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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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diese Würde überging, und ebenso wird es zwischen Mutter- und Filialdorf
gehalten. -- Ist es auch nur die Tradition, durch welche die einzelnen Ab¬
stufungen der Verwandtschaft in der Erinnerung des Volkes erhalten bleiben,
so vermag man diese doch mit Sicherheit in eine fernliegende Zeit zurück¬
zudatieren.

Sofern man nun auf Grund dieser streng durchgeführten Gesellschaftsordnung
weitere Rückschlüsse macht, kommt man auf die Sukus als Ausgangspunkte des
großartigen Familienverbandes der Malaien von Minang Kabau zurück. Die
Sage erzählt über diese Sukus folgendes: "Als sich die Gründer des Volkes
zuerst auf Sumatra seßhaft machten, bildeten sie nur zwei Stämme, die aber
schon in vier Sukus verteilt waren. Der eine Stamm mit den Sukus Kola
und Pilian ließ sich in der heutigen Landschaft Tanah Datar nieder, der andere
aber mit den Sukus Budi und Tjeniago besiedelte die Landschaft von Agam
(die Umgegend des heutigen Fort de Kock). Als nun die Bevölkerung stark
zugenommen, hat man mehr Sukus mit besonderem Namen gebildet, wie man
auch jetzt vier und auch mehr Sukus in allen größeren Orten nebeneinander
wohnen sieht." Mag nun diese Sage auch nur zum Teile Wahres berichten,
so müssen doch jedenfalls ursprünglich vier Stämme auf dem Boden des späteren
Königreiches Minang Kabau gewohnt haben, die bei bestehender Exogamie durch
Wechselheirat miteinander verbunden waren. An der Gründung neuer Siede¬
lungen werden sich dann Angehörige von mehreren Sukus zugleich beteiligt
haben, oder sie haben sich nach und nach in jenem niedergelassen. Meistens
scheint letzteres der Fall gewesen zu sein. Es bekleidet dann nach altem
Gewohnheitsrechte immer der eigentliche Manat des zuerst eingewanderten
Sukus die Stelle des Dorfvorstehers oder Pangulus. Im anderen Falle bilden
auch wohl mehrere Sulu-Älteste den Ortsvorstand. (So sah ich z. B. in dem
mehrere tausend Einwohner zählenden Dorfe Pakanten I^TapanuliZ sogar zwei
Oberhäuptlinge Mstriktsvorsteher oder Tuwankos^ nebeneinander residieren.)

Wo nun eine neue Ansiedlung gegründet wurde, da scheint man bei der
Anlage von bewässerbaren Reisfeldern (Sawahs) gemeinsam vorgegangen zu
sein, was sich wegen der Herstellung ineinander greifender Wasserleitungen schon
von selbst empfahl. Jede Familie nahm dann anfänglich so viel Ackerland für
sich in Beschlag, als sie zu bearbeiten für gut hielt; doch scheint man schon bald
dazu übergegangen zu sein, den Nießbrauch einzelner durch ihre Lage bevorzugter
Felder alljährlich durch das Los zu bestimmen. Ließ die Anlage flößbarer
Felder allmählich keine Erweiterung mehr zu, dann machte man natürlich dem
Zuzüge von neuen Dorfbewohnern ein Ende, die alten aber blieben im Rechte
der Bebauung eines festgesetzten Areales, und wenn die Einwohnerzahl schließlich
zu groß wurde, ging man zur Gründung einer neuen Ansiedlung über.

Bei dieser Art des Besitzes und der beschriebenen Konstituierung der Gesell¬
schaft gilt nun ein sehr wichtiger Grundsatz, der mit der Zeit durch das bei
den Malaien von Minang Kabau allein geltende Recht, das als "aäat" bezeichnete


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diese Würde überging, und ebenso wird es zwischen Mutter- und Filialdorf
gehalten. — Ist es auch nur die Tradition, durch welche die einzelnen Ab¬
stufungen der Verwandtschaft in der Erinnerung des Volkes erhalten bleiben,
so vermag man diese doch mit Sicherheit in eine fernliegende Zeit zurück¬
zudatieren.

Sofern man nun auf Grund dieser streng durchgeführten Gesellschaftsordnung
weitere Rückschlüsse macht, kommt man auf die Sukus als Ausgangspunkte des
großartigen Familienverbandes der Malaien von Minang Kabau zurück. Die
Sage erzählt über diese Sukus folgendes: „Als sich die Gründer des Volkes
zuerst auf Sumatra seßhaft machten, bildeten sie nur zwei Stämme, die aber
schon in vier Sukus verteilt waren. Der eine Stamm mit den Sukus Kola
und Pilian ließ sich in der heutigen Landschaft Tanah Datar nieder, der andere
aber mit den Sukus Budi und Tjeniago besiedelte die Landschaft von Agam
(die Umgegend des heutigen Fort de Kock). Als nun die Bevölkerung stark
zugenommen, hat man mehr Sukus mit besonderem Namen gebildet, wie man
auch jetzt vier und auch mehr Sukus in allen größeren Orten nebeneinander
wohnen sieht." Mag nun diese Sage auch nur zum Teile Wahres berichten,
so müssen doch jedenfalls ursprünglich vier Stämme auf dem Boden des späteren
Königreiches Minang Kabau gewohnt haben, die bei bestehender Exogamie durch
Wechselheirat miteinander verbunden waren. An der Gründung neuer Siede¬
lungen werden sich dann Angehörige von mehreren Sukus zugleich beteiligt
haben, oder sie haben sich nach und nach in jenem niedergelassen. Meistens
scheint letzteres der Fall gewesen zu sein. Es bekleidet dann nach altem
Gewohnheitsrechte immer der eigentliche Manat des zuerst eingewanderten
Sukus die Stelle des Dorfvorstehers oder Pangulus. Im anderen Falle bilden
auch wohl mehrere Sulu-Älteste den Ortsvorstand. (So sah ich z. B. in dem
mehrere tausend Einwohner zählenden Dorfe Pakanten I^TapanuliZ sogar zwei
Oberhäuptlinge Mstriktsvorsteher oder Tuwankos^ nebeneinander residieren.)

