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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Mittelschulen

UM ihrer selbst und um des Berufes willen wertvoll ist. Die Schulen werden
sich also nur ihren eigensten Aufgaben widmen dürfen und keine von ihnen ist
die bevorzugte Konkurrentin der anderen. Die Mittelschule erhält ihren Zuzug
aus den Kreisen, für die sie gemacht ist. wie die höhere Schule aus denen, die
auf wissenschaftliche Bildung Wert legen. Wo aber viel Licht ist. da stellt sich
auch Schatten ein. Wenn das Zeugnis einer normalen Erziehungs- und
Bildungsanstalt, deren Lehrer ihre Schüler in jahrelangem Unterricht genau
kennen gelernt haben, durch Konkurrenzprüfungen abgelöst wird, so liegt die
Gefahr nahe, daß dem reinen Zufall, der ja bei solchen Prüfungen immer eme
große Rolle spielt, ein viel zu großer Einfluß auf die Auswahl der Bewerber
eingeräumt wird. Solche summarischen Prüfungen werden gar leicht zu Abfrage¬
vorstellungen, bei denen das schlagfertige Vonsichgeben mechanisch angeeigneter
Kenntnisse -- wie etwa bei der Rekrutenvorstellung -- den Ausschlag gibt. Die
Vorbereitung für solche Prüfungen wird mau aber in der Hauptsache nicht in
der normalen Erziehungsschule, sondern in Pressen suchen, die durch aufdringliche
Reklame zu ersetzen suchen, was ihnen von der Gediegenheit einer deutschen
Schule fehlt. Die solide deutsche Schulbildung müßte dadurch aber schweren
Schaden leiden. Solchen Zustand kann also niemand herbeiwünschen, der im
Interesse der deutschen Volksbildung eine gedeihliche Entwickelung des deutschen
Schulwesens wünscht.

Auch die Aufhebung des Einjährigeninstitutes als der am deutlichsten sicht¬
baren Ursache des Schul- und Berechtigungsübels ist empfohlen worden. Man
weist dabei gern auf Frankreich hin. das ja auch das Einjährigenjahr wieder ab¬
geschafft hat. Als ob grade Frankreich darin für uns maßgebend sein müßte,
wo doch die ganze Einrichtung über einen kurzen Versuch niemals hinaus¬
gekommen ist. Das Einjährigeninstitut in Preußen-Deutschland ist etwas
historisch Begründetes und (auch militärisch) durchaus Bewährtes, das man
doch nicht ohne zwingende Gründe umstößt, um einen gleichmacherischen Zustand
SU schaffen, über dessen Rücksichtslosigkeit weite Bevölkerungskreise allen Grund
Zur Unzufriedenheit hätten. Dazu hat der preußische Kriegsminister noch auf
eine andere Seite der Sache hingewiesen. In der Sitzung des Reichstages
vom 28. Januar d. Is. beantwortete er den Wunsch eines Abgeordneten um
Beseitigung der Einjährigen aus der Armee mit den Worten: "Wir stellen
jährlich zwölftausend Einjährige ein. Die können wir nicht entbehren. Wenn
wir entsprechend die Präsenzstärke erhöhen, so macht das eine Vermehrung der
Kosten um 24 Millionen Mark!" Wer also die Abschaffung der Einjährigen
als Heilmittel unseres Schulwesens empfiehlt, der hat zuerst die Pflicht, die
Parteien des Reichstages zur Bewilligung dieser außerordentlichen Etatserhöhung
zu veranlassen.

Die Lösung der Mittelschulfrage kann nicht auf dem Wege liegen, der die
geschichtliche Entwickelung des Berechtigungswesens in Deutschland durch einen
Gewaltakt unterbricht. Ihre Lösung ist nur möglich durch Fortbildung und


Mittelschulen

UM ihrer selbst und um des Berufes willen wertvoll ist. Die Schulen werden
sich also nur ihren eigensten Aufgaben widmen dürfen und keine von ihnen ist
die bevorzugte Konkurrentin der anderen. Die Mittelschule erhält ihren Zuzug
aus den Kreisen, für die sie gemacht ist. wie die höhere Schule aus denen, die
auf wissenschaftliche Bildung Wert legen. Wo aber viel Licht ist. da stellt sich
auch Schatten ein. Wenn das Zeugnis einer normalen Erziehungs- und
Bildungsanstalt, deren Lehrer ihre Schüler in jahrelangem Unterricht genau
kennen gelernt haben, durch Konkurrenzprüfungen abgelöst wird, so liegt die
Gefahr nahe, daß dem reinen Zufall, der ja bei solchen Prüfungen immer eme
große Rolle spielt, ein viel zu großer Einfluß auf die Auswahl der Bewerber
eingeräumt wird. Solche summarischen Prüfungen werden gar leicht zu Abfrage¬
vorstellungen, bei denen das schlagfertige Vonsichgeben mechanisch angeeigneter
Kenntnisse — wie etwa bei der Rekrutenvorstellung — den Ausschlag gibt. Die
Vorbereitung für solche Prüfungen wird mau aber in der Hauptsache nicht in
der normalen Erziehungsschule, sondern in Pressen suchen, die durch aufdringliche
Reklame zu ersetzen suchen, was ihnen von der Gediegenheit einer deutschen
Schule fehlt. Die solide deutsche Schulbildung müßte dadurch aber schweren
Schaden leiden. Solchen Zustand kann also niemand herbeiwünschen, der im
Interesse der deutschen Volksbildung eine gedeihliche Entwickelung des deutschen
Schulwesens wünscht.

