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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

nisse in den neuen Kulturzentren Ostmitteldeutschlands, die sich vornehmlich mit
der Entwicklung des Sachsenrechts (Halle und Magdeburg) befaßt und dann zu
dessen Aufzeichner, Eyke von Repgowe, führt. Diesen letzteren weist er dem ost¬
mitteldeutschen Rentamte (mitteldeutschen Neusachsen) zu. Hervorzuheben wäre
aus dem ganzen, wenig Neues bietenden Abschnitt noch der Erklärungsversuch
Gutjahrs für das dunkle, vielumstrittene "Hallorum" (Salzwirker im Tal an der
Saale zu Halle)! er sieht in dem zweiten Teil einen Verwandten unseres Wortes
"räumen" und erklärt das Ganze als "Raumer, Roter für die Salzstätte". Freilich
ist inzwischen auch diese Etymologie schon wieder umgestoßen worden! Was man
in diesem zweiten Kapitel vergeblich suchte, bringt zum Teil das fünfte, das über
"die kolonialen und sozialen Einflüsse" handelt und zweifelsohne den Schwerpunkt
der ganzen Studie bedeutet, wie der Verfasser, überhaupt in rein sprachwissen¬
schaftlichen Erörterungen weniger glücklich ist in seinen Schlußfolgerungen (unsere
neuhochdeutschen Diphthonge läßt er am Niederrhein fKölnj entstehen und von
da ostwärts als "kolonialen Import" sich ausbreiten!) als in diesen Dingen.

"Die neuhochdeutsche Schriftsprache ist entstanden und erwachsen auf dem
Boden des kolonialen und zwar des ostmitteldeutschen Rentamtes. Sie steht von
Ursprung an in engster Beziehung zu den kolonialen, wirtschaftlichen und sozialen
Umwälzungen des zwölften bis vierzehnten Jahrhunderts, ja sie ist der geistige
Reflex der Kolonisationsbewegung, die von Grund aus neue Verhältnisse schuf",
sie ist das "Erzeugnis einer neuen Kultur", nicht "Kunstprodukt", sondern in viel
höherem Grade "Kulturprodukt". In diesem Satze gipfelt Gutjahrs Theorie. Als
Kullurprodukt hat die neue Schriftsprache folglich auch "kulturelle, nämlich wirt¬
schaftlich-soziale" Vorbedingungen gehabt. Sicherlich bestand unter den deutschen
Ansiedlern schon von vornherein eine gewisse soziale Differenz, schon von vorn¬
herein ist zu scheiden zwischen konventioneller Standessprache ritterlicher und
bürgerlich-kaufmännischer Kreise. Nun hatte das seinem Wesen nach hauptsächlich
aus Oberdeutschland stammende Rittertum in seiner Standessprache naturgemäß
auch mehr oberdeutsche Färbung als das "geldwirtschaftlich freiere, geistig regere,
fortschrittliche" Bürgertum und wird diese ausgeprägte Färbung in der Zeit seines
wirtschaftlichen Niederganges dem mächtig aufstrebenden Bürgerstande gegenüber
sicherlich festgehalten haben. Wir hätten demgemäß zu scheiden zwischen einer
ausgeprägt oberdeutsch-gemeindeutschen "Nittermundart" und einer mehr mittel¬
deutsch-gemeindeutschen "Bürger-(Patrizier-)Mundart" im ostmitteldeutschen Kolonial¬
gebiete. Diese Scheidung allein reicht Gutjahr jedoch nicht aus, bestand doch das
Bürgertum selbst wieder wirtschaftlich aus den verschiedensten Elementen (Gro߬
kaufleuten, Kaufleuten, Gewerbetreibenden und Bauern). Folglich muß die bürger¬
liche Mundart selbst wieder die soziale Schichtung des Bürgerstandes widerspiegeln,
daher der verschiedene Grad der Entfernung einer jeden dieser bürgerlichen Standes¬
sprachen von der eigentlichen Volksmundart. Da sich aber im Entwicklungsgang
unserer Städte nachweisen läßt, daß "nicht das Bürgertum an sich, sondern bestimmte
Gruppen innerhalb desselben, die die Herrschaft infolge ihrer Wohlhabenheit und
Intelligenz ausüben und deshalb ein potenziertes Bürgertum darstellen, bestimmen¬
den Einfluß auf alle städtischen Verhältnisse und Kulturerzeugnisse des städtischen
Lebens" gewinnen, so lag es nahe, diesen Gedanken auch für die Sprache frucht¬
bar zu machen. Weil nun je nach dem Machtverhältnis der einen oder anderen
Gruppe der sprachliche Einfluß zu verschiedenen Zeiten ein verschiedener gewesen
sein muß, so kommt es, daß in vielen der neuen ostmitteldeutschen Kolonialstädte
Mittel- und niederdeutsches Idiom in Urkunden- und Rechtssprache wechseln.
Namentlich an sogenannten Doppelstädten (Halle, Magdeburg) läßt sich dies nach-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

