Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Für das Erbrecht des Reiches

Sekretär des Reichsjustizamtes, in der er unter dem Beifall der Rechten eine
Beschränkung des Erbrechts der Seitenverwandten zugunsten der Gesamtheit
befürwortete. Zustimmend äußerten sich von derselben Seite die Abgeordneten
Zimmermann und Raab (20. und 23. November 1908). Der letztere hieß die
Vorlage im Namen der Partei willkommen und führte aus: "Daß man das
Erbrecht des Staates fiir Erbschaften stipulieren will, die man so ungefähr als
verlassene bezeichnen könnte, das, glaube ich, bedarf keiner besonderen Begründung.
Diese "lachenden Erben", die vielfach nicht in den mindesten Beziehungen mehr
zu dein Erblasser gestanden haben, ja die manchmal erst durch ein sehr
umstündliches Verfahren aufgestöbert werden müssen, haben weniger Anspruch
an eine Erbmasse als die Gesamtheit, so will es mir scheinen. Also darüber
wird kein Streit zwischen der Regierung und uns entstehen." Das führende
Blatt der Zentrumspartei, die "Kölnische Volks-Zeitung", behandelt die Frage
unter dem 10. Februar 1908 mit anerkennenswerter Sachlichkeit und kommt
nach gründlicher Untersuchung zu dem Ergebnis, daß in dem ethischen Bewußtsein
der heutigen Generation das Erbrecht der entfernten Seitenverwandten keine
ausreichende Stütze mehr findet. Das Volk habe kein Verständnis dafür, wie
ein Erbe, der beim Tode seiner Verwandten "lacht", mit dessen Nachlaß beschenkt
werden soll. "Der Gedanke: "Mein Erbe ist das Vaterland" mag unter den
heutigen Verhältnissen vielfach etwas Erhebenderes haben, als der Gedanke:
Mein Erbe wird ein entfernter Verwandter sein, den ich gar nicht kenne, der
mir ganz gleichgültig ist, der sich nie um mich gekümmert hat, oder von dein
ich vielleicht sogar schlecht behandelt worden bin." Die nationalliberale Presse
hat sich einmütig für die Sache der Erbrechtsreform erklärt. Obenan steht die
"Magdeburger Zeitung", die von Beginn der Bewegung an treu zu der für
gut erkannten Sache gestanden hat; neben ihr sind besonders der "Hannöversche
Kurier", die "National-Zeitung" und der "Schwäbische Merkur" hervorzuheben.
Was die Blätter verwandter Richtung angeht, so ist es selbstverständlich, daß
die "Tägliche Rundschau" ebenso wie die "Leipziger Neuesten Nachrichten" mit
Entschiedenheit für die nationale Sache des Reichserbrechts Partei ergriffen.
Nicht unerwähnt soll bleiben, daß auch der "Dresdener Anzeiger", seines amt¬
lichen Charakters ungeachtet, schon zu der Zeit sich entschlossen auf die Seite der
Reformfreunde gestellt hat, als die sächsische Regierung, im Gegensatz zur
preußischen und bayerischen, noch eine schwankende Haltung in der Frage ein¬
nahm. Im Reichstage begrüßte der nationalliberale Dr. Weber den Entwurf
als den grünen Tannenzweig in dem an und für sich nicht sehr wohlriechenden
Steuerbukett. In ähnlichem Sinne sprach sich der Abgeordnete Dr. Paasche aus.
Bei der Einzelberatung der Vorlage am 5. Juli 1908 war es der national¬
liberale Vertreter der Stadt Leipzig, Dr. Junck, der unterstützt vom Abgeordneten
Bassermann mit schlagenden Gründen auf die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit
einer vernünftigen Beschränkung des gesetzlichen Erbrechts hinwies. Alle die
Blätter der verschiedenen liberalen Richtungen außer den nationalliberalen


Für das Erbrecht des Reiches

Sekretär des Reichsjustizamtes, in der er unter dem Beifall der Rechten eine
Beschränkung des Erbrechts der Seitenverwandten zugunsten der Gesamtheit
befürwortete. Zustimmend äußerten sich von derselben Seite die Abgeordneten
Zimmermann und Raab (20. und 23. November 1908). Der letztere hieß die
Vorlage im Namen der Partei willkommen und führte aus: „Daß man das
Erbrecht des Staates fiir Erbschaften stipulieren will, die man so ungefähr als
verlassene bezeichnen könnte, das, glaube ich, bedarf keiner besonderen Begründung.
