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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Line große Soziale unter den Malaien

und ebenso ihr Gatte in dem Hause seiner Mutter. Während der ersten Zeit
nach der Eheschließung hilft der Mann seiner Frau wohl bei ihrer Arbeit,
später aber ist er wieder sozusagen ausschließlich für den mütterlichen Herd
tätig und stattet seiner Ehegenossin nach Belieben nur Besuche nach Sonnen¬
untergang ab. Da natürlich auch die Brüder der verheirateten Frau den Laren
ihres Hauses nicht den Rücken kehren, so sind sie es, welche die Arbeit für ihre
Mutter, ihre Schwestern und deren Kinder übernehmen. Kann das Haus,
welches bei der sorgfältigen Auswahl der zu seinem Baue verwandten Holz¬
sorten auch dort, in den regenreichen Tropen, recht lange dem Zahn der Zeit
zu trotzen vermag, allmählich die sich stark vermehrende mütterliche Nachkommen¬
schaft nicht mehr fassen, dann wird angebaut, und dieses eventuell noch mehrere
Male wiederholt, wenn der reiche Kindersegen im Mutter- oder Großmutter¬
hause solches erfordert. Man kann es gewöhnlich schon an der Zahl der aus
der First des Daches hervorragenden hornartigen Zapfen (gebildet aus dem
schwarzen Faserstoffe der Zuckerpalme) sehen, wie oft ein solches Anbauen infolge
des Familienzuwachses nötig wurde. In der Landschaft von Korintji, welche
im Südosten an das Gebiet von Mincmg Kabau angrenzt und ehemals zu diesem
gehörte, findet man ungewöhnlich große Malaienhäuser, worin mehr als fünfzig
Frauen mit ihrer Sippe in weiblicher Linie seßhaft sind. Es ist wirklich zu
verwundern, daß unter all den Frauen in einem solchen Massen quartier meistens
guter Friede herrscht; weil aber darin doch ein Herr und Meister sein muß
und eine Frau dazu nicht recht geeignet erscheint, so vertritt ein Bruder der
Begründerin des häuslichen Herdes als "Majordomus" im eigentlichen Sinne
des Wortes ihre Stelle. Da sich nun das Matriarchat auch auf die Erbfolge
erstreckt, geht von jenem die Herrschaft im Hause auf den ältesten Neffen in
weiblicher Linie über, und so geht es weiter. Der malaiische Majordomus
führt den Titel msmak, (das ist Ohm, Onkel) und alle, die ihm unterstellt sind,
nennen sich seine KamanaKan8 (gebildet von arent, d. i. Kind). Kann das
Mutterhaus ungeachtet seines großen Umfanges schließlich das ganze junge und
alte Volk nicht mehr fassen, oder wird solch ein menschlicher Bienenkorb bau¬
fällig, dann tritt eine Teilung des Hausgesindes ein. Man errichtet sodann
möglichst in der Nähe des Mutterhauses eine oder mehrere neue Wohnungen.
Es entsteht so schließlich ein ganzes Häuserviertel (Kumpulan rumali) für die
große Familie. -- Reicht in einer Ansiedlung der Umfang der Reisäcker und
sonstigen Ländereien zur Ernährung der zu zahlreich gewordenen Dorfbewohner
nicht mehr aus, so geht man auf der großen, im allgemeinen nur sehr dünn
bevölkerten Insel zur Gründung einer neuen Ansiedlung über -- ubi tous,
ubi NLMU8 placuit, wie es Tacitus auch von unseren germanischen Altvorderen
sagt. Dabei bleibt aber das verwandtschaftliche Band zwischen den Aus¬
wanderern und dem Mutterdorfe ungelockert. Gibt es auch in jedem Haufe
einen Manat, so bleibt doch derjenige von ihnen als der höchste respektiert,
auf den vom ursprünglichen Mutterhause her durch Erbfolge in weiblicher Linie


