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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Line große Soziale unter den Malaien

Gewohnheitsrecht, geradezu sanktioniert wurde, nämlich der, daß der Besitz an
dauernd in Kultur bleibenden (bewässerbaren) Feldern -- wie er ja fast überall
allmählich in einer Ansiedlung ein beschränkter wurde -- nicht Eigentum einer
einzelnen Person werden kann, sondern der Familie verbleibt und auch von dieser
nur in Ausnahmefällen veräußert werden kann. Ebenso ist es zu halten mit
dem Hause oder der Sohlstätte nach deutschem Rechtsbegriffe, sowie auch mit
ererbten, wertvoll erscheinenden Mobilien, Waffen, Schmuck usw., die als liarta
pugaka bezeichnet werden. Auch verpfändet kann solcher Besitz nur ausnahms¬
weise werden und nur mit Zustimmung der ganzen Familie oder gar der
Dorfgenossenschaft.

Da in der großen malaiischen Soziale nicht der einzelne eigentlich eine
Rechtsperson ist, sondern nur die Familie, so kann es nicht so sehr überraschen,
daß diese nicht nur in zivilrechtlicher, sondern bis zu einem gewissen Grade selbst
in strafrechtlicher Beziehung für jedes ihrer Glieder einzustehen hat. Der heran¬
gewachsene Mann im Mutterhause arbeitet nicht für seine eigenen Kinder, sondern
für die in diesem lebende Familie von mütterlicher Seite. Die Reisernte von
dem der Familie zustehenden bewüsserbaren Felde kommt nur dieser zugute.
(Dem Manne steht zugunsten seiner leiblichen Kinder allein die Verfügung über
das selbst, durch Arbeit in der Fremde oder auf Rodungen des Urwaldes
^laZan^ an Ernteertrag Erworbene zu.) Dagegen ist der Mama! und mit
ihm der Dorfhäuptling dafür verantwortlich, daß niemand von seinen Schütz¬
lingen Hunger leide. Sollte eine ganze Familie in Not geraten, dann wird sie
nicht vergeblich an die Hilfe des näher stehenden Verbandes appellieren. So
wurde und wird es auch noch heute überall da gehalten, wo die Familie noch
von ihrem Grundbesitz lebt und wo sich nicht fremde Elemente in die alte
Gemeinschaft hineingedrängt haben, wie dieses z. B. in der Hauptstadt von
Sumatras Westküste, in Padang, der Fall ist, da dort vielfach Mischehen von
Sukugliedern, selbst mit Chinesen und Arabern, vorkommen. Im Koutakte mit
den umwohnenden Volksstämmen haben sich namentlich an den Grenzen gegen
die Batakländer und gegen die Nedjangdistrikte hin die zivilrechtlichen Verhältnisse
ebenfalls mehr oder weniger verschoben. Wo aber auch fremde Elemente ver¬
ändernd in das soziale Leben der Malaien von Minang Kabau eingegriffen
haben mögen, da sehen wir doch immer wieder das Bestreben, zum alten
Gewohnheitsrechte, dem Adad, mit seinen kommunistischen Grundgedanken
zurückzukehren.

Als ein sehr interessantes strafrechtliches Verhältnis in dieser großen Soziale
verdient noch die ziemlich weitgehende Verantwortlichkeit hervorgehoben zu werden,
welche selbst die weitere Familie ihren Gliedern gegenüber zu übernehmen hat,
was selbst in früherer Zeit so weit geführt hat, daß für eine Untat, die inner¬
halb irgendeines Häuserviertels begangen war, bis zu einem gewissen Grade
alle Bewohner desselben verantwortlich gemacht wurden. Heute, wo sich unter
dem langjährigen holländischen Regime, das sich gerade in letzter Zeit so


Line große Soziale unter den Malaien

Gewohnheitsrecht, geradezu sanktioniert wurde, nämlich der, daß der Besitz an
dauernd in Kultur bleibenden (bewässerbaren) Feldern — wie er ja fast überall
allmählich in einer Ansiedlung ein beschränkter wurde — nicht Eigentum einer
einzelnen Person werden kann, sondern der Familie verbleibt und auch von dieser
nur in Ausnahmefällen veräußert werden kann. Ebenso ist es zu halten mit
dem Hause oder der Sohlstätte nach deutschem Rechtsbegriffe, sowie auch mit
ererbten, wertvoll erscheinenden Mobilien, Waffen, Schmuck usw., die als liarta
pugaka bezeichnet werden. Auch verpfändet kann solcher Besitz nur ausnahms¬
weise werden und nur mit Zustimmung der ganzen Familie oder gar der
Dorfgenossenschaft.

Da in der großen malaiischen Soziale nicht der einzelne eigentlich eine
Rechtsperson ist, sondern nur die Familie, so kann es nicht so sehr überraschen,
daß diese nicht nur in zivilrechtlicher, sondern bis zu einem gewissen Grade selbst
in strafrechtlicher Beziehung für jedes ihrer Glieder einzustehen hat. Der heran¬
gewachsene Mann im Mutterhause arbeitet nicht für seine eigenen Kinder, sondern
für die in diesem lebende Familie von mütterlicher Seite. Die Reisernte von
dem der Familie zustehenden bewüsserbaren Felde kommt nur dieser zugute.
(Dem Manne steht zugunsten seiner leiblichen Kinder allein die Verfügung über
das selbst, durch Arbeit in der Fremde oder auf Rodungen des Urwaldes
^laZan^ an Ernteertrag Erworbene zu.) Dagegen ist der Mama! und mit
ihm der Dorfhäuptling dafür verantwortlich, daß niemand von seinen Schütz¬
lingen Hunger leide. Sollte eine ganze Familie in Not geraten, dann wird sie
nicht vergeblich an die Hilfe des näher stehenden Verbandes appellieren. So
wurde und wird es auch noch heute überall da gehalten, wo die Familie noch
von ihrem Grundbesitz lebt und wo sich nicht fremde Elemente in die alte
Gemeinschaft hineingedrängt haben, wie dieses z. B. in der Hauptstadt von
Sumatras Westküste, in Padang, der Fall ist, da dort vielfach Mischehen von
Sukugliedern, selbst mit Chinesen und Arabern, vorkommen. Im Koutakte mit
den umwohnenden Volksstämmen haben sich namentlich an den Grenzen gegen
die Batakländer und gegen die Nedjangdistrikte hin die zivilrechtlichen Verhältnisse
ebenfalls mehr oder weniger verschoben. Wo aber auch fremde Elemente ver¬
ändernd in das soziale Leben der Malaien von Minang Kabau eingegriffen
haben mögen, da sehen wir doch immer wieder das Bestreben, zum alten
Gewohnheitsrechte, dem Adad, mit seinen kommunistischen Grundgedanken
zurückzukehren.

Als ein sehr interessantes strafrechtliches Verhältnis in dieser großen Soziale
verdient noch die ziemlich weitgehende Verantwortlichkeit hervorgehoben zu werden,
welche selbst die weitere Familie ihren Gliedern gegenüber zu übernehmen hat,
was selbst in früherer Zeit so weit geführt hat, daß für eine Untat, die inner¬
halb irgendeines Häuserviertels begangen war, bis zu einem gewissen Grade
alle Bewohner desselben verantwortlich gemacht wurden. Heute, wo sich unter
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/232>, abgerufen am 22.07.2024.