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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Mittelschulen

bei der Reorganisation die Hauptsache sein, wenn man nicht erleben
will, daß die einzige und notwendige Schule für den deutschen Mittelstand
wiederum nur aus Mangel an Berechtigungen nicht aufkommt. Es wäre eine
Ungerechtigkeit, die nur Erbitterung schaffen würde, wollte man die Mittelschule
hinter "Pressen" stellen, deren Abschlußprüfung sogar in freigebigster Weise
die Berechtigung zuerkannt wird. Mit der Möglichkeit, den Einjährigenschein
zu erwerben, muß natürlich auch den Mittelschülern die mittlere Beamten¬
laufbahn freigegeben werden- denn für die meisten von diesen Anwärtern hat
der Einjährigenschein ja doch nur Wert wegen der damit garantierten Vor¬
bildung. Und es kann kein Zweifel sein, daß die neue Mittelschule die Anwärter
für alle diese Berufe zweckmäßiger vorbereitet als das Gymnasium. Dann
werden sich auch bald Kaufleute und Industrielle daran gewöhnen, beide Zeug¬
nisse gleichzustellen. Hinter dem "Einjährigen" der Mittelschule stecken aber
noch ganz andere praktische Fragen, deren Lösung nicht bloß für die Schule,
sondern für das ganze Volk von großer Bedeutung ist, und man darf annehmen,
daß nach Lösung dieser Fragen der Mittelschule eine große Zukunft
bevorsteht und daß sie zum Wohle weiter Kreise wirken wird. Die höheren
Schulen aber werden sich ganz ihrer eigentlichen Aufgabe widmen können, weil
sie von unfähigen und unlustigen Schülern immer mehr befreit werden. Ist
die Berechtigungsfrage aber erst einmal gelöst, dann wird die Mittelschule selbst
schon die an die höheren Schulen angepaßten Klassen als einen Fremdkörper
von sich abstoßen.

Soweit die Unterrichtsverwaltung in Betracht kommt, darf man die modi¬
fizierte Berechtigungssrage wohl als gelöst betrachten, gelöst zugunsten der neuen
Mittelschule. Aber die Militärverwaltung hat hier auch ein Wort, und zwar
das entscheidende, mitzureden. Seit Monaten werden denn auch Verhandlungen
zwischen den beiden maßgebenden Stellen gepflogen, auf deren Abschluß alle die
mit gespannter Erwartung blicken, denen die glückliche Lösung der Mittelschulfrage
lo sozialen Interesse unseres Volkes und nicht minder im Interesse auch des
höheren Schulwesens warm am Herzen liegt. Im Kriegsministerium ist man
bedenklich geworden. Man sagt sich: Es werden viele Mittelschulen entstehen,
weil diese billiger zu unterhalten sind als höhere Schulen. Von ihnen werden
mit der Zeit so viele Einjährige ausgebildet, daß die zweijährige Dienstzeit in
der Armee in Frage gestellt sein könnte. Es zeigt sich außerdem schon heute
bei der sehr guten Vorbildung, welche ein Teil der Rekruten -- insbesondere
der den technischen Berufen entstammende -- mitbringt, nicht selten, daß Zwei¬
jährige, die freiwillig bei selbstgewählten Truppenteilen eintreten, den Einjährigen
an körperlicher und geistiger Tüchtigkeit und Brauchbarkeit überlegen sind. Man
befürchtet also eine Verflachung der Bedingungen bei Ausdehnung der Berechti¬
gungen auf die Mittelschulen.

Eine wesentliche Vermehrung der Einjährig-Freiwilligen durch Mittelschulen
lst aber nicht zu befürchten. Schon heute machen nicht alle Gebrauch von ihrem


Mittelschulen

bei der Reorganisation die Hauptsache sein, wenn man nicht erleben
will, daß die einzige und notwendige Schule für den deutschen Mittelstand
wiederum nur aus Mangel an Berechtigungen nicht aufkommt. Es wäre eine
Ungerechtigkeit, die nur Erbitterung schaffen würde, wollte man die Mittelschule
hinter „Pressen" stellen, deren Abschlußprüfung sogar in freigebigster Weise
die Berechtigung zuerkannt wird. Mit der Möglichkeit, den Einjährigenschein
zu erwerben, muß natürlich auch den Mittelschülern die mittlere Beamten¬
laufbahn freigegeben werden- denn für die meisten von diesen Anwärtern hat
der Einjährigenschein ja doch nur Wert wegen der damit garantierten Vor¬
bildung. Und es kann kein Zweifel sein, daß die neue Mittelschule die Anwärter
für alle diese Berufe zweckmäßiger vorbereitet als das Gymnasium. Dann
werden sich auch bald Kaufleute und Industrielle daran gewöhnen, beide Zeug¬
nisse gleichzustellen. Hinter dem „Einjährigen" der Mittelschule stecken aber
noch ganz andere praktische Fragen, deren Lösung nicht bloß für die Schule,
sondern für das ganze Volk von großer Bedeutung ist, und man darf annehmen,
daß nach Lösung dieser Fragen der Mittelschule eine große Zukunft
bevorsteht und daß sie zum Wohle weiter Kreise wirken wird. Die höheren
Schulen aber werden sich ganz ihrer eigentlichen Aufgabe widmen können, weil
sie von unfähigen und unlustigen Schülern immer mehr befreit werden. Ist
die Berechtigungsfrage aber erst einmal gelöst, dann wird die Mittelschule selbst
schon die an die höheren Schulen angepaßten Klassen als einen Fremdkörper
von sich abstoßen.

