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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Das Eigenheim des Mittelstandes

schriften interessierter Kreise, zu verneinen. Es ist heute dein weniger bemittelten
gewerblichen und gebildeten Mittelstande nicht mehr möglich, in angemessener,
bequem gelegener Lage zu erschwinglichen Preisen ein Baugrundstück zu erwerben,
wenn er nicht jeden Tag ein paar Stunden Bahnfahrt opfern will und kann.

Das zur Bebauung geeignete, mit der Stadt durch gute Verkehrswege
verbundene Land war früher und ist auch zum Teil heute noch entweder im
Besitz des Forstfiskus oder eines privaten Grundbesitzers, gemeinhin Bauer
genannt. Von diesem wird es zu mäßigen Preisen an Spekulanten verkauft,
darauf schnell eine G. in. b. H. oder Aktiengesellschaft gebildet und durch den
Landmesser ein paar Straßen durch das Gelände gelegt. Diese werden auf
möglichst billige Weise befestigt, die benachbarten Gas-, Wasserleitungs- und
Elektrizitätswerke legen ihre Leitungen bezw. Kabel in den Straßenkörper und
der Verkauf der Grundstücke kann beginnen. Die Verkaufspreise stehen schon
meist von Anfang an in gar keinem Verhältnis zu den aufgewendeten Kosten.
Die ersten Käufer werden gewöhnlich unter etwas günstigeren Bedingungen
herangeholt, namentlich wenn sie sich verpflichten, sofort mit dem Bau zu
beginnen. Sind aber erst mal ein paar Wohnstätten errichtet, dann beginnt
für die Spekulation das Hauptgeschäft.

Noch ein Vorwurf ist der Spekulation zu machen, den ich an einem
Beispiel erläutern will. Nehmen wir einmal an, ein älteres, vielleicht kinder¬
loses Ehepaar, dem ausschließlich daran liegt, in gesunder, frischer Luft zu
wohnen, dabei aber, da der Mann noch in der Stadt zu tun hat, auf eine
gute Verbindung nach dieser angewiesen ist, will sich in einem Vorort ansiedeln.
Interesse an der Gartenarbeit, oft auch die Kraft zu deren Ausübung oder
die Zeit dazu sind nicht vorhanden, auch nicht die Mittel, sich einen Gärtner zu
halten. Diese Leute wollen eine für ihre Zwecke geeignete Baustelle erwerben.
Nimmt man die Länge eines kleinen Einfamilienhauses zu 10 Meter und den
beiderseitigen Bauwich nach baupolizeilicher Vorschrift zu je 4 Meter an, so muß
die Baustelle eine Straßenfront von wenigstens 18 Meter besitzen. Die Gebäude¬
tiefe betrage ebenfalls 10 Meter, der Vorgarten 8 Meter und der Hintergarten
nebst Hoffleck 10 Meter. Man erhält dann eine Mindesttiefe des Grundstücks
von 28 Meter, oder eine Grundfläche von 604 Quadratmeter bezw. 36, sagen
wir rund 40 Quadratruten. Man versuche es einmal, wie ich es getan habe,
von Terraingesellschaften oder Privatspekulanten eine Baustelle von solcher Größe
zu erhalten. Entweder bekommt man überhaupt keine oder aber eine ablehnende
Antwort. Manchmal ist die Ablehnung mit den recht unverständlichen Worten
begründet, daß derartige Baustellen nicht in den Plan der sonstigen Aufteilung
hineinpassen. Sehr schön gesagt, wenn auch für den Fachmann unverständlich.
Viel näher liegt wohl die Vermutung, daß der Verkauf solch kleiner Parzellen
nicht lohnt, weil der Verdienst hieran sich nicht durch etliche Tausender ausdrücken
läßt. Daher erfolgt auch die Parzellierung nach der "bewährten" Berliner Form.
Die kleinsten Baustellen haben meist keine geringere Größe als achtzig bis neunzig


Das Eigenheim des Mittelstandes

schriften interessierter Kreise, zu verneinen. Es ist heute dein weniger bemittelten
gewerblichen und gebildeten Mittelstande nicht mehr möglich, in angemessener,
bequem gelegener Lage zu erschwinglichen Preisen ein Baugrundstück zu erwerben,
wenn er nicht jeden Tag ein paar Stunden Bahnfahrt opfern will und kann.

