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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Eine große Soziale unter den Malaien

Kulturstufe noch besteht. Ebenso finde ich es ganz gerechtfertigt, wenn Ratzel
in seiner "Völkerkunde" die Annahme ausspricht, daß das Matriarchat bei allen
Volksstämmen, namentlich denen der malaiischen Rasse, früher bestanden haben
müsse -- auch wenn bei ihnen heute das Patriarchat gelte --. sofern sie sich
von alters her die Exogamie zum Gesellschaftsgrundsatze genommen, also nur
eheliche Verbindungen mit Frauen aus einem anderen Stamme zugelassen hätten.
Bei den Volksstämmen von Sumatra scheint nun letztgenannte gesellschaftliche
Institution, um den schädlichen Folgen der Inzucht vorzubeugen, schon seit ferner
Vorzeit streng durchgeführt worden zu sein, vor allen aber bei den Malaien
von Minang Kabau, wo infolgedessen auch die scharfe Teilung des Volkes in
ursprünglich vier (später allerdings mehr) Stämme so frisch in der Erinnerung
geblieben ist, daß bei keinem von diesen Malaien darüber Zweifel entstehen
können, aus welchen: Stamme er ein Weib nehmen darf. Die Benennung für
Stamm ist bei ihnen Sulu. welches Wort schon etymologisch auf eine Zer¬
gliederung der Volksgenossenschaft in vier Teile hinweist. Der Sulu bildet
nun die politischen Individuen, aus welchen sich der auf sozialistischer bezw.
kommunistischer Basis errichtete Staat von Minang Kabau aufgebaut hat.
Mögen sich auch durch die Hindu-Invasion die gesellschaftlichen Zustände in
diesem Staate zeitweise in der Art verändert haben, daß dunkle Arier (die aber
später mit den Sukus verschmolzen zu sein scheinen), dein Volke als Fürsten
vorstanden, so bilden doch nach wie vor die Häupter der Sukus, die "Pangulus",
die eigentlichen Leiter der großen malaiischen Soziale, und wenn nun auch
schon so lange auf Sumatra das blau-weiß-rote Banner der Holländer weht,
so hat diese dabei doch nur verhältnismäßig wenig von der Ursprünglichkeit
ihrer gesellschaftlichen Einrichtungen eingebüßt.

Jeden:, der eine Reise durch das romantische Hochland von Padang.
das man mit einem gewissen Rechte als die Wiege des alten Königreiches
Mmang Kaball ansehen kann, gemacht hat. werden all die großen, vielfach
"n't geradezu prachtvollen Holzschnitzereien verzierten Wohnhäuser der Ein¬
geborenen aufgefallen sein. In diesen geräumigen Holzbauten sieht man nun
aber keineswegs einzelne Familien in unserem gebräuchlichen Sinne unter¬
gebracht, vielmehr wohnt in jedem derselben eine ganze Anzahl von Müttern
Mit ihren Kindern und außerdem noch die sämtlichen Brüder der ersteren, sowie
nicht selten mehrere Großmütter der Kleinen. Um es kurz zu sagen, so findet
wan in jedem dieser menschlichen "Bienenkörbe" eine große Allzahl von jungen
und alten Menschen, die alle von der einen Mutter abstammen, welche diese
Hausstätte gegründet hat. (Dabei rechnet aber nur die Verwandtschaft vom
Mutterschoße her. Die Kinder der Söhne dieser selben Mutter aber wohnen in
verschiedenen Häusern -- dort wo die Frauen der Söhne in ihrem Mutterhause
weiter wohnen geblieben sind.) Wenn eine Frau in den Ehestand tritt, so folgt
sie nach Landesbrauch nicht etwa ihrem Gatten in dessen Behausung, nein, sie
bleibt zusammen mit den von ihr geborenen Kindern im Mutterhause wohnen


Grenzboten IV 1910 23
Eine große Soziale unter den Malaien

Kulturstufe noch besteht. Ebenso finde ich es ganz gerechtfertigt, wenn Ratzel
in seiner „Völkerkunde" die Annahme ausspricht, daß das Matriarchat bei allen
Volksstämmen, namentlich denen der malaiischen Rasse, früher bestanden haben
müsse — auch wenn bei ihnen heute das Patriarchat gelte —. sofern sie sich
von alters her die Exogamie zum Gesellschaftsgrundsatze genommen, also nur
eheliche Verbindungen mit Frauen aus einem anderen Stamme zugelassen hätten.
Bei den Volksstämmen von Sumatra scheint nun letztgenannte gesellschaftliche
Institution, um den schädlichen Folgen der Inzucht vorzubeugen, schon seit ferner
Vorzeit streng durchgeführt worden zu sein, vor allen aber bei den Malaien
von Minang Kabau, wo infolgedessen auch die scharfe Teilung des Volkes in
ursprünglich vier (später allerdings mehr) Stämme so frisch in der Erinnerung
geblieben ist, daß bei keinem von diesen Malaien darüber Zweifel entstehen
können, aus welchen: Stamme er ein Weib nehmen darf. Die Benennung für
Stamm ist bei ihnen Sulu. welches Wort schon etymologisch auf eine Zer¬
gliederung der Volksgenossenschaft in vier Teile hinweist. Der Sulu bildet
nun die politischen Individuen, aus welchen sich der auf sozialistischer bezw.
kommunistischer Basis errichtete Staat von Minang Kabau aufgebaut hat.
Mögen sich auch durch die Hindu-Invasion die gesellschaftlichen Zustände in
diesem Staate zeitweise in der Art verändert haben, daß dunkle Arier (die aber
später mit den Sukus verschmolzen zu sein scheinen), dein Volke als Fürsten
vorstanden, so bilden doch nach wie vor die Häupter der Sukus, die „Pangulus",
die eigentlichen Leiter der großen malaiischen Soziale, und wenn nun auch
schon so lange auf Sumatra das blau-weiß-rote Banner der Holländer weht,
so hat diese dabei doch nur verhältnismäßig wenig von der Ursprünglichkeit
ihrer gesellschaftlichen Einrichtungen eingebüßt.