Diese „lachenden Erben", die vielfach nicht in den mindesten Beziehungen mehr
zu dein Erblasser gestanden haben, ja die manchmal erst durch ein sehr
umstündliches Verfahren aufgestöbert werden müssen, haben weniger Anspruch
an eine Erbmasse als die Gesamtheit, so will es mir scheinen. Also darüber
wird kein Streit zwischen der Regierung und uns entstehen." Das führende
Blatt der Zentrumspartei, die „Kölnische Volks-Zeitung", behandelt die Frage
unter dem 10. Februar 1908 mit anerkennenswerter Sachlichkeit und kommt
nach gründlicher Untersuchung zu dem Ergebnis, daß in dem ethischen Bewußtsein
der heutigen Generation das Erbrecht der entfernten Seitenverwandten keine
ausreichende Stütze mehr findet. Das Volk habe kein Verständnis dafür, wie
ein Erbe, der beim Tode seiner Verwandten „lacht", mit dessen Nachlaß beschenkt
werden soll. „Der Gedanke: „Mein Erbe ist das Vaterland" mag unter den
heutigen Verhältnissen vielfach etwas Erhebenderes haben, als der Gedanke:
Mein Erbe wird ein entfernter Verwandter sein, den ich gar nicht kenne, der
mir ganz gleichgültig ist, der sich nie um mich gekümmert hat, oder von dein
ich vielleicht sogar schlecht behandelt worden bin." Die nationalliberale Presse
hat sich einmütig für die Sache der Erbrechtsreform erklärt. Obenan steht die
„Magdeburger Zeitung", die von Beginn der Bewegung an treu zu der für
gut erkannten Sache gestanden hat; neben ihr sind besonders der „Hannöversche
Kurier", die „National-Zeitung" und der „Schwäbische Merkur" hervorzuheben.
Was die Blätter verwandter Richtung angeht, so ist es selbstverständlich, daß
die „Tägliche Rundschau" ebenso wie die „Leipziger Neuesten Nachrichten" mit
Entschiedenheit für die nationale Sache des Reichserbrechts Partei ergriffen.
Nicht unerwähnt soll bleiben, daß auch der „Dresdener Anzeiger", seines amt¬
lichen Charakters ungeachtet, schon zu der Zeit sich entschlossen auf die Seite der
Reformfreunde gestellt hat, als die sächsische Regierung, im Gegensatz zur
preußischen und bayerischen, noch eine schwankende Haltung in der Frage ein¬
nahm. Im Reichstage begrüßte der nationalliberale Dr. Weber den Entwurf
als den grünen Tannenzweig in dem an und für sich nicht sehr wohlriechenden
Steuerbukett. In ähnlichem Sinne sprach sich der Abgeordnete Dr. Paasche aus.
