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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Mittelschulen

Erweiterung der Berechtigungen auch auf die Mittelschulen. Die preußische
Schulverwaltung widmet deshalb auch grade dieser Seite der Frage ihre vollste
Aufmerksamkeit. Sorgfältige Erwägungen über die Berechtigungsfrage sind aber
auch um so mehr am Platze, als durch sie der Mittelschule allein die
Möglichkeit erhalten wird, ihre reine Form zu bewahren und sich in dieser
Richtung fortzuentwickeln, statt zum Surrogat einer höheren Schule, zu
einer Winkelschule zu werden, deren Schüler mit größerer oder geringerer
Berechtigung mißtrauisch auf höheren Schulen aufgenommen werden. Den
Grund zu solcher Besorgnis hat die Schulverwaltung selbst durch ihr
Nachgeben gegen das Drängen kleiner Städte gegeben; sie stellt der Mittelschule
in den neuen Lehrplänen "Anpassung an den Lehrplan der höheren
Schulen" in Aussicht. Der ursprüngliche Hofmannsche Entwurf und demnächst
der Falksche Normallehrplan schloß grade das als dem Wesen einer Mittel¬
schule diametral gegenüberstehend grundsätzlich aus; er bestimmte, die
Mittelschulen dürsten "nicht eine Vorbereitung für die Gymnasien oder
Realschulen sein, weil sie dann selbst einen Abschluß der Bildung nicht erreichen
könnten". Erhalten die Mittelschulen nun keinerlei Berechtigungen, deren Besitz
ihren Besuch zunächst praktisch anregt, dann werden ihnen die Schüler fern
bleiben. Um diese Schulen nun in kleinen Städten lebensfähig zu machen,
werden die Stadtverwaltungen in gar vielen Fällen die lateinische Rektorat¬
schule als die "Anpassung an den Lehrplan der höheren Schulen" ansehen.
Sie werden besucht, weil den Schülern die Erwerbung von Berechtigung en auf
der höheren Schule, für die sie vorbereitet werden, wenigstens noch in Aussicht
steht. Der eigentliche Zweck der Mittelschule ist dadurch aber völlig in Frage
gestellt, und alle die oben erörterten Unzuträglichsten müssen sich verschärfen,
weil den Schülern solcher Psendomittelschulen durch diese Neuordnung die Auf¬
nahme in die höheren Schulen sogar noch erleichtert werden soll. Die Psendo¬
mittelschulen sollen nämlich der Aufsicht des Direktors einer brauchbaren höheren
Schule unterstellt werden, damit ihr Abgangszeugnis zur Aufnahme in die
höhere Schule ohne Aufnahmeprüfung berechtigt.

Sollen nun solche Abweichungen von der reinen Form, solche eigenartigen
Gebilde, die weder Mittelschule noch höhere Schule sind, nicht auskommen, dann
muß die Bahn für die Entwickelung der reinen Form freigemacht werden. Das
kann aber nur durch Ausdehnung der Berechtigungen, wenn auch in beschränkter
Form, auf die neue Mittelschule geschehen. Schon in dem Falkschen Entwürfe
war das vorgesehen. Es heißt dort, "die Berechtigung zum einjährigen Militär¬
dienst, welche die meisten der bezeichneten jungen Leute den höheren Lehranstalten
zuführt, müsse von den Schülern der neuen Schule mit einem gleichen Aufwand
von Zeit und Kraft erlangt werden können wie in den höheren Lehranstalten,
und mit dem Zeitpunkt, wo diese Berechtigung hier erlangt werden kann, müsse
in der neuen Schule der Unterrichtskursus schließen". Was man vor vierzig
Jahren schon richtig erkannte, aber noch nicht durchzuführen wagte, das wird


Mittelschulen

Erweiterung der Berechtigungen auch auf die Mittelschulen. Die preußische
Schulverwaltung widmet deshalb auch grade dieser Seite der Frage ihre vollste
Aufmerksamkeit. Sorgfältige Erwägungen über die Berechtigungsfrage sind aber
auch um so mehr am Platze, als durch sie der Mittelschule allein die
Möglichkeit erhalten wird, ihre reine Form zu bewahren und sich in dieser
Richtung fortzuentwickeln, statt zum Surrogat einer höheren Schule, zu
einer Winkelschule zu werden, deren Schüler mit größerer oder geringerer
Berechtigung mißtrauisch auf höheren Schulen aufgenommen werden. Den
Grund zu solcher Besorgnis hat die Schulverwaltung selbst durch ihr
Nachgeben gegen das Drängen kleiner Städte gegeben; sie stellt der Mittelschule
in den neuen Lehrplänen „Anpassung an den Lehrplan der höheren
Schulen" in Aussicht. Der ursprüngliche Hofmannsche Entwurf und demnächst
der Falksche Normallehrplan schloß grade das als dem Wesen einer Mittel¬
schule diametral gegenüberstehend grundsätzlich aus; er bestimmte, die
Mittelschulen dürsten „nicht eine Vorbereitung für die Gymnasien oder
Realschulen sein, weil sie dann selbst einen Abschluß der Bildung nicht erreichen
könnten". Erhalten die Mittelschulen nun keinerlei Berechtigungen, deren Besitz
ihren Besuch zunächst praktisch anregt, dann werden ihnen die Schüler fern
bleiben. Um diese Schulen nun in kleinen Städten lebensfähig zu machen,
werden die Stadtverwaltungen in gar vielen Fällen die lateinische Rektorat¬
schule als die „Anpassung an den Lehrplan der höheren Schulen" ansehen.
Sie werden besucht, weil den Schülern die Erwerbung von Berechtigung en auf
der höheren Schule, für die sie vorbereitet werden, wenigstens noch in Aussicht
steht. Der eigentliche Zweck der Mittelschule ist dadurch aber völlig in Frage
gestellt, und alle die oben erörterten Unzuträglichsten müssen sich verschärfen,
weil den Schülern solcher Psendomittelschulen durch diese Neuordnung die Auf¬
nahme in die höheren Schulen sogar noch erleichtert werden soll. Die Psendo¬
mittelschulen sollen nämlich der Aufsicht des Direktors einer brauchbaren höheren
Schule unterstellt werden, damit ihr Abgangszeugnis zur Aufnahme in die
höhere Schule ohne Aufnahmeprüfung berechtigt.

