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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Der Unfug des Sterbens

Nahrung oder geistiges Gift. Geistig müde und kraftlos muß man abhängige
und mutlose Charaktere meiden. Man wird leicht von pessimistischen Menschen
angesteckt und die Absorption minderwertiger zweifelnder Gedanken wird unsere
eigenen Pläne zerstören. Durch das fortwährende Zusammenleben mit geistig
niedrig stehenden Menschen leidet die wertvollere Natur schon deshalb, weil sie
an sich sensibler und aufnahmefähiger ist und ihre eigene ganze Kraft braucht,
um nicht in eine tiefere geistige Sphäre hinabgezogen zu werden.

In allen Stadien geistigen Wachstums wird der innere Blick der Frau
erkenntnisreicher und intuitiver sein als der des Mannes, dagegen ist der Mann
befähigter zu verwirklichen, was die weibliche Psyche ihm zeigt. Die Frau ist
nicht geistig schwächer, sondern das feinere Instrument, das höhere Jntuitions-
ströme registriert, soll also grober männlicher Arbeit nicht ausgesetzt sein, um
die eigene Empfindsamkeit zu wahren. Wird die Frau im Haushalt, der durch
verschiedenartige geistige und manuelle Arbeit ermüdender ist als mancher
männliche Beruf, ausgebeutet, so wird ihr Intellekt abgestumpft und die Quellen
ihrer Begabung verschüttet. Als anregendes Element, als Gedankenbringerin
leisten die Frauen oft mehr, als den Männern bewußt wird. Sie sollten selbst
die Anerkennung ihres Wertes fordern, Gerechtigkeit erkämpfen und nicht dulden,
daß man die weiblichen Gaben mißachtet. Die Frau soll ihre eigenen Neigungen
weder für Mann noch Kinder aufgeben, denn indem sie das Eigene und
Persönliche unbenutzt verkommen läßt, verliert sie die Fähigkeit etwas zu leisten
und dadurch gleichzeitig Bewunderung, Achtung und Liebe.

Ebensowenig sollten die Wünsche der Eltern entgegen der eigenen Schicksals¬
linie in das Leben der Kinder hineingebaut werden. Die Kinder leiden durch
unbewußte Tyrannei in der Jugend und werden durch anerzogene falsche Grund¬
sätze uicht stark genug, um deu Sieg gegen die Ideen anderer auszufechten.
Der Mangel an Einsicht der Eltern, der oft in äußerem Erfolg, in Geld und
Ehren das Höchsterreichbare sieht, ist dann die Ursache, die Schädigung an
Frohsinn, an Genußfähigkeit und an Gesundheit des Kindes herbeiführt.

In jedem Alter bedarf man anderer Gedankennahrung und auch diese gebe
Man den Kindern mit Liebe. Jede Gabe ist eine Quelle des Glücks, wenn sie
Mit aufrichtiger Freude geboten wird, sonst wirkt sie schädlich und bringt kein
Gedeihen. Das spielerische der Jugend, den lauten Ausdruck der Freude, das
Lachen soll man nicht unterdrücken. Der kindliche Frohsinn entwickelt sich im
Erwachsenen zur Heiterkeit des Gemüts. In der Phantasie der Jugend liegt
der Grundstein zu den Unternehmungen der gereiften Menschen. Aus Kindern
Mit lebhafter Einbildungskraft werden enthusiastische Menschen, deren Glaube
an die eigene Kraft eine gesteigerte Jnvidualität hervorbringt. Man soll in
Gedanken wagen hoch zu steigen und geistig der gegenwärtigen Stufe immer
voraus sein.

Manchmal steht die Erfahrung, der Intellekt oder die Bildung des Menschen
nicht im Verhältnis zu seiner Charakterstärke. Man hüte sich vor dem Einfluß


Der Unfug des Sterbens

Nahrung oder geistiges Gift. Geistig müde und kraftlos muß man abhängige
und mutlose Charaktere meiden. Man wird leicht von pessimistischen Menschen
angesteckt und die Absorption minderwertiger zweifelnder Gedanken wird unsere
eigenen Pläne zerstören. Durch das fortwährende Zusammenleben mit geistig
niedrig stehenden Menschen leidet die wertvollere Natur schon deshalb, weil sie
an sich sensibler und aufnahmefähiger ist und ihre eigene ganze Kraft braucht,
um nicht in eine tiefere geistige Sphäre hinabgezogen zu werden.

In allen Stadien geistigen Wachstums wird der innere Blick der Frau
erkenntnisreicher und intuitiver sein als der des Mannes, dagegen ist der Mann
befähigter zu verwirklichen, was die weibliche Psyche ihm zeigt. Die Frau ist
nicht geistig schwächer, sondern das feinere Instrument, das höhere Jntuitions-
ströme registriert, soll also grober männlicher Arbeit nicht ausgesetzt sein, um
die eigene Empfindsamkeit zu wahren. Wird die Frau im Haushalt, der durch
verschiedenartige geistige und manuelle Arbeit ermüdender ist als mancher
männliche Beruf, ausgebeutet, so wird ihr Intellekt abgestumpft und die Quellen
ihrer Begabung verschüttet. Als anregendes Element, als Gedankenbringerin
leisten die Frauen oft mehr, als den Männern bewußt wird. Sie sollten selbst
die Anerkennung ihres Wertes fordern, Gerechtigkeit erkämpfen und nicht dulden,
daß man die weiblichen Gaben mißachtet. Die Frau soll ihre eigenen Neigungen
weder für Mann noch Kinder aufgeben, denn indem sie das Eigene und
Persönliche unbenutzt verkommen läßt, verliert sie die Fähigkeit etwas zu leisten
und dadurch gleichzeitig Bewunderung, Achtung und Liebe.

