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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Im Flecken

recht wußten, was sie taten. Zwei standen einander gegenüber und blökten sich
an wie Schafe, versuchten auch zu trippeln, wie Schafe es tun, wenn sie etwas
Aufregendes sehen, und senkten mitunter die Köpfe, als ob sie stoßen wollten.
Mehrere liefen ohne Zweck und Ziel im Zimmer umher, wobei sie Stühle und
verschiedenes Gerät umwarfen und zum Teil zerbrachen. Paschka band sich das
Taschentuch um den Arm, zum Zeichen, daß er Dame sei, und bat den Aufseher,
mit ihm zu tanzen. Der hatte nichts dagegen. Ein zweites Paar fand sich sogleich,
und eine Quadrille wurde begonnen, natürlich mit Verschönerung der Touren
nach dem Geschmack der Gesellschaft.

Lange konnte solches Umhertoben nicht währen. An und für sich war die
Unruhe, in der sich die Zechbrüder befanden, der beste Beweis, daß sie genug
getrunken hatten und sich nach Abwechselung sehnten. Daher begann die Gesellschaft
sich zu lichten.

"Hört, ihr Herren," sagte Jgnatij zu den Tanzenden und einigen anderen,
die dageblieben waren, "ein Tanz unter Männern schickt sich nicht. Das können
nur Indianer oder Bauern. Kommt mit. Ich lade euch ein. Ich will euch
Gelegenheit geben, mit Damen zu tanzen. Und was für Damen!"

"Jgnatka, Herzchen!" rief Paschka. "Willst du uns zu deinen Putzmacherinnen
führen, uns wieder einmal einen Ball geben? Das ist ein guter Gedanke. Du
bist ein prächtiger Junge."

"Aber nur unter einer Bedingung," sprach Jgnatij streng. Ihr müßt ver¬
sprechen, euch gesittet zu betragen. Es sind anständige junge Mädchen, und sie
stehen unter meinem Schutz."

Tschernow mußte einen Korb voll Weinflaschen, Süßigkeiten und verschiedenen
eßbaren Sachen packen. Paschka übernahm mit einem anderen Jüngling das
Tragen. Der Trupp zog ab.

"Sie kommen doch auch mit uns, Wladimir Jwanowitsch?" sagte Jgnatij
zu Wolski, mit dem er zu gleicher Zeit das Haus verließ. "Sie sind bestens
eingeladen. Sie werden zufrieden sein. Es sind unbescholtene Mädchen und --
hübsch."

"Und empfangen in der Nacht junge Leute!" äußerte der Polizeiaufseher
zweifelhaft. "Wo wohnen sie?"

"Ah," bedeutete Jgnatij ihm mit Wichtigkeit, "sie würden uns nicht einlassen,
wenn ich nicht dabei wäre. Ich beschütze sie und sorge gewissermaßen für sie.
Sehen Sie, es sind Mädchen, alleinstehende arme Waisen, und da sie in unserem
Hause wohnen und ich die Häuser verwalte -- nun, Sie begreifen, irgend einer
muß sie doch beschützen. Mitleid von mir, verstehen Sie."

"Wo wohnen sie? Ich kenne die Mädchen von der Nadel ziemlich alle von
Ansehen."

"Nu, Sie werden sehen."

Der Haufe ging durch mehrere Gassen und Quergassen fast bis zum Rande
des Fleckens am Bache, und zwar, wie er glaubte, recht still und solid, in der
Tat aber doch mit so lautem Gespräch, Gesang und Gelächter, daß in vielen
Häusern und Hütten die Leute aus den Betten sprangen und sogar hin und wieder
die Fenster öffneten, wo diese nicht durch Läden geschlossen waren. Unter einer
Bank hervor fuhr ein Hund mit Gekläff auf die Lärmenden los, verstummte jedoch


Im Flecken

recht wußten, was sie taten. Zwei standen einander gegenüber und blökten sich
an wie Schafe, versuchten auch zu trippeln, wie Schafe es tun, wenn sie etwas
Aufregendes sehen, und senkten mitunter die Köpfe, als ob sie stoßen wollten.
Mehrere liefen ohne Zweck und Ziel im Zimmer umher, wobei sie Stühle und
verschiedenes Gerät umwarfen und zum Teil zerbrachen. Paschka band sich das
Taschentuch um den Arm, zum Zeichen, daß er Dame sei, und bat den Aufseher,
mit ihm zu tanzen. Der hatte nichts dagegen. Ein zweites Paar fand sich sogleich,
und eine Quadrille wurde begonnen, natürlich mit Verschönerung der Touren
nach dem Geschmack der Gesellschaft.

Lange konnte solches Umhertoben nicht währen. An und für sich war die
Unruhe, in der sich die Zechbrüder befanden, der beste Beweis, daß sie genug
getrunken hatten und sich nach Abwechselung sehnten. Daher begann die Gesellschaft
sich zu lichten.

„Hört, ihr Herren," sagte Jgnatij zu den Tanzenden und einigen anderen,
die dageblieben waren, „ein Tanz unter Männern schickt sich nicht. Das können
nur Indianer oder Bauern. Kommt mit. Ich lade euch ein. Ich will euch
Gelegenheit geben, mit Damen zu tanzen. Und was für Damen!"

„Jgnatka, Herzchen!" rief Paschka. „Willst du uns zu deinen Putzmacherinnen
führen, uns wieder einmal einen Ball geben? Das ist ein guter Gedanke. Du
bist ein prächtiger Junge."

„Aber nur unter einer Bedingung," sprach Jgnatij streng. Ihr müßt ver¬
sprechen, euch gesittet zu betragen. Es sind anständige junge Mädchen, und sie
stehen unter meinem Schutz."

