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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Das Ligenheim des Mittelstandes

Kleinere Geschäftsleute haben hinter ihrem Laden eine aus Zimmer und Küche
bestehende, oft genug dunkle Wohnung, in der sie Hausen müssen, weil es zu
einer besonderen Wohnung nicht langt -- leider auch kein Ausnahmefall.

Interessant ist die Angabe der amtlichen Wohnungsstatistik, nach der man
beispielsweise in Berlin schon Wohnungen bekommen kann, bei denen die Jahres¬
miete, auf das Zimmer gerechnet, nur 200 Mark, also für eine Dreizimmer¬
wohnung nur 600 Mark beträgt. Man sehe sich aber solche Wohnungen, ihre
Lage und die Gegend, in der sie liegen, an. Gerade für den gebildeten Mittel¬
stand ist es sehr schwer, Wohnungen zu finden, deren Mietspreis einigermaßen
mit seinem Einkommen in Einklang steht, und bescheidenen Ansprüchen in bezug
auf Größe, Ausstattung und Lage entspricht. Diese Kreise haben in Berlin
durchschnittlich 300 bis 400 Mark für das Zimmer auszugeben, und zwar um
so mehr, je mehr sie aus bestimmten Gründen bessere Gegenden bevorzugen
müssen. Als weiterer Übelstand kommt vielfach und namentlich in den neueren
Häusern die Kleinheit der Zimmer hinzu. Manche hochmoderne, "mit allein
Komfort" ausgestattete Fünfzimmerwohnung hat bequem in einer älteren Drei¬
zimmerwohnung Platz.

Die Hauptschuld an diesen Übelständen, die sich in ähnlicher Weise in allen
deutschen Großstädten zeigen, trägt die unglückliche Bodenwirtschaft in Deutsch¬
land, die restlose Auslieferung des Grund und Bodens an das Spekulantentum,
unter Übertragung der Lasten auf die Allgemeinheit. Die Bodenrenke, sowie
der Unterschied zwischen Erwerb und Verkauf eines Grundstücks sind zu
groß. Besonders kraß tritt dieser Übelstand in den günstig zur Großstadt
belegenen Vororten hervor. Ein Beispiel für viele: Anfang der siebziger Jahre
des vorigen Jahrhunderts wurde im Westen Berlins ein Villenvorort gegründet
und die Quadratrute Bauland mit Is Talern bezahlt. Heute sind die Villen
fast vollständig verschwunden, große Mietshäuser mit Seitenflügeln und Hinter¬
gebäuden stehen an ihrer Stelle und ich glaube kaum, daß sich die paar noch
zur Mietskasernenbebauung freien Plätze billiger als 800 Mark für die Rute
stellen werden.

Die unausbleibliche Folge jeder starken, erst durch die Möglichkeit, ein
Grundstück intensiver bebauen zu können, eintretenden Steigerung des Verkaufs¬
wertes von Grund und Boden ist eine ständige Steigerung der Mieter. So
bewegen sich denn auch in dem von mir angedeuteten Vorort die Mieter etwa
in derselben Höhe wie in den besseren Stadtteilen Berlins. Auch die Ruhe des
Ortes ist natürlich sast vollständig geschwunden, so daß ein Unterschied zu den:
Hasten und Treiben in Berlin kaum noch vorhanden ist. So ähnlich und meist
noch schlimmer liegen die Verhältnisse überall.

Aus alledem entsteht nun die Hauptfrage, ob für den Mittelstand unter
den jetzigen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, sich ein seinem Bedürfnis ent¬
sprechendes Eigenhenn in angenehmer landschaftlicher Umgebung und guter
Verbindung mit der Großstadt zu schaffen. Die Frage ist, trotz aller Reklame-


Das Ligenheim des Mittelstandes

Kleinere Geschäftsleute haben hinter ihrem Laden eine aus Zimmer und Küche
bestehende, oft genug dunkle Wohnung, in der sie Hausen müssen, weil es zu
einer besonderen Wohnung nicht langt — leider auch kein Ausnahmefall.

Interessant ist die Angabe der amtlichen Wohnungsstatistik, nach der man
beispielsweise in Berlin schon Wohnungen bekommen kann, bei denen die Jahres¬
miete, auf das Zimmer gerechnet, nur 200 Mark, also für eine Dreizimmer¬
wohnung nur 600 Mark beträgt. Man sehe sich aber solche Wohnungen, ihre
Lage und die Gegend, in der sie liegen, an. Gerade für den gebildeten Mittel¬
stand ist es sehr schwer, Wohnungen zu finden, deren Mietspreis einigermaßen
mit seinem Einkommen in Einklang steht, und bescheidenen Ansprüchen in bezug
auf Größe, Ausstattung und Lage entspricht. Diese Kreise haben in Berlin
durchschnittlich 300 bis 400 Mark für das Zimmer auszugeben, und zwar um
so mehr, je mehr sie aus bestimmten Gründen bessere Gegenden bevorzugen
müssen. Als weiterer Übelstand kommt vielfach und namentlich in den neueren
Häusern die Kleinheit der Zimmer hinzu. Manche hochmoderne, „mit allein
Komfort" ausgestattete Fünfzimmerwohnung hat bequem in einer älteren Drei¬
zimmerwohnung Platz.