Bei der Einzelberatung der Vorlage am 5. Juli 1908 war es der national¬
liberale Vertreter der Stadt Leipzig, Dr. Junck, der unterstützt vom Abgeordneten
Bassermann mit schlagenden Gründen auf die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit
einer vernünftigen Beschränkung des gesetzlichen Erbrechts hinwies. Alle die
Blätter der verschiedenen liberalen Richtungen außer den nationalliberalen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0216" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317167"/>
          <fw type="header" place="top"> Für das Erbrecht des Reiches</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_958" prev="#ID_957" next="#ID_959"> Sekretär des Reichsjustizamtes, in der er unter dem Beifall der Rechten eine<lb/>
Beschränkung des Erbrechts der Seitenverwandten zugunsten der Gesamtheit<lb/>
befürwortete. Zustimmend äußerten sich von derselben Seite die Abgeordneten<lb/>
Zimmermann und Raab (20. und 23. November 1908). Der letztere hieß die<lb/>
Vorlage im Namen der Partei willkommen und führte aus: &#x201E;Daß man das<lb/>
Erbrecht des Staates fiir Erbschaften stipulieren will, die man so ungefähr als<lb/>
verlassene bezeichnen könnte, das, glaube ich, bedarf keiner besonderen Begründung.<lb/>
Diese &#x201E;lachenden Erben", die vielfach nicht in den mindesten Beziehungen mehr<lb/>
zu dein Erblasser gestanden haben, ja die manchmal erst durch ein sehr<lb/>
umstündliches Verfahren aufgestöbert werden müssen, haben weniger Anspruch<lb/>
an eine Erbmasse als die Gesamtheit, so will es mir scheinen. Also darüber<lb/>
wird kein Streit zwischen der Regierung und uns entstehen." Das führende<lb/>
Blatt der Zentrumspartei, die &#x201E;Kölnische Volks-Zeitung", behandelt die Frage<lb/>
unter dem 10. Februar 1908 mit anerkennenswerter Sachlichkeit und kommt<lb/>
nach gründlicher Untersuchung zu dem Ergebnis, daß in dem ethischen Bewußtsein<lb/>
der heutigen Generation das Erbrecht der entfernten Seitenverwandten keine<lb/>
ausreichende Stütze mehr findet. Das Volk habe kein Verständnis dafür, wie<lb/>
ein Erbe, der beim Tode seiner Verwandten &#x201E;lacht", mit dessen Nachlaß beschenkt<lb/>
werden soll. &#x201E;Der Gedanke: &#x201E;Mein Erbe ist das Vaterland" mag unter den<lb/>
heutigen Verhältnissen vielfach etwas Erhebenderes haben, als der Gedanke:<lb/>
Mein Erbe wird ein entfernter Verwandter sein, den ich gar nicht kenne, der<lb/>
mir ganz gleichgültig ist, der sich nie um mich gekümmert hat, oder von dein<lb/>
ich vielleicht sogar schlecht behandelt worden bin." Die nationalliberale Presse<lb/>
hat sich einmütig für die Sache der Erbrechtsreform erklärt. Obenan steht die<lb/>
&#x201E;Magdeburger Zeitung", die von Beginn der Bewegung an treu zu der für<lb/>
gut erkannten Sache gestanden hat; neben ihr sind besonders der &#x201E;Hannöversche<lb/>
Kurier", die &#x201E;National-Zeitung" und der &#x201E;Schwäbische Merkur" hervorzuheben.<lb/>
Was die Blätter verwandter Richtung angeht, so ist es selbstverständlich, daß<lb/>
die &#x201E;Tägliche Rundschau" ebenso wie die &#x201E;Leipziger Neuesten Nachrichten" mit<lb/>
Entschiedenheit für die nationale Sache des Reichserbrechts Partei ergriffen.<lb/>
Nicht unerwähnt soll bleiben, daß auch der &#x201E;Dresdener Anzeiger", seines amt¬<lb/>
lichen Charakters ungeachtet, schon zu der Zeit sich entschlossen auf die Seite der<lb/>
Reformfreunde gestellt hat, als die sächsische Regierung, im Gegensatz zur<lb/>
preußischen und bayerischen, noch eine schwankende Haltung in der Frage ein¬<lb/>
nahm. Im Reichstage begrüßte der nationalliberale Dr. Weber den Entwurf<lb/>
als den grünen Tannenzweig in dem an und für sich nicht sehr wohlriechenden<lb/>
Steuerbukett. In ähnlichem Sinne sprach sich der Abgeordnete Dr. Paasche aus.<lb/>
Bei der Einzelberatung der Vorlage am 5. Juli 1908 war es der national¬<lb/>
