Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.Hundert Jahre Berliner Universität Wildochsen, das Nilpferd und Krokodil. Aber jene Tiere sprechen für sich selbst Zu Mephistos frivol angehauchten Behauptungen gehört auch die, daß Dies alles bietet sich dem Musenjünger dar. Er, der vor hundert Jahren Hundert Jahre Berliner Universität Wildochsen, das Nilpferd und Krokodil. Aber jene Tiere sprechen für sich selbst Zu Mephistos frivol angehauchten Behauptungen gehört auch die, daß Dies alles bietet sich dem Musenjünger dar. Er, der vor hundert Jahren <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0028" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316979"/> <fw type="header" place="top"> Hundert Jahre Berliner Universität</fw><lb/> <p xml:id="ID_50" prev="#ID_49"> Wildochsen, das Nilpferd und Krokodil. Aber jene Tiere sprechen für sich selbst<lb/> noch in ihren Resten, an die wir uns halten, wie der Ritter (im Faust) an<lb/> die schönen Reste der Helena. Ehrenberg (1827 f.) untersuchte die kleinsten<lb/> lebenden und fossilen Organismen, Beyrich (1846 f.) war hervorragend durch<lb/> seine Formationenlehre und Paläontologie. Sie lehrt z. B. durch die phan¬<lb/> tastischen Skelette, die ans Licht kommen, daß keine Philosophie die Welt, d. h.<lb/> unser winziges Erdsphäroid, konstruieren oder nachweisen kann, warum alle jene<lb/> Reste werden und so werden mußten. Des großen Darwin Entwicklungs¬<lb/> gedanke wird auch hier als Leitfaden durch das Labyrinth der Erscheinungen<lb/> benutzt. Er macht sich mehr und mehr geltend für Zoologie, Botanik und<lb/> Medizin, seitdem durch Schleiden und Schwann die Mikroskopie einen neuen<lb/> Aufschwung erhalten hatte. In zunehmender Spezialisierung wurden Morpho¬<lb/> logie, Physiologie, Systematik und Geographie der Pflauzen bearbeitet z. B.<lb/> von Al. Braun, Eichler, L. Kny, Schwendener, Engler. N. Pringsheim<lb/> starb 1894 als Mitglied der Akademie. Als Zoologen sind z. B. Peters.<lb/> Ed. v. Mariens, K. A. Möbius. Fr. E. Schulze zu nennen.</p><lb/> <p xml:id="ID_51"> Zu Mephistos frivol angehauchten Behauptungen gehört auch die, daß<lb/> der Geist der Medizin leicht zu fassen sei. Sie ist so gewaltig gewachsen und<lb/> so überreich gegliedert! AIs Äquivalent der Atome, des Denkmittels der Physik,<lb/> benutzt sie die Zelle und beobachtet kleinste Strecken der Prozesse. Der so<lb/> verdienstvolle Joh. Müller starb 1838, als die sogenannte Zellularpathologie<lb/> Virchows aufkam, der sich mancher schönen Entdeckung erfreute und den Ruhm<lb/> deutscher Wissenschaft in der ganzen medizinischen Welt verbreitete. Mit und<lb/> nach der Zelle drangen die Bakterien in die Forschung ein, um deren Erkenntnis<lb/> sich Rob. Koch unsterbliche Verdienste erworben hat. Die exakte Methode brach<lb/> sich Bahn durch Kliniker wie Schönlein, Traube und Frerichs; der Physiologe<lb/> E. du Bois-Reymond klärte, während Romberg als Nervenarzt reformatorisch<lb/> auftrat, die Nervenvorgänge auf durch seine fast vierzig Jahre dauernden<lb/> Forschungen über die tierische Elektrizität. Mit am erstaunlichsten sind die<lb/> Fortschritte in der kühnen Geschicklichkeit der Chirurgen von Dieffenbach bis<lb/> v. Langenbeck und v. Bergmann. Der Augenspiegel (1851) trug mit dazu<lb/> bei, die Augenheilkunde von der Chirurgie zu lösen (A. v. Gräfe f 1870);<lb/> der 1858 von Czermak medizinisch benutzte Kehlkopfspiegel wurde von einer<lb/> Reihe von Spezialisten benutzt, wie denn überhaupt weitestgehende Teilung der<lb/> Arbeit eintrat, wobei es indessen nicht an zusammenfassenden, vergleichenden<lb/> Forschungen fehlt.</p><lb/> <p xml:id="ID_52" next="#ID_53"> Dies alles bietet sich dem Musenjünger dar. Er, der vor hundert Jahren<lb/> noch oft durch seine Tracht abstach und durch Tragen von Schlagwasser allerlei<lb/> Störungen verursachte, ist allmählich, gradeso wie gewöhnliche Menschen, Staats¬<lb/> bürger geworden. Nur Farben trägt er zum Teil. In der Berliner Öffent¬<lb/> lichkeit zeigt sich das besonders an Sonntagvormittagen. Da bekommen die<lb/> Linden Farbe durch Studeutenreihen, und man kann bemerken, wie sich der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0028]
Hundert Jahre Berliner Universität
Wildochsen, das Nilpferd und Krokodil. Aber jene Tiere sprechen für sich selbst
noch in ihren Resten, an die wir uns halten, wie der Ritter (im Faust) an
die schönen Reste der Helena. Ehrenberg (1827 f.) untersuchte die kleinsten
lebenden und fossilen Organismen, Beyrich (1846 f.) war hervorragend durch
seine Formationenlehre und Paläontologie. Sie lehrt z. B. durch die phan¬
tastischen Skelette, die ans Licht kommen, daß keine Philosophie die Welt, d. h.
