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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Der Unfug des Sterbens

strömt, zu erlangen, müssen wir uns des unendlichen Geistes in jeder Zelle
bewußt erinnern und so eine Anschauung der Unsterblichkeit gewinnen. Durch
Liebe und Ehrfurcht vor allem Lebendigen ziehen wir uns die Liebe des Unendlichen
zu, die auf fein empfindende Geister als Lebenselixier Wunder wirkt.

Es gilt die schweigende Kraft des Wunsches und die Widerstandskraft
gegen alle materiellen Einflüsse zu erhöhen, bis wir ähnlich dem Körper ein
seelisches Atmen in gewollten Rhythmus erreichen.

Als untrügliches Merkmal der Beschaffenheit des Gemüts und des geistigen
Lebens wird dem Antlitz der bleibende Ausdruck eingeprägt, so das; durch die
Daseinsbedingungen, in die wir uns hineindenken, dem Körper eine herrschende
Linie und Charakter verliehen wird. Beherrschen wir unsere Gedanken, so erreichen
wir damit eine harmonische Herrschaft über den Körper in den Bewegungen der
Tagesarbeit.

Die Beschaffenheit unseres Gemüts- und geistigen Lebeus prägt dem
Antlitz den Ausdruck der in unserem Charakter vorherrschenden Linien ein.
Unsere Gedanken bestimmen auch die seelischen Wellen, die unsere Träume
bedeuten, Schlaflosigkeit ist psychische Zerfahrenheit. Im Gegensatz zur Ruhe,
die ihm mit Schönheit gleichbedeutend ist, steht die höhere Geistesgegenwart,
die Sammlung und Bereitschaft der geistigen Kräfte für jene Momente, in denen
es darauf ankommt, über Menschen und Dinge zu herrschen.

Gelegentlich lenke man seine Gedanken mittels eigener Kraft von der um¬
gebenden Unruhe ab und zwinge sie zur Passivität; man lasse nur unbestimmte
Bilder am Bewußtsein vorbeigleiten und gebe sich gleichzeitig einer physischen
Ruhe und einer geistigen Träumerei hin. Diese Momente werden zur An¬
sammlung neuer mentaler Spannkraft dienen; in der darauffolgenden Zeit wird
man eine kleinmütige Umgebung leichter ertragen und deren Einfluß leichter
abschütteln können. Überhaupt muß man ruhen, wenn sich das Bedürfnis
danach einstellt, und jede kleinste Tätigkeit mit darauf konzentrierter Gedanken
und mit Freude ausüben, um den Erfolg zu meistern.

In jeden: Ding, in jedem Dasein ist unendliche Mannigfaltigkeit, und
unsere Daseinsfreude beruht darauf, die Seite jeder Lebenslage zu finden, die
dieselbe erhöht. Was das Auge erfreut, erfrischt den Geist, darum soll man
Wert auf die Umgebung, die man sich selbst schaffen kann, legen, auf die Ein¬
richtung der Häuslichkeit, auf Kleider und Farben. Durch diese nuancierte
Freude leitet man geistige Quellen ins Leben und hilft der eigenen Spiritualität
immer neue Glücksmöglichkeiten entdecken.

Wie nach jeder physischen und geistigen Anstrengung die Ermüdung eintritt,
so wechseln unsere aufnahmefähigen (negativen) Momente mit den ausgehenden
(positiven) naturgemäß ab; es ist von besonderer Wichtigkeit, von welcher Art
Menschen man in rezeptiven Augenblicken umgeben ist. So wie wir selbst Kräfte
abgeben, die schaden oder nützen, so empfangen wir durch ausgesprochene und
unausgesprochene Gedanken von den uns umgebenden Menschen entweder geistige


Der Unfug des Sterbens

strömt, zu erlangen, müssen wir uns des unendlichen Geistes in jeder Zelle
bewußt erinnern und so eine Anschauung der Unsterblichkeit gewinnen. Durch
Liebe und Ehrfurcht vor allem Lebendigen ziehen wir uns die Liebe des Unendlichen
zu, die auf fein empfindende Geister als Lebenselixier Wunder wirkt.

Es gilt die schweigende Kraft des Wunsches und die Widerstandskraft
gegen alle materiellen Einflüsse zu erhöhen, bis wir ähnlich dem Körper ein
seelisches Atmen in gewollten Rhythmus erreichen.

Als untrügliches Merkmal der Beschaffenheit des Gemüts und des geistigen
Lebens wird dem Antlitz der bleibende Ausdruck eingeprägt, so das; durch die
Daseinsbedingungen, in die wir uns hineindenken, dem Körper eine herrschende
Linie und Charakter verliehen wird. Beherrschen wir unsere Gedanken, so erreichen
wir damit eine harmonische Herrschaft über den Körper in den Bewegungen der
Tagesarbeit.

Die Beschaffenheit unseres Gemüts- und geistigen Lebeus prägt dem
Antlitz den Ausdruck der in unserem Charakter vorherrschenden Linien ein.
Unsere Gedanken bestimmen auch die seelischen Wellen, die unsere Träume
bedeuten, Schlaflosigkeit ist psychische Zerfahrenheit. Im Gegensatz zur Ruhe,
die ihm mit Schönheit gleichbedeutend ist, steht die höhere Geistesgegenwart,
die Sammlung und Bereitschaft der geistigen Kräfte für jene Momente, in denen
es darauf ankommt, über Menschen und Dinge zu herrschen.

