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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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"Wovon sprichst du?"

"Nun, warum könnten Sie sich nicht hier ein Ballett einrichten?"

"Bist du toll, Jgnaschka? Was würden die Menschen sagen?"

"Eh, wichtiger Grund! Auf die Menschen spucken Sie."

"Ja, ja", lächelte der Kaufmann wohlgefällig, "so ist es allerdings. Aber,
Junge, bedenke, Anna Dmitrijewna und der Racker, der Utjanow, alle die Be¬
kannten und Geschäftsfreunde! Und jetzt ist gar auch die Tochter da! Eh, Bruder,
Unsinn, Unsinn!"

Er schüttelte den Kopf.

"Tit Grigorjewitsch, niemand brauchte davon etwas zu wissen. Das ließe
sich doch wohl besorgen."

"Unsinn, Unsinn," wiederholte Botscharow. "Und woher die Tänzerinnen
bekommen?"

"Verschreiben. Das ist doch einfach. Für Geld ist alles zu haben."

"O du Judas, Judas!" lachte der Kaufmann. "Solch ein Schlingel! So
etwas auszudenken I Sieh zu, Bruder, du fängst früh an. Wenn das nur kein
schlimmes Ende nimmt."

"Für Sie, Onkelchen. Bei Gott, für Sie bin ich. . ."

"Gut, gut. Lassen wir das. Ich habe dir aber noch nicht alles erzählt.
Nach dem Ballett fuhren wir aus der Stadt, lauter namhafte Kaufleute, in ein
Restaurant, wie man es dort nennt. War eigentlich eine Schenke, aber fein.
Einige von den Tänzerinnen wurden auch dahin geholt, von den kleinen, weißt
du, die wenig Gage bekommen. Gott, wie die armen Dinger aßen und tranken!
Als ob sie eine Woche gehungert hätten. Und dann mußten sie uns vortanzen.
Väterchen, jetzt zeigten sie erst, was sie konnten. Was für Kunststücke brachten sie
zustande! Man begriff manchmal nicht, ob sie die Beine oder die Arme in der
Luft umherschleuderten. Die langen Kleider hatten sie natürlich abgeworfen, und
da sie keine Trikots zur Hand hatten, taten sie es ohne Trikots, so, weißt du,
wie sie von der Mutter geboren waren. M--ja, lustig war es."

Er seufzte wieder.

"Ich denke aber doch immer, Onkelchen, daß -- da kommt Tauenden."
"

"Ist das ein Wunder, wie schnell sie geht!

Ssurikow warf sich wieder das Tuch über den Kopf und zog es am Kinn
zusammen. Anna Dmitrijewna trat mit Hast in die Laube und blies dabei wie
eine Dampfmaschine. Das Gesicht war hochrot. Die Nasenflügel bebten.

"So weit ist es gekommen, Tit Grigorjewitsch," schalt sie, "daß meine leib¬
liche Tochter mir melden muß, der Vater habe ein Mädchen bei sich. In meinem
Beisein wagst du mit einem solchen Ekel -- du", fuhr sie auf Ssurikow los, "du
Hündin, du Kuhfell!"

Ehe der junge Mensch nur an die Möglichkeit denken konnte, hatte er von
der Hand der Tante zwei Ohrfeigen weg, von denen jede ihn wahrscheinlich um¬
geworfen hätte, wenn er nicht nach jeder von der Wand der Laube aufgehalten
worden wäre. Sie besaß eine gewaltig schwere Hand, die wohlbeleibte Kauf¬
mannsfrau.

"Al, an!" schrie Ssurikow. Das Tuch war zu Boden gefallen. Er preßte
beide Handflächen gegen die Wange.


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„Wovon sprichst du?"

„Nun, warum könnten Sie sich nicht hier ein Ballett einrichten?"

„Bist du toll, Jgnaschka? Was würden die Menschen sagen?"

„Eh, wichtiger Grund! Auf die Menschen spucken Sie."

„Ja, ja", lächelte der Kaufmann wohlgefällig, „so ist es allerdings. Aber,
Junge, bedenke, Anna Dmitrijewna und der Racker, der Utjanow, alle die Be¬
kannten und Geschäftsfreunde! Und jetzt ist gar auch die Tochter da! Eh, Bruder,
Unsinn, Unsinn!"

Er schüttelte den Kopf.

„Tit Grigorjewitsch, niemand brauchte davon etwas zu wissen. Das ließe
sich doch wohl besorgen."

„Unsinn, Unsinn," wiederholte Botscharow. „Und woher die Tänzerinnen
bekommen?"

„Verschreiben. Das ist doch einfach. Für Geld ist alles zu haben."

„O du Judas, Judas!" lachte der Kaufmann. „Solch ein Schlingel! So
etwas auszudenken I Sieh zu, Bruder, du fängst früh an. Wenn das nur kein
schlimmes Ende nimmt."

„Für Sie, Onkelchen. Bei Gott, für Sie bin ich. . ."