unser winziges Erdsphäroid, konstruieren oder nachweisen kann, warum alle jene
Reste werden und so werden mußten. Des großen Darwin Entwicklungs¬
gedanke wird auch hier als Leitfaden durch das Labyrinth der Erscheinungen
benutzt. Er macht sich mehr und mehr geltend für Zoologie, Botanik und
Medizin, seitdem durch Schleiden und Schwann die Mikroskopie einen neuen
Aufschwung erhalten hatte. In zunehmender Spezialisierung wurden Morpho¬
logie, Physiologie, Systematik und Geographie der Pflauzen bearbeitet z. B.
von Al. Braun, Eichler, L. Kny, Schwendener, Engler. N. Pringsheim
starb 1894 als Mitglied der Akademie. Als Zoologen sind z. B. Peters.
Ed. v. Mariens, K. A. Möbius. Fr. E. Schulze zu nennen.
Zu Mephistos frivol angehauchten Behauptungen gehört auch die, daß
der Geist der Medizin leicht zu fassen sei. Sie ist so gewaltig gewachsen und
so überreich gegliedert! AIs Äquivalent der Atome, des Denkmittels der Physik,
benutzt sie die Zelle und beobachtet kleinste Strecken der Prozesse. Der so
verdienstvolle Joh. Müller starb 1838, als die sogenannte Zellularpathologie
Virchows aufkam, der sich mancher schönen Entdeckung erfreute und den Ruhm
deutscher Wissenschaft in der ganzen medizinischen Welt verbreitete. Mit und
nach der Zelle drangen die Bakterien in die Forschung ein, um deren Erkenntnis
sich Rob. Koch unsterbliche Verdienste erworben hat. Die exakte Methode brach
sich Bahn durch Kliniker wie Schönlein, Traube und Frerichs; der Physiologe
E. du Bois-Reymond klärte, während Romberg als Nervenarzt reformatorisch
auftrat, die Nervenvorgänge auf durch seine fast vierzig Jahre dauernden
Forschungen über die tierische Elektrizität. Mit am erstaunlichsten sind die
Fortschritte in der kühnen Geschicklichkeit der Chirurgen von Dieffenbach bis
v. Langenbeck und v. Bergmann. Der Augenspiegel (1851) trug mit dazu
bei, die Augenheilkunde von der Chirurgie zu lösen (A. v. Gräfe f 1870);
der 1858 von Czermak medizinisch benutzte Kehlkopfspiegel wurde von einer
Reihe von Spezialisten benutzt, wie denn überhaupt weitestgehende Teilung der
Arbeit eintrat, wobei es indessen nicht an zusammenfassenden, vergleichenden
Forschungen fehlt.
Dies alles bietet sich dem Musenjünger dar. Er, der vor hundert Jahren
noch oft durch seine Tracht abstach und durch Tragen von Schlagwasser allerlei
Störungen verursachte, ist allmählich, gradeso wie gewöhnliche Menschen, Staats¬
bürger geworden. Nur Farben trägt er zum Teil. In der Berliner Öffent¬
lichkeit zeigt sich das besonders an Sonntagvormittagen. Da bekommen die
Linden Farbe durch Studeutenreihen, und man kann bemerken, wie sich der
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