Gelegentlich lenke man seine Gedanken mittels eigener Kraft von der um¬
gebenden Unruhe ab und zwinge sie zur Passivität; man lasse nur unbestimmte
Bilder am Bewußtsein vorbeigleiten und gebe sich gleichzeitig einer physischen
Ruhe und einer geistigen Träumerei hin. Diese Momente werden zur An¬
sammlung neuer mentaler Spannkraft dienen; in der darauffolgenden Zeit wird
man eine kleinmütige Umgebung leichter ertragen und deren Einfluß leichter
abschütteln können. Überhaupt muß man ruhen, wenn sich das Bedürfnis
danach einstellt, und jede kleinste Tätigkeit mit darauf konzentrierter Gedanken
und mit Freude ausüben, um den Erfolg zu meistern.

In jeden: Ding, in jedem Dasein ist unendliche Mannigfaltigkeit, und
unsere Daseinsfreude beruht darauf, die Seite jeder Lebenslage zu finden, die
dieselbe erhöht. Was das Auge erfreut, erfrischt den Geist, darum soll man
Wert auf die Umgebung, die man sich selbst schaffen kann, legen, auf die Ein¬
richtung der Häuslichkeit, auf Kleider und Farben. Durch diese nuancierte
Freude leitet man geistige Quellen ins Leben und hilft der eigenen Spiritualität
immer neue Glücksmöglichkeiten entdecken.

Wie nach jeder physischen und geistigen Anstrengung die Ermüdung eintritt,
so wechseln unsere aufnahmefähigen (negativen) Momente mit den ausgehenden
(positiven) naturgemäß ab; es ist von besonderer Wichtigkeit, von welcher Art
Menschen man in rezeptiven Augenblicken umgeben ist. So wie wir selbst Kräfte
abgeben, die schaden oder nützen, so empfangen wir durch ausgesprochene und
unausgesprochene Gedanken von den uns umgebenden Menschen entweder geistige


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[0296] Der Unfug des Sterbens strömt, zu erlangen, müssen wir uns des unendlichen Geistes in jeder Zelle bewußt erinnern und so eine Anschauung der Unsterblichkeit gewinnen. Durch Liebe und Ehrfurcht vor allem Lebendigen ziehen wir uns die Liebe des Unendlichen zu, die auf fein empfindende Geister als Lebenselixier Wunder wirkt. Es gilt die schweigende Kraft des Wunsches und die Widerstandskraft gegen alle materiellen Einflüsse zu erhöhen, bis wir ähnlich dem Körper ein seelisches Atmen in gewollten Rhythmus erreichen. Als untrügliches Merkmal der Beschaffenheit des Gemüts und des geistigen Lebens wird dem Antlitz der bleibende Ausdruck eingeprägt, so das; durch die Daseinsbedingungen, in die wir uns hineindenken, dem Körper eine herrschende Linie und Charakter verliehen wird. Beherrschen wir unsere Gedanken, so erreichen wir damit eine harmonische Herrschaft über den Körper in den Bewegungen der Tagesarbeit. Die Beschaffenheit unseres Gemüts- und geistigen Lebeus prägt dem Antlitz den Ausdruck der in unserem Charakter vorherrschenden Linien ein. Unsere Gedanken bestimmen auch die seelischen Wellen, die unsere Träume bedeuten, Schlaflosigkeit ist psychische Zerfahrenheit. Im Gegensatz zur Ruhe, die ihm mit Schönheit gleichbedeutend ist, steht die höhere Geistesgegenwart, die Sammlung und Bereitschaft der geistigen Kräfte für jene Momente, in denen es darauf ankommt, über Menschen und Dinge zu herrschen. Gelegentlich lenke man seine Gedanken mittels eigener Kraft von der um¬ gebenden Unruhe ab und zwinge sie zur Passivität; man lasse nur unbestimmte Bilder am Bewußtsein vorbeigleiten und gebe sich gleichzeitig einer physischen Ruhe und einer geistigen Träumerei hin. Diese Momente werden zur An¬ sammlung neuer mentaler Spannkraft dienen; in der darauffolgenden Zeit wird man eine kleinmütige Umgebung leichter ertragen und deren Einfluß leichter abschütteln können. Überhaupt muß man ruhen, wenn sich das Bedürfnis danach einstellt, und jede kleinste Tätigkeit mit darauf konzentrierter Gedanken und mit Freude ausüben, um den Erfolg zu meistern. In jeden: Ding, in jedem Dasein ist unendliche Mannigfaltigkeit, und unsere Daseinsfreude beruht darauf, die Seite jeder Lebenslage zu finden, die dieselbe erhöht. Was das Auge erfreut, erfrischt den Geist, darum soll man Wert auf die Umgebung, die man sich selbst schaffen kann, legen, auf die Ein¬ richtung der Häuslichkeit, auf Kleider und Farben. Durch diese nuancierte Freude leitet man geistige Quellen ins Leben und hilft der eigenen Spiritualität immer neue Glücksmöglichkeiten entdecken. Wie nach jeder physischen und geistigen Anstrengung die Ermüdung eintritt, so wechseln unsere aufnahmefähigen (negativen) Momente mit den ausgehenden (positiven) naturgemäß ab; es ist von besonderer Wichtigkeit, von welcher Art Menschen man in rezeptiven Augenblicken umgeben ist. So wie wir selbst Kräfte abgeben, die schaden oder nützen, so empfangen wir durch ausgesprochene und unausgesprochene Gedanken von den uns umgebenden Menschen entweder geistige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/296>, abgerufen am 22.07.2024.