Ebensowenig sollten die Wünsche der Eltern entgegen der eigenen Schicksals¬
linie in das Leben der Kinder hineingebaut werden. Die Kinder leiden durch
unbewußte Tyrannei in der Jugend und werden durch anerzogene falsche Grund¬
sätze uicht stark genug, um deu Sieg gegen die Ideen anderer auszufechten.
Der Mangel an Einsicht der Eltern, der oft in äußerem Erfolg, in Geld und
Ehren das Höchsterreichbare sieht, ist dann die Ursache, die Schädigung an
Frohsinn, an Genußfähigkeit und an Gesundheit des Kindes herbeiführt.

In jedem Alter bedarf man anderer Gedankennahrung und auch diese gebe
Man den Kindern mit Liebe. Jede Gabe ist eine Quelle des Glücks, wenn sie
Mit aufrichtiger Freude geboten wird, sonst wirkt sie schädlich und bringt kein
Gedeihen. Das spielerische der Jugend, den lauten Ausdruck der Freude, das
Lachen soll man nicht unterdrücken. Der kindliche Frohsinn entwickelt sich im
Erwachsenen zur Heiterkeit des Gemüts. In der Phantasie der Jugend liegt
der Grundstein zu den Unternehmungen der gereiften Menschen. Aus Kindern
Mit lebhafter Einbildungskraft werden enthusiastische Menschen, deren Glaube
an die eigene Kraft eine gesteigerte Jnvidualität hervorbringt. Man soll in
Gedanken wagen hoch zu steigen und geistig der gegenwärtigen Stufe immer
voraus sein.

Manchmal steht die Erfahrung, der Intellekt oder die Bildung des Menschen
nicht im Verhältnis zu seiner Charakterstärke. Man hüte sich vor dem Einfluß


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[0297] Der Unfug des Sterbens Nahrung oder geistiges Gift. Geistig müde und kraftlos muß man abhängige und mutlose Charaktere meiden. Man wird leicht von pessimistischen Menschen angesteckt und die Absorption minderwertiger zweifelnder Gedanken wird unsere eigenen Pläne zerstören. Durch das fortwährende Zusammenleben mit geistig niedrig stehenden Menschen leidet die wertvollere Natur schon deshalb, weil sie an sich sensibler und aufnahmefähiger ist und ihre eigene ganze Kraft braucht, um nicht in eine tiefere geistige Sphäre hinabgezogen zu werden. In allen Stadien geistigen Wachstums wird der innere Blick der Frau erkenntnisreicher und intuitiver sein als der des Mannes, dagegen ist der Mann befähigter zu verwirklichen, was die weibliche Psyche ihm zeigt. Die Frau ist nicht geistig schwächer, sondern das feinere Instrument, das höhere Jntuitions- ströme registriert, soll also grober männlicher Arbeit nicht ausgesetzt sein, um die eigene Empfindsamkeit zu wahren. Wird die Frau im Haushalt, der durch verschiedenartige geistige und manuelle Arbeit ermüdender ist als mancher männliche Beruf, ausgebeutet, so wird ihr Intellekt abgestumpft und die Quellen ihrer Begabung verschüttet. Als anregendes Element, als Gedankenbringerin leisten die Frauen oft mehr, als den Männern bewußt wird. Sie sollten selbst die Anerkennung ihres Wertes fordern, Gerechtigkeit erkämpfen und nicht dulden, daß man die weiblichen Gaben mißachtet. Die Frau soll ihre eigenen Neigungen weder für Mann noch Kinder aufgeben, denn indem sie das Eigene und Persönliche unbenutzt verkommen läßt, verliert sie die Fähigkeit etwas zu leisten und dadurch gleichzeitig Bewunderung, Achtung und Liebe. Ebensowenig sollten die Wünsche der Eltern entgegen der eigenen Schicksals¬ linie in das Leben der Kinder hineingebaut werden. Die Kinder leiden durch unbewußte Tyrannei in der Jugend und werden durch anerzogene falsche Grund¬ sätze uicht stark genug, um deu Sieg gegen die Ideen anderer auszufechten. Der Mangel an Einsicht der Eltern, der oft in äußerem Erfolg, in Geld und Ehren das Höchsterreichbare sieht, ist dann die Ursache, die Schädigung an Frohsinn, an Genußfähigkeit und an Gesundheit des Kindes herbeiführt. In jedem Alter bedarf man anderer Gedankennahrung und auch diese gebe Man den Kindern mit Liebe. Jede Gabe ist eine Quelle des Glücks, wenn sie Mit aufrichtiger Freude geboten wird, sonst wirkt sie schädlich und bringt kein Gedeihen. Das spielerische der Jugend, den lauten Ausdruck der Freude, das Lachen soll man nicht unterdrücken. Der kindliche Frohsinn entwickelt sich im Erwachsenen zur Heiterkeit des Gemüts. In der Phantasie der Jugend liegt der Grundstein zu den Unternehmungen der gereiften Menschen. Aus Kindern Mit lebhafter Einbildungskraft werden enthusiastische Menschen, deren Glaube an die eigene Kraft eine gesteigerte Jnvidualität hervorbringt. Man soll in Gedanken wagen hoch zu steigen und geistig der gegenwärtigen Stufe immer voraus sein. Manchmal steht die Erfahrung, der Intellekt oder die Bildung des Menschen nicht im Verhältnis zu seiner Charakterstärke. Man hüte sich vor dem Einfluß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/297>, abgerufen am 22.07.2024.