Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Im Flecken

zu gratulieren, Herr Hauptmann, Ich bin hier im Auftrage von Marja Titowna.
Sie läßt sagen, Sie möchten um zehn Uhr fertig sein, Fräulein. Sie fährt mit
Tit Grigorjewitsch und Anna Dmitrijewna auf das Gut. Der Vater will ihr die
neuen Bauten zeigen. Dort wird zu Mittag gespeist werden. Ich bin mit dem
Proviant voraus" -- er wies mit der Hand nach der Chaussee, wo der Wagen
hielt. "Also ich bitte, nicht später als um zehn. Tit Grigorjewitsch wartet nicht
gern. Ich habe die Ehre, Fräulein. Meine Hochachtung, Herr Hauptmann."

Er wandte sich unter Verbeugungen zum Gehen.

"Erlauben Sie," sagte Schejin, "ich verstehe nicht recht. Mit wem habe ich
das Vergnügen?"

"Ich?" fragte der junge Mann verwundert. Er konnte es nicht fassen, daß
irgendein Mensch im' Flecken ihn nicht kennen sollte. "Ich bin ja Ssurikow"
Jgnatij Leontjewitsch Ssurikow."

"Wenn ich recht rate, der Neffe des Herrn Botscharow?"

"Nun ja, natürlich."

"Sehr erfreut. Wollen Sie nicht Platz nehmen?"

"Ich kann nicht," entgegnete Ssurikow mit einer Verbeugung und bedauerndem
Achselzucken, indem er in weitem Schwunge eine goldene Uhr aus der Tasche zog
und nach der Zeit sah. "Ach, es ist schon sehr spät, über halb zehn, und um
zehn wollte Tit Grigorjewitsch hier sein. Ich muß . . ."

, "Und wozu, wenn ich fragen darf, läßt Marja Titowna -- so ist doch der
Name -- uns das sagen?"

"Mein Gott, Ihr Fräulein soll mitfahren. Bitte, nur ja recht schnell, damit
Tit Grigorjewitsch nicht zu warten braucht."

"Hast du das so mit Marja Titowna abgemacht?" wandte Schejin sich an
die Tochter.

Sie schüttelte verneinend den Kopf.

"Es kam plötzlich," erklärte Ssurikow. "Tit Grigorjewitsch prahlte beim Tee
mit seinen neuen Bauten und schlug vor, gleich hinauszufahren und dort zu Mittag
zu speisen. Marja Titowna war ohne Bedenken dabei, jedoch unter der Bedingung,
daß man auch das Fräulein" -- er verbeugte sich gegen Olga -- "mitnehme.
Meine Hochachtung, Fräulein. Meine Hochachtung, Herr Hauptmann."

Er eilte fort.

"Nun, was, Jgnatij Leontjewitsch," empfingen ihn die Mädchen im Wagen,
"Sie wären fast kleben geblieben? War sie sehr hübsch? Haben Sie sich nicht
ein wenig verbrannt?"

"Schweigt, ihr Krähen."

Der Wagen setzte sich rasch in Bewegung.

"Das war also, wenn ich es so nennen soll, eine Einladung an dich, Olenka,"
sagte lächelnd Schejin.

"Etwas eigentümlich," meinte Olga mit Kopfschütteln.

"Ja, allerdings eigentümlich," bestätigte der Vater, "sozusagen sehr familiär.
Tut Marja Titowna, deine Freundin, es immer auf diese Weise? Wer was
denkst du zu tun, Olenka? Dem Befehl gehorchen, die Einladung annehmen oder
gleich das erstemal zeigen, daß du dich nicht kommandieren läßt?"


Im Flecken

zu gratulieren, Herr Hauptmann, Ich bin hier im Auftrage von Marja Titowna.
Sie läßt sagen, Sie möchten um zehn Uhr fertig sein, Fräulein. Sie fährt mit
Tit Grigorjewitsch und Anna Dmitrijewna auf das Gut. Der Vater will ihr die
neuen Bauten zeigen. Dort wird zu Mittag gespeist werden. Ich bin mit dem
Proviant voraus" — er wies mit der Hand nach der Chaussee, wo der Wagen
hielt. „Also ich bitte, nicht später als um zehn. Tit Grigorjewitsch wartet nicht
gern. Ich habe die Ehre, Fräulein. Meine Hochachtung, Herr Hauptmann."

Er wandte sich unter Verbeugungen zum Gehen.

„Erlauben Sie," sagte Schejin, „ich verstehe nicht recht. Mit wem habe ich
das Vergnügen?"

„Ich?" fragte der junge Mann verwundert. Er konnte es nicht fassen, daß
irgendein Mensch im' Flecken ihn nicht kennen sollte. „Ich bin ja Ssurikow»
Jgnatij Leontjewitsch Ssurikow."

„Wenn ich recht rate, der Neffe des Herrn Botscharow?"

„Nun ja, natürlich."

„Sehr erfreut. Wollen Sie nicht Platz nehmen?"

