, gewiß nach
Hunderten zählenden Assessoren, die im Laufe der langen Jahrzehnte seit der
Stein-Hardenbergischen Zeit bis in unsere Tage hinein in den Zentralbehörden
und Oberpräsidien tätig waren. Wie viele praktischen Erfahrungen und eignen


Ivirkliche Schäden in der preußischen Verwaltung

Gesetze von 1879 und 1906 leiden gleichmäßig an dem Mangel, daß sie
den zukünftigen Verwaltungsbeamten keinen ausreichenden Einblick in das
praktische Leben sichern. Das jüngere Gesetz hat zwar die Beschäftigung der
Referendare beim Landrat von sechs Monaten auf ein Jahr verlängert, um
ihnen Gelegenheit zu geben, sich im praktischen Leben umzutun. Ich habe
schon in meinen frühren Artikeln die Vermutung ausgesprochen, daß diese
Maßnahme keinen rechten Erfolg haben werde, wobei ich mich in guter Gesell¬
schaft befand. Meine bisherigen Beobachtungen haben mich in diesem Zweifel
nur bestärkt. Ein zweiter Mangel jener Gesetze ist, daß sie die Vor- und
Ausbildung der Verwaltungsbeamten zu sehr mit der juristischen verquicken,
indem sie auch von jenen die erste Staatsprüfung der Juristen verlangen, die
selbstverständlich auf das Bedürfnis der Justizverwaltung zugeschnitten ist und
für die Verwaltung unentbehrliche Gebiete nicht berücksichtigt. Infolgedessen
ist die wissenschaftliche Vorbildung der Verwaltungsbeamten ungenügend. Als
Ersatz hat man jetzt an den Regierungen wissenschaftliche Kurse für die
Refereudare eingerichtet. Ich halte dies auch jetzt noch für einen Versuch mit
untauglichen Mitteln. Wissenschaftliche Kenntnisse, die für einen Verwaltungs¬
beamten allerdings bitter nötig sind, können nur auf der Universität erworben
werden und nicht in der Zeit der praktischen Ausbildung, für die sie die unent¬
behrliche Grundlage bilden. Ein dritter, nach meiner Auffassung recht bedauerlicher
Mangel der jetzigen Verwaltungsansbildung ist, daß der Verwaltungsnachwuchs
aus seiner praktischen Tätigkeit bei der Justiz keinen rechten Nutzen ziehen
kann — jetzt vor allem, weil sie zu kurz ist.

Bezeichnend für die gegenwärtige Lage scheint mir zu sein, daß mau sich
der Mängel der jetzt geltenden Bestimmungen über den Höhren Verwaltungs¬
dienst überall wohlbewußt war. Bei den parlamentarischen Verhandlungen
über die Vorlagen, die schließlich zu den: Gesetz von 1906 geführt haben,
waren nicht nur die Redner aller Fraktionen des Wgeordnetenhauses und
manche Redner des Herrenhauses übereinstimmend der Ansicht, daß die Vorlage
„Stückwerk", höchst dürftigen „Notbehelf", „Viertelarbeit" darstelle, auch Vertreter
der Staatsregierung mußten anerkennen, daß die Regierungsvorschläge unzu¬
reichend seien. Man tröstete sich damit, daß man später ganze Arbeit machen
könne. Es ist dringend zu wünschen, daß diese Absicht bald erfüllt wird,
damit die Verwaltung bald Beamte bekommt, die wirklich allseitig gebildete
und geschulte Fachleute find.