liberale Vertreter der Stadt Leipzig, Dr. Junck, der unterstützt vom Abgeordneten<lb/>
Bassermann mit schlagenden Gründen auf die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit<lb/>
einer vernünftigen Beschränkung des gesetzlichen Erbrechts hinwies. Alle die<lb/>
Blätter der verschiedenen liberalen Richtungen außer den nationalliberalen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0216] Für das Erbrecht des Reiches Sekretär des Reichsjustizamtes, in der er unter dem Beifall der Rechten eine Beschränkung des Erbrechts der Seitenverwandten zugunsten der Gesamtheit befürwortete. Zustimmend äußerten sich von derselben Seite die Abgeordneten Zimmermann und Raab (20. und 23. November 1908). Der letztere hieß die Vorlage im Namen der Partei willkommen und führte aus: „Daß man das Erbrecht des Staates fiir Erbschaften stipulieren will, die man so ungefähr als verlassene bezeichnen könnte, das, glaube ich, bedarf keiner besonderen Begründung. Diese „lachenden Erben", die vielfach nicht in den mindesten Beziehungen mehr zu dein Erblasser gestanden haben, ja die manchmal erst durch ein sehr umstündliches Verfahren aufgestöbert werden müssen, haben weniger Anspruch an eine Erbmasse als die Gesamtheit, so will es mir scheinen. Also darüber wird kein Streit zwischen der Regierung und uns entstehen." Das führende Blatt der Zentrumspartei, die „Kölnische Volks-Zeitung", behandelt die Frage unter dem 10. Februar 1908 mit anerkennenswerter Sachlichkeit und kommt nach gründlicher Untersuchung zu dem Ergebnis, daß in dem ethischen Bewußtsein der heutigen Generation das Erbrecht der entfernten Seitenverwandten keine ausreichende Stütze mehr findet. Das Volk habe kein Verständnis dafür, wie ein Erbe, der beim Tode seiner Verwandten „lacht", mit dessen Nachlaß beschenkt werden soll. „Der Gedanke: „Mein Erbe ist das Vaterland" mag unter den heutigen Verhältnissen vielfach etwas Erhebenderes haben, als der Gedanke: Mein Erbe wird ein entfernter Verwandter sein, den ich gar nicht kenne, der mir ganz gleichgültig ist, der sich nie um mich gekümmert hat, oder von dein ich vielleicht sogar schlecht behandelt worden bin." Die nationalliberale Presse hat sich einmütig für die Sache der Erbrechtsreform erklärt. Obenan steht die „Magdeburger Zeitung", die von Beginn der Bewegung an treu zu der für gut erkannten Sache gestanden hat; neben ihr sind besonders der „Hannöversche Kurier", die „National-Zeitung" und der „Schwäbische Merkur" hervorzuheben. Was die Blätter verwandter Richtung angeht, so ist es selbstverständlich, daß die „Tägliche Rundschau" ebenso wie die „Leipziger Neuesten Nachrichten" mit Entschiedenheit für die nationale Sache des Reichserbrechts Partei ergriffen. Nicht unerwähnt soll bleiben, daß auch der „Dresdener Anzeiger", seines amt¬ lichen Charakters ungeachtet, schon zu der Zeit sich entschlossen auf die Seite der Reformfreunde gestellt hat, als die sächsische Regierung, im Gegensatz zur preußischen und bayerischen, noch eine schwankende Haltung in der Frage ein¬ nahm. Im Reichstage begrüßte der nationalliberale Dr. Weber den Entwurf als den grünen Tannenzweig in dem an und für sich nicht sehr wohlriechenden Steuerbukett. In ähnlichem Sinne sprach sich der Abgeordnete Dr. Paasche aus. Bei der Einzelberatung der Vorlage am 5. Juli 1908 war es der national¬ liberale Vertreter der Stadt Leipzig, Dr. Junck, der unterstützt vom Abgeordneten Bassermann mit schlagenden Gründen auf die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit einer vernünftigen Beschränkung des gesetzlichen Erbrechts hinwies. Alle die Blätter der verschiedenen liberalen Richtungen außer den nationalliberalen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/216
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/216>, abgerufen am 22.07.2024.