„Ich kann nicht," entgegnete Ssurikow mit einer Verbeugung und bedauerndem
Achselzucken, indem er in weitem Schwunge eine goldene Uhr aus der Tasche zog
und nach der Zeit sah. „Ach, es ist schon sehr spät, über halb zehn, und um
zehn wollte Tit Grigorjewitsch hier sein. Ich muß . . ."

, „Und wozu, wenn ich fragen darf, läßt Marja Titowna — so ist doch der
Name — uns das sagen?"

„Mein Gott, Ihr Fräulein soll mitfahren. Bitte, nur ja recht schnell, damit
Tit Grigorjewitsch nicht zu warten braucht."

„Hast du das so mit Marja Titowna abgemacht?" wandte Schejin sich an
die Tochter.

Sie schüttelte verneinend den Kopf.

„Es kam plötzlich," erklärte Ssurikow. „Tit Grigorjewitsch prahlte beim Tee
mit seinen neuen Bauten und schlug vor, gleich hinauszufahren und dort zu Mittag
zu speisen. Marja Titowna war ohne Bedenken dabei, jedoch unter der Bedingung,
daß man auch das Fräulein" — er verbeugte sich gegen Olga — „mitnehme.
Meine Hochachtung, Fräulein. Meine Hochachtung, Herr Hauptmann."

Er eilte fort.

„Nun, was, Jgnatij Leontjewitsch," empfingen ihn die Mädchen im Wagen,
„Sie wären fast kleben geblieben? War sie sehr hübsch? Haben Sie sich nicht
ein wenig verbrannt?"

„Schweigt, ihr Krähen."

Der Wagen setzte sich rasch in Bewegung.

„Das war also, wenn ich es so nennen soll, eine Einladung an dich, Olenka,"
sagte lächelnd Schejin.

„Etwas eigentümlich," meinte Olga mit Kopfschütteln.

„Ja, allerdings eigentümlich," bestätigte der Vater, „sozusagen sehr familiär.
Tut Marja Titowna, deine Freundin, es immer auf diese Weise? Wer was
denkst du zu tun, Olenka? Dem Befehl gehorchen, die Einladung annehmen oder
gleich das erstemal zeigen, daß du dich nicht kommandieren läßt?"