nisse in den neuen Kulturzentren Ostmitteldeutschlands, die sich vornehmlich mit
der Entwicklung des Sachsenrechts (Halle und Magdeburg) befaßt und dann zu
dessen Aufzeichner, Eyke von Repgowe, führt. Diesen letzteren weist er dem ost¬
mitteldeutschen Rentamte (mitteldeutschen Neusachsen) zu. Hervorzuheben wäre
aus dem ganzen, wenig Neues bietenden Abschnitt noch der Erklärungsversuch
Gutjahrs für das dunkle, vielumstrittene „Hallorum" (Salzwirker im Tal an der
Saale zu Halle)! er sieht in dem zweiten Teil einen Verwandten unseres Wortes
„räumen" und erklärt das Ganze als „Raumer, Roter für die Salzstätte". Freilich
ist inzwischen auch diese Etymologie schon wieder umgestoßen worden! Was man
in diesem zweiten Kapitel vergeblich suchte, bringt zum Teil das fünfte, das über
„die kolonialen und sozialen Einflüsse" handelt und zweifelsohne den Schwerpunkt
der ganzen Studie bedeutet, wie der Verfasser, überhaupt in rein sprachwissen¬
schaftlichen Erörterungen weniger glücklich ist in seinen Schlußfolgerungen (unsere
neuhochdeutschen Diphthonge läßt er am Niederrhein fKölnj entstehen und von
da ostwärts als „kolonialen Import" sich ausbreiten!) als in diesen Dingen.

„Die neuhochdeutsche Schriftsprache ist entstanden und erwachsen auf dem
Boden des kolonialen und zwar des ostmitteldeutschen Rentamtes. Sie steht von
Ursprung an in engster Beziehung zu den kolonialen, wirtschaftlichen und sozialen
Umwälzungen des zwölften bis vierzehnten Jahrhunderts, ja sie ist der geistige
Reflex der Kolonisationsbewegung, die von Grund aus neue Verhältnisse schuf",
sie ist das „Erzeugnis einer neuen Kultur", nicht „Kunstprodukt", sondern in viel
höherem Grade „Kulturprodukt". In diesem Satze gipfelt Gutjahrs Theorie. Als
Kullurprodukt hat die neue Schriftsprache folglich auch „kulturelle, nämlich wirt¬
schaftlich-soziale" Vorbedingungen gehabt. Sicherlich bestand unter den deutschen
Ansiedlern schon von vornherein eine gewisse soziale Differenz, schon von vorn¬
herein ist zu scheiden zwischen konventioneller Standessprache ritterlicher und
bürgerlich-kaufmännischer Kreise. Nun hatte das seinem Wesen nach hauptsächlich
aus Oberdeutschland stammende Rittertum in seiner Standessprache naturgemäß
auch mehr oberdeutsche Färbung als das „geldwirtschaftlich freiere, geistig regere,
fortschrittliche" Bürgertum und wird diese ausgeprägte Färbung in der Zeit seines
wirtschaftlichen Niederganges dem mächtig aufstrebenden Bürgerstande gegenüber
sicherlich festgehalten haben. Wir hätten demgemäß zu scheiden zwischen einer
ausgeprägt oberdeutsch-gemeindeutschen „Nittermundart" und einer mehr mittel¬
deutsch-gemeindeutschen „Bürger-(Patrizier-)Mundart" im ostmitteldeutschen Kolonial¬
gebiete. Diese Scheidung allein reicht Gutjahr jedoch nicht aus, bestand doch das
Bürgertum selbst wieder wirtschaftlich aus den verschiedensten Elementen (Gro߬
kaufleuten, Kaufleuten, Gewerbetreibenden und Bauern). Folglich muß die bürger¬
liche Mundart selbst wieder die soziale Schichtung des Bürgerstandes widerspiegeln,
daher der verschiedene Grad der Entfernung einer jeden dieser bürgerlichen Standes¬
sprachen von der eigentlichen Volksmundart. Da sich aber im Entwicklungsgang
unserer Städte nachweisen läßt, daß „nicht das Bürgertum an sich, sondern bestimmte
Gruppen innerhalb desselben, die die Herrschaft infolge ihrer Wohlhabenheit und
Intelligenz ausüben und deshalb ein potenziertes Bürgertum darstellen, bestimmen¬
den Einfluß auf alle städtischen Verhältnisse und Kulturerzeugnisse des städtischen
Lebens" gewinnen, so lag es nahe, diesen Gedanken auch für die Sprache frucht¬
bar zu machen. Weil nun je nach dem Machtverhältnis der einen oder anderen
Gruppe der sprachliche Einfluß zu verschiedenen Zeiten ein verschiedener gewesen
sein muß, so kommt es, daß in vielen der neuen ostmitteldeutschen Kolonialstädte
Mittel- und niederdeutsches Idiom in Urkunden- und Rechtssprache wechseln.
Namentlich an sogenannten Doppelstädten (Halle, Magdeburg) läßt sich dies nach-