Auch die Aufhebung des Einjährigeninstitutes als der am deutlichsten sicht¬
baren Ursache des Schul- und Berechtigungsübels ist empfohlen worden. Man
weist dabei gern auf Frankreich hin. das ja auch das Einjährigenjahr wieder ab¬
geschafft hat. Als ob grade Frankreich darin für uns maßgebend sein müßte,
wo doch die ganze Einrichtung über einen kurzen Versuch niemals hinaus¬
gekommen ist. Das Einjährigeninstitut in Preußen-Deutschland ist etwas
historisch Begründetes und (auch militärisch) durchaus Bewährtes, das man
doch nicht ohne zwingende Gründe umstößt, um einen gleichmacherischen Zustand
SU schaffen, über dessen Rücksichtslosigkeit weite Bevölkerungskreise allen Grund
Zur Unzufriedenheit hätten. Dazu hat der preußische Kriegsminister noch auf
eine andere Seite der Sache hingewiesen. In der Sitzung des Reichstages
vom 28. Januar d. Is. beantwortete er den Wunsch eines Abgeordneten um
Beseitigung der Einjährigen aus der Armee mit den Worten: „Wir stellen
jährlich zwölftausend Einjährige ein. Die können wir nicht entbehren. Wenn
wir entsprechend die Präsenzstärke erhöhen, so macht das eine Vermehrung der
Kosten um 24 Millionen Mark!" Wer also die Abschaffung der Einjährigen
als Heilmittel unseres Schulwesens empfiehlt, der hat zuerst die Pflicht, die
Parteien des Reichstages zur Bewilligung dieser außerordentlichen Etatserhöhung
zu veranlassen.

Die Lösung der Mittelschulfrage kann nicht auf dem Wege liegen, der die
geschichtliche Entwickelung des Berechtigungswesens in Deutschland durch einen
Gewaltakt unterbricht. Ihre Lösung ist nur möglich durch Fortbildung und


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[0209] Mittelschulen UM ihrer selbst und um des Berufes willen wertvoll ist. Die Schulen werden sich also nur ihren eigensten Aufgaben widmen dürfen und keine von ihnen ist die bevorzugte Konkurrentin der anderen. Die Mittelschule erhält ihren Zuzug aus den Kreisen, für die sie gemacht ist. wie die höhere Schule aus denen, die auf wissenschaftliche Bildung Wert legen. Wo aber viel Licht ist. da stellt sich auch Schatten ein. Wenn das Zeugnis einer normalen Erziehungs- und Bildungsanstalt, deren Lehrer ihre Schüler in jahrelangem Unterricht genau kennen gelernt haben, durch Konkurrenzprüfungen abgelöst wird, so liegt die Gefahr nahe, daß dem reinen Zufall, der ja bei solchen Prüfungen immer eme große Rolle spielt, ein viel zu großer Einfluß auf die Auswahl der Bewerber eingeräumt wird. Solche summarischen Prüfungen werden gar leicht zu Abfrage¬ vorstellungen, bei denen das schlagfertige Vonsichgeben mechanisch angeeigneter Kenntnisse — wie etwa bei der Rekrutenvorstellung — den Ausschlag gibt. Die Vorbereitung für solche Prüfungen wird mau aber in der Hauptsache nicht in der normalen Erziehungsschule, sondern in Pressen suchen, die durch aufdringliche Reklame zu ersetzen suchen, was ihnen von der Gediegenheit einer deutschen Schule fehlt. Die solide deutsche Schulbildung müßte dadurch aber schweren Schaden leiden. Solchen Zustand kann also niemand herbeiwünschen, der im Interesse der deutschen Volksbildung eine gedeihliche Entwickelung des deutschen Schulwesens wünscht. Auch die Aufhebung des Einjährigeninstitutes als der am deutlichsten sicht¬ baren Ursache des Schul- und Berechtigungsübels ist empfohlen worden. Man weist dabei gern auf Frankreich hin. das ja auch das Einjährigenjahr wieder ab¬ geschafft hat. Als ob grade Frankreich darin für uns maßgebend sein müßte, wo doch die ganze Einrichtung über einen kurzen Versuch niemals hinaus¬ gekommen ist. Das Einjährigeninstitut in Preußen-Deutschland ist etwas historisch Begründetes und (auch militärisch) durchaus Bewährtes, das man doch nicht ohne zwingende Gründe umstößt, um einen gleichmacherischen Zustand SU schaffen, über dessen Rücksichtslosigkeit weite Bevölkerungskreise allen Grund Zur Unzufriedenheit hätten. Dazu hat der preußische Kriegsminister noch auf eine andere Seite der Sache hingewiesen. In der Sitzung des Reichstages vom 28. Januar d. Is. beantwortete er den Wunsch eines Abgeordneten um Beseitigung der Einjährigen aus der Armee mit den Worten: „Wir stellen jährlich zwölftausend Einjährige ein. Die können wir nicht entbehren. Wenn wir entsprechend die Präsenzstärke erhöhen, so macht das eine Vermehrung der Kosten um 24 Millionen Mark!" Wer also die Abschaffung der Einjährigen als Heilmittel unseres Schulwesens empfiehlt, der hat zuerst die Pflicht, die Parteien des Reichstages zur Bewilligung dieser außerordentlichen Etatserhöhung zu veranlassen. Die Lösung der Mittelschulfrage kann nicht auf dem Wege liegen, der die geschichtliche Entwickelung des Berechtigungswesens in Deutschland durch einen Gewaltakt unterbricht. Ihre Lösung ist nur möglich durch Fortbildung und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/209>, abgerufen am 22.07.2024.