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0238" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317189"/>
          <fw type="header" place="top"> Im Flecken</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1049" prev="#ID_1048"> zu gratulieren, Herr Hauptmann, Ich bin hier im Auftrage von Marja Titowna.<lb/>
Sie läßt sagen, Sie möchten um zehn Uhr fertig sein, Fräulein. Sie fährt mit<lb/>
Tit Grigorjewitsch und Anna Dmitrijewna auf das Gut. Der Vater will ihr die<lb/>
neuen Bauten zeigen. Dort wird zu Mittag gespeist werden. Ich bin mit dem<lb/>
Proviant voraus" &#x2014; er wies mit der Hand nach der Chaussee, wo der Wagen<lb/>
hielt. &#x201E;Also ich bitte, nicht später als um zehn. Tit Grigorjewitsch wartet nicht<lb/>
gern. Ich habe die Ehre, Fräulein. Meine Hochachtung, Herr Hauptmann."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1050"> Er wandte sich unter Verbeugungen zum Gehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1051"> &#x201E;Erlauben Sie," sagte Schejin, &#x201E;ich verstehe nicht recht. Mit wem habe ich<lb/>
das Vergnügen?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1052"> &#x201E;Ich?" fragte der junge Mann verwundert. Er konnte es nicht fassen, daß<lb/>
irgendein Mensch im' Flecken ihn nicht kennen sollte. &#x201E;Ich bin ja Ssurikow»<lb/>
Jgnatij Leontjewitsch Ssurikow."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1053"> &#x201E;Wenn ich recht rate, der Neffe des Herrn Botscharow?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1054"> &#x201E;Nun ja, natürlich."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1055"> &#x201E;Sehr erfreut. Wollen Sie nicht Platz nehmen?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1056"> &#x201E;Ich kann nicht," entgegnete Ssurikow mit einer Verbeugung und bedauerndem<lb/>
Achselzucken, indem er in weitem Schwunge eine goldene Uhr aus der Tasche zog<lb/>
und nach der Zeit sah. &#x201E;Ach, es ist schon sehr spät, über halb zehn, und um<lb/>
zehn wollte Tit Grigorjewitsch hier sein. Ich muß . . ."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1057"> , &#x201E;Und wozu, wenn ich fragen darf, läßt Marja Titowna &#x2014; so ist doch der<lb/>
Name &#x2014; uns das sagen?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1058"> &#x201E;Mein Gott, Ihr Fräulein soll mitfahren. Bitte, nur ja recht schnell, damit<lb/>
Tit Grigorjewitsch nicht zu warten braucht."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1059"> &#x201E;Hast du das so mit Marja Titowna abgemacht?" wandte Schejin sich an<lb/>
die Tochter.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1060"> Sie schüttelte verneinend den Kopf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1061"> &#x201E;Es kam plötzlich," erklärte Ssurikow. &#x201E;Tit Grigorjewitsch prahlte beim Tee<lb/>
mit seinen neuen Bauten und schlug vor, gleich hinauszufahren und dort zu Mittag<lb/>
zu speisen. Marja Titowna war ohne Bedenken dabei, jedoch unter der Bedingung,<lb/>
daß man auch das Fräulein" &#x2014; er verbeugte sich gegen Olga &#x2014; &#x201E;mitnehme.<lb/>
Meine Hochachtung, Fräulein. Meine Hochachtung, Herr Hauptmann."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1062"> Er eilte fort.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1063"> &#x201E;Nun, was, Jgnatij Leontjewitsch," empfingen ihn die Mädchen im Wagen,<lb/>
&#x201E;Sie wären fast kleben geblieben? War sie sehr hübsch? Haben Sie sich nicht<lb/>
ein wenig verbrannt?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1064"> &#x201E;Schweigt, ihr Krähen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1065"> Der Wagen setzte sich rasch in Bewegung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1066"> &#x201E;Das war also, wenn ich es so nennen soll, eine Einladung an dich, Olenka,"<lb/>
sagte lächelnd Schejin.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1067"> &#x201E;Etwas eigentümlich," meinte Olga mit Kopfschütteln.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1068"> &#x201E;Ja, allerdings eigentümlich," bestätigte der Vater, &#x201E;sozusagen sehr familiär.<lb/>
Tut Marja Titowna, deine Freundin, es immer auf diese Weise? Wer was<lb/>
denkst du zu tun, Olenka? Dem Befehl gehorchen, die Einladung annehmen oder<lb/>
gleich das erstemal zeigen, daß du dich nicht kommandieren läßt?"</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0238] Im Flecken zu gratulieren, Herr Hauptmann, Ich bin hier im Auftrage von Marja Titowna. Sie läßt sagen, Sie möchten um zehn Uhr fertig sein, Fräulein. Sie fährt mit Tit Grigorjewitsch und Anna Dmitrijewna auf das Gut. Der Vater will ihr die neuen Bauten zeigen. Dort wird zu Mittag gespeist werden. Ich bin mit dem Proviant voraus" — er wies mit der Hand nach der Chaussee, wo der Wagen hielt. „Also ich bitte, nicht später als um zehn. Tit Grigorjewitsch wartet nicht gern. Ich habe die Ehre, Fräulein. Meine Hochachtung, Herr Hauptmann." Er wandte sich unter Verbeugungen zum Gehen. „Erlauben Sie," sagte Schejin, „ich verstehe nicht recht. Mit wem habe ich das Vergnügen?" „Ich?" fragte der junge Mann verwundert. Er konnte es nicht fassen, daß irgendein Mensch im' Flecken ihn nicht kennen sollte. „Ich bin ja Ssurikow» Jgnatij Leontjewitsch Ssurikow." „Wenn ich recht rate, der Neffe des Herrn Botscharow?" „Nun ja, natürlich." „Sehr erfreut. Wollen Sie nicht Platz nehmen?" „Ich kann nicht," entgegnete Ssurikow mit einer Verbeugung und bedauerndem Achselzucken, indem er in weitem Schwunge eine goldene Uhr aus der Tasche zog und nach der Zeit sah. „Ach, es ist schon sehr spät, über halb zehn, und um zehn wollte Tit Grigorjewitsch hier sein. Ich muß . . ." , „Und wozu, wenn ich fragen darf, läßt Marja Titowna — so ist doch der Name — uns das sagen?" „Mein Gott, Ihr Fräulein soll mitfahren. Bitte, nur ja recht schnell, damit Tit Grigorjewitsch nicht zu warten braucht." „Hast du das so mit Marja Titowna abgemacht?" wandte Schejin sich an die Tochter. Sie schüttelte verneinend den Kopf. „Es kam plötzlich," erklärte Ssurikow. „Tit Grigorjewitsch prahlte beim Tee mit seinen neuen Bauten und schlug vor, gleich hinauszufahren und dort zu Mittag zu speisen. Marja Titowna war ohne Bedenken dabei, jedoch unter der Bedingung, daß man auch das Fräulein" — er verbeugte sich gegen Olga — „mitnehme. Meine Hochachtung, Fräulein. Meine Hochachtung, Herr Hauptmann." Er eilte fort. „Nun, was, Jgnatij Leontjewitsch," empfingen ihn die Mädchen im Wagen, „Sie wären fast kleben geblieben? War sie sehr hübsch? Haben Sie sich nicht ein wenig verbrannt?" „Schweigt, ihr Krähen." Der Wagen setzte sich rasch in Bewegung. „Das war also, wenn ich es so nennen soll, eine Einladung an dich, Olenka," sagte lächelnd Schejin. „Etwas eigentümlich," meinte Olga mit Kopfschütteln. „Ja, allerdings eigentümlich," bestätigte der Vater, „sozusagen sehr familiär. Tut Marja Titowna, deine Freundin, es immer auf diese Weise? Wer was denkst du zu tun, Olenka? Dem Befehl gehorchen, die Einladung annehmen oder gleich das erstemal zeigen, daß du dich nicht kommandieren läßt?"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/238
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/238>, abgerufen am 22.07.2024.