Tschernow mußte einen Korb voll Weinflaschen, Süßigkeiten und verschiedenen
eßbaren Sachen packen. Paschka übernahm mit einem anderen Jüngling das
Tragen. Der Trupp zog ab.

„Sie kommen doch auch mit uns, Wladimir Jwanowitsch?" sagte Jgnatij
zu Wolski, mit dem er zu gleicher Zeit das Haus verließ. „Sie sind bestens
eingeladen. Sie werden zufrieden sein. Es sind unbescholtene Mädchen und —
hübsch."

„Und empfangen in der Nacht junge Leute!" äußerte der Polizeiaufseher
zweifelhaft. „Wo wohnen sie?"

„Ah," bedeutete Jgnatij ihm mit Wichtigkeit, „sie würden uns nicht einlassen,
wenn ich nicht dabei wäre. Ich beschütze sie und sorge gewissermaßen für sie.
Sehen Sie, es sind Mädchen, alleinstehende arme Waisen, und da sie in unserem
Hause wohnen und ich die Häuser verwalte — nun, Sie begreifen, irgend einer
muß sie doch beschützen. Mitleid von mir, verstehen Sie."

„Wo wohnen sie? Ich kenne die Mädchen von der Nadel ziemlich alle von
Ansehen."

„Nu, Sie werden sehen."

Der Haufe ging durch mehrere Gassen und Quergassen fast bis zum Rande
des Fleckens am Bache, und zwar, wie er glaubte, recht still und solid, in der
Tat aber doch mit so lautem Gespräch, Gesang und Gelächter, daß in vielen
Häusern und Hütten die Leute aus den Betten sprangen und sogar hin und wieder
die Fenster öffneten, wo diese nicht durch Läden geschlossen waren. Unter einer
Bank hervor fuhr ein Hund mit Gekläff auf die Lärmenden los, verstummte jedoch


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[0188] Im Flecken recht wußten, was sie taten. Zwei standen einander gegenüber und blökten sich an wie Schafe, versuchten auch zu trippeln, wie Schafe es tun, wenn sie etwas Aufregendes sehen, und senkten mitunter die Köpfe, als ob sie stoßen wollten. Mehrere liefen ohne Zweck und Ziel im Zimmer umher, wobei sie Stühle und verschiedenes Gerät umwarfen und zum Teil zerbrachen. Paschka band sich das Taschentuch um den Arm, zum Zeichen, daß er Dame sei, und bat den Aufseher, mit ihm zu tanzen. Der hatte nichts dagegen. Ein zweites Paar fand sich sogleich, und eine Quadrille wurde begonnen, natürlich mit Verschönerung der Touren nach dem Geschmack der Gesellschaft. Lange konnte solches Umhertoben nicht währen. An und für sich war die Unruhe, in der sich die Zechbrüder befanden, der beste Beweis, daß sie genug getrunken hatten und sich nach Abwechselung sehnten. Daher begann die Gesellschaft sich zu lichten. „Hört, ihr Herren," sagte Jgnatij zu den Tanzenden und einigen anderen, die dageblieben waren, „ein Tanz unter Männern schickt sich nicht. Das können nur Indianer oder Bauern. Kommt mit. Ich lade euch ein. Ich will euch Gelegenheit geben, mit Damen zu tanzen. Und was für Damen!" „Jgnatka, Herzchen!" rief Paschka. „Willst du uns zu deinen Putzmacherinnen führen, uns wieder einmal einen Ball geben? Das ist ein guter Gedanke. Du bist ein prächtiger Junge." „Aber nur unter einer Bedingung," sprach Jgnatij streng. Ihr müßt ver¬ sprechen, euch gesittet zu betragen. Es sind anständige junge Mädchen, und sie stehen unter meinem Schutz." Tschernow mußte einen Korb voll Weinflaschen, Süßigkeiten und verschiedenen eßbaren Sachen packen. Paschka übernahm mit einem anderen Jüngling das Tragen. Der Trupp zog ab. „Sie kommen doch auch mit uns, Wladimir Jwanowitsch?" sagte Jgnatij zu Wolski, mit dem er zu gleicher Zeit das Haus verließ. „Sie sind bestens eingeladen. Sie werden zufrieden sein. Es sind unbescholtene Mädchen und — hübsch." „Und empfangen in der Nacht junge Leute!" äußerte der Polizeiaufseher zweifelhaft. „Wo wohnen sie?" „Ah," bedeutete Jgnatij ihm mit Wichtigkeit, „sie würden uns nicht einlassen, wenn ich nicht dabei wäre. Ich beschütze sie und sorge gewissermaßen für sie. Sehen Sie, es sind Mädchen, alleinstehende arme Waisen, und da sie in unserem Hause wohnen und ich die Häuser verwalte — nun, Sie begreifen, irgend einer muß sie doch beschützen. Mitleid von mir, verstehen Sie." „Wo wohnen sie? Ich kenne die Mädchen von der Nadel ziemlich alle von Ansehen." „Nu, Sie werden sehen." Der Haufe ging durch mehrere Gassen und Quergassen fast bis zum Rande des Fleckens am Bache, und zwar, wie er glaubte, recht still und solid, in der Tat aber doch mit so lautem Gespräch, Gesang und Gelächter, daß in vielen Häusern und Hütten die Leute aus den Betten sprangen und sogar hin und wieder die Fenster öffneten, wo diese nicht durch Läden geschlossen waren. Unter einer Bank hervor fuhr ein Hund mit Gekläff auf die Lärmenden los, verstummte jedoch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/188>, abgerufen am 22.07.2024.