Wo nun eine neue Ansiedlung gegründet wurde, da scheint man bei der
Anlage von bewässerbaren Reisfeldern (Sawahs) gemeinsam vorgegangen zu
sein, was sich wegen der Herstellung ineinander greifender Wasserleitungen schon
von selbst empfahl. Jede Familie nahm dann anfänglich so viel Ackerland für
sich in Beschlag, als sie zu bearbeiten für gut hielt; doch scheint man schon bald
dazu übergegangen zu sein, den Nießbrauch einzelner durch ihre Lage bevorzugter
Felder alljährlich durch das Los zu bestimmen. Ließ die Anlage flößbarer
Felder allmählich keine Erweiterung mehr zu, dann machte man natürlich dem
Zuzüge von neuen Dorfbewohnern ein Ende, die alten aber blieben im Rechte
der Bebauung eines festgesetzten Areales, und wenn die Einwohnerzahl schließlich
zu groß wurde, ging man zur Gründung einer neuen Ansiedlung über.

Bei dieser Art des Besitzes und der beschriebenen Konstituierung der Gesell¬
schaft gilt nun ein sehr wichtiger Grundsatz, der mit der Zeit durch das bei
den Malaien von Minang Kabau allein geltende Recht, das als „aäat" bezeichnete


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[0231] Line große Soziale unter den Malaien diese Würde überging, und ebenso wird es zwischen Mutter- und Filialdorf gehalten. — Ist es auch nur die Tradition, durch welche die einzelnen Ab¬ stufungen der Verwandtschaft in der Erinnerung des Volkes erhalten bleiben, so vermag man diese doch mit Sicherheit in eine fernliegende Zeit zurück¬ zudatieren. Sofern man nun auf Grund dieser streng durchgeführten Gesellschaftsordnung weitere Rückschlüsse macht, kommt man auf die Sukus als Ausgangspunkte des großartigen Familienverbandes der Malaien von Minang Kabau zurück. Die Sage erzählt über diese Sukus folgendes: „Als sich die Gründer des Volkes zuerst auf Sumatra seßhaft machten, bildeten sie nur zwei Stämme, die aber schon in vier Sukus verteilt waren. Der eine Stamm mit den Sukus Kola und Pilian ließ sich in der heutigen Landschaft Tanah Datar nieder, der andere aber mit den Sukus Budi und Tjeniago besiedelte die Landschaft von Agam (die Umgegend des heutigen Fort de Kock). Als nun die Bevölkerung stark zugenommen, hat man mehr Sukus mit besonderem Namen gebildet, wie man auch jetzt vier und auch mehr Sukus in allen größeren Orten nebeneinander wohnen sieht." Mag nun diese Sage auch nur zum Teile Wahres berichten, so müssen doch jedenfalls ursprünglich vier Stämme auf dem Boden des späteren Königreiches Minang Kabau gewohnt haben, die bei bestehender Exogamie durch Wechselheirat miteinander verbunden waren. An der Gründung neuer Siede¬ lungen werden sich dann Angehörige von mehreren Sukus zugleich beteiligt haben, oder sie haben sich nach und nach in jenem niedergelassen. Meistens scheint letzteres der Fall gewesen zu sein. Es bekleidet dann nach altem Gewohnheitsrechte immer der eigentliche Manat des zuerst eingewanderten Sukus die Stelle des Dorfvorstehers oder Pangulus. Im anderen Falle bilden auch wohl mehrere Sulu-Älteste den Ortsvorstand. (So sah ich z. B. in dem mehrere tausend Einwohner zählenden Dorfe Pakanten I^TapanuliZ sogar zwei Oberhäuptlinge Mstriktsvorsteher oder Tuwankos^ nebeneinander residieren.) Wo nun eine neue Ansiedlung gegründet wurde, da scheint man bei der Anlage von bewässerbaren Reisfeldern (Sawahs) gemeinsam vorgegangen zu sein, was sich wegen der Herstellung ineinander greifender Wasserleitungen schon von selbst empfahl. Jede Familie nahm dann anfänglich so viel Ackerland für sich in Beschlag, als sie zu bearbeiten für gut hielt; doch scheint man schon bald dazu übergegangen zu sein, den Nießbrauch einzelner durch ihre Lage bevorzugter Felder alljährlich durch das Los zu bestimmen. Ließ die Anlage flößbarer Felder allmählich keine Erweiterung mehr zu, dann machte man natürlich dem Zuzüge von neuen Dorfbewohnern ein Ende, die alten aber blieben im Rechte der Bebauung eines festgesetzten Areales, und wenn die Einwohnerzahl schließlich zu groß wurde, ging man zur Gründung einer neuen Ansiedlung über. Bei dieser Art des Besitzes und der beschriebenen Konstituierung der Gesell¬ schaft gilt nun ein sehr wichtiger Grundsatz, der mit der Zeit durch das bei den Malaien von Minang Kabau allein geltende Recht, das als „aäat" bezeichnete

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/231>, abgerufen am 22.07.2024.