Line große Soziale unter den Malaien

und ebenso ihr Gatte in dem Hause seiner Mutter. Während der ersten Zeit
nach der Eheschließung hilft der Mann seiner Frau wohl bei ihrer Arbeit,
später aber ist er wieder sozusagen ausschließlich für den mütterlichen Herd
tätig und stattet seiner Ehegenossin nach Belieben nur Besuche nach Sonnen¬
untergang ab. Da natürlich auch die Brüder der verheirateten Frau den Laren
ihres Hauses nicht den Rücken kehren, so sind sie es, welche die Arbeit für ihre
Mutter, ihre Schwestern und deren Kinder übernehmen. Kann das Haus,
welches bei der sorgfältigen Auswahl der zu seinem Baue verwandten Holz¬
sorten auch dort, in den regenreichen Tropen, recht lange dem Zahn der Zeit
zu trotzen vermag, allmählich die sich stark vermehrende mütterliche Nachkommen¬
schaft nicht mehr fassen, dann wird angebaut, und dieses eventuell noch mehrere
Male wiederholt, wenn der reiche Kindersegen im Mutter- oder Großmutter¬
hause solches erfordert. Man kann es gewöhnlich schon an der Zahl der aus
der First des Daches hervorragenden hornartigen Zapfen (gebildet aus dem
schwarzen Faserstoffe der Zuckerpalme) sehen, wie oft ein solches Anbauen infolge
des Familienzuwachses nötig wurde. In der Landschaft von Korintji, welche
im Südosten an das Gebiet von Mincmg Kabau angrenzt und ehemals zu diesem
gehörte, findet man ungewöhnlich große Malaienhäuser, worin mehr als fünfzig
Frauen mit ihrer Sippe in weiblicher Linie seßhaft sind. Es ist wirklich zu
verwundern, daß unter all den Frauen in einem solchen Massen quartier meistens
guter Friede herrscht; weil aber darin doch ein Herr und Meister sein muß
und eine Frau dazu nicht recht geeignet erscheint, so vertritt ein Bruder der
Begründerin des häuslichen Herdes als „Majordomus" im eigentlichen Sinne
des Wortes ihre Stelle. Da sich nun das Matriarchat auch auf die Erbfolge
erstreckt, geht von jenem die Herrschaft im Hause auf den ältesten Neffen in
weiblicher Linie über, und so geht es weiter. Der malaiische Majordomus
führt den Titel msmak, (das ist Ohm, Onkel) und alle, die ihm unterstellt sind,
nennen sich seine KamanaKan8 (gebildet von arent, d. i. Kind). Kann das
Mutterhaus ungeachtet seines großen Umfanges schließlich das ganze junge und
alte Volk nicht mehr fassen, oder wird solch ein menschlicher Bienenkorb bau¬
fällig, dann tritt eine Teilung des Hausgesindes ein. Man errichtet sodann
möglichst in der Nähe des Mutterhauses eine oder mehrere neue Wohnungen.
Es entsteht so schließlich ein ganzes Häuserviertel (Kumpulan rumali) für die
große Familie. — Reicht in einer Ansiedlung der Umfang der Reisäcker und
sonstigen Ländereien zur Ernährung der zu zahlreich gewordenen Dorfbewohner
nicht mehr aus, so geht man auf der großen, im allgemeinen nur sehr dünn
bevölkerten Insel zur Gründung einer neuen Ansiedlung über — ubi tous,
ubi NLMU8 placuit, wie es Tacitus auch von unseren germanischen Altvorderen
sagt. Dabei bleibt aber das verwandtschaftliche Band zwischen den Aus¬
wanderern und dem Mutterdorfe ungelockert. Gibt es auch in jedem Haufe
einen Manat, so bleibt doch derjenige von ihnen als der höchste respektiert,
auf den vom ursprünglichen Mutterhause her durch Erbfolge in weiblicher Linie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/230>, abgerufen am 22.07.2024.