Soweit die Unterrichtsverwaltung in Betracht kommt, darf man die modi¬
fizierte Berechtigungssrage wohl als gelöst betrachten, gelöst zugunsten der neuen
Mittelschule. Aber die Militärverwaltung hat hier auch ein Wort, und zwar
das entscheidende, mitzureden. Seit Monaten werden denn auch Verhandlungen
zwischen den beiden maßgebenden Stellen gepflogen, auf deren Abschluß alle die
mit gespannter Erwartung blicken, denen die glückliche Lösung der Mittelschulfrage
lo sozialen Interesse unseres Volkes und nicht minder im Interesse auch des
höheren Schulwesens warm am Herzen liegt. Im Kriegsministerium ist man
bedenklich geworden. Man sagt sich: Es werden viele Mittelschulen entstehen,
weil diese billiger zu unterhalten sind als höhere Schulen. Von ihnen werden
mit der Zeit so viele Einjährige ausgebildet, daß die zweijährige Dienstzeit in
der Armee in Frage gestellt sein könnte. Es zeigt sich außerdem schon heute
bei der sehr guten Vorbildung, welche ein Teil der Rekruten — insbesondere
der den technischen Berufen entstammende — mitbringt, nicht selten, daß Zwei¬
jährige, die freiwillig bei selbstgewählten Truppenteilen eintreten, den Einjährigen
an körperlicher und geistiger Tüchtigkeit und Brauchbarkeit überlegen sind. Man
befürchtet also eine Verflachung der Bedingungen bei Ausdehnung der Berechti¬
gungen auf die Mittelschulen.

Eine wesentliche Vermehrung der Einjährig-Freiwilligen durch Mittelschulen
lst aber nicht zu befürchten. Schon heute machen nicht alle Gebrauch von ihrem


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[0211] Mittelschulen bei der Reorganisation die Hauptsache sein, wenn man nicht erleben will, daß die einzige und notwendige Schule für den deutschen Mittelstand wiederum nur aus Mangel an Berechtigungen nicht aufkommt. Es wäre eine Ungerechtigkeit, die nur Erbitterung schaffen würde, wollte man die Mittelschule hinter „Pressen" stellen, deren Abschlußprüfung sogar in freigebigster Weise die Berechtigung zuerkannt wird. Mit der Möglichkeit, den Einjährigenschein zu erwerben, muß natürlich auch den Mittelschülern die mittlere Beamten¬ laufbahn freigegeben werden- denn für die meisten von diesen Anwärtern hat der Einjährigenschein ja doch nur Wert wegen der damit garantierten Vor¬ bildung. Und es kann kein Zweifel sein, daß die neue Mittelschule die Anwärter für alle diese Berufe zweckmäßiger vorbereitet als das Gymnasium. Dann werden sich auch bald Kaufleute und Industrielle daran gewöhnen, beide Zeug¬ nisse gleichzustellen. Hinter dem „Einjährigen" der Mittelschule stecken aber noch ganz andere praktische Fragen, deren Lösung nicht bloß für die Schule, sondern für das ganze Volk von großer Bedeutung ist, und man darf annehmen, daß nach Lösung dieser Fragen der Mittelschule eine große Zukunft bevorsteht und daß sie zum Wohle weiter Kreise wirken wird. Die höheren Schulen aber werden sich ganz ihrer eigentlichen Aufgabe widmen können, weil sie von unfähigen und unlustigen Schülern immer mehr befreit werden. Ist die Berechtigungsfrage aber erst einmal gelöst, dann wird die Mittelschule selbst schon die an die höheren Schulen angepaßten Klassen als einen Fremdkörper von sich abstoßen. Soweit die Unterrichtsverwaltung in Betracht kommt, darf man die modi¬ fizierte Berechtigungssrage wohl als gelöst betrachten, gelöst zugunsten der neuen Mittelschule. Aber die Militärverwaltung hat hier auch ein Wort, und zwar das entscheidende, mitzureden. Seit Monaten werden denn auch Verhandlungen zwischen den beiden maßgebenden Stellen gepflogen, auf deren Abschluß alle die mit gespannter Erwartung blicken, denen die glückliche Lösung der Mittelschulfrage lo sozialen Interesse unseres Volkes und nicht minder im Interesse auch des höheren Schulwesens warm am Herzen liegt. Im Kriegsministerium ist man bedenklich geworden. Man sagt sich: Es werden viele Mittelschulen entstehen, weil diese billiger zu unterhalten sind als höhere Schulen. Von ihnen werden mit der Zeit so viele Einjährige ausgebildet, daß die zweijährige Dienstzeit in der Armee in Frage gestellt sein könnte. Es zeigt sich außerdem schon heute bei der sehr guten Vorbildung, welche ein Teil der Rekruten — insbesondere der den technischen Berufen entstammende — mitbringt, nicht selten, daß Zwei¬ jährige, die freiwillig bei selbstgewählten Truppenteilen eintreten, den Einjährigen an körperlicher und geistiger Tüchtigkeit und Brauchbarkeit überlegen sind. Man befürchtet also eine Verflachung der Bedingungen bei Ausdehnung der Berechti¬ gungen auf die Mittelschulen. Eine wesentliche Vermehrung der Einjährig-Freiwilligen durch Mittelschulen lst aber nicht zu befürchten. Schon heute machen nicht alle Gebrauch von ihrem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/211>, abgerufen am 22.07.2024.