Jeden:, der eine Reise durch das romantische Hochland von Padang.
das man mit einem gewissen Rechte als die Wiege des alten Königreiches
Mmang Kaball ansehen kann, gemacht hat. werden all die großen, vielfach
"n't geradezu prachtvollen Holzschnitzereien verzierten Wohnhäuser der Ein¬
geborenen aufgefallen sein. In diesen geräumigen Holzbauten sieht man nun
aber keineswegs einzelne Familien in unserem gebräuchlichen Sinne unter¬
gebracht, vielmehr wohnt in jedem derselben eine ganze Anzahl von Müttern
Mit ihren Kindern und außerdem noch die sämtlichen Brüder der ersteren, sowie
nicht selten mehrere Großmütter der Kleinen. Um es kurz zu sagen, so findet
wan in jedem dieser menschlichen „Bienenkörbe" eine große Allzahl von jungen
und alten Menschen, die alle von der einen Mutter abstammen, welche diese
Hausstätte gegründet hat. (Dabei rechnet aber nur die Verwandtschaft vom
Mutterschoße her. Die Kinder der Söhne dieser selben Mutter aber wohnen in
verschiedenen Häusern — dort wo die Frauen der Söhne in ihrem Mutterhause
weiter wohnen geblieben sind.) Wenn eine Frau in den Ehestand tritt, so folgt
sie nach Landesbrauch nicht etwa ihrem Gatten in dessen Behausung, nein, sie
bleibt zusammen mit den von ihr geborenen Kindern im Mutterhause wohnen


Grenzboten IV 1910 23
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[0229] Eine große Soziale unter den Malaien Kulturstufe noch besteht. Ebenso finde ich es ganz gerechtfertigt, wenn Ratzel in seiner „Völkerkunde" die Annahme ausspricht, daß das Matriarchat bei allen Volksstämmen, namentlich denen der malaiischen Rasse, früher bestanden haben müsse — auch wenn bei ihnen heute das Patriarchat gelte —. sofern sie sich von alters her die Exogamie zum Gesellschaftsgrundsatze genommen, also nur eheliche Verbindungen mit Frauen aus einem anderen Stamme zugelassen hätten. Bei den Volksstämmen von Sumatra scheint nun letztgenannte gesellschaftliche Institution, um den schädlichen Folgen der Inzucht vorzubeugen, schon seit ferner Vorzeit streng durchgeführt worden zu sein, vor allen aber bei den Malaien von Minang Kabau, wo infolgedessen auch die scharfe Teilung des Volkes in ursprünglich vier (später allerdings mehr) Stämme so frisch in der Erinnerung geblieben ist, daß bei keinem von diesen Malaien darüber Zweifel entstehen können, aus welchen: Stamme er ein Weib nehmen darf. Die Benennung für Stamm ist bei ihnen Sulu. welches Wort schon etymologisch auf eine Zer¬ gliederung der Volksgenossenschaft in vier Teile hinweist. Der Sulu bildet nun die politischen Individuen, aus welchen sich der auf sozialistischer bezw. kommunistischer Basis errichtete Staat von Minang Kabau aufgebaut hat. Mögen sich auch durch die Hindu-Invasion die gesellschaftlichen Zustände in diesem Staate zeitweise in der Art verändert haben, daß dunkle Arier (die aber später mit den Sukus verschmolzen zu sein scheinen), dein Volke als Fürsten vorstanden, so bilden doch nach wie vor die Häupter der Sukus, die „Pangulus", die eigentlichen Leiter der großen malaiischen Soziale, und wenn nun auch schon so lange auf Sumatra das blau-weiß-rote Banner der Holländer weht, so hat diese dabei doch nur verhältnismäßig wenig von der Ursprünglichkeit ihrer gesellschaftlichen Einrichtungen eingebüßt. Jeden:, der eine Reise durch das romantische Hochland von Padang. das man mit einem gewissen Rechte als die Wiege des alten Königreiches Mmang Kaball ansehen kann, gemacht hat. werden all die großen, vielfach "n't geradezu prachtvollen Holzschnitzereien verzierten Wohnhäuser der Ein¬ geborenen aufgefallen sein. In diesen geräumigen Holzbauten sieht man nun aber keineswegs einzelne Familien in unserem gebräuchlichen Sinne unter¬ gebracht, vielmehr wohnt in jedem derselben eine ganze Anzahl von Müttern Mit ihren Kindern und außerdem noch die sämtlichen Brüder der ersteren, sowie nicht selten mehrere Großmütter der Kleinen. Um es kurz zu sagen, so findet wan in jedem dieser menschlichen „Bienenkörbe" eine große Allzahl von jungen und alten Menschen, die alle von der einen Mutter abstammen, welche diese Hausstätte gegründet hat. (Dabei rechnet aber nur die Verwandtschaft vom Mutterschoße her. Die Kinder der Söhne dieser selben Mutter aber wohnen in verschiedenen Häusern — dort wo die Frauen der Söhne in ihrem Mutterhause weiter wohnen geblieben sind.) Wenn eine Frau in den Ehestand tritt, so folgt sie nach Landesbrauch nicht etwa ihrem Gatten in dessen Behausung, nein, sie bleibt zusammen mit den von ihr geborenen Kindern im Mutterhause wohnen Grenzboten IV 1910 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/229>, abgerufen am 22.07.2024.