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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Line große Soziale unter den Malaien

rücksichtslos gegen den malaiischen Adad zu zeigen beginnt, während das vordem
klüglich vermieden wurde, die Verhältnisse auf dem Boden des alten Königreiches
Minang Kabau in strafrechtlicher Hinsicht schon so sehr geändert haben, kann
man darin wohl noch deutliche Spuren jenes uralten allgemeinen Verantwortlichkeits¬
gefühles erblicken, daß namentlich ein Fremdling überall sehr angelegentlich gefragt
wird, woher er komme und wohin er zu gehen beabsichtige. Und das nicht
allein -- ein Fremdling, auf den schon mehr Gewicht gelegt wird, wird nicht
etwa zur Auszeichnung auf seinem Wege durch die Gemarkung des Dorfes von
dessen Vorsteher oder einem Vertreter von ihm geleitet, sondern in dem alt¬
eingepflanzten Bewußtsein, hier für seine Wohlfahrt verantwortlich zu fein.
Daher erstreckt sich diese Begleitung ohne besondere Verabredung auch nur bis
Mr Dorfgrenze.

Um noch von dem unter den Malaien von Minang Kabau geltenden
Erbrechte einiges zu sagen, so gibt es natürlich nur eine Erbfolge in weiblicher
Linie, Testamente und Enterbung aber überhaupt nicht bei ihnen. Liegender
Privatbesitz und die schon genannte narta pusaka bleibt bei der Familie. Der
Vater kann seinen leiblichen. Kindern nur Selbstermorbenes durch mündliche
Schenkung zugute kommen lassen; erfolgt eine solche aber nicht, dann fällt
auch dieses ohne weiteres den Kindern seiner Schwester zu.

Überschaut man die gesellschaftlichen Institutionen, wie sie in der besprochenen
malaiischen Soziale bestehen, in ihrer Gesamtheit, sowie auch in ihren ursprüng¬
lichen, auf die Exogamie und das Matriarchat basierten Ausgangspunkten, so
kann man nicht anders sagen, wie sehr sich auch die uns eingepflanzten bezw.
anerzogenen gesellschaftlichen Grundbegriffe dagegen sträuben, als daß sich in
denselben sehr viel gesundes, originelles Denken verrät. Eine andere Frage
aber ist die, ob sich bei all den Komplikationen in den gesellschaftlichen Ver¬
hältnissen, wie sie ein hochentwickeltes Kulturleben und der immer weiter reichende
internationale Verkehr mit sich bringen, vor allem aber auch der Einfluß des
dem Grundbesitz gegenüber immer mächtiger werdenden Kapitales, die Kon¬
stituierung der modernen Gesellschaft auf einer ähnlichen kommunistischen Grundlage
(wie ja eine solche auch in dem Sinne des bekannten Sozialpolitikers Charles
Fourier liegt) empfehlen würde. Bei ruhigem, vorurteilsfreien Erwägen scheint
manches dafür, doch mehr dagegen zu sprechen. Und wenn ich mich nun in
möglichst unbefangener Weise über die guten und üblen Wirkungen, welche die
bestehende große malaiische Soziale auf ihre Glieder ausgeübt hat, äußern soll,
dann glaube ich nichts anderes sagen zu können, als daß sie auf deren Charakter¬
bildung mehr im guten als im schlechten Sinne eingewirkt hat, daß sie aber,
was bei weiterem Denken doch gewiß auch sehr in die Wagschale fällt, der
materiellen und geistigen Hebung des Volkes keineswegs förderlich gewesen ist.

Mir scheint es über allen Zweifel erhaben, daß der Malaie auf dem Boden
des alten Königreiches Minang Kabau ein viel besserer Mensch geblieben oder
vielleicht auch geworden ist, als sein Namensvetter auf Java unter der viele


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rücksichtslos gegen den malaiischen Adad zu zeigen beginnt, während das vordem
klüglich vermieden wurde, die Verhältnisse auf dem Boden des alten Königreiches
Minang Kabau in strafrechtlicher Hinsicht schon so sehr geändert haben, kann
man darin wohl noch deutliche Spuren jenes uralten allgemeinen Verantwortlichkeits¬
gefühles erblicken, daß namentlich ein Fremdling überall sehr angelegentlich gefragt
wird, woher er komme und wohin er zu gehen beabsichtige. Und das nicht
allein — ein Fremdling, auf den schon mehr Gewicht gelegt wird, wird nicht
etwa zur Auszeichnung auf seinem Wege durch die Gemarkung des Dorfes von
dessen Vorsteher oder einem Vertreter von ihm geleitet, sondern in dem alt¬
eingepflanzten Bewußtsein, hier für seine Wohlfahrt verantwortlich zu fein.
Daher erstreckt sich diese Begleitung ohne besondere Verabredung auch nur bis
Mr Dorfgrenze.

Um noch von dem unter den Malaien von Minang Kabau geltenden
Erbrechte einiges zu sagen, so gibt es natürlich nur eine Erbfolge in weiblicher
Linie, Testamente und Enterbung aber überhaupt nicht bei ihnen. Liegender
Privatbesitz und die schon genannte narta pusaka bleibt bei der Familie. Der
Vater kann seinen leiblichen. Kindern nur Selbstermorbenes durch mündliche
Schenkung zugute kommen lassen; erfolgt eine solche aber nicht, dann fällt
auch dieses ohne weiteres den Kindern seiner Schwester zu.

Überschaut man die gesellschaftlichen Institutionen, wie sie in der besprochenen
malaiischen Soziale bestehen, in ihrer Gesamtheit, sowie auch in ihren ursprüng¬
lichen, auf die Exogamie und das Matriarchat basierten Ausgangspunkten, so
kann man nicht anders sagen, wie sehr sich auch die uns eingepflanzten bezw.
anerzogenen gesellschaftlichen Grundbegriffe dagegen sträuben, als daß sich in
denselben sehr viel gesundes, originelles Denken verrät. Eine andere Frage
aber ist die, ob sich bei all den Komplikationen in den gesellschaftlichen Ver¬
hältnissen, wie sie ein hochentwickeltes Kulturleben und der immer weiter reichende
internationale Verkehr mit sich bringen, vor allem aber auch der Einfluß des
dem Grundbesitz gegenüber immer mächtiger werdenden Kapitales, die Kon¬
stituierung der modernen Gesellschaft auf einer ähnlichen kommunistischen Grundlage
(wie ja eine solche auch in dem Sinne des bekannten Sozialpolitikers Charles
Fourier liegt) empfehlen würde. Bei ruhigem, vorurteilsfreien Erwägen scheint
manches dafür, doch mehr dagegen zu sprechen. Und wenn ich mich nun in
möglichst unbefangener Weise über die guten und üblen Wirkungen, welche die
bestehende große malaiische Soziale auf ihre Glieder ausgeübt hat, äußern soll,
dann glaube ich nichts anderes sagen zu können, als daß sie auf deren Charakter¬
bildung mehr im guten als im schlechten Sinne eingewirkt hat, daß sie aber,
was bei weiterem Denken doch gewiß auch sehr in die Wagschale fällt, der
materiellen und geistigen Hebung des Volkes keineswegs förderlich gewesen ist.

Mir scheint es über allen Zweifel erhaben, daß der Malaie auf dem Boden
des alten Königreiches Minang Kabau ein viel besserer Mensch geblieben oder
vielleicht auch geworden ist, als sein Namensvetter auf Java unter der viele


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/233>, abgerufen am 22.07.2024.