Sollen nun solche Abweichungen von der reinen Form, solche eigenartigen
Gebilde, die weder Mittelschule noch höhere Schule sind, nicht auskommen, dann
muß die Bahn für die Entwickelung der reinen Form freigemacht werden. Das
kann aber nur durch Ausdehnung der Berechtigungen, wenn auch in beschränkter
Form, auf die neue Mittelschule geschehen. Schon in dem Falkschen Entwürfe
war das vorgesehen. Es heißt dort, „die Berechtigung zum einjährigen Militär¬
dienst, welche die meisten der bezeichneten jungen Leute den höheren Lehranstalten
zuführt, müsse von den Schülern der neuen Schule mit einem gleichen Aufwand
von Zeit und Kraft erlangt werden können wie in den höheren Lehranstalten,
und mit dem Zeitpunkt, wo diese Berechtigung hier erlangt werden kann, müsse
in der neuen Schule der Unterrichtskursus schließen". Was man vor vierzig
Jahren schon richtig erkannte, aber noch nicht durchzuführen wagte, das wird


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[0210] Mittelschulen Erweiterung der Berechtigungen auch auf die Mittelschulen. Die preußische Schulverwaltung widmet deshalb auch grade dieser Seite der Frage ihre vollste Aufmerksamkeit. Sorgfältige Erwägungen über die Berechtigungsfrage sind aber auch um so mehr am Platze, als durch sie der Mittelschule allein die Möglichkeit erhalten wird, ihre reine Form zu bewahren und sich in dieser Richtung fortzuentwickeln, statt zum Surrogat einer höheren Schule, zu einer Winkelschule zu werden, deren Schüler mit größerer oder geringerer Berechtigung mißtrauisch auf höheren Schulen aufgenommen werden. Den Grund zu solcher Besorgnis hat die Schulverwaltung selbst durch ihr Nachgeben gegen das Drängen kleiner Städte gegeben; sie stellt der Mittelschule in den neuen Lehrplänen „Anpassung an den Lehrplan der höheren Schulen" in Aussicht. Der ursprüngliche Hofmannsche Entwurf und demnächst der Falksche Normallehrplan schloß grade das als dem Wesen einer Mittel¬ schule diametral gegenüberstehend grundsätzlich aus; er bestimmte, die Mittelschulen dürsten „nicht eine Vorbereitung für die Gymnasien oder Realschulen sein, weil sie dann selbst einen Abschluß der Bildung nicht erreichen könnten". Erhalten die Mittelschulen nun keinerlei Berechtigungen, deren Besitz ihren Besuch zunächst praktisch anregt, dann werden ihnen die Schüler fern bleiben. Um diese Schulen nun in kleinen Städten lebensfähig zu machen, werden die Stadtverwaltungen in gar vielen Fällen die lateinische Rektorat¬ schule als die „Anpassung an den Lehrplan der höheren Schulen" ansehen. Sie werden besucht, weil den Schülern die Erwerbung von Berechtigung en auf der höheren Schule, für die sie vorbereitet werden, wenigstens noch in Aussicht steht. Der eigentliche Zweck der Mittelschule ist dadurch aber völlig in Frage gestellt, und alle die oben erörterten Unzuträglichsten müssen sich verschärfen, weil den Schülern solcher Psendomittelschulen durch diese Neuordnung die Auf¬ nahme in die höheren Schulen sogar noch erleichtert werden soll. Die Psendo¬ mittelschulen sollen nämlich der Aufsicht des Direktors einer brauchbaren höheren Schule unterstellt werden, damit ihr Abgangszeugnis zur Aufnahme in die höhere Schule ohne Aufnahmeprüfung berechtigt. Sollen nun solche Abweichungen von der reinen Form, solche eigenartigen Gebilde, die weder Mittelschule noch höhere Schule sind, nicht auskommen, dann muß die Bahn für die Entwickelung der reinen Form freigemacht werden. Das kann aber nur durch Ausdehnung der Berechtigungen, wenn auch in beschränkter Form, auf die neue Mittelschule geschehen. Schon in dem Falkschen Entwürfe war das vorgesehen. Es heißt dort, „die Berechtigung zum einjährigen Militär¬ dienst, welche die meisten der bezeichneten jungen Leute den höheren Lehranstalten zuführt, müsse von den Schülern der neuen Schule mit einem gleichen Aufwand von Zeit und Kraft erlangt werden können wie in den höheren Lehranstalten, und mit dem Zeitpunkt, wo diese Berechtigung hier erlangt werden kann, müsse in der neuen Schule der Unterrichtskursus schließen". Was man vor vierzig Jahren schon richtig erkannte, aber noch nicht durchzuführen wagte, das wird

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/210>, abgerufen am 22.07.2024.