Endlich bedeutet es Stümpertum, daß man oft bei der Besetzung höherer
Behörden oder Stellen auf die aus persönlicher Anschauung gewonnenen
praktischen Erfahrungen verzichtet, ohne die grade dort eine ersprießliche
Tätigkeit undenkbar ist. Ich erinnere nur an die zahllosen, gewiß nach
Hunderten zählenden Assessoren, die im Laufe der langen Jahrzehnte seit der
Stein-Hardenbergischen Zeit bis in unsere Tage hinein in den Zentralbehörden
und Oberpräsidien tätig waren. Wie viele praktischen Erfahrungen und eignen


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[0318] Ivirkliche Schäden in der preußischen Verwaltung Gesetze von 1879 und 1906 leiden gleichmäßig an dem Mangel, daß sie den zukünftigen Verwaltungsbeamten keinen ausreichenden Einblick in das praktische Leben sichern. Das jüngere Gesetz hat zwar die Beschäftigung der Referendare beim Landrat von sechs Monaten auf ein Jahr verlängert, um ihnen Gelegenheit zu geben, sich im praktischen Leben umzutun. Ich habe schon in meinen frühren Artikeln die Vermutung ausgesprochen, daß diese Maßnahme keinen rechten Erfolg haben werde, wobei ich mich in guter Gesell¬ schaft befand. Meine bisherigen Beobachtungen haben mich in diesem Zweifel nur bestärkt. Ein zweiter Mangel jener Gesetze ist, daß sie die Vor- und Ausbildung der Verwaltungsbeamten zu sehr mit der juristischen verquicken, indem sie auch von jenen die erste Staatsprüfung der Juristen verlangen, die selbstverständlich auf das Bedürfnis der Justizverwaltung zugeschnitten ist und für die Verwaltung unentbehrliche Gebiete nicht berücksichtigt. Infolgedessen ist die wissenschaftliche Vorbildung der Verwaltungsbeamten ungenügend. Als Ersatz hat man jetzt an den Regierungen wissenschaftliche Kurse für die Refereudare eingerichtet. Ich halte dies auch jetzt noch für einen Versuch mit untauglichen Mitteln. Wissenschaftliche Kenntnisse, die für einen Verwaltungs¬ beamten allerdings bitter nötig sind, können nur auf der Universität erworben werden und nicht in der Zeit der praktischen Ausbildung, für die sie die unent¬ behrliche Grundlage bilden. Ein dritter, nach meiner Auffassung recht bedauerlicher Mangel der jetzigen Verwaltungsansbildung ist, daß der Verwaltungsnachwuchs aus seiner praktischen Tätigkeit bei der Justiz keinen rechten Nutzen ziehen kann — jetzt vor allem, weil sie zu kurz ist. Bezeichnend für die gegenwärtige Lage scheint mir zu sein, daß mau sich der Mängel der jetzt geltenden Bestimmungen über den Höhren Verwaltungs¬ dienst überall wohlbewußt war. Bei den parlamentarischen Verhandlungen über die Vorlagen, die schließlich zu den: Gesetz von 1906 geführt haben, waren nicht nur die Redner aller Fraktionen des Wgeordnetenhauses und manche Redner des Herrenhauses übereinstimmend der Ansicht, daß die Vorlage „Stückwerk", höchst dürftigen „Notbehelf", „Viertelarbeit" darstelle, auch Vertreter der Staatsregierung mußten anerkennen, daß die Regierungsvorschläge unzu¬ reichend seien. Man tröstete sich damit, daß man später ganze Arbeit machen könne. Es ist dringend zu wünschen, daß diese Absicht bald erfüllt wird, damit die Verwaltung bald Beamte bekommt, die wirklich allseitig gebildete und geschulte Fachleute find. Endlich bedeutet es Stümpertum, daß man oft bei der Besetzung höherer Behörden oder Stellen auf die aus persönlicher Anschauung gewonnenen praktischen Erfahrungen verzichtet, ohne die grade dort eine ersprießliche Tätigkeit undenkbar ist. Ich erinnere nur an die zahllosen, gewiß nach Hunderten zählenden Assessoren, die im Laufe der langen Jahrzehnte seit der Stein-Hardenbergischen Zeit bis in unsere Tage hinein in den Zentralbehörden und Oberpräsidien tätig waren. Wie viele praktischen Erfahrungen und eignen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/318>, abgerufen am 22.07.2024.