Das zur Bebauung geeignete, mit der Stadt durch gute Verkehrswege
verbundene Land war früher und ist auch zum Teil heute noch entweder im
Besitz des Forstfiskus oder eines privaten Grundbesitzers, gemeinhin Bauer
genannt. Von diesem wird es zu mäßigen Preisen an Spekulanten verkauft,
darauf schnell eine G. in. b. H. oder Aktiengesellschaft gebildet und durch den
Landmesser ein paar Straßen durch das Gelände gelegt. Diese werden auf
möglichst billige Weise befestigt, die benachbarten Gas-, Wasserleitungs- und
Elektrizitätswerke legen ihre Leitungen bezw. Kabel in den Straßenkörper und
der Verkauf der Grundstücke kann beginnen. Die Verkaufspreise stehen schon
meist von Anfang an in gar keinem Verhältnis zu den aufgewendeten Kosten.
Die ersten Käufer werden gewöhnlich unter etwas günstigeren Bedingungen
herangeholt, namentlich wenn sie sich verpflichten, sofort mit dem Bau zu
beginnen. Sind aber erst mal ein paar Wohnstätten errichtet, dann beginnt
für die Spekulation das Hauptgeschäft.

Noch ein Vorwurf ist der Spekulation zu machen, den ich an einem
Beispiel erläutern will. Nehmen wir einmal an, ein älteres, vielleicht kinder¬
loses Ehepaar, dem ausschließlich daran liegt, in gesunder, frischer Luft zu
wohnen, dabei aber, da der Mann noch in der Stadt zu tun hat, auf eine
gute Verbindung nach dieser angewiesen ist, will sich in einem Vorort ansiedeln.
Interesse an der Gartenarbeit, oft auch die Kraft zu deren Ausübung oder
die Zeit dazu sind nicht vorhanden, auch nicht die Mittel, sich einen Gärtner zu
halten. Diese Leute wollen eine für ihre Zwecke geeignete Baustelle erwerben.
Nimmt man die Länge eines kleinen Einfamilienhauses zu 10 Meter und den
beiderseitigen Bauwich nach baupolizeilicher Vorschrift zu je 4 Meter an, so muß
die Baustelle eine Straßenfront von wenigstens 18 Meter besitzen. Die Gebäude¬
tiefe betrage ebenfalls 10 Meter, der Vorgarten 8 Meter und der Hintergarten
nebst Hoffleck 10 Meter. Man erhält dann eine Mindesttiefe des Grundstücks
von 28 Meter, oder eine Grundfläche von 604 Quadratmeter bezw. 36, sagen
wir rund 40 Quadratruten. Man versuche es einmal, wie ich es getan habe,
von Terraingesellschaften oder Privatspekulanten eine Baustelle von solcher Größe
zu erhalten. Entweder bekommt man überhaupt keine oder aber eine ablehnende
Antwort. Manchmal ist die Ablehnung mit den recht unverständlichen Worten
begründet, daß derartige Baustellen nicht in den Plan der sonstigen Aufteilung
hineinpassen. Sehr schön gesagt, wenn auch für den Fachmann unverständlich.
Viel näher liegt wohl die Vermutung, daß der Verkauf solch kleiner Parzellen
nicht lohnt, weil der Verdienst hieran sich nicht durch etliche Tausender ausdrücken
läßt. Daher erfolgt auch die Parzellierung nach der „bewährten" Berliner Form.
Die kleinsten Baustellen haben meist keine geringere Größe als achtzig bis neunzig