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[0248] Maßgebliches und Unmaßgebliches nisse in den neuen Kulturzentren Ostmitteldeutschlands, die sich vornehmlich mit der Entwicklung des Sachsenrechts (Halle und Magdeburg) befaßt und dann zu dessen Aufzeichner, Eyke von Repgowe, führt. Diesen letzteren weist er dem ost¬ mitteldeutschen Rentamte (mitteldeutschen Neusachsen) zu. Hervorzuheben wäre aus dem ganzen, wenig Neues bietenden Abschnitt noch der Erklärungsversuch Gutjahrs für das dunkle, vielumstrittene „Hallorum" (Salzwirker im Tal an der Saale zu Halle)! er sieht in dem zweiten Teil einen Verwandten unseres Wortes „räumen" und erklärt das Ganze als „Raumer, Roter für die Salzstätte". Freilich ist inzwischen auch diese Etymologie schon wieder umgestoßen worden! Was man in diesem zweiten Kapitel vergeblich suchte, bringt zum Teil das fünfte, das über „die kolonialen und sozialen Einflüsse" handelt und zweifelsohne den Schwerpunkt der ganzen Studie bedeutet, wie der Verfasser, überhaupt in rein sprachwissen¬ schaftlichen Erörterungen weniger glücklich ist in seinen Schlußfolgerungen (unsere neuhochdeutschen Diphthonge läßt er am Niederrhein fKölnj entstehen und von da ostwärts als „kolonialen Import" sich ausbreiten!) als in diesen Dingen. „Die neuhochdeutsche Schriftsprache ist entstanden und erwachsen auf dem Boden des kolonialen und zwar des ostmitteldeutschen Rentamtes. Sie steht von Ursprung an in engster Beziehung zu den kolonialen, wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen des zwölften bis vierzehnten Jahrhunderts, ja sie ist der geistige Reflex der Kolonisationsbewegung, die von Grund aus neue Verhältnisse schuf", sie ist das „Erzeugnis einer neuen Kultur", nicht „Kunstprodukt", sondern in viel höherem Grade „Kulturprodukt". In diesem Satze gipfelt Gutjahrs Theorie. Als Kullurprodukt hat die neue Schriftsprache folglich auch „kulturelle, nämlich wirt¬ schaftlich-soziale" Vorbedingungen gehabt. Sicherlich bestand unter den deutschen Ansiedlern schon von vornherein eine gewisse soziale Differenz, schon von vorn¬ herein ist zu scheiden zwischen konventioneller Standessprache ritterlicher und bürgerlich-kaufmännischer Kreise. Nun hatte das seinem Wesen nach hauptsächlich aus Oberdeutschland stammende Rittertum in seiner Standessprache naturgemäß auch mehr oberdeutsche Färbung als das „geldwirtschaftlich freiere, geistig regere, fortschrittliche" Bürgertum und wird diese ausgeprägte Färbung in der Zeit seines wirtschaftlichen Niederganges dem mächtig aufstrebenden Bürgerstande gegenüber sicherlich festgehalten haben. Wir hätten demgemäß zu scheiden zwischen einer ausgeprägt oberdeutsch-gemeindeutschen „Nittermundart" und einer mehr mittel¬ deutsch-gemeindeutschen „Bürger-(Patrizier-)Mundart" im ostmitteldeutschen Kolonial¬ gebiete. Diese Scheidung allein reicht Gutjahr jedoch nicht aus, bestand doch das Bürgertum selbst wieder wirtschaftlich aus den verschiedensten Elementen (Gro߬ kaufleuten, Kaufleuten, Gewerbetreibenden und Bauern). Folglich muß die bürger¬ liche Mundart selbst wieder die soziale Schichtung des Bürgerstandes widerspiegeln, daher der verschiedene Grad der Entfernung einer jeden dieser bürgerlichen Standes¬ sprachen von der eigentlichen Volksmundart. Da sich aber im Entwicklungsgang unserer Städte nachweisen läßt, daß „nicht das Bürgertum an sich, sondern bestimmte Gruppen innerhalb desselben, die die Herrschaft infolge ihrer Wohlhabenheit und Intelligenz ausüben und deshalb ein potenziertes Bürgertum darstellen, bestimmen¬ den Einfluß auf alle städtischen Verhältnisse und Kulturerzeugnisse des städtischen Lebens" gewinnen, so lag es nahe, diesen Gedanken auch für die Sprache frucht¬ bar zu machen. Weil nun je nach dem Machtverhältnis der einen oder anderen Gruppe der sprachliche Einfluß zu verschiedenen Zeiten ein verschiedener gewesen sein muß, so kommt es, daß in vielen der neuen ostmitteldeutschen Kolonialstädte Mittel- und niederdeutsches Idiom in Urkunden- und Rechtssprache wechseln. Namentlich an sogenannten Doppelstädten (Halle, Magdeburg) läßt sich dies nach-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/248>, abgerufen am 22.07.2024.