Die Hauptschuld an diesen Übelständen, die sich in ähnlicher Weise in allen
deutschen Großstädten zeigen, trägt die unglückliche Bodenwirtschaft in Deutsch¬
land, die restlose Auslieferung des Grund und Bodens an das Spekulantentum,
unter Übertragung der Lasten auf die Allgemeinheit. Die Bodenrenke, sowie
der Unterschied zwischen Erwerb und Verkauf eines Grundstücks sind zu
groß. Besonders kraß tritt dieser Übelstand in den günstig zur Großstadt
belegenen Vororten hervor. Ein Beispiel für viele: Anfang der siebziger Jahre
des vorigen Jahrhunderts wurde im Westen Berlins ein Villenvorort gegründet
und die Quadratrute Bauland mit Is Talern bezahlt. Heute sind die Villen
fast vollständig verschwunden, große Mietshäuser mit Seitenflügeln und Hinter¬
gebäuden stehen an ihrer Stelle und ich glaube kaum, daß sich die paar noch
zur Mietskasernenbebauung freien Plätze billiger als 800 Mark für die Rute
stellen werden.

Die unausbleibliche Folge jeder starken, erst durch die Möglichkeit, ein
Grundstück intensiver bebauen zu können, eintretenden Steigerung des Verkaufs¬
wertes von Grund und Boden ist eine ständige Steigerung der Mieter. So
bewegen sich denn auch in dem von mir angedeuteten Vorort die Mieter etwa
in derselben Höhe wie in den besseren Stadtteilen Berlins. Auch die Ruhe des
Ortes ist natürlich sast vollständig geschwunden, so daß ein Unterschied zu den:
Hasten und Treiben in Berlin kaum noch vorhanden ist. So ähnlich und meist
noch schlimmer liegen die Verhältnisse überall.

Aus alledem entsteht nun die Hauptfrage, ob für den Mittelstand unter
den jetzigen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, sich ein seinem Bedürfnis ent¬
sprechendes Eigenhenn in angenehmer landschaftlicher Umgebung und guter
Verbindung mit der Großstadt zu schaffen. Die Frage ist, trotz aller Reklame-


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[0161] Das Ligenheim des Mittelstandes Kleinere Geschäftsleute haben hinter ihrem Laden eine aus Zimmer und Küche bestehende, oft genug dunkle Wohnung, in der sie Hausen müssen, weil es zu einer besonderen Wohnung nicht langt — leider auch kein Ausnahmefall. Interessant ist die Angabe der amtlichen Wohnungsstatistik, nach der man beispielsweise in Berlin schon Wohnungen bekommen kann, bei denen die Jahres¬ miete, auf das Zimmer gerechnet, nur 200 Mark, also für eine Dreizimmer¬ wohnung nur 600 Mark beträgt. Man sehe sich aber solche Wohnungen, ihre Lage und die Gegend, in der sie liegen, an. Gerade für den gebildeten Mittel¬ stand ist es sehr schwer, Wohnungen zu finden, deren Mietspreis einigermaßen mit seinem Einkommen in Einklang steht, und bescheidenen Ansprüchen in bezug auf Größe, Ausstattung und Lage entspricht. Diese Kreise haben in Berlin durchschnittlich 300 bis 400 Mark für das Zimmer auszugeben, und zwar um so mehr, je mehr sie aus bestimmten Gründen bessere Gegenden bevorzugen müssen. Als weiterer Übelstand kommt vielfach und namentlich in den neueren Häusern die Kleinheit der Zimmer hinzu. Manche hochmoderne, „mit allein Komfort" ausgestattete Fünfzimmerwohnung hat bequem in einer älteren Drei¬ zimmerwohnung Platz. Die Hauptschuld an diesen Übelständen, die sich in ähnlicher Weise in allen deutschen Großstädten zeigen, trägt die unglückliche Bodenwirtschaft in Deutsch¬ land, die restlose Auslieferung des Grund und Bodens an das Spekulantentum, unter Übertragung der Lasten auf die Allgemeinheit. Die Bodenrenke, sowie der Unterschied zwischen Erwerb und Verkauf eines Grundstücks sind zu groß. Besonders kraß tritt dieser Übelstand in den günstig zur Großstadt belegenen Vororten hervor. Ein Beispiel für viele: Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde im Westen Berlins ein Villenvorort gegründet und die Quadratrute Bauland mit Is Talern bezahlt. Heute sind die Villen fast vollständig verschwunden, große Mietshäuser mit Seitenflügeln und Hinter¬ gebäuden stehen an ihrer Stelle und ich glaube kaum, daß sich die paar noch zur Mietskasernenbebauung freien Plätze billiger als 800 Mark für die Rute stellen werden. Die unausbleibliche Folge jeder starken, erst durch die Möglichkeit, ein Grundstück intensiver bebauen zu können, eintretenden Steigerung des Verkaufs¬ wertes von Grund und Boden ist eine ständige Steigerung der Mieter. So bewegen sich denn auch in dem von mir angedeuteten Vorort die Mieter etwa in derselben Höhe wie in den besseren Stadtteilen Berlins. Auch die Ruhe des Ortes ist natürlich sast vollständig geschwunden, so daß ein Unterschied zu den: Hasten und Treiben in Berlin kaum noch vorhanden ist. So ähnlich und meist noch schlimmer liegen die Verhältnisse überall. Aus alledem entsteht nun die Hauptfrage, ob für den Mittelstand unter den jetzigen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, sich ein seinem Bedürfnis ent¬ sprechendes Eigenhenn in angenehmer landschaftlicher Umgebung und guter Verbindung mit der Großstadt zu schaffen. Die Frage ist, trotz aller Reklame-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/161>, abgerufen am 22.07.2024.