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[0162] Das Eigenheim des Mittelstandes schriften interessierter Kreise, zu verneinen. Es ist heute dein weniger bemittelten gewerblichen und gebildeten Mittelstande nicht mehr möglich, in angemessener, bequem gelegener Lage zu erschwinglichen Preisen ein Baugrundstück zu erwerben, wenn er nicht jeden Tag ein paar Stunden Bahnfahrt opfern will und kann. Das zur Bebauung geeignete, mit der Stadt durch gute Verkehrswege verbundene Land war früher und ist auch zum Teil heute noch entweder im Besitz des Forstfiskus oder eines privaten Grundbesitzers, gemeinhin Bauer genannt. Von diesem wird es zu mäßigen Preisen an Spekulanten verkauft, darauf schnell eine G. in. b. H. oder Aktiengesellschaft gebildet und durch den Landmesser ein paar Straßen durch das Gelände gelegt. Diese werden auf möglichst billige Weise befestigt, die benachbarten Gas-, Wasserleitungs- und Elektrizitätswerke legen ihre Leitungen bezw. Kabel in den Straßenkörper und der Verkauf der Grundstücke kann beginnen. Die Verkaufspreise stehen schon meist von Anfang an in gar keinem Verhältnis zu den aufgewendeten Kosten. Die ersten Käufer werden gewöhnlich unter etwas günstigeren Bedingungen herangeholt, namentlich wenn sie sich verpflichten, sofort mit dem Bau zu beginnen. Sind aber erst mal ein paar Wohnstätten errichtet, dann beginnt für die Spekulation das Hauptgeschäft. Noch ein Vorwurf ist der Spekulation zu machen, den ich an einem Beispiel erläutern will. Nehmen wir einmal an, ein älteres, vielleicht kinder¬ loses Ehepaar, dem ausschließlich daran liegt, in gesunder, frischer Luft zu wohnen, dabei aber, da der Mann noch in der Stadt zu tun hat, auf eine gute Verbindung nach dieser angewiesen ist, will sich in einem Vorort ansiedeln. Interesse an der Gartenarbeit, oft auch die Kraft zu deren Ausübung oder die Zeit dazu sind nicht vorhanden, auch nicht die Mittel, sich einen Gärtner zu halten. Diese Leute wollen eine für ihre Zwecke geeignete Baustelle erwerben. Nimmt man die Länge eines kleinen Einfamilienhauses zu 10 Meter und den beiderseitigen Bauwich nach baupolizeilicher Vorschrift zu je 4 Meter an, so muß die Baustelle eine Straßenfront von wenigstens 18 Meter besitzen. Die Gebäude¬ tiefe betrage ebenfalls 10 Meter, der Vorgarten 8 Meter und der Hintergarten nebst Hoffleck 10 Meter. Man erhält dann eine Mindesttiefe des Grundstücks von 28 Meter, oder eine Grundfläche von 604 Quadratmeter bezw. 36, sagen wir rund 40 Quadratruten. Man versuche es einmal, wie ich es getan habe, von Terraingesellschaften oder Privatspekulanten eine Baustelle von solcher Größe zu erhalten. Entweder bekommt man überhaupt keine oder aber eine ablehnende Antwort. Manchmal ist die Ablehnung mit den recht unverständlichen Worten begründet, daß derartige Baustellen nicht in den Plan der sonstigen Aufteilung hineinpassen. Sehr schön gesagt, wenn auch für den Fachmann unverständlich. Viel näher liegt wohl die Vermutung, daß der Verkauf solch kleiner Parzellen nicht lohnt, weil der Verdienst hieran sich nicht durch etliche Tausender ausdrücken läßt. Daher erfolgt auch die Parzellierung nach der „bewährten" Berliner Form. Die kleinsten Baustellen haben meist keine geringere Größe als achtzig bis neunzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/162>, abgerufen am 22.07.2024.