„Gut, gut. Lassen wir das. Ich habe dir aber noch nicht alles erzählt.
Nach dem Ballett fuhren wir aus der Stadt, lauter namhafte Kaufleute, in ein
Restaurant, wie man es dort nennt. War eigentlich eine Schenke, aber fein.
Einige von den Tänzerinnen wurden auch dahin geholt, von den kleinen, weißt
du, die wenig Gage bekommen. Gott, wie die armen Dinger aßen und tranken!
Als ob sie eine Woche gehungert hätten. Und dann mußten sie uns vortanzen.
Väterchen, jetzt zeigten sie erst, was sie konnten. Was für Kunststücke brachten sie
zustande! Man begriff manchmal nicht, ob sie die Beine oder die Arme in der
Luft umherschleuderten. Die langen Kleider hatten sie natürlich abgeworfen, und
da sie keine Trikots zur Hand hatten, taten sie es ohne Trikots, so, weißt du,
wie sie von der Mutter geboren waren. M—ja, lustig war es."

Er seufzte wieder.

„Ich denke aber doch immer, Onkelchen, daß — da kommt Tauenden."
"

„Ist das ein Wunder, wie schnell sie geht!

Ssurikow warf sich wieder das Tuch über den Kopf und zog es am Kinn
zusammen. Anna Dmitrijewna trat mit Hast in die Laube und blies dabei wie
eine Dampfmaschine. Das Gesicht war hochrot. Die Nasenflügel bebten.

„So weit ist es gekommen, Tit Grigorjewitsch," schalt sie, „daß meine leib¬
liche Tochter mir melden muß, der Vater habe ein Mädchen bei sich. In meinem
Beisein wagst du mit einem solchen Ekel — du", fuhr sie auf Ssurikow los, „du
Hündin, du Kuhfell!"

Ehe der junge Mensch nur an die Möglichkeit denken konnte, hatte er von
der Hand der Tante zwei Ohrfeigen weg, von denen jede ihn wahrscheinlich um¬
geworfen hätte, wenn er nicht nach jeder von der Wand der Laube aufgehalten
worden wäre. Sie besaß eine gewaltig schwere Hand, die wohlbeleibte Kauf¬
mannsfrau.

„Al, an!" schrie Ssurikow. Das Tuch war zu Boden gefallen. Er preßte
beide Handflächen gegen die Wange.


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[0284] I>n Flecken „Wovon sprichst du?" „Nun, warum könnten Sie sich nicht hier ein Ballett einrichten?" „Bist du toll, Jgnaschka? Was würden die Menschen sagen?" „Eh, wichtiger Grund! Auf die Menschen spucken Sie." „Ja, ja", lächelte der Kaufmann wohlgefällig, „so ist es allerdings. Aber, Junge, bedenke, Anna Dmitrijewna und der Racker, der Utjanow, alle die Be¬ kannten und Geschäftsfreunde! Und jetzt ist gar auch die Tochter da! Eh, Bruder, Unsinn, Unsinn!" Er schüttelte den Kopf. „Tit Grigorjewitsch, niemand brauchte davon etwas zu wissen. Das ließe sich doch wohl besorgen." „Unsinn, Unsinn," wiederholte Botscharow. „Und woher die Tänzerinnen bekommen?" „Verschreiben. Das ist doch einfach. Für Geld ist alles zu haben." „O du Judas, Judas!" lachte der Kaufmann. „Solch ein Schlingel! So etwas auszudenken I Sieh zu, Bruder, du fängst früh an. Wenn das nur kein schlimmes Ende nimmt." „Für Sie, Onkelchen. Bei Gott, für Sie bin ich. . ." „Gut, gut. Lassen wir das. Ich habe dir aber noch nicht alles erzählt. Nach dem Ballett fuhren wir aus der Stadt, lauter namhafte Kaufleute, in ein Restaurant, wie man es dort nennt. War eigentlich eine Schenke, aber fein. Einige von den Tänzerinnen wurden auch dahin geholt, von den kleinen, weißt du, die wenig Gage bekommen. Gott, wie die armen Dinger aßen und tranken! Als ob sie eine Woche gehungert hätten. Und dann mußten sie uns vortanzen. Väterchen, jetzt zeigten sie erst, was sie konnten. Was für Kunststücke brachten sie zustande! Man begriff manchmal nicht, ob sie die Beine oder die Arme in der Luft umherschleuderten. Die langen Kleider hatten sie natürlich abgeworfen, und da sie keine Trikots zur Hand hatten, taten sie es ohne Trikots, so, weißt du, wie sie von der Mutter geboren waren. M—ja, lustig war es." Er seufzte wieder. „Ich denke aber doch immer, Onkelchen, daß — da kommt Tauenden." " „Ist das ein Wunder, wie schnell sie geht! Ssurikow warf sich wieder das Tuch über den Kopf und zog es am Kinn zusammen. Anna Dmitrijewna trat mit Hast in die Laube und blies dabei wie eine Dampfmaschine. Das Gesicht war hochrot. Die Nasenflügel bebten. „So weit ist es gekommen, Tit Grigorjewitsch," schalt sie, „daß meine leib¬ liche Tochter mir melden muß, der Vater habe ein Mädchen bei sich. In meinem Beisein wagst du mit einem solchen Ekel — du", fuhr sie auf Ssurikow los, „du Hündin, du Kuhfell!" Ehe der junge Mensch nur an die Möglichkeit denken konnte, hatte er von der Hand der Tante zwei Ohrfeigen weg, von denen jede ihn wahrscheinlich um¬ geworfen hätte, wenn er nicht nach jeder von der Wand der Laube aufgehalten worden wäre. Sie besaß eine gewaltig schwere Hand, die wohlbeleibte Kauf¬ mannsfrau. „Al, an!" schrie Ssurikow. Das Tuch war zu Boden gefallen. Er preßte beide Handflächen gegen die Wange.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/284>